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Die zeitgenössische Stadt in China
Neue Zürcher Zeitung
14. Oktober 2000
In der Vorstellung vieler Europäer sind Chinas Städte längst aus den Fugen geraten. Die rasante Urbanisierung spiegelt nicht zuletzt die Unsicherheit angesichts einer radikalen ökonomischen Modernisierung, die Ausdruck des forcierten Anschlusses an die Weltwirtschaft ist. In der unteren Jangtse-Region (Schanghai-Nanjing-Hangzhou), im Pearl-River-Delta (Hongkong-Guangzhou-Macao) sowie in der Stadtregion Peking-Tientsin-Tangschan entstehen megaurbane Regionen, die zukünftig bis zu 100 Millionen Einwohner zählen werden. Diesem Phänomen widmet sich nun ein Buch, das aus einer Tagung im Deutschen Architekturzentrum Berlin im Februar 1999 hervorgegangen ist. Die Publikation veranschaulicht, wie der traditionelle Zentralismus Chinas sich auf eigentümliche Weise mit der Ideologie des modernen Städtebaus verbindet: Alles ist der Machbarkeit unterstellt. Ein rigoroser Pragmatismus begreift Städte als Maschinen, die am Reissbrett entworfen und deren Einzelteile nach Bedarf ausgewechselt werden können. Das zentrale Leitbild dahinter präsentiert sich auf unzähligen Bauschildern - als Wolkenkratzersilhouette. Sie gilt noch immer als die vollkommene Kontur einer realisierbaren Utopie. Als gebaute Realität liefert das Bild der in den Himmel ragenden Hochhäuser den sichtbaren Beweis für Modernität; die Architektur dient hier nur noch als Beleg. Das strategische Ziel der chinesischen Metropolen, sich als «global cities» in die Weltwirtschaftsgeographie einzutragen, ist noch nicht erreicht, aber der Imagegewinn beträchtlich. Nur zu gerne partizipiert man an einer universalen Bilder- und Zeichenwelt. Mit einer bunten Mischung unterschiedlichster Beiträge bietet der kleine Sammelband einen brauchbaren ersten Einstieg in ein komplexes Thema. Mehr aber auch nicht.


[Die chinesische Stadt. Zwischen Tradition und Moderne. Hrsg. Eduard Kögel und Ulf Meyer. Jovis-Verlag, Berlin 2000. 128 S., zahlr. Abb., Fr. 48.-. ]

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