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Global und lokal - Aufruf zu einer Entdeckungsreise
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Eine konstruktive Begegnung von Telematik und ökologischem Denken.

30. September 2000 - Franz Nahrada
Das Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Elemente kann eine kraftvolle Reaktion auslösen und diese kann zerstörerisch oder konstruktiv sein. Ökologisches Denken und Telematik müssen einander endlich auf einer konstruktiven Ebene begegnen.

Eine der fundamentalsten Paradoxien der Informationstechnologien in ihrem Verhältnis zur Räumlichkeit und zur Landschaft in weitestem Sinne ist die massive Erweiterung der Freiheitsgrade menschlicher Aktivität. Bildlich gesprochen heißt, dass ich einerseits nicht mehr davon abhängig bin, wo ich mich befinde, wenn ich per Handy, Laptop und Internet kommuniziere. Virtuelles und physisches Nomadentum ist die Folge. Auf der anderen Seite bedeutet aber der universelle Zugang zu Information die Chance, ganz bewusst einen Raum aufsuchen und als Lebensraum auswählen zu können. Die Raumlosigkeit, das „Überall Zugleich“ der Informationssphäre bedeutet nicht nur die Dissoziation der geistigen Aktivitäten von Raum und Zeit, vor der Robert L. Thayer so eindringlich warnt. Im Gegenteil können die neuen Informationsmedien auch ein Katalysator sein, der die Bündelung unserer Aufmerksamkeit auf Räume wieder möglich macht. Mit diesen Räumen geht freilich eine Transformation vor sich. Sie werden zu „globalen Orten“. Ein Aspekt des „Global Village“-Prozesses, der seit mehr als sieben Jahren zu etlichen Ausstellungen, internationalen Symposien und Diskussionen geführt hat, ist es, diese Transformation näher zu beleuchten.

Was ist jenseits der Stadt ?

Die Diskussion um den Globalen Ort ist eine Diskussion über die Zukunft der Stadt. Bis dato erfüllte die Stadt die Funktion, als „zentraler Ort“ Information zu speichern und zu verteilen, als Zentrum der Verwaltung, der Produktion, der Bildung und Kultur. Das Stadtsystem reagiert daher am sensibelsten auf die neuen Kanäle und Formen der Distribution von Information.
Unlängst schrieb Dietmar Steiner in einem „Dossier über die europäische Stadt des 21. Jahrhunderts“: „Die neue Stadt entsteht zusätzlich überall an den Peripherien der alten Städte … Dort entstehen unter der Devise „Arbeiten im Grünen“ die Business Parks, und die neuen Siedlungen – thematische Inseln harmonischen neuen Wohnens, begleitet von Freizeitparks und Fachmarktzentren … Politik und Planung zerschellen am längst aufgehobenen Widerspruch von Stadt und Land … Deshalb wird und kann die europäische Stadt der Zukunft keine Stadt mehr sein. Sie ist eine dynamische Landschaft, grenzenlos, aber doch um regionale Identitäten organisiert. Sie hebt den Stadt-Land-Konflikt durch großräumige Vernetzungen auf und sie unterscheidet klar zwischen Orten der Veränderung und Dynamik und Orten der Beharrung und Identität, auch wenn diese nur mehr als Eventkultur simuliert veranstaltet sind.“ (STEINER, D., die simultane,dynamische Stadt, in: Europaforum 2/00, S.19)

Steiners sehr klarsichtige Skizze konstatiert die Sehnsucht der „idealtypisch multiplen Persönlichkeit“, die „Frischmilch und Biokartoffel beim Bauern kauft“, „ständig telekommunikativ mit der Welt verbunden“ ist und das „Feeling urban historischer Identität nicht missen will“, in „Einklang mit der Natur zu leben“, „aber jederzeit sprungbereit die Segnungen der Mobilität benutzt, um blitzschnell an ihren Einsatzort zu gelangen“. Sie konstatiert auch, dass es zu einer zunehmenden Polarisierung zwischen dieser „transnationalen kapitalistischen Klasse“ und einer „so genannten subalternen lokalen Klasse“ kommt, für die die Dynamik der New Economy lediglich Pauperisierung und Bedrohung bedeutet.

Die Umwälzung der Landschaft beginnt in der Stadt; die Informationstechnologien sind ein Mittel der Ausdehnung der städtischen Ökonomien. Information und Exformation bedingen einander: auf der einen Seite ist es die präzise Datenerfassung und Logistik, die genaue Kenntnis der Warenströme, der Preisdifferenzen, der Gelegenheiten, die über die Datenautobahnen hinweg ein immer effektiveres und gewaltigeres Aggregat der Produktion und Konsumtion schafft, auf der anderen Seite müssen dazu beständig Bedürfnisse geweckt, lokale Kreisläufe und Reziprozitäten gesprengt und Erregungen geschaffen werden. Der „Raum der Flüsse“ schiebt sich scheinbar unaufhaltsam zwischen den Metropolen in den ländlichen Raum: ein Designeroutlet hier, ein regionales Einkaufszentrum da. Und zwischendurch beginnen die Inszenierungen regionaler Identität, um wenigstens ein wenig die (Geld-)Ströme umzulenken.

Und doch lässt sich dieses Bild vom zerstörerischen Urbanisierungsprozess nicht bruchlos aufrechterhalten. „Global Village“ war von dem Bemühen getragen, die Bedingungen aufzuspüren, unter denen der virtuelle Amoklauf in eine neue Nachhaltigkeit umschlägt. Diese Bedingungen sind (fast) nicht berechen- oder voraussagbar: es sind Phänomene, wo die richtige Information auf die richtige Landschaft, auf das richtige Dorf trifft und eine Revolution auslöst. Etwa im niederösterreichischen Kautzen, wo die aufwendige Heizung der Schule mittels zugekaufter Elektrizität durch eine weitgehende Selbstversorgung der Gemeinde mit Biomasse abgelöst wurde. Die richtige Information zur richtigen Zeit kann dazu führen, das Unmögliche möglich zu machen und die eigene Kraft, das eigene Potential zu entdecken. Technologie steht nicht unbedingt im Gegensatz zur Subsistenz, wie uns einige eifrige und gutmeinende ProphetInnen glauben machen wollen. Im Gegenteil. „Seit wir den neuen Kessel haben, ist es im ganzen Haus bacherlwarm“, sagte mir einmal eine alte Waldviertler Bäuerin. „Früher haben wir den halben Wald im Winter verheizt, nicht nur die Äste, und haben doch kaum mehr als die Stube heizen können“.

Jenseits der Stadt kann sich gerade durch die freie und ubiquitäre Verfügbarkeit von Information auch ein Aufblühen lokaler Handlungsfähigkeit etablieren, und die Städte täten gut daran, sich mit solcher Handlungsfähigkeit zu verbünden. Denn auch eine solche Handlungsfähigkeit benötigt Technologie, entwickelt Nachfrage, bringt eine stabile und nachhaltige ökonomische Beziehung zustande.

Bei dem von Robert L. Thayer erwähnten Architekturwettbewerbs in Mallorca gab es auch zwei Projekte, die sich der irrwitzigen Scheinalternative von Traditionalismus und Moderne entzogen. In den Diskussionen der internationalen Jury kürten wir die Projekte von Michel Mossesian und Richard Rogers zu Siegern. Mossesian hatte in Anlehnung an Ideen von John Todd die Siedlung zugleich als eine gigantische Wasserwiederaufbereitungsanlage entworfen, und Richard Rogers letztlicher Siegerentwurf sah vor, drei „urbane Dörfer zum Arbeiten und Leben“ zu errichten. Ein städtischer Mikrokern mit energieeffizienten Bürogebäuden für Telearbeit, Bildung und Verwaltung sollte von lokal produzierter pflanzlicher Biomasse versorgt und von einem dörflichen „Halo“ umkreist, geschützt und versorgt werden. Das Zusammenspiel eines städtischen Kernes mit dörflicher Peripherie beschreiben die Architekten so:

„Die urbane Struktur wurde mit Absicht kompakt gehalten … wenn man vom Zentrum der Dörfer zu den Wohnhäusern an die Peripherie geht, so nimmt die Dichte und die Höhe der Gebäude ab, was allen einen Blick auf die umgebende Landschaft und den Genuss der Sonne im Winter erlaubt. Computeranalysen erlauben es uns, die innere Luftzirkulation zu modellieren und zu kontrollieren und sich Klimaanlagen zu ersparen … Die urbane Matrix ist so aufgebaut, daß die Systeme für Wasser, Landwirtschaft, Transport, soziale Begegnung und Energie optimal zusammenarbeiten.“ (RICHARD ROGERS PARTNERSHIP, In: Parc BIT, towards new ways of living and working in the 21st century, Palma de Mallorca 1994, p.23f)

Vermischte Gedanken zu Information, Landschaft, Lokalität

Solche Visionen einer nachhaltigen, lokale Ressourcen in einem dauernden Kreislauf bewahrenden Siedlungs- und Landschaftsform sind mit Sicherheit informationsintensiver als das herkömmliche agrarische Dorf oder die industrielle Stadt. Sie sind nicht kompliziert, sondern komplex, so wie auch Natur einen harmonischen Eindruck vermittelt, aber in sich selbst unendlich komplex ist. Wir beginnen in der Ökologie gerade erst die Komplexität natürlicher Vorgänge zu verstehen und auch den Umstand, dass jeder natürliche Vorgang mindestens ebensoviel mit Information und Informationsaustausch zu tun hat wie mit Materie und Energie. Die Träume vom „einfachen Leben“ werden dieser Komplexität nicht gerecht: Jeder menschliche Fortschritt in der Synthese von menschlicher Aktivität und Natur zu (Kultur-) Landschaft war ein immenser Informationsverarbeitungsprozess.

Robert L. Thayer hat sicher recht, wenn er darauf hinweist, dass sich dieser Verarbeitungsprozess letztlich im raumzeitlichen Bezug abspielt und die Wirklichkeit des Raumes und der Zeit das Labor ist, das aus Information Wissen und aus Wissen Weisheit macht. Doch auch die mittelalterlichen und späteren Klöster haben ihre kulturlandschaftsbildenden Leistungen nur vollbringen können, indem sie sich zuvor globales Wissen und viele Informationen aneigneten, Möglichkeiten und Wege erkundeten. Es ist hier nicht Raum für die Debatte, ob und wie sehr dieser Aneignungsprozess im Detail gelang, wieviel Verfälschung mitspielte und so weiter: Die schiere Größe der Bibliotheken spricht eine beredte Sprache, was die Wissensintensität alleine dieser Kulturleistung betrifft.

Die virtuelle „Klosterbibliothek“ des 21. Jahrhunderts gibt Zugriff auf ein Wissensuniversum, das mit herkömmlichen materiellen Mitteln gar nicht mehr an einem Ort zu realisieren wäre. Was zu realisieren wäre, sind vielleicht die Vermittlungsorte zu diesem globalen Wissen, solche Orte, an deren die Konfrontation von globalem Wissen und lokalen Bedürfnissen stattfinden kann. Sie könnten weitgehend an die Stelle unserer heutigen Bildungsinstitutionen treten; denn die Vermittlung von curriculär-standardisiertem Wissen lässt sich noch am ehesten von der physischen Lokalität trennen.

Vielleicht ist es die Präsenz solcher „Zugangspunkte“, die eine neue Form von Zentralität und Verankerung in unsere räumlichen Beziehungen und auch in die Frage neuer sozialer Arrangements bringen kann. Wichtig ist die Vielseitigkeit solcher Zugangspunkte und die Nähe von Arbeit und Bildungsmöglichkeiten.

In ihrer Diplomarbeit „Mobilizer“ (http://xarch.tu-graz.ac.at/home/mobilizer) an der TU Graz/Architektur haben G. Roider und V. Vitzthum auf diese essentielle Existenzbedingung der Telearbeit hingewiesen: „Das HomeOffice ist wie eine Werkbank. Die Werkbank ist eine Arbeitsumgebung, die rund um die Holz- oder Metallbearbeitung alles ein wenig kann, so war sie lange Zeit das Herzstück von Werkstätten. Mit dem Schreibtisch beläuft es sich ähnlich, er kann alles ein wenig im Bereich von Text- und Informationsverarbeitung, aber nichts sehr gut. Er ist kein Spezialist, er ist die Kleinste-gemeinsame-Nenner-Lösung“ - und das auf dem Schreibtisch aufgebaute Telecenter-Paradigma berücksichtigt weder den spezifischen Charakter der Arbeit, Schnittstellen zu Ressourcen, noch die sekundären sozialen Umgebungen etc. Roider und Vitztum halten dagegen: „Die Grenzen zwischen Heim, Arbeit und Freizeit verschwimmen. Das tut uns bei der Grenze Heim-Arbeit, oder Wohnen-Telearbeit leid, aber bei Arbeit und Freizeit wird es interessant. Wo kann Büroarbeit stattfinden? Banken bieten heute teilweise Internetcorners an, auch Einkaufszentren, hier wird die Grenze aufgeweicht: ist E-mail-Checken im Einkaufscenter noch Arbeit? Ist Word-Processing im Cybercafe Arbeit? Das informelle Treffen im Cafe wird ja praktiziert, nicht nur in Wien, ein kleiner Stecker am Tisch könnte dann das Kaffeehaus definitiv zum Arbeitsplatz machen.“

In einem Projekt mit der niederösterreichischen Dorferneuerung namens „Bildung und Begegnung“ besteht ein gewisser Konsens, statt des Ausbaus von Telecentern den Umbau von öffentlichen Bibliotheken in Mediatheken und Begegnungsorte in den Mittelpunkt telematikbasierender Entwicklungsstrategien für den ländlichen Raum zu stellen. Solche Mediatheken und Begegnungsorte könnten durch den Zusammenschluss verschiedener Bildungseinrichtungen entstehen, die Infrastruktur und Personal miteinander teilen. Der Übergang von Bildung zu Arbeit, von Arbeit zu freiwilligem Engagement, zu persönlichem Interesse und zu Unterhaltung und Erlebnis ist fließend. Neben der Recherche und dem Zugang zum Netz ist das Coaching und Mentoring entscheidend – die Vermittlung der Fähigkeit, selbständig Projekte durchzuführen. Solche „geistige Dorferneuerung“ geht über Leitbildentwicklung weit hinaus und wird mittlerweile als ebenso wichtig gesehen wie die Palette herkömmlicher, an baulicher und ökonomischer Infrastruktur ansetzenden Maßnahmen.
(www.noel.gv.at/SERVICE/RU/RU2/Bildung_und_Begegnung.htm)

Aufruf zu einem dringend benötigten Workshop

Das Interesse an Information als Determinante der Landschaftsentwicklung wird größer. Auch die KulturlandschaftsforscherInnen haben schon die Vorzüge einer virtuellen Konferenzumgebung kennengelernt, und ein eigenes Projekt des gleichnamigen Forschungsschwerpunktes widmete sich einer ausschließlich virtuellen Forschungsarbeit über die Sichtbarmachung von Urbanisierungsprozessen in geographischen Informationssystemen (Daniel Bogner/Bettina Golob: Virtuelles Projekt Urbanisierung).

Dennoch fehlt bis dato die systematische Auseinandersetzung mit dem Problem der „globalen“ Information als „lokaler“ Ressource. Eine mögliche Strategie, sich dieser Auseinandersetzung zu stellen, wäre die Frage nach der Interaktion von „globalen“ und „lokalen“ Ressourcen eines regionalen Systems.

Das hypothetische Szenario eines solchen Workshops würde ExpertInnen für die subtilen Wechselwirkungen materieller Systeme mit ExpertInnen für globale, telematikbasierende Anwendungen zusammenführen. Die gemeinsame Fragestellung angesichts einer bestimmten Region, einer bestimmten Landschaft würde lauten: wie lässt sich die nachhaltige Entwicklung dieser Region, dieser Landschaft – im Sinn einer Beurteilung jeder Aktivität auf das Insgesamt von Lebenschancen in Gegenwart und Zukunft – durch die Aktivierung lokaler und die Aktivierung globaler Ressourcen positiv beeinflussen? Die Methode könnte sehr ähnlich sein wie ein Permakultur – Workshop: das sorgfältige Beobachten existierender Elemente und ihrer Beziehungen im regionalen System, um danach behutsam Schritte der Optimierung, der Umgruppierung, der Implantation zu diskutieren, ohne die subtilen Auswirkungen dieser Umgruppierung außer Acht zu lassen. Nur sind eben auch Telearbeit, Distance Education, Telemedizin, Internet etc. als solche Ressourcen zu werten. Der gegenseitige Respekt und das gegenseitige Verständnis zwischen den heute so inkommensurablen Expertengemeinschaften könnte zunehmen, wenn jeder der beteiligten Ressourcen im Prinzip eine positive Rolle zugestanden würde, vorausgesetzt sie wirkt am richtigen Platz und im Verbund mit anderen und anders gearteten Komponenten. Der Workshop ist dann sehr leicht durchzuführen, indem jede/r VertreterIn einer Kunst, ob Architektur, Agrikultur, Landschaftsgestaltung, Verwaltung, Bildung, Heilung, den spezifischen Beitrag seiner Ressource im Kontext des Zusammenwirkens mit anderen darstellt, im Vertrauen darauf, dass Neues und Ungewohntes in einem ein Gleichgewicht suchenden Prozess absorbiert und eingeordnet werden kann.

In diesem Idealszenario wäre die Region insgesamt eine lernende und sich selbst betrachtende Gemeinschaft von AkteurInnen, die mit den ExpertInnen gemeinsam die Wechselbeziehungen von Kultur, Architektur, Ökonomie, Biosphäre einer Region mit Elementen und Einflüssen aus den globalen Netzwerken kennenlernen wollen. Im Idealfall wären „globale“ Ressourcen schon vor Ort präsent, ohne dass wirklich schon die volle Bandbreite ihrer Möglichkeiten erkundet worden wäre. Dies erlaubt es, sie nicht nur in Worten, sondern wirklich in Aktion kennenzulernen und aus dieser Erfahrung heraus leichter Querbezüge zu finden.

Wenn wir weiter fortfahren dürfen, uns etwas zu wünschen, dann wäre diese Region ausgestattet mit einer alten, traditionsreichen Bildungseinrichtung, die schon immer dafür gesorgt hat, dass globales Wissen in lokalem Kontext „verdaut“ werden kann. Diese lokale Bildungseinrichtung könnte, provoziert durch die Fülle von Möglichkeiten globalen Wissens, sich entschließen, ein Labor zu werden für Innovationen. Einen solchen Schritt hat z. B. das Bildungshaus St. Georgen am Längssee getan, einen Permakulturgarten angelegt, Strohballenhäuser errichten lassen etc. Die Fülle von Information muss auf ein sehr aufnahmefähiges und leistungsfähiges Gedächtnis treffen.

Der Workshop könnte mit einer allgemeinen hypothetischen Frage beginnen: zum Beispiel aufbauend auf der groben Feststellung, dass menschliche Aktivität, wo sie sich Natur aneignet, drei grundverschiedene Formen der Raumgestaltung kennt:
n „Ländliche“ Raumgestaltung – dominiert von der produktiven und reproduktiven Funktion der natürlichen Umwelt
n „Vorstädtische“ Raumgestaltung dient der Ausgestaltung einer persönlichen Lebenssphäre, dem Rückzug, der Privatheit
n „Städtische“ Raumgestaltung – gezeichnet von Arbeitsteiligkeit und sozialer Interaktion

Die Frage wäre, inwiefern die technologischen Möglichkeiten der Gesellschaft neue Formen der Rekombination dieser drei Elemente erlauben, die nachhaltigere Strukturen ermöglichen. Gesucht wird die Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien in neue Komplexe von sozialen und technologischen Innovationen, die nicht nur die Funktionen jedes dieser drei Elemente verbessern, sondern auch Nähe und Synergie ermöglichen, die sich in der Verringerung von Energieaufwand, Reduktion von Abfall, Ersparnis von Zeit und Transportaufwand und menschlichem Stress äußern. Gerade im ländlichen Raum mit seinem gewaltigen Potential an Freiraum, stofflichen und energetischen Ressourcen könnten nachhaltige und ästhetisch ansprechende Modelle einer neuen mikrourbanen Lebensqualität entstehen.

Drei mögliche Schritte könnten das Basisgerüst der Vorgangsweise bilden:

1. Identifikation der endogenen Faktoren für Lebensfähigkeit, kulturelle Identität, räumliche Gestalt, Wechselwirkungen zwischen Landschaft, natürlichen Bedingungen und menschlichen Aktivitäten, aber auch Identifikation der „globalen“ Verknüpfungen, die immer schon die lokalen Fähigkeiten determiniert haben.
Die Hypothese könnte sein, dass „globales“ Wissen die Auswahl angepasster Technologien wesentlich erleichtern kann und dass „Erfolgsgeschichten“ immer schon eine Komponente des „Importierens“ von Wissen und Fähigkeiten aufgewiesen haben. Der „in unserem direkten Gesichtsfeld versteckte Reichtum“ wird vielleicht nur sichtbar, wenn wir globale Ressourcen suchen, die zu ihm passen und die es uns erlauben, lokale Ressourcenkreisläufe zu stärken statt lokale Ressourcen abtransportieren zu müssen.

2.Identifikation der menschlichen Dynamik, Stärken und Attribute, die eine bestimmte Landschaft „lebenswert“ machen und der vorhandenen AkteurInnen und Beschäftigungen. Verstärken sie einander? Was fehlt, um Feedback im positiven Sinn zu erlangen? Warum sind Menschen weggegangen, in die Städte, mit welchen Qualifikationen könnten sie zurückkehren? Gibt es Möglichkeiten, aus TouristInnen wieder BürgerInnen auf Zeit zu machen, die schrittweise die Bedingungen ihrer Wiederverwurzelung erkunden können? Und welche Vorteile, welche Gelegenheiten, sich wieder auf lokalen Austausch zu konzentrieren, würde das mit sich bringen ?
Lässt sich die lokale Diversität verstärken, und in welcher Hinsicht lassen sich Lücken in dieser lokalen Diversität und der Fähigkeit, viele Dinge zu tun, mit den globalen Kommunikationsmedien füllen?

3.Finden einer Vision, einer globalen Bedeutung der lokalen Lebenssphäre. Die Hypothese ist dass der „Geist heimkehren kann“ (GWILLIAM, T.), wenn er die Gelegenheit findet, etwas zu tun. Die scheinbare Lückenfüllerei ist zugleich die Aufladung all dessen, was an Potential in der lokalen Identität liegt, um komplexe soziale Aktion, Kreativität, Unternehmergeist, Wissensbasen und Problemlösungsfähigkeit zu stärken. Die elektronische Kommunikation ist Zweiwegkommunikation, und die Teilhabe an jeder Form von virtueller Gemeinschaft, Produktion von Wissen, vernetzter Problemlösung ist vom kleinsten Dorf aus möglich; dann ist aber nichts notwendiger als das Finden eines Feldes, auf dem eine solche aktive Rolle auch möglich und sinnvoll ist. Die lokalen Ressourcen sind so Indikatoren der Information, die in die Welt hinein fließen kann, die vielleicht nirgends in dieser Form so zu haben ist. Nur in dieser Zweiwegigkeit lässt sich letztlich Information als stärkender Faktor einer lokalen Gemeinschaft denken und die von Thayer monierte Entfremdung des Geistes von seiner physischen Umgebung vermeiden.

PS: Zu den Raumwirkungen der Informationsgesellschaft hätte ich gerne noch zwei Gedanken angeführt, die ich so kurz vor Redaktionsschluss leider nicht mehr als Originalzitat bringen kann. Sinngemäß sagt Frank Lloyd Wright, dass sich der Raum verdoppelt, wenn man die Wand zwischen zwei Räumen wegnimmt; und Eric McLuhan hat die grandiose These aufgestellt, dass nach jeder Renaissance eine „große Explosion“ gefolgt sei, dass aber die wirkliche Folge der Renaissance, die durch die elektrischen und elektronischen Medien ausgelöst wurde, eine „große Implosion“ sei. Raum, der wie Martin Kohler schreibt, mit Information aufgeladen wird, wird reicher in seinen Möglichkeiten, uns zu beherbergen.

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