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Von Blau zu Rosa
Neue Zürcher Zeitung

Neue Akzente in der Londoner Museumsarchitektur

In London stösst man neuerdings allenthalben auf neue Museen oder Museumsanbauten. Die Tate Modern als das grösste dieser jüngst realisierten, in erster Linie durch Lotteriemittel finanzierten Projekte setzt ein massgebendes architektonisches Zeichen an der Themse. Aber wie sind die anderen Gebäude und musealen Räume zu beurteilen, die seit kurzem Londons Image als Kulturmetropole auffrischen?

2. Oktober 2000 - Ursula Seibold-Bultmann
Wer ein Museum baut, will etwas präsentieren: Identität, Tradition, Gedanken, Objekte. Wo ein solcher Bau glückt, steigert er die Präsenz des Gezeigten. So in der National Portrait Gallery, wo es den Architekten Jeremy Dixon und Edward Jones gelungen ist, einer alten Kunstgattung zu neuer Unmittelbarkeit zu verhelfen. Im schmalen einstigen Hinterhof des Museums haben sie einen 15,9 Millionen Pfund teuren, fünfstöckigen Neubau errichtet, der sich innen wie selbstverständlich zum Altbau öffnet und der das Haus um erhebliche Ausstellungs- und Zirkulationsflächen sowie um eines der schönsten Panoramarestaurants von London bereichert. Durch einen Obergaden belichtet, reicht das Foyer dieses «Ondaatje Wing» über drei Stockwerke. Eine der längsten Rolltreppen Englands führt hier direkt zur obersten Ausstellungsebene, wo die Porträts der Tudor-Zeit Platz gefunden haben. Damit ist der Besucherstrom neu kanalisiert: Der Schwerkraft folgend, erkundet man 500 Jahre britischer Geschichte nun von oben nach unten, statt sich wie früher mühsam hochzuarbeiten. Unter das dunkel gehaltene Tudor-Geschoss haben Dixon und Jones eine helle Balkongalerie gehängt, wo schräg gestellte Schauwände Durchblicke zum Foyer ermöglichen und wo Persönlichkeiten der Zeit zwischen 1960 und 1990 ins Bild rücken. Architektur und kuratorische Regie greifen in diesem Neubau mit eleganter Präzision ineinander.


Mystifizierung

Für den «Wellcome Wing» im Science Museum (Baukosten: 50 Millionen Pfund) verfolgte das Architekturbüro MacCormac Jamieson Prichard ein gänzlich anderes Konzept, nämlich das einer Mystifizierung von Raum und Exponaten durch farbiges Licht. Inmitten einer 10 000 m² grossen rechteckigen Halle halten hier lateral ansetzende Stahlträger drei technizistisch anmutende Ausstellungsdecks, die an der Westseite des Raumes von einem tiefblau strahlenden, 32 m hohen Fenster hinterfangen werden. Der Nord- und der Südwand der Halle hingegen ist eine Haut aus Glasfasergewebe vorgehängt, durch die blaues Kunstlicht schimmert. Nach eigenen Worten will Richard MacCormac die Besucher dieses emotional gestimmten, visuell unfixierbaren Raumes in staunend gehobene Stimmung versetzen - unter Bezug auf Künstler wie Robert Irwin, James Turrell und Yves Klein. Die Frage, ob heutige Naturwissenschaft so in erhellender Weise zur Geltung kommt oder in eher verschwimmender Perspektive erscheint, kann hier nur angetönt werden.

Angesichts stetigen Drucks zur Erwirtschaftung von mehr Eigenmitteln sind attraktive Restaurants wie dasjenige in der National Portrait Gallery für englische Museen eine Notwendigkeit. Im Falle der Wallace Collection, wo dieser Faktor bei der Planung des Umbaus durch Rick Mather Architects eine dominante Rolle spielte, betrübt das Ergebnis. Die Ziegelwände des viktorianischen Innenhofes sind hier rosa wie in einem Boudoir gestrichen und mit einem schwerfällig geformten Glasdach überspannt worden. So entstand reichlich Raum für Palmen, Porphyrvasen und das Café Bagatelle, das sich nun mit seinem pudrigen Flair als Mittelpunkt der im Hause verwahrten, international bedeutenden Kunstwerke des Barock und Rokoko aufdrängt. Die 10,6 Millionen Pfund teuren Baumassnahmen erschlossen dem Haus im teilweise neu ausgehobenen Keller jedoch auch einige dringend benötigte Flächen für museale und museumspädagogische Zwecke. Unter anderem findet man zwei kleine neue Räume für Wechselausstellungen; in einem davon sind bis zum 1. Oktober Aquarelle des frankophilen Romantikers Richard Bonington zu sehen.


Belebte Altbauten

Als Nächstes darf man sich auf die Eröffnung des von Norman Foster umgebauten Innenhofes des British Museum im Dezember freuen. Aber nicht nur alte Museen erscheinen in London in neuem Licht, sondern alte Architektur lebt hier auch durch neue Museen auf. Dies gilt für die Tate Modern ebenso wie für das ab 1776 von William Chambers gebaute Somerset House am Strand, wo ausser der Courtauld Gallery nun auch die jüngst aus Amerika gestiftete Gilbert Collection beheimatet ist: eine Sammlung von rund 800 äusserst kostbaren, aber ästhetisch ungleichwertigen Objekten aus Gold, Silber, Halbedelsteinen und Edelsteinen, die mehrheitlich aus dem 14. bis 19. Jahrhundert datieren.

Insgesamt sind 48 Millionen Pfund investiert worden, um Teile von Chambers' Gebäude sowie dessen weiten Innenhof, der früher als Parkplatz diente und in dessen Mitte nun bald Fontänen sprudeln werden, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (beteiligte Architekten: Peter Inskip und Peter Jenkins, Donald Insall Associates sowie Jeremy Dixon und Edward Jones). Als grösstes Kompliment an das Somerset House wird die St. Petersburger Eremitage ab November Glanzstücke aus ihrem Besitz zeigen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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