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Ein künstliches Paradies für Touristen?
Neue Zürcher Zeitung

Das Kairo der Fatimidenzeit soll restauriert werden

Jahrzehntelange Vernachlässigung und Überbeanspruchung bedrohen Kairos Altstadtquartiere: In Darb al-Ahmar wollte die Regierung bereits ganze Strassenzüge abreissen. Seit kurzem bemüht man sich stattdessen mit ausländischer Hilfe um Sanierung; allerdings besteht die Gefahr, dass die lebendigen Strukturen dabei verloren gehen.

2. Oktober 2000 - Tomas Veser
Darb al-Ahmar liegt am Rande Alt-Kairos, das Nagib Mahfus in seinem Roman «Zwischen den Palästen» so anschaulich dargestellt hat. In diesem Werk gab der ägyptische Literaturnobelpreisträger die Aufbruchstimmung während des Ersten Weltkriegs wieder. «Gewöhnlich war das laute Getöse ein Sammelsurium von Lockrufen der Händler, Geschrei der Käufer beim Feilschen, Beschwörungen von Verrückten und Scherzen von Passanten. Nein, es war wirklich kein ruhiges Viertel.» Auf den ersten Blick scheint sich in Darb al-Ahmar seither nicht viel verändert zu haben. Neben einem winzigen Gewürzladen, aus dem alle Wohlgerüche Arabiens strömen, stellen Männer Tische, Stühle und Bettrahmen her. Daneben verfertigen Kunsthandwerker perlmuttverzierte Holzschatullen, die im benachbarten Touristenviertel Khan al-Khalili zum Verkauf angeboten werden. Ein paar Schritte weiter stehen in einer kleinen Teestube die Wasserpfeifen schon bereit.

Aber auch an Darb al-Ahmar ist die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen. Zeigen Photographien aus den zwanziger Jahren dicht bebaute Gassenzüge mit mehrstöckigen, balkonverzierten Gebäuden, erblickt man gleichenorts jetzt Ruinen oder Häuserlücken. Gut 80 Prozent der Gebäude sind stark beschädigt, Abwassersystem und Müllabfuhr genügen den heutigen Bedürfnissen längst nicht mehr. Immer mehr Bewohner haben ihrem angestammten Viertel den Rücken gekehrt. Sie wohnen weit entfernt in Neubauquartieren, von wo aus sie täglich zu ihren Arbeitsplätzen in die Altstadt pendeln. Die früher untrennbare Einheit von Wohnen, Arbeiten und Handeln löst sich allmählich auf. Wie viele Wohnquartiere der Altstadt bietet Darb al-Ahmar den Menschen wenig Zukunftsperspektiven.

Initiative aus dem Ausland
Vor einigen Jahren hatten die Behörden erwogen, die am stärksten zerfallenen Strassenzüge nahe der mittelalterlichen Stadtmauer abzureissen und den Schandfleck damit von der Bildfläche zu tilgen. Dieses Projekt stiess bei den Bewohnern auf wenig Gegenliebe und wurde von den Behörden schnell aufgegeben. Aus Furcht, eines Tages vielleicht doch die Koffer packen zu müssen, verhielten sich jedoch selbst jene Bewohner, die für eine Renovation ihres Hauses genügend Geld gehabt hätten, zunächst lieber abwartend.

Dass heute zunehmend private Häuser saniert werden, geht auf eine Initiative der Genfer Aga-Khan-Stiftung zurück. Die gemeinnützige Einrichtung, die sich in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit um den Erhalt historischer Städte verdient macht, vereinbarte mit der Regierung Schritte zur Rettung des Wohnquartiers. Beispielhaft renovierte man leerstehende Gebäude, darunter eine Schule, die als Gemeindezentrum für alle Bewohner zur Verfügung steht. Wer heute sein Haus auf eigene Kosten erneuern möchte, findet bei den Architekten der Stiftung kostenlos Rat und Hilfe.

Gemeinsam haben Archäologen aus Europa und Ägypten den mächtigen Befestigungswall am Stadtrand freigelegt. Er ist das Werk des legendären Sultans Saladin, der nach seinem Sieg über das Kreuzfahrerheer Ende des 12. Jahrhunderts nach Kairo zog und die Fatimiden verdrängte. Im Lauf der Jahrhunderte war Saladins Wall fast völlig unter gewaltigen Mengen von Bauschutt verschwunden. Bei den inzwischen abgeschlossenen Ausgrabungen schuf man Zugänge, die Einblicke in die Baugeschichte erlauben: Saladin liess die Fundamente der Stadtbefestigung aus Trümmerteilen pharaonischer und antiker Baudenkmäler errichten. Zwischen der wieder sichtbaren Mauer und der Totenstadt im Tal soll auf 30 Hektaren Kairos grösste Grünfläche angelegt werden. Neben Restaurants und Flanierwegen mit Schatten spendenden Bäumen sind künstliche Seen vorgesehen. Diese Parklandschaft und ein wiederbelebtes Altstadtquartier, so hofft die Stiftung, werde auch dem Tourismus Auftrieb verleihen. Besucher, die in der Regel nur bis in die Souvenirläden des herausgeputzten Viertels Khan al-Khalili gelangen, könnten dort ein Stück authentisches Alt-Kairo kennen lernen.

Auf dem höchsten Punkt des Parks bietet sich ein Panorama wie aus dem Bilderbuch: Wenn die Fernsicht einmal nicht durch den berüchtigten Abgas-Smog behindert wird, zeichnen sich sogar die Silhouetten der Pyramiden ab. Oberhalb der Totenstadt mit ihren Kuppelmausoleen thront auf einem Felssporn Saladins Zitadelle. Silberkuppeln zieren die Mohammed-Ali-Moschee, die im vorigen Jahrhundert nach dem Geschmack der Istanbuler Gebetshäuser gestaltet wurde. Sie erinnert an den noch heute hoch verehrten osmanischen Khedive (Vizekönig), der Ägypten im Osmanenreich zu mehr Selbständigkeit verhalf und dem Land den Weg in die Moderne wies.

Mutter der Welt
Als der Chronist Ibn Khaldun die Stadt am Nil im 14. Jahrhundert besucht hatte, schrieb er in seinem «Buch der Beispiele» folgende Sätze: «Heute verfügt keine andere Stadt über so eine reiche städtische Kultur wie Kairo. Sie ist die Mutter der Welt, der grosse Mittelpunkt des Islam und Quelle der Wissenschaften und des Handwerks.» Diesen Ruf wie auch den Namen al-Kahira - die Siegreiche - verdankt die Stadt den Fatimiden; als Förderer der Künste blieb diese Dynastie unvergessen. Fatimidische Herrschaftshäuser, von denen keine sichtbaren Spuren erhalten blieben, versetzten die damalige Welt in Staunen. In zeitgenössischen Beschreibungen ist die Rede von Palästen mit weiten Gärten, Empfangshallen und Pavillons aus poliertem Marmor. Al-Azhar, die «Blühende», wie die Fatimiden ihre noch heute tätige Lehrstätte mit Moschee tauften, kann nach jahrelangen Arbeiten als restauriert betrachtet werden.

Mit Hilfe des Deutschen Archäologischen Instituts waren schon in den achtziger und neunziger Jahren einige der «Sabils» genannten öffentlichen Brunnenhäuser gerettet worden. Im Mausoleum von Sultan as-Saleh schloss man die Risse in der Kuppel, erneuerte den Marmorfussboden und restaurierte den holzgeschnitzten Kenotaph. Zur Erinnerung an ihren geliebten Mann hatte Ägyptens einzige Sultanin, die ehemalige Sklavin Sagarat ad-Dur aus Armenien, das prächtige Baudenkmal im 13. Jahrhundert errichten und dafür mutig zwei repräsentative Paläste aus der Fatimidenzeit niederreissen lassen. Bevor die Restaurateure die Arbeit aufnehmen konnten, mussten allerdings unerwünschte Nebenmieter ausquartiert werden. Auf dem Dach des Grabmals hatten sich Familien illegal primitive Unterkünfte erbaut. Das Sultan-Mausoleum ist kein Einzelfall. Viele Baudenkmäler im Altstadtbereich wurden im Laufe der Zeit mit einem ganzen Kranz von Nebengebäuden, vor allem Kleingeschäften und Werkstätten, regelrecht zugebaut.

Für den 1779 fertiggestellten MousaferkhanaPalast, der als beliebter Treffpunkt für Künstler diente, hatte das fatale Folgen. Statt den Hausmüll zu den Deponien zu bringen, verbrannten ihn die Bewohner der illegalen Behausungen am und auf dem Palast üblicherweise an Ort und Stelle. Vor zwei Jahren griff das Feuer auf den Palast über. Tatenlos musste die Feuerwehr zusehen, da sie mit ihren Fahrzeugen nicht durch die engen und verstopften Gassen gelangen konnte. Dieser Zwischenfall hat die Diskussion über die Frage, wie Alt-Kairo gerettet werden kann, wieder in Gang gebracht. Die ägyptische Regierung, die bis anhin wenig Interesse gezeigt hatte, legte 1999 einen auf sechs Jahre angelegten Sanierungsplan vor. Die Verfasser einer Studie, die durch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) finanziert wurde, empfahlen der Regierung, nicht nur ausgesuchte Einzelbauwerke, sondern das gesamte urbane Gefüge der fatimidischen Stadt «zu erhalten, zu restaurieren und wieder mit Leben zu erfüllen».

Die italienische Regierung erklärte sich bereit, den Löwenanteil der auf knapp achtzig Millionen Franken geschätzten Kosten zu übernehmen. Daraufhin erliess Staatspräsident Mubarak einen Erlass, wonach illegale Bewohner umgesiedelt werden müssen. Auch Werkstätten und kleine Fabriken, die durch ihren Lärm oder Geruch die Nachbarschaft belästigen, sollen verlagert werden. An ihrer Stelle wünscht sich der Präsident Souvenirläden, kunsthandwerkliche Ateliers, Cafés, Restaurants und Buchgeschäfte. Gegen dieses Vorhaben protestieren nicht nur die von Umsiedlung bedrohten Altstadtbewohner. Selbst angesehene Stadtplaner warnen vor der Gefahr, dass sich Alt-Kairo auf diese Weise in ein «künstliches Paradies» für Touristen verwandeln könnte.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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