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Der Schein trügt
Spectrum

Die Währungsumstellung offenbart die Oberflächlichkeit und Gegenwartsvergessenheit der Wahrnehmung. Heutiges, etwa Baukunst, kommt in den neuen heimischen Euro-Briefmarken und -Banknoten nicht vor. Eine Warnung vor simplifizierenden Drucksorten.

15. Dezember 2001 - Walter Chramosta
Hierzulande ist durch Karl Kraus längst sprichwörtlich: „Einen Brief zur Post bringen heißt ihn aufgeben.“ Zur latenten Gefahr des Totalverlusts kommt mit dem Jahreswechsel die mindere Gefahr der Identitätsverletzung des Briefumschlags durch neue Euro-Wertzeichen der Österreichischen Post AG: Wer für den Transport des Poststücks 87 Cent per Dauermarke entrichtet, wird sich mit einem romantisierenden Rinderporträt aus einem grünsaftigen Almambiente von Inneralpbach abfinden müssen. Selbstbewußt und im Gleichklang mit dem Wiesenhang im Profil gezeigt, signalisiert das vor traditionellem Stadel und schroffer Bergkulisse entspannt liegende Vieh die Ruhe und die Stabilität der vorindustriellen, agrarischen Ära. Auch die anderen Dauermarken zeigten idyllische Manifestationen von Stadt und Land, spätestens aus dem 19. Jahrhundert. Briefe ohne historisierende Nebenaussage zu versenden wird schwer werden.

Angst vor Innovation und Überschätzung der Vergangenheit motivieren die Markenserie, die bezeichnenderweise unter dem unverfänglichen Titel „Ferienland Österreich“ aufgelegt wurde. Sie ist eine nationale Initiative mit europäischem Hintergrund, sie geht von konkreten Orten aus, und trotzdem gerät die Aussage seltsam unkonkret - durch Verzicht auf kulturelle und zivilisatorische Spuren der Gegenwart motivisch banalisiert. Diese Bilder zeigen nicht das Land, in dem sie benutzt werden sollen, sondern eine in prästabilierter Harmonie stilisierte Vorversion davon, wie sie in Tourismusprospekten häufig vorkommt. Die Rindersiesta in Alpbach oder das eingeschneite Bauernhaus am Steinernen Meer wirken trotz präziser Verortung als Grundtypen eines generellen alpinen Bildvorrats.

Warum greift gerade ein Träger nationaler Kultur, wie er im Monopolhersteller von Briefmarkenserien nun einmal gegeben ist, bei einem epochalen Ereignis wie der Währungsumstellung aus freien Stücken statt auf das spannende Ganze der Gegenwart ängstlich auf abgestandene Kürzel der Tourismuswerbung zurück? Es ist ein grundsätzlicher Hintergrund zu vermuten, der die Österreichische Post AG hindert, konkreter Stellung zu beziehen. Eine These: Während die mediale Wahrnehmung von einzelnen Personen oder kleinen Gruppen immer detailreicher und kompromißloser wird, indem alle Intimitäten etwa per Webcam oder Fernsehen ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden, entgleitet die gesellschaftliche und kulturelle Gesamtsituation - gerade in alten Techniken wie Briefmarken, Banknoten - ins Kompromißhafte.

Daß der kleinste gemeinsame Nenner öffentlicher Akzeptanz bei einer Briefmarkenserie, die „nur“ Österreich zu repräsentieren hat, von der Post AG nicht weit von dem entfernt angesiedelt wird, den sich die Europäische Zentralbank zur Repräsentation Europas zutraut, ist kläglich. Die Post AG müßte nicht politisch so korrekt sein wie die EZB; sie könnte kommerzieller agieren, damit auch bewußter ihre Unternehmensidentität stärken und die Standards visueller Kommunikation heben. Die auf den Euro-Dauermarken wiedergegebene nationale Stereotypie von der komfortablen, aber rückständigen Erholungsterrasse über dem Euroland ist gleichzeitig ein für den Wirtschafts- und Forschungsstandort gefährliches internationales Klischee.

Die Heimatschutzmarken wollen einen längst eingetretenen Identitätsverlust durch Beschwörung musealer Bilder kompensieren. Gedanklich nicht weit entfernt, beschwören die Euro-Banknoten durchaus noch nicht durchgängiger Lebenspraxis in der Europäischen Union entsprechende Schlagworte wie Offenheit, Zusammenarbeit und Völkerverbindung mit allzu plakativ angebrachten Stilemen aus der Baugeschichte. In der Verkürzung der Wirklichkeit erweisen sich die beiden graphischen Auftritte als ebenbürtig: Die Post AG verleugnet die Gestaltungskraft der Elite der österreichischen Graphiker und ignoriert die Leistungsfähigkeit von Wissenschaft und Kunst, die EZB verwechselt - mit Absicht und Begründung - Architektur mit weithin bekannten, nichtsdestoweniger aber als Umschreibung eines europäischen Geistes besonders blutleer anmutenden Epochenbegriffen aus der Baustilkunde. Beides sind merkwürdige Nivellierungsvorgänge, die der eigentlichen Absicht - das eine Mal Eigenart, das andere Mal Zusammengehörigkeit zu dokumentieren - zuwiderlaufen.

Die Entstehung der Euro-Banknoten ist bekannt. Im 1996 von den nationalen Zentralbanken der Europäischen Union beschickten Wettbewerb setzte sich der Entwurf von Robert Kalina, der in der Oesterreichischen Nationalbank als Graphikdesigner tätig ist, durch. In der Endauswahl waren fünf Vorschläge zum Thema „Zeitalter und Stile in Europa“ und fünf „abstrakt/moderne“ Entwürfe. Die Ergebnisse der engeren Wahl werden erst im kommenden Jahr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Kalina setzte sich mit seinem Konzept „Fenster, Tore und Brücken“ sowohl in der Fachjury als auch bei einer Publikumsbefragung durch. Zum Unterschied von den Euro-Münzen, die eine nationale Seite haben, waren Sonderwünsche der Mitglieder für die Gestaltung der Banknoten von vornherein ausgeschlossen.

1999 wurde mit der Produktion des Papiergeldes mit den Nennwerten 5, 10, 20, 50, 100, 200 und 500 Euro begonnen. Die sieben Banknoten weisen mit dem Wert wachsende Größe auf und unterscheiden sich markant in der Farbgebung. Die Vorderseite zeigt neben den notwendigen Bezeichnungen und Sicherheitsmerkmalen jeweils Fenster und Portale einer Stilepoche, die Rückseite dieser Ära zuzurechnende Brücken. Die Zahl von sieben Nennwerten ergibt sich aus der Praktikabilität der Banknoten und nicht aus einer schlüssigen Abgrenzung von Stilphänomenen. Manches Land hätte sich noch einen kleineren Wert gewünscht, vielleicht folgt mit einigen Jahren Verzögerung noch eine kleine Banknote.

Bauhistoriker und Architekten können sich leicht darauf verständigen, daß eine Siebenteilung der abendländischen Architektur, die auf einer Gleichrangigkeit der Epochenbegriffe beruht, einen Willkürakt darstellt. Man muß sich nicht erst ausmalen, in welchen Argumentationsnotstand eine solche auf den ersten Blick geschlossene Genealogie des europäischen Bauens geraten wird, wenn süd- und osteuropäische Länder mit christlich-orthodoxen und islamischen Bautraditionen als Mitglieder aufgenommen werden. Schon jetzt ist die Zeitachse nur in der Mitte einigermaßen konsistent besetzt. Die Abfolge Romanik, Gotik, Renaissance, Barock und Rokoko entspricht dem auch unter Laien der Architektur weit verbreiteten Wissen über die Baugeschichte; die zugehörigen Motive, insbesondere die rote Romanik und die blaue Gotik, werden eher unschwer zu interpretieren sein; der orangefarbene Klassizismus der Renaissance könnte freilich der grauen Klassik zumindest an der Vorderseite motivisch ins epochale Gehege kommen.

Die auf Anonymität des gebauten Vorbildes, also auf Ortsverweigerung wegen befürchteter nationaler Aneignung zielende Vereinfachung der Stilelemente führt zu einer Sterilität und Unschärfe, die alle abstrakten Baustilkunden von konkreten Architekturgeschichten unterscheidet. Diesem systemischen Manko, das einerseits auf die Negation von Ort und Region, von Schöpfer und Datierung, andererseits auf den universellen Geltungsanspruch der Siebenerreihe zurückgeht, kann Kalinas Ansatz mit keinem Gestaltungsmittel entgehen. Vielmehr ist der Eindruck zwingend, daß die bemühte Vertiefung des jeweiligen Hauptmotivs mit notwendigerweise - es darf nicht zuviel gesagt werden - redundanten Nebenmotiven zu einer Verflachung der Darstellung führt: Der architektonische Informationsgehalt ist zu gering, um etwas von der Komplexität und Klasse der historischen Architekturphänomene zu transportieren.

Kalinas Zeitreise erfährt am Anfang eine nicht nachvollziehbare Beschleunigung: Die vielfältige „Klassik“ der Griechen und Römer geht kurzen Strichs in einem nach Déjà-vu schreienden Aquädukt und einer schwachionischen Säulenordnung auf. Dieser stildiffuse Schein mit 5 Euro Wert wird der am häufigsten benutzte sein! In das schwarze Argumentationsloch der architekturhistorischen Verkürzung fällt die also nach oben und unten offene Kalina-Skala der Eurobaukunst aber an ihrem jungen Ende mit 200 und 500 Euro. Sowohl wegen der sich überschneidenden Epochenbegriffe „Eisen- und Glasarchitektur“ und „Moderne Architektur des 20. Jahrhundert“ als auch wegen der nichtssagenden Nachzeichnung - die Vorderseiten könnten genausogut Kommerzbauten der achtziger und neunziger Jahre wiedergeben. Die Brücken sprechen immerhin eine zeittypischere Sprache. Der wohl am seltensten verwendete Schein umschreibt die Gegenwart der Architektur und gibt damit ungewollt Zeugnis der geringen Wertschätzung, die zeitgenössische Architektur und ihre Schöpfer gesellschaftlich in Österreich genießen.

Für den offenbar realpolitisch gebotenen Kompromiß, die Euro-Architektur der Wirklichkeit und damit nationalen Aneigenbarkeiten zu entziehen, ist auf Jahrzehnte ein Abschlag an Inhalt und Sinnlichkeit zu bezahlen. Vorbildlich in der Repräsentation eines vielschichtigen Gemeinwesens und als fachlich wie visuell exzellenter Stellvertreter der Architektur ist der Zehn-Franken-Schein der Schweiz zu Le Corbusier: Aber der helvetische Bund ist eben auch schon 700 Jahre alt . . .

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