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Bauten, Ornamente
Der Standard

Von Verona über Vicenza bis zu den Alpen führt die Reise zu Bauten und Ausstellungen Carlo Scarpas

1. September 2000
„Im Grunde bin ich Byzantiner“ - so beschrieb sich Carlo Scarpa selbst bei seinem Vortrag 1976 in Wien. Was zunächst muffig klingt, erklärt sich beim unmittelbaren Betrachten seiner Arbeiten als einleuchtend. Byzanz, das ist die Schnittstelle von Orient und Okzident und die Vielschichtigkeit der Baukultur, wie sie im Kleinen von der Republik Venedig aufgenommen und verbreitet wurde.

Die Werke des „Byzantiners“ und gleichzeitigen Interpreten der Moderne Carlo Scarpa, der nie sein Studium beendet hat und dennoch an der Architekturfakultät in Venedig lehrte, befinden sich konzentriert im Hinterland der Serenissima - in der Venezianischen Tiefebene, wie auch an den Ausläufern der Alpen. Da gibt es seine maßgeblichen Deutungen historischer Museumsbauten, wie dem Castelvecchio in Verona, die Gipsoteca Canoviana in Possagno oder den Privatfriedhof Brion in San Vito d'Altivole, welchen Carlo Scarpa (1906-1978) für seinen wichtigsten baukünstlerischen Beitrag hielt.

Ab dem 10. September bietet sich speziell das Museo di Castelvecchio als Ausgangspunkt für eine Reise zu den Scarpa-Bauten an, die von Verona über Vicenza an den Alpenrand des Monte Grappa und wieder hinunter nach Venedig führt, wo der Sohn einer Schneiderin das fulminante Entrée zur Architekturfakultät realisierte. Dann nämlich wird in Verona die Schau „Carlo Scarpa. Ausstellungen und Museen 1944-1976“ eröffnet, die im nahen Vicenza von der Präsentation seiner Villen und öffentlichen Räume im Palazzo Barbaran da Porto begleitet wird. Gerade das Castelvecchio (1956-1964) eröffnet die subtil-dramatische Wirkung der Architektur Scarpas. Sein Eingriff ist ein Fortführen der historischen Schichten dieses Ambientes. Er legt sie frei, bringt die Geschichte, den Ort in ein Spannungsverhältnis zur modernen Radikalität der Intervention.

Aber, und da unterscheidet sich Scarpa wesentlich von den Ignoranten der Historie, der „byzantinische“ Baukünstler verstand es, mehrgleisig zu arbeiten. Die Kunstwerke selbst werden in einen neuen Kontext aus Licht, reflektierenden Wandflächen und den intensiven Botschaften der Materialien gestellt. Scarpa inszeniert einen selbstbewussten Diskurs zwischen seiner Architektur und den beispielhaft exponierten Gemälden und Skulpturen. Sein vielleicht wichtigster Beitrag zur Architektur ist neben diesen „Gesprächen“ von Bau- und Kunstwerken, der Versuch, zeitgemäßen Ersatz für das verlorene Ornament zu entwickeln. Ein Beispiel für die Erfindung einer Architektursprache, welche die Tektonik und Rhythmik der Bauten ablesbar macht, findet sich ebenfalls in Verona. In der Banca Popolare (1973-1981), nahe der Arena, hat Scarpa die Kunst der Verknüpfung von Flächen, die nach Louis I. Kahn den Ursprung des Ornaments darstellt, perfektioniert. Die teils farbigen Wandscheiben bilden Räume, ihre Schnittstellen sind mit der Finesse von Präzisionsinstrumenten formuliert, ohne Gesimse oder Pilaster zu bemühen.

Vicenza, wo der zweite Teil der Ausstellung gezeigt wird, war der letzte Wohnort Scarpas. Dort etwa werden die Zeichnungen zur Casa Ottolenghi in Bardolino präsentiert, die den klugen Wortwitz des Architektur-Sprachkünstlers illustrieren. Die acht Säulen des Hauses verweisen auf die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Auftraggeber. Die Zahl „otto“ - symbolisch für den Bauherren - multipliziert mit den elf Buchstaben von Carlo Scarpa ergeben die 88 Zentimeter des Durchmessers der Träger.

In der Nähe seines langjährigen Wohnortes, Asolo - nicht weit vom Monte Grappa am Alpenrand - schließlich hat der Japan-Liebhaber eine seltene Bauaufgabe realisieren können. Der Privatfriedhof in San Vito d'Altivole für die Familie Brion ist Scarpas Interpretation der „anderen Stadt“, wie Michel Foucault die Stätten des bürgerlichen Totenkults bezeichnet hat. Dieser Ort ist eine kleine Gartenstadt, definiert durch die Schirmwand, dem Kanal, der Kapelle und dem eigentlichen Grabmal mit seiner geschwungenen Brücke. Hier hat der „Byzantiner“ eine fast schon ideale Synthese zwischen östlicher und westlicher Baukultur erfunden, die zwar exemplarisch wirkt, aber von seinen zahlreichen Epigonen nicht einmal annähernd erreicht wurde.


[„Carlo Scarpa“, 10. 9. - 10. 12. 2000, Museo di Castelvecchio, Verona (Tel. 0039/045/8620610) und Palazzo Barbaran da Porto, Vicenza (Tel. 0039/ 0444/323014, www.cisapalladio.org)]

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