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Die Zukunft heißt SOWETO
ORF.at

Das Gespräch mit dem Architekten und Kulturpublizisten Ramesh Kumar Biswas führte Wolfgang Ritschl, Ö1-Kontext.

6. November 2000 - Wolfgang Ritschl
Ramesh Kumar Biswas ist in Malaysia und Indien aufgewachsen, hat Architektur und Städtebau studiert, betreibt Architektur- und Multimediabüros in Berlin und Wien und zählt zu den 100 euro-asiatischen jungen Führungskräften. Er hat bereits mehrere Bücher herausgegeben, das letzte ist gerade im Wiener Springer-Verlag auf englisch erschienen und trägt den Titel „Metropolis now“. Darin geht es um urbane Kulturen in globalen Städten.

Anlass für das Interview: Das internationale Symposium „Zukunft der Städte“, am 7. und 8. November im Wiener RadioKulturHaus.

ON Kultur: Am Beginn des 21. Jahrhunderts lebt bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Regionen. Sie halten diesen als Schreckens-Szenario gehandelten Zahlen in ihrem Buch entgegen, dass in vielen Regionen der Welt, die Stadt schon vor dem Dorf vorhanden war.

Biswas: Das Dorf ist eigentlich, wenn man die letzten archäologischen, wirtschaftlichen und anthropologischen Befunde anschaut ein Nebenprodukt der Stadt. Die städtische Organisation, die Wirtschaft, der Handel, der Austausch und die gesellschaftliche Organisation hat dörfliche Strukturen eigentlich in großen Teilen der Welt, in Europa, in Asien, als Nebenprodukt, als Versorgungsunternehmen gegründet. Das Dorf und auch die Landwirtschaft sind eigentlich Nebenprodukte der städtischen Gesellschaft.

ON Kultur: Der städtische Bewohner von heute, wie etwa der Wiener, hat mehr Gemeinsamkeiten mit einem anderen städtischen Bewohner, etwa von Sidney oder Paris, als mit einem Einwohner von Kematen an der Ybbs. Wie kann man als Städteplaner dieser Tatsache gerecht werden, wenn man auch das Umland der Städte miteinbeziehen muss.

Biswas: Das Umland ist völlig verstädtert. Es schaut aus wie ein Dorf, oder wie ein Vorort etwa in Los Angeles oder Kuala Lumpur, das ist ein ein- bis zweistöckig bebauter Bereich, aber es gibt dort jetzt Verbrechen, Drogen, Mord, es gibt Scheidungen und es gibt Fast-Food, Pizza-Take-Aways, alles was es in der Stadt gibt, gibt es dort auch - nur schaut es nicht aus, wie in der Stadt, das ist der einzige Unterschied.
Ich habe auch in der Geschichte noch nie gehört von einer Massenmigration zu den Dörfern. Die Stadt ist nach wie vor ein sehr attraktives Angebot für alle, die sich verwirklichen wollen. Es geht nicht nur ums Geld, sondern darum das eigene Potenzial zu erfüllen.

ON Kultur: In Ihrem Buch „Metropolis Now“ versammeln Sie Porträts von Städten, die gerade problematische, aber auch interessante Phasen haben - die südafrikanische Stadt SOWETO hätte man sich jetzt nicht unbedingt in einem Metropolen-Reader erwartet, wieso haben Sie gerade Soweto ausgewählt ?

Biswas: Vielleicht war es das pointierte Beispiel dafür, dass Städte politisch sind. SOWETO ist das ursprüngliche Beispiel für eine politische Stadt. Wir müssen uns auch verabschieden von dieser Idee der Stadt mit schönen Boulevards, Kaffeehäusern, wo man draußen sitzt unter Bäumen, oder auch von der Idee von der Hochhaus-Sky-Line von Manhattan. Unser Bild von der Stadt der Zukunft wird Soweto sein, das wird eine einstöckige, sich endlos in die Landschaft ausbreitende amorphe Masse, wo alles passiert, wo alle Funktionen vermischt sind, wo kein Zentrum erkennbar ist. Und deswegen ist SOWETO eine Stadt der Zukunft.

ON Kultur: New York wird in Ihrem Buch nicht abgehandelt, Sie schreiben in Ihrem Vorwort, es gäbe darüber schon genügend Woody-Allen-Filme, sehr wohl kommt aber Marseille vor.

Biswas: Marseille ist eine alte multikulturelle Stadt. Was sind letztendlich die großen Themen einer Stadt: Es ist Technologie, Wirtschaft und es ist natürlich das Zusammenleben von verschiedenen Menschen verschiedener Herkunft. Und Marseille ist eine historische, multikulturelle Stadt zu einer Zeit, wo das noch gar nicht ein Schlagwort war. Ich wollte anschauen, wie so eine alte, multikulturelle Stadt heute funktioniert.

ON Kultur: Kuala Lumpur ist eine Stadt, die mit einem Vorurteil zu kämpfen hat, wie alle Dritte-Welt-Städte mit dem Vorurteil der Unregierbarkeit, dem Moloch, der sich ausbreitet - ist das jetzt die Angst des Westens, die da in unseren Köpfen dieses Bild erzeugt, oder ist da wirklich etwas dran ?

Biswas: Die europäische Stadt ist natürlich eine sehr gemütliche und sehr hochqualitative, ich lebe auch gerne in einer oder mehreren europäischen Städten, aber die Stadt an sich ist nicht gemütlich. Niemand erwartet Gemütlichkeit von der Stadt. Man erwartet hingegen viele Chancen, Möglichkeiten, Freundschaften und Angebote. Aber niemand kommt in die Stadt in Erwartung, dass es ruhig ist. Ich finde, wenn eine Stadt den Bewohnern anbietet was sie wollen, dann ist es für sie nicht so wichtig, wenn die Infrastruktur nicht so klappt. Und auf der anderen Seite sieht man Städte, wo die Infrastruktur perfekt ist, aber todlangweilig wie Zürich oder Singapur.

ON Kultur: Die Städte haben eine Zukunft, sie wachsen immer mehr an, wie wird diese Zukunft aussehen. Sie haben angedeutet, es wird so sein wie SOWETO, wird sich das jetzt weltweit ausbreiten oder ist es auf bestimmte Regionen beschränkt ?

Biswas: Es wird in verschiedenen Formen ein weltweites Modell sein. In Europa wird es kein Slum sein, sondern Suburbia, also Vororte. Ehemalige ländliche Gebiete werden einfach besiedelt werden. Die Städte werden ineinander wachsen, so wie es in Holland schon der Fall ist. In der Dritten Welt wird es Slum sein, der dann nach wie vor die Bevölkerung anzieht. Man muss daran denken, dass die Slumbewohner zum Großteil in den Slums selbst arbeiten, also sie pendeln nicht, weil sie ja das Geld nicht dazu haben und sie haben auch keine Qualifikation, bessere Jobs zu bekommen. Das heißt, sie produzieren selbst im Slum. Unsere Idee, dass jeder jeden Tag ins Zentrum muss, ist dort nicht der Fall und im Westen schon gar nicht. Denn Teleworking und andere neue Arbeitsformen, verändert jetzt schon die Städte.


Ramesh Kumar Biswas

Architekt, Kulturpublizist, Wien, geb. 1957 in Malaysia, studierte Architektur in New Delhi und Städtebau in Edinburgh, Doktorat in Stadtökologie in Graz.
Architekt in Berlin, Bauten und Ausstellungsgestaltungen in 19 Ländern, darunter in Österreich, Italien, Australien, Indien, Malaysia. Gastprofessor an der École Nationale des Ponts et Chaussées, Paris und an der University of New South Wales, Sydney.
Lehrtätigkeit an Universitäten in Hong Kong, London, Tokyo, Delft, Tokyo, TU Wien.
Herausgeber mehrerer Bücher zu Fragen kultureller Phänomenologie: „Magische Hände, Kunst und Kulturen Indiens“, Wien 1993 - „Innovative Austrian Architecture“, Springer Wien New York 1996 - „Götterspeisen“, Springer Wien New York 1997 - „Metropolis now“, Springer Wien New York 2000.
5 Sonderpublikationen der „Stadt Bauwelt“, Bertelsmann, Berlin
1996-1999-05-01 Serie von 10 Büchern über Global Urban Culture ab 2000.
1998 wurde er zu einem der 100 „Asia-Europe Young Leaders“ aus 25 Ländern ausgewählt.


[Metropolos Now. Urban Cultures in our Global Cities, Ramesh K. Biwas, Verlag Springer, 2000, Wien, ISBN 3211834966, ATS 399,- (Euro 29,14).]

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