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Ode an die Stille
Der Standard

Exponate aus dem Nachlass des Architekten Luis Barragán im MAK

Luis Barragán verheiratete Licht, Farbe, Materie miteinander und inszenierte spektakuläre Räume der Stille. Er selbst hielt sich dabei rätselhaft im Hintergrund. Im MAK sind nun Skizzen und Dokumente aus dem Nachlass des ersten Minimalisten zu sehen.

29. November 2000 - Ute Woltron
Wien - „Über das ästhetische Talent von Luis Barragán braucht nicht viel gesagt zu werden“, meint der Architekt Tadao Ando, „Er erreichte die Gipfel der Schönheit, Raffinesse und Perfektion.“ Doch über allen Gipfeln ist Ruh', und so schön, so raffiniert, so perfekt sind die Häuser des Mexikaners, dass seinerzeit die Architekturjournalistin Elena Poniatowska nach einem letzten Interview mit dem betagten Bau-Mann fluchtartig dessen prachtvolles Wohnhaus verließ, um im unperfekten Straßentrubel Mexico Citys wieder Atem zu schöpfen.

Zu erdrückend hätten Barragáns berühmte stumme Inszenierungen architektonischer Kraft und Schönheit auf sie gewirkt. Tatsächlich, meint Wolf D. Prix, habe Barragán Form und Licht zu einer Konzentration zusammengefasst wie kein anderer.

Luis Barragán, 1902 in den satten Reichtum einer Gutsbesitzerdynastie aus Guadalajara hineingeboren, 1988 als erfolgreicher Architekt, Pritzkerpreisträger und geschickter Grundstücksmakler gestorben, ist zwölf Jahre nach seinem Tod populär wie nie.

Zahlreiche Publikationen dokumentieren seine Werke wie die Casa Gilardi, El Pedregal, Los Clubes. Epigonen folgen vergebens farbklecksend seinen Spuren, die Person Barragán bleibt dabei im Gegensatz zu griffigeren Kollegengestalten wie Mies und Corbusier seltsam verwaschen und vernebelt hinter den Mauern und Murmelbrünnlein seiner Architekturen verborgen. Wer war der Mann, der ganze Wohnhäuser kunstvoll rund um einen einzelnen alten Baum wob, der den Garten zum wichtigsten Element der Architektur erhob, der mexikanische Folklore mit der architektonischen Strenge der Moderne verband, der Licht, Farbe und Materie quasi verheiratete und in gespenstischen Inszenierungen miteinander tanzen ließ? Wer eine Antwort in der umfangreichen Ausstellung „Luis Barragán: The Quiet Revolution“ sucht, wird sie nicht finden. Kein persönliches Lebenszeichen ist da zwischen Skizzen und Plänen, Fotos und Videos, sorgfältig zusammengestellt von seinen Nachlassverwaltern, der Barragán Foundation, in Kooperation mit dem Vitra Design Museum.

Zwei spekulative Begründungen dafür: Barragán wird von Zeitgenossen einerseits als tiefreligiöser Katholik beschrieben, andererseits als Mann, der seine homoerotischen Neigungen im Land der Stierkämpfe und des Machismo wohl zu verbergen verstand. Künstlerfreunde wie Jesús Chucho Reyes wanderten dafür ins Gefängnis.


Herrenreiter

Kuratorin Federica Zanco: „Viele Aspekte seiner Persönlichkeit werden wir trotz der zahlreichen erhaltenen Briefe wahrscheinlich nie mehr verstehen. Barragán war ein Herrenreiter, ein Gentleman, eine unerhört fesche, imposante Erscheinung, doch sein privates Leben hielt er bedeckt.“

Zum anderen fordern die Häuser des Architekten mit ihrer Klarheit und Farbigkeit ein plakatives, oberflächliches Abhandeln geradezu heraus, doch die eigentlichen Qualitäten lassen sich - wie alle guten Architekturen - nicht mit den Mitteln der Fotografie einfangen. Die kargen Formen, seine Mauern, Patios, Fensteröffnungen, die sorgfältig konstruierten Blickbezüge inszenieren atemberaubende Stimmungen.

„Die psychische und emotionelle Komponente spielt in seinen Räumen eine derart starke Rolle, dass es zum Teil sogar unangenehm wird“, meint Prix. Selbst Barragáns Stallgebäude vermitteln dem Betrachter das Gefühl, sich in hippologischen Klostergemäuern zu befinden, wo die Vierbeiner Wasser aus altarähnlichen Trögen zu sich nehmen wie die heilige Hostie. „Eine Architektur, die keine Ruhe entstehen lässt, kann ihre geistige Mission nicht erfüllen“, hatte der Mexikaner gepredigt.

„Barragán“, fasst Tadao Ando den grassierenden Barragánismo zusammen, „ist zu einem Mythos geworden, und zahlreiche Leute, die ihn nicht gekannt haben, deuten seine Persönlichkeit und sein Leben. Oft versuche ich mir vorzustellen, wie er darauf reagieren würde, wenn er noch am Leben wäre. Er wäre sicher entsetzt!“


[„Luis Barragán: The Quiet Revolution“, MAK Wien, bis 28. Jänner ]

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