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Potsdamer Platz
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In Berlin ist Marketing und PR fast so wichtig wie Stadtplanung. Führungen allerorts durch das gesamte Quartier. Konsumentenbindung!

20. Oktober 2000 - Peter Waldenberger
Als 1997 in einem neuartigen Verfahren die Kuppel des IMAX Kinos vom Chef auf dem Platz - Renzo Piano - verfertigt wurde und man dafür einen riesigen Luftballon aus Kunststoff aufblies, und die Wände von innen mit Beton ausspritzte, kam die Zuschauerkulisse dem eines Popkonzerts gleich. Daniel Barenboim inszenierte den „Tanz der Baukräne“ und die rote Infobox am Potsdamer Platz besuchte bis zu 17.000 Menschen täglich. Und so wurde auf geschickt-strategische Weise die Akzeptanz des Viertels bei der Bevölkerung bereits zu einem ganz Zeitpunkt gefestigt.


Neues Selbstbewusstsein

Seit 1961 die Mauer genau hier die Stadt geteilt hatte, war der Potsdamer Platz Stadtwüste, Todesstreifen, Symbol für den Kalten Krieg. Dann fiel sie, die Mauer, und Berlin merkte, wie sehr es an den Rand Europas gedrängt worden war.
Unbekümmert verkündeten Architekten, Stadtplaner und Politiker gleich nach der Wende, man solle nur die Baulücken stopfen und die Baugruben füllen. Dann würde schon Geld in die leeren Kassen fließen, und die alte Größe käme zurück. Und dann implodierte nach dem Ostblock auch Berlin. Alle Kraft strömte ins Zentrum.


Global Players an einem Ort

Im großen und ganzen sind es vier Hauptinvestoren auf dem gesamten Gelände. Daimler Chrysler der größte, SONY der zweite, gefolgt vom Kommunikationsplayer A&T und vom Kaufhauskonzern Herthie. Und entsprechend den Investitionsvolumina haben die Konzerne auch nicht vergessen ihren Willen und ihre Vorstellungen durchzusetzen.Der Berliner Bevölkerung und ganz Deutschland sollte etwas zurückgeschenkt werden. Und also lautete die Parole von nun an: Wir bauen ein ganzes Stück Stadt! Und es wurde heftig gebaut. Schnell gebaut. Und es wird noch immer gebaut. In den Gassen zwischen dem Daimler und SONY Areal macht sich die Stadtatmosphäre wie ein Freiluftkonzert der Pressluftbohrer in Stereo aus. Und alle aufgerissenen Baugruben „bilden den Geburtskanal der Berliner Republik“, schrieb die FAZ.


Konservative Konzepte

Während der Bauphase entbrannte eine Urbanismus-Debatte um das romantische Bild der Stadt, vornehmlich der des 18. und 19. Jahrhunderts; von rückwärtsgewandter Illusion war die Rede, von Stadtideen, gereinigt von Bettlern und Dieben, frei von Armut und Elend, Dreck, Abfall und Seuchen. Jüngst kursieren Gerüchte, dass DEBIS, die Tochterfirma von DaimlerChrysler, auf die zahlreichen Unkenrufen, die Stadt lebe nicht, reagiert habe und an manchen Stellen im Quartier gar Straßenmusikanten beschäftige.


Instant City

Nun steht sie, die City aus dem Nichts. Die Baustelle und ihr Logistikkonzept seien noch das aufregendste gewesen, sagen nicht wenige Experten, ihre städtebaulichen und architektonischen Ergebnisse keine Überraschung. Funkelnagelneue Tadellosigkeit, Nützlichkeit und Nüchternheit. Stahl und Glas auf dem SONY Areal, Naturstein und Terra Cotta in erdigen Farben prägen die Daimler City. Alles praktisch. Für den Stadttheoretiker Dieter Hoffmann Axthelm ist sie der „Inbegriff der Instant City“. Eines könne man dem Quartier jedenfalls nicht absprechen: Die normative Kraft des Faktischen. Vor sechs Jahren war dort absolute Wüste.


Hohe Akzeptanz

Und dennoch erfreut sich der Platz einer hohen Akzeptanz bei der Bevölkerung und auch die Umsatzzahlen sind gestiegen, trotz der ersten Geschäftsabwanderungen. Auf dem Daimlerareal machten die 140 Shops, Restaurants und Cafes einen Jahresumsatz von 2 Milliarden Schilling. Die Hotels sind bis zu 80% ausgelastet. Die 19 Kinosäle sind nahezu täglich bis an den Rand gefüllt. Das gleiche Bild ergeben das Varietè Theater und die anderen Vergnügungsstätten. Das man heuer auch noch die Filmfestspiele Berlin ins Viertel geholt hat, war ein voller Erfolg. Die Leute traten sich allüberall auf die Zehen und waren glücklich. Von den Hotels ganz zu schweigen.

„Städte sind schön, weil sie langsam erschaffen werden, sie werden von der Zeit gemacht“, sagt Renzo Piano, Architekt der Daimler-City. „Es dauere 500 Jahre, eine Stadt zu errichten, und 50, ein Viertel zu erbauen. In Berlin habe man halt fünf Jahre Zeit gehabt ein beträchtliches Stück Stadt wiederaufzubauen.“


[ „Zukunft der Städte“ lautet der Titel eines internationalen Symposions, das Österreich 1 am 7. und 8. November im Radiokulturhaus veranstaltet. ]

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