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Formloses Berlin
Neue Zürcher Zeitung
7. Oktober 2000
Nach all den bunten Bildbänden und offiziellen Darstellungen des Neuen Berlin erweisen sich Philipp Oswalts «Strategien einer anderen Architektur» als notwendige, freilich provokative Ergänzung. Oswalt hat die Früchte seiner langjährigen publizistischen Arbeit zu einem Paperback zusammengefasst und damit den vielfach unrealisierten Ideen der jungen Generation ein Forum geschaffen. Der Architekt und Autor legt darin eine messerscharfe Analyse der Berliner Stadtgeschichte vor, leitet daraus in neun Essays architektonische Phänomene ab und belegt diese «Theorie» schliesslich anhand von knapp 30 Projekten. Auffällig ist vor allem, dass Begriffen wie Leere, Kollision und Zerstörung jeweils ganze Kapitel gewidmet sind. Nicht die aktive Handlung des Städtebauers und des Architekten stehen also im Vordergrund, sondern historische Ereignisse, deren Auswirkungen vom Planer und Gestalter nur als Zaungast verfolgt werden können. Mit diesem Ansatz verlässt Oswalt den Pfad der klassischen Theorie, die schliesslich auf Kontinuitäten und Weiterentwicklungen - auf aktiven Handlungen - aufbaut. Das Buch ästhetisiert städtebauliche Brüche und architektonische Utopien. Auch wenn der Titel «Stadt ohne Form» mehr semantische Spielerei ist und sich an Rem Koolhaas' Theorie der «Stadt ohne Eigenschaften» anlehnt, handelt es sich bei Oswalts Publikation doch um eine inhaltliche Bereicherung der Debatte. Viele der dargestellten Projekte sind - wenn sie nicht wie etwa die Nordischen Botschaften oder die Halenseer «Zitrone» realisiert wurden - einer breiteren Öffentlichkeit bislang verborgen geblieben. Dieser Band, dessen Aufmachung an Koolhaas' «Delirious New York» erinnert, ist ein Standardwerk für alle an Berlins Architekturentwicklung interessierten Leser.


[Philipp Oswalt: Berlin. Stadt ohne Form. Strategien einer anderen Architektur. Mit Beiträgen von Rudolf Stegers. Prestel-Verlag, München 2000. 312 S., 242 Abb., Fr. 55.-.]

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