Artikel

Groß, schön, transparent
Groß, schön, transparent © The British Museum
ORF.at

Kunst braucht Platz. Woher nehmen und nicht neu bauen? Umbauen, genauer überdachen!

13. Dezember 2000
Ins Historische Museum der Stadt Wien Wien pilgern bereits die Studenten der benachbarten Technischen Universität ins Museum, um die Glaskonstruktion des Architekten Dimitris Manikas zu studieren. Hatte er doch die sensible Aufgabe, in den Oswald-Haerdtl-Bau, der zu den wenigen heute erhaltenen Qualitätsbeispielen der Architektur der fünfziger Jahre zählt ein Glasdach einzuziehen.

„Ganz wunderbar, dieses gewölbte Dach“, sagt Suzanne Taverne und sie meint nicht das Wiener Museum, sondern Norman Fosters Überdachung des British Museum. Auch zu Fosters Dach werden die Studenten pilgern, handelt es sich doch um das größte seiner Art.

8.000 Quadratmeter hat Sir Norman, der schon dem Berliner Reichstag die Krone aufsetzte, überdacht. „Wir haben den größten überdachten Platz in Europa geschaffen.“, schwärmt die Direktorin. Zugleich ist der alte Lesesaal des Museums, in dem sich unter anderem Karl Marx einen großen Teil seiner Theorien über den Kommunismus ausdachte, mitten in diesem Hof wieder zum Schmuckstück der ganzen Anlage geworden.


Es kann der Beste nicht in Frieden...

Wenn Königin Elizabeth II. an diesem Mittwoch nach zweieinhalb Jahren Umbauzeit den rund 2,25 Milliarden Schilling teuren und Hof eröffnet, dann sollten eigentlich alle feiern. Schließlich überschlagen sich die Architekturkritiker des Landes vor Lob für Fosters großen Wurf, spricht beispielsweise Alice Rawsthorn in der „Financial Times“ von einem der „besten öffentlichen Räume“ des Landes.

Aber Ärger überschattet schon seit 18 Monaten das Gehämmere im Britischen Museum, seit ein anonymer Anrufer die Bauherren über Unfassbares informierte. Das neue große, etwas neoklassizistische Südportal wurde nicht mit dem vertraglich vereinbarten Stein aus dem englischen Portland gebaut, sondern mit französischem Kalkstein. Der pensionierte Chef der Denkmalschützer, Sir Jocelyn Stevens, forderte vergeblich den sofortigen Abbruch des Portals. Und auch in den letzten Stunden vor der Eröffnung beschuldigte er die Verantwortlichen, die Kontrollen vernachlässigt zu haben.


Pomp and Glory

Das Britische Museum, erstaunlicherweise immer noch kostenlos zu besuchen, ist eine Stätte, die schon bei der Eröffnung im Jahr 1850 der nationalen Größe geweiht war. Dort ist zusammengetragen, was britische Forscher und Entdecker rund um den Globus fanden, einpackten und mitnahmen. So sind - oft ohne die einheimischen Besitzer auch nur zu fragen - exquisite Sammlungen beispielsweise altägyptischer, griechischer oder asiatischer Kultur entstanden. Acht Architekten haben sich in den vergangenen 150 Jahren immer wieder an diesem Allerheiligsten versucht. Foster hat zweifellos die spektakulärste Veränderung eines ansonsten eher bedeutungslosen Gebäudes geschaffen.


Neue Nutzung

Schon seit 1857 war der Innenhof rund um den Lesesaal mit seiner gigantischen Kuppel zunehmend überdacht und als Bücherdepot genutzt worden. Erst als 1998 die Bücher in die neue British Library umzogen, konnte der Innenhof wieder als Hof gesehen und benutzt werden. Fosters Dach bläht sich leicht zwischen Museumsmauern und Lesesaal auf: 3.312 Glaspaneele und 478 Tonnen Stahl vereinen sich zu einer überaus leichten und beschwingten Konstruktion. Damit wird in einem Museum, das für jährlich 100.000 Menschen geplant war und jetzt von 5,5 Millionen besucht wird, vor allem dringend benötigter Platz für neue Sammlungen geschaffen.

Das Prachtstück ist freilich der in altem Glanz renovierte Lesesaal, nach dessen Besuch Michail Gorbatschow 1984 sagte, Beschwerden über die Existenz des Kommunismus sollten bitte an das Britische Museum gerichtet werden. Anders als Karl Marx, der auf Platz A6 über die Weltrevolution zu grübeln pflegte, brauchen jetzt Besucher erstmals keine Eintrittskarte mehr. Der Saal, in dem auch Leo Trotzki, Mahatma Gandhi, Oscar Wilde und George Bernard Shaw arbeiteten, steht nun allen Besuchern offen.

Nach zwei umstrittenen architektonischen Projekten, dem Millennium-Dome in Greenwich und Lord Fosters eleganter Themsebrücke, die noch am Tag der Eröffnung für unbenutzbar erklärt wurde - scheint nun ein Londoner Prachtstück gelungen zu sein.


[ Abb.: Historisches Museum, Wien / ©Bild: APA, Britisches Museum, London ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ORF.at

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: