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Champs de Homebush und andere olympische Spezialitäten
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Champs de Homebush und andere olympische Spezialitäten

Die Olympischen Spiele von Sydney beginnen in zwei Wochen in brandneuen Stadien. Einen Überblick über die Olympiaarchitektur vermittelt Jürgen Corleis.

2. September 2000 - Jürgen Corleis
Das Kunst- und Kulturprogramm, das die Olympiavorbereitungen Sydneys begleitet, enthält nichts zur Architektur der Sportstätten. Eine Mitarbeiterin des „Olympic Arts Festival“ sagt: „Sie haben recht, Architektur gehört zur Kunst, aber dazu haben wir leider nichts im Programm.“ Damit ist schon etwas wichtiges über Sydney's Olympia-Architektur gesagt. Von ein paar bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen entstanden Zweckbauten, die gelegentlich technisch bemerkenswert sind - wie das größte Stadion der Welt oder das weitgehend „grüne“ Olympische Dorf. Die Ästhetik dagegen blieb meist nur gutes Mittelmaß.

„Einige Kritiker meinen, wir hätten minimalistischer sein sollen, wie Atlanta 1996“, sagt Chris Johnson, Regierungsarchitekt von New South Wales. „Andere denken, wir hätten die einmalige olympische Gelegenheit nutzen sollen, der Stadt ein neues Gesicht zu geben - so wie es Barcelona 1992 tat. Aber das hätte Milliarden mehr gekostet. Wir sind den Mittelweg gegangen und haben künftigen Generationen ein hervorragendes Vermächtnis hinterlassen.“

Als sich Sydney 1991 auf die Bewerbung für die Olympiade 2000 vorbereitete, erlebte Australien gerade die schlimmste Baukrise seit 20 Jahren. Die Behörden beschlossen, in der Bewerbungsphase vorrangig jene Sportstätten zu bauen, die schon lange geplant waren - ein Aquatisches Zentrum mit 10.000 Zuschauerplätzen und eine Leichtathletik-Halle mit 5.000 Sitzen. Auch mit dem Bau des Olympia-Stadions wurde begonnen, bevor die Entscheidung für Sydney fiel. Rod McGeoch, Chef der Olympia-Bewerbung, wollte „weiße Elefanten“ und „Monumente, die für Olympia wie für die Stadt schädlich sind“, vermeiden.

Nach dem Zuschlag für Sydney im September 1994 wurde ein Design-Workshop veranstaltet, an dem prominente Architekten teilnahmen, darunter Frankreichs Stararchitekt Jean Nouvel. Doch seine Pläne wie auch die meisten, bereits mit Steuermitteln preisgekrönten Vorschläge verschwanden in der Versenkung. Die berühmtesten australischen Architekten wie Glenn Murcutt, der in Österreich geborene, emigrierte Harry Seidler oder Rick Leplastier bekamen keine Chance. Wahrscheinlich, weil sie nicht kompromissbereit waren , weil sie Perfektionisten mit Eigensinn sind, der ja oft zum Genius hinzugehört. Und: Diese Olympiade wird ja privatwirtschaftlich durchgeführt. Da muss jedes Risiko vermieden und überall gespart werden.

Graham Jahn, Präsident des „Royal Institute of Architects“ ist Australiens bekanntester Architekturkritiker. Er bestätigt: „Es wurden weniger bekannte Architekten herangezogen. Nicht die ganz großen Namen. Die Bauten sind also keine Ikonen, sondern praktisch und wirtschaftlich.“ Hat er selbst etwas über die Olympia-Architektur Sydneys geschrieben? „Nein, da habe ich mich herausgehalten.“ Er lobt aber das Olympische Dorf, die Lichtmaste auf dem Olympischen Boulevard und besonders den Bahnhof.

Die neue Olympic Park Station ist mehr als ein Bahnhof, sie ist zugleich die lichtdurchflutete Eingangshalle zu dem großen Spektakel, das Sydney 2000 zu werden verspricht. Die raupenförmige und halb unterirdische Halle ist 200 Meter lang, über Treppen, Rolltreppen und gläserne Fahrstühle können von hier aus bis zu 50.000 Menschen pro Stunde in die Mitte des Olympiageländes gelangen. „Die Ankunft soll ein dramatisches Erlebnis sein“, sagt der Hauptarchitekt Ken Maher. „Wir alle erinnern uns an wundervolle Bahnhöfe. Sie waren immer groß und aufregend, und das brauchten wir auch hier.“

Groß ist auch das Olympia-Stadion mit 110.000 Plätzen, eine leicht wirkende, geschwungene Stahl-Beton-Konstruktion. Im Osten und Westen ist es lichtdurchlässig überdacht, die offenen Tribünen am Südende werden nach den Spielen abgebaut, 80.000 Sitze werden künftig genug sein. Baulich stechen die spiralförmigen Rampen an allen vier Seiten besonders hervor. Sie sind so breit, dass 15 Fußgänger nebeneinander Platz haben, und sie erlauben die Zufahrt von Krankenwagen in alle Etagen. Das Stadion, das rund 6,5 Milliarden Schilling gekostet hat, gehört einer privaten Gesellschaft, die es für die Zeit der Spiele an die Veranstalter vermietet. Zu den technischen Neuerungen gehören ein energiesparendes Konvektions-Kühlsystem und ein Regenwasser-Auffangssystem, das die Dachwässer in vier 800.000-Liter-Tanks leitet und für die Wasserspülung der Toiletten verwendet. Recycling, Umweltschutz und die Verwendung von Solarenergie sind die Sonnenseiten der olympischen Architektur Sydneys. Als bestes Beispiel gelten die bereits international ausgezeichneten Lichttürme von Barry Webb und Peter Tonkin. Sie sind 25 Meter hoch, ihre kranartigen Ausleger ragen in einem leichten Winkel von 6 Grad in den Himmel. Solarzellen sammeln die Energie für jeweils vier 1000-Watt Lampen, und die Lichtquellen dienen zugleich als Schattenspender. Insgesamt sind es 19 Lichttürme, um an die 19 Städte zu erinnern, die Olympische Spiele der Neueren Zeit ausgetragen haben - und sie brechen die Monotonie des gewaltigen Platzes vor dem Olympiastadion etwas auf. Der „Olympic Plaza“ in der Athletenstadt Homebush ist Teil des „Olympic Boulevard“, im Volksmund auch „Champs de Homebush“ genannt. Eine Fußgängerzone von 60 Metern Breite und anderthalb Kilometer Länge. So gigantisch, dass Architektur- Professor Winston Barnett sie „das Albert-Speer-Ding“ nennt.

Einige Kinos in Sydney zeigen während der Olympiade den Dokumentarfilm „Ein Tag im September“, der an die Tragödie von München 1972 erinnert. Sydney hat von München und Atlanta gelernt, und Sicherheit wird größer geschrieben als je zuvor. Am größten im Olympischen Dorf, das festungsgleich in den Aufenthaltsbereich mit einem Restaurant für 6000 Gäste und den noch strikter kontrollierten Wohnbereich für 15 300 Sportler und Offizielle geteilt ist. Letztere sind in den 800 Häusern und 350 Apartments untergebracht, die als neuer Stadtteil Newington gebaut wurden, sowie in vorübergehend zwischen den Gebäuden aufgestellten Wohn-Containern.

Architektonisch ist Newington dank der großzügigen Bauvorschriften Australiens, die keine Uniformität vorschreiben, eine ganz normale Vorstadtsiedlung mit individuellen Haustypen. Alle Gebäude haben solargeheiztes Warmwasser. Solarzellen auf jedem Dach speichern Energie ins Netz, Regenwasser wird aufgefangen und für die Bewässerung der Vorgärten und Toilettenspülung genutzt. Eine „grüne“ Siedlung, vielleicht die beste und größte der Welt, aber in jedem Falle ein Musterbeispiel für energiesparende technische Lösungen. Die Häuser kommen dank ihrer Konstruktion auch bei größter Sommerhitze ohne Klimaanlagen aus. Die Küchenherde kochen mit Gas und backen elektrisch, weil das energiesparender ist. Die Umwelttruppe von Greenpeace hatte an den Planungen entscheidenden Anteil, sie kann auf das Ergebnis stolz sein. Trotzdem vergab Greenpeace an die Olympia-Veranstalter nur eine Bronze-Medaille für Umweltschutz. Was die Olympia-Architektur im allgemeinen betrifft, wäre Bronze für optimales Mittelmass ebenfalls angemessen gewesen.

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