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Ein Museum für eine labyrinthische Bildwelt
Neue Zürcher Zeitung

Mario Bottas Hommage an Friedrich Dürrenmatt

Am Samstag wird im Beisein von Bundesrätin Ruth Dreifuss das von Mario Botta im Vallon de l'Ermitage ob Neuenburg erbaute Centre Dürrenmatt eröffnet. Im ehemaligen Wohnhaus des Schriftstellers wurde ein Dokumentationszentrum eingerichtet, während im angebauten Ausstellungsbau das bildnerische Schaffen Dürrenmatts gezeigt wird. Ab Sonntag sind Haus und Annex dem Publikum zugänglich.

23. September 2000 - Mathias Vogel
Das grosse Kapital des Centre Dürrenmatt Neuchâtel, Museum und Forschungsstätte zugleich, ist neben der privaten Bibliothek des Dichters sein künstlerisches und zeichnerisches Werk, das hier mit Ausnahme von einigen Einzelstücken in Privatbesitz fast vollständig vereint ist. Drei Quellen speisen die Sammlung: die Dürrenmatt-Stiftung, in die der bildkünstlerische Nachlass des Autors eingegangen ist, Leihgaben aus dem Bilderbesitz der Ehefrau Charlotte Kerr, später als Legat bestimmt, und weitere Dauerleihgaben des bedeutenden Dürrenmatt-Sammlers Hans Liechti. Diesem Konvolut, das an die zweihundertfünfzig Einheiten umfasst, wurde mit dem Museumsbau Mario Bottas ein würdiger Rahmen gegeben. Er ist nicht nur Hülle, sondern tritt durch die Raumdisposition und unterschiedliche Lichtregie in eine Wechselbeziehung zu den gezeigten Werken - meist zu deren Bereicherung.

Eindrücklich ist, wie die zahlreichen Arbeiten, die den Mythos des Minotaurus zur Vorlage haben, in einem tunnelartigen Raum, dessen Wände sich zueinander wölben, vereinigt werden. Viele Werke hängen, geschickt zu grösseren thematischen Gruppen vereinigt, unmittelbar vor den Sichtbetonwänden, was die Härte ihrer Aussage durchaus unterstützt. Problematischer ist die Präsentation der Gouachen und Ölgemälde, die in der würdevollen Rotunde des Untergeschosses aufgereiht sind. Von der Decke fällt natürliches Licht auf sie und verleiht ihnen durchgehend eine Bedeutung, die nicht allen Arbeiten zukommt. Das Gemälde «Letzte Generalversammlung der Eidgenössischen Bankanstalt» (1966) wird in der Mittelachse altarartig inszeniert, eine Idee des Architekten, dessen Verehrung für den Dichter hier auf die Spitze getrieben ist. Im Übrigen sind in dieser ersten Ausstellung alle Gattungen und Techniken, mit denen Dürrenmatt experimentierte, neben Zeichnungen und Gemälden auch Collagen, Lithographien oder Karikaturen, mit wichtigen Beispielen vertreten.

In unserem Land erhalten nur wenige Künstler ein eigenes Museum. Ist es unter diesen Umständen berechtigt, dem bildkünstlerischen Schaffen eines bedeutenden Mannes, der in weiten Kreisen als Dichter gilt und der das Zeichnen und Malen zur Privatsache erklärte, einen repräsentativen Bau zu errichten? Die Verantwortlichen der ersten Werkpräsentation, Janine Perret-Sgualdo (Leiterin des Zentrums) und Peter E. Erismann (Schweizerisches Literaturarchiv), betonen dann auch, dass die Zeichnungen und Gemälde nicht auf ein Podest gehoben werden sollen, erst die enge Verbindung mit dem literarischen Schaffen offenbare ihren Stellenwert und lasse das «Universum Dürrenmatt» in Erscheinung treten. Die Bezüge zu den Manuskripten und Schriften, die in Raumvitrinen, von Botta entworfen, gezeigt werden, sind klar, aber nicht aufdringlich. Auch die zahlreichen Zitate aus Dürrenmatts literarischem und essayistischem Werk zeugen von der Kennerschaft der Ausstellungsmacher. Sie unterstreichen die Tatsache, dass das bildkünstlerische Werk selten rein illustrativ ist. - Durch Wechselausstellungen anderer Kunstschaffender, Doppelbegabungen hin oder her, soll dem Eindruck eines Mausoleums entgegengewirkt werden. Ob durch diesen Ort die problematische Trennung des literarischen und des künstlerischen Nachlasses überbrückt werden kann, wird sich erst noch zeigen müssen. Immerhin kann jetzt schon der Beweis angetreten werden, dass das visuelle Schaffen Dürrenmatts nicht einer Liebhaberei entsprungen ist, sondern Ausgangs- und Endpunkt vieler geistiger Eskapaden des Schriftstellers war.

Dürrenmatt hatte ein umfangreiches zeichnerische Œuvre vorzuweisen, als er sich mit vierundzwanzig Jahren für das Wort entschied. In seiner Jugend war es für ihn naheliegend gewesen, für seine bildhaften oder gar visionären Vorstellungen, die auch sein Schreiben massgeblich bestimmen sollten, nach visuellen Ausdrucksmitteln zu suchen. Auch nachdem er eingesehen hatte, dass Malerei und Zeichnung nicht die einzigen und nicht die adäquatesten Medien waren, um den Stoffen, die aus ihm herauswollten, Gestalt zu geben, blieb er ihnen treu. Zeichenfeder und Pinsel lagen jederzeit auf dem Arbeitstisch griffbereit. Die Idee, aus dem «Nichts, aus der weissen Leere des Kartons, von selbst eine Welt» entstehen zu lassen, faszinierte den Autor.

Dennoch lassen sich verschiedene Einflüsse aus der europäischen Kunstgeschichte ausmachen. Die Minotaurus-Serie aus dem Jahre 1975, mit breitem Tuschpinsel laviert, steht bezüglich der Kraft des Striches und der rigorosen Verteilung von Licht und Schatten Zeichnungen Louis Soutters nahe. In Arbeiten wie «Apokalyptische Reiter» (1943) oder «Turmbau V: Nach dem Sturz» (1976) lässt sich am ehesten nachvollziehen, was Dürrenmatt meinte, wenn er davon sprach, dass seine bildkünstlerischen Arbeiten Schlachtfelder seien, auf denen sich seine «schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen» abspielten.

Da die Möglichkeit bestand, korrigierend einzugreifen, hatte Zeichnen etwas Entspannendes für Dürrenmatt. Mit der Rasierklinge kratzte und schabte er auf dem Zeichenblatt herum. Der Eindruck, dass die Zeichenunterlage traktiert und die Zeichengeräte gleich Waffen eingesetzt wurden, entspricht bei einer Arbeit wie «Kreuzigung III» (1976) dem Sujet. Der Dornenbekrönte ist darauf zu sehen, wie er gerade von einer Meute schwarzer und weisser Ratten in Stücke gerissen wird. Im Gegensatz zu jungen Gegenwartskünstlern, die sich figürlichen und erzählerischen Elementen zuwenden, trieb Dürrenmatt seine Geschichten auch im Bild zum bitterbösen Ende. Der dauernde Richtungswechsel der Schraffen, die einmal gerade, dann wieder ondulierend verlaufen, erinnert an die Radiertechnik William Blakes. Diese ausserordentliche Doppelbegabung strebte eine Synthese von Wort und Bild an. Im Fall des Schweizer Schriftstellers, dies die Einsicht, die beim heutigen Forschungsstand möglich ist, laufen die visuellen Arbeiten parallel zu den Schriften, ohne dass es zur Verschränkung im Sinne eines Gesamtkunstwerks kommt.


[Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 11-17 Uhr, Donnerstag 11-21 Uhr. Katalog: Mario Botta, Centre Dürrenmatt Neuchâtel. Hrsg. v. Peter E. Erismann. Birkhäuser-Verlag, Fr. 58.-.]

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