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Strahlende Konstrukte
Neue Zürcher Zeitung

Das Bauhaus in Amerika - eine Ausstellung in Essen

Nachdem das Bauhaus 1933 von den Nazis geschlossen worden war, machten sich seine Protagonisten auf die Suche nach einer neuen Heimat. Amerikanische Förderer wie der MoMA-Direktor Alfred Barr oder der Kunsthistoriker und heutige Architekt Philip Johnson verhalfen den Bauhäuslern zu einem neuen Start in ihrem Land. Die Resultate ihres Schaffens zeigt jetzt eine Ausstellung im Essener Folkwang-Museum.

7. September 2000 - Johann Christoph Reidemeister
Plötzlich waren sie da. Standen oben an den Hängen Neuenglands, sahen fremd, streng und strahlend weiss aus, als hätte man sie irgendwo im calvinistischen Holland oder in den Kiefernwäldern um Dessau aus ihrer Verankerung gerissen und hierher verfrachtet. Man muss sich die Verwunderung der Bewohner von Lincoln, Massachusetts, vorstellen, die damals auf den lehmigen Wegen am Ufer des Walden Pond entlang fuhren und plötzlich vor den neuen Villen von Walter Gropius standen: keine Holzverkleidung, keine Giebel mehr, sondern blendend weisse Kisten, so karg, als seien sie Haus gewordene Ideen, utopische Traumgebilde. Die ersten Angriffe auf den Baumeister dieser futuristischen Visionen liessen nicht lange auf sich warten: Eine Harvard-Professur habe der Mann, und dennoch sei ihm nicht über den Weg zu trauen. Er bewohne ein «ultramodernes Haus», in dessen Keller Munition, Maschinengewehre und Bomben gelagert seien. Und überhaupt: Man habe gerade den Film «Confessions of a Nazi Spy» gesehen, und da schliesse sich doch wohl jeder Zweifel von selbst aus! So steht es jedenfalls in seiner Akte.

Der Mann, Walter Gropius, war Gründer des Bauhauses in Weimar und ab 1937 Emigrant in den USA. Unter Spionageverdacht geriet er wie andere Deutsche auf der Flucht. Erst wurde er als Nazi bespitzelt, dann als Kommunist. Das FBI führte seine Akte 20 Jahre lang. Ihm und den anderen Bauhäuslern schlug in Amerika eine antideutsche Stimmung entgegen. Als «alien» wurde von vielen aber auch die von ihnen mitgebrachte Architektur ausgegrenzt, die die Bautraditionen des Landes mit Füssen trat. Fremdartigkeit und Extremismus warf man ihr vor.

Dass das Bauhaus trotz diesen Hindernissen zu einer amerikanischen Erfolgsstory wurde, zeigt derzeit eine Ausstellung im Essener Folkwang-Museum. Sie hat zusammengetragen, was von den Bauhauskünstlern bis in die späten sechziger Jahre hinein geschaffen wurde. Architektur, Möbel, Gewebe, graphische Entwürfe und Gemälde werden als gleichberechtigte Elemente einer auch in Amerika unverändert ganzheitlichen Bauhauskosmologie vorgestellt. Strahlendes Signet dieses Kunstverbundes im Exil bleiben etwa die Villen Marcel Breuers, vor allem aber die Hochhäuser Ludwig Mies van der Rohes, die sich in die Skylines von Chicago bis New York so unübersehbar eingereiht haben und dort so folgenreich Schule machten, dass selbst noch in den achtziger Jahren ein Autor wie Tom Wolfe dagegen anschreiben zu müssen glaubte.

Den interkulturellen Austausch zwischen den Bauhausmeistern und ihren amerikanischen Schülern nachzuzeichnen, den Kulturtransfer von Deutschland nach Amerika und wieder zurück, hat sich die New Yorker Kuratorin der Schau, Margarita Tupitsyn, vorgenommen. Doch es gelingt ihr nicht ganz. Mit 350 ausgestellten Objekten verliert sich die Ausstellung zwischen museologischer Megalomanie und konzeptueller Kurzatmigkeit. So begegnet man etwas überraschend auch Robert Rauschenberg, der ein Jahr bei Josef Albers am Black Mountain College Quadrate malte, nur um dann doch zu machen, was er wollte: in ein Auto einsteigen und damit Reifenspuren auf das am Boden weitflächig ausgelegte Papier zu setzen. Ausdruck einer in den fünfziger Jahren schon nicht mehr ganz neuen Maschinenästhetik? Die Schau gibt darauf keine Antwort.


[Bis zum 12. November im Folkwang-Museum Essen. Katalog: Bauhaus. Dessau - Chicago - New York. DuMont-Verlag, Köln 2000. 300 S., DM 49.80 in der Ausstellung.]

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