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Wandel der Stadtgesichter in Elb-Florenz
Neue Zürcher Zeitung

Neue Dynamik beim Wiederaufbau der Dresdner Innenstadt

15. Dezember 2000 - Ulrich Miksch
Der Besucher der sächsischen Landeshauptstadt Dresden stösst in diesen Tagen auf ausgiebige Bautätigkeit. Neben den ohnehin ausgedehnten Baulöchern und Gerüstverkleidungen präsentiert sich die alte Residenzstadt mit Strassenabsperrungen und Strassenbahn-Umleitungen leicht verstopft und selbst für Einheimische in ihrem Verkehrsfluss schwer durchschaubar. Die Neugestaltung der Innenstadt hat im Umfeld der Einheitsfeier, die turnusmässig heuer in Sachsens Kapitale stattfand, einen prestigeträchtigen Nebenschauplatz erreicht: Strassendecken, die für den Autoverkehr ausgebessert und zumeist mit schwarzem Bitumenbelag griffig gemacht werden.

Vom Kleinod zum Trümmerfeld
Das alte Dresden, über einige Jahrhunderte aufgebaut als Residenz der Könige von Sachsen und zeitweise auch von Polen, war mit seiner dichten Bebauung und seinen schmalen Gassen und Strassen noch keine dem Auto erschliessbare Stadt. Und auch die seit Anfang des Jahrhunderts aufkommende Mobilität wurde eher mit einem immer dichter werdenden Strassenbahnnetz organisiert, als dass man Schneisen durch den gewachsenen Stadtkörper geschlagen hätte.

Die grosse Zäsur, die diese eher organisch verlaufende Stadtentwicklung abrupt an ihr Ende brachte, war eine Erfahrung, die viele deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg teilten, die das barocke, vom Sandstein geprägte Dresden aber besonders schmerzen musste. In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 verbrannte im Hagel der Phosphorbomben auf einer Fläche von 15 Quadratkilometern fast die gesamte Innenstadt. Zehntausende von Einwohnern und Flüchtlingen kamen ums Leben. Was einmal als das «Florenz des Nordens» gefeiert worden war und als architektonisches Kleinod gegolten hatte, war nur mehr ein Trümmerfeld mit hie und da herausragenden Gebäudestümpfen. Das Ausmass der Zerstörung, die materielle Not der Nachkriegsjahre, aber auch die Veränderung der politischen Gegebenheiten hatten Auswirkungen auf die Ziele und Notwendigkeiten eines Wiederaufbaus der Stadt Dresden.

Die zweite Zerstörung durch die DDR
Der Architekt im Stadtplanungsamt Matthias Lerm hat in seinem Buch «Abschied vom alten Dresden» diesen Entwicklungslinien erstmals umfassend nachgespürt, und selbst gebürtigen Dresdnern öffnet der Bericht, der den nun zugänglichen Archiven der DDR zu verdanken ist, Einblicke in die Gründe so vieler Veränderungen der Stadt bis 1989.* Der Schlüssel für die ersten Schritte der Trümmerbeseitigung und des Aufbaus liegt wohl in der Eigentumsregelung für das Trümmerfeld der Innenstadt. Die faktische Enteignung der Privatbesitzer von Grund und Häusern bildete den Auftakt für eine beispiellos flächendeckende «Beräumung», der bis in die sechziger Jahre noch rettbare Häuser- und Kirchenrümpfe zum Opfer fielen.

Privatinitiativen zur behelfsmässigen Instandsetzung so mancher beschädigter Häuser wurde durch fehlende Mittel- und Materialzuweisungen die Luft genommen, und der Aufbauwille erlag dem Lockruf eines kollektiven Neubeginns. Die Stadt neu zu planen, ihr die vermeintlich stickige Enge zu nehmen und sie dem Auto stärker zu öffnen, waren die Leitgedanken, die auch Anknüpfungspunkte in Planungen der dreissiger Jahre fanden, die jedoch in der Vision einer sozialistischen Grossstadt gipfelten. Wurden in den fünfziger Jahren noch Baukonzeptionen nach «nationaler Tradition» beschworen, welche Paläste für die Arbeiterklasse forderte, und wurden diese eingebunden in Stadtveränderungen, die Demonstrationsstrassen und Aufmarschplätze schaffen sollten, so wechselte das Idealbild 1958 unter dem Eindruck von Diskussionen in der Sowjetunion hin zum industriellen Bauen.

«Viel Stadt mit wenig Haus»
Grossplattensiedlungen entstanden, die erahnen liessen, was ein Beschluss des Politbüros des ZK der SED in Berlin aus dem Jahre 1962 verriet, dass in Dresden die Wirkung eines abgeschlossenen Neuaufbaus mit möglichst geringen Mitteln zu erzielen sei. «Viel Stadt mit wenig Haus» nannten dies damals scherzhaft die Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes. Wie wenig die materiellen Ressourcen hinreichten, um Dresden neu aufzubauen, illustrieren die achtziger Jahre, als vor allem in der Äusseren Neustadt und in Pieschen alte Bürgerhäuser, die vom Phosphorbrand im Februar 1945 verschont geblieben waren, nun zunehmend verfielen, ohne dass der verloren gehende Wohnungsbestand durch Neubauten ersetzt werden konnte.

Zwei Dresdner stehen symbolisch für den lebendig gebliebenen Willen der Stadtbürger, trotz der immensen Zerstörung Verbindungslinien zum alten Dresden aufrechtzuerhalten und somit den zentralistischen und ideologischen Eingriffen in den Aufbau der Innenstadt eine andere Vision entgegenzusetzen. Der Kunsthistoriker Fritz Löffler veröffentlichte 1956 das Buch «Das alte Dresden», in dem das Verlorengegangene und das immer noch Verlorengehende an Bausubstanz detailliert beschrieben wurde. Das Buch fand mit immer neuen Auflagen weite Verbreitung als Gedächtnisstütze unter den Dresdnern. Der andere ist der langjährige Leiter des Instituts für Denkmalpflege, Hans Nadler, heute 90 Jahre alt und Ehrenbürger Dresdens, der mit seiner fachlichen Kompetenz und der Kontinuität seiner Landesbehörde, die 1952 nicht in Bezirksbehörden zerstückelt wurde, unzählige Rettungsaktionen für die Erhaltung der nach der Brandnacht noch vorhandenen Bausubstanz startete.

Neuanfang mit Ruinen
Dies war erfolglos, wenn wieder Bürgerhäuser gesprengt wurden oder wenn die erklecklichen Reste der Sophienkirche, des bis dahin ältesten Bauwerkes Dresdens, auf Geheiss Walter Ulbrichts aus Berlin einer Grossgaststätte weichen mussten. Es war aber doch erfolgreich, wenn wie bei fast allen Bauten, die zur Elbsilhouette zählen und den gerühmten und von Canaletto gemalten Blick von den Elbhängen auf Dresden ausmachen, die Reste zumindest an ihrem Ort verblieben. Damit war es möglich, dass beispielsweise die Frauenkirche wieder aufgebaut wird, am alten Ort und mit vielen originalen Steinen.

Der heutige Oberbürgermeister Dresdens, Herbert Wagner, war 1989 noch Entwicklungsingenieur in einem Elektronik-Kombinat. Nebenbei engagierte er sich in der katholischen Kirche, wodurch er am 9. Oktober 1989 auch in die «Gruppe der zwanzig» geriet: eine Gruppe von Vertretern der Demonstranten, die der eskalierenden Gewalt im Umfeld der Flüchtlingszüge aus der deutschen Botschaft in Prag, welche Dresden auf dem Weg in den Westen durchfuhren, Gespräche mit der Staatsmacht entgegensetzen wollten. Aus dieser Gruppe, zu deren Sprecher Wagner gewählt wurde und die ihre Legitimität aus einer ungewöhnlichen ersten Wahl schon im Herbst 1989 schöpfte, entstanden 17 Arbeitsgruppen, die sich mit der Stadtentwicklung auseinandersetzten.

Herbert Wagner wurde am 23. Mai 1990 zum Oberbürgermeister gewählt. Als er die Amtsgeschäfte vom Stellvertreter des Vorgängers Wolfgang Berghofer übernahm, bekam er nur zwei dünne Ordner, ein Inventar und die Amtskette übergeben. Der Einfluss der eingesetzten Oberhäupter auf die Geschicke der Stadt schien in sozialistischen Zeiten klein gewesen zu sein. Umso grösser waren von nun an die Anforderungen des Amtes. Eine neue Verwaltungsstruktur mit 11 Dezernenten wurde in breitem politischem Konsens durchgesetzt. Vertreter von SPD und Bündnis 90/Die Grünen arbeiten noch heute in der Stadtregierung mit. Erst seit den Kommunalwahlen 1999, die erstmals eine bürgerliche Mehrheit ins Stadtparlament brachten, ist ein Wandel zu einer stärker parteipolitischen Akzentuierung zu verspüren.

Eigeninitiative bleibt nötig
Der Einfluss der Wiedergeburt des Freistaates Sachsen und somit die Ausgestaltung Dresdens als Landeshauptstadt ist gross. Nach den vielen Jahren des fortwährenden Abrisses ist das noch vorhandene architektonische Erbe mit viel Energie und gewaltigen Geldmitteln gesichert worden, und erst heute kann man bei vielen Gebäuden eigentlich vom Wiederaufbau sprechen. Auch hat Sachsen mitgesprochen bei der Ansiedlung von neuen Industrien, die das Know-how der Dresdner Universität zum Tragen bringen lässt. Die Dresdner müssen aber die Probleme bei der Verdichtung der Innenstadt selbst lösen.


[* Matthias Lerm: Abschied vom alten Dresden. Verluste historischer Bausubstanz nach 1945. Hinstroff, Rostock 2000. 34 DM.]

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