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Bauen im Datenstrom
Der Standard

Die Neue Galerie in Graz zeigt Manfred Wolff-Plottegg

Der Computer revolutioniert die Architektur. Der Prozess wird zum Planungsinstrument. Peter Weibel und Manfred Wolff-Plottegg schildern Ute Woltron die künftigen Szenarien.

19. Dezember 2000 - Ute Woltron
Graz - Die Ausstellung Plotteggs Plots zeigt computergenerierte Projekte des Grazer Architekten von 1980 bis 2000. Peter Weibel hat sie kuratiert. DER STANDARD fragte nach dem Input der Computer in die künftige Architektur.

Plottegg: Das Wesen des Computers ist es, Prozesse zu steuern. Es geht also nicht mehr um das Erzeugen von Bildern, sondern um Planungs- und in weiterer Folge um Architekturprozesse.

Peter Weibel: Seit der Existenz der Fotografie gibt es gedruckte Architektur, doch bisher hat man das Foto nur als Dokument des Gebauten gesehen. Im 20. Jahrhundert wurde die Kluft zwischen dem, was gebaut werden kann, und der utopischen Architektur, die nicht gebaut werden darf, immer größer. Die Architektur wurde medialer, und zwar nicht nur in der Abbildung, sondern auch im Generierungsprozess. Utopisches, das nur gezeichnet ist, ist altmodisch, weil es davon ausgeht, tatsächlich umgesetzt werden zu können. Radikaler ist es, moderne Architektur prozessuell zu sehen. Plottegg zählt zu den wenigen, die diese Konsequenz gezogen haben.

STANDARD: Welche Hilfe bietet der Computer?

Weibel: Die Leute, die mit Computern arbeiten, begreifen die moderne Welt als Datenlandschaft, in der ständig Datenströme verschickt werden. Architektur, die das nicht versteht, wie etwa jene am Potsdamer Platz in Berlin, degeneriert zu Ruinen der Repräsentation. Plotteggs Architektur wird durch das Medium Prozessor zu einer Zeitreihe.

STANDARD: Wird da die Architektur nicht zu einer Kunst des Selbstzwecks?

Weibel: Der Prototyp des guten Architekten ist der Künstler, der Architektur als Selbstzweck macht. Die Architektur hat ja seit jeher beansprucht, das Leitbild der Künste zu sein.

Plottegg: Die klassische Architektur war immer von Bildhaftigkeit geprägt. Es drehte sich immer um die Oberfläche, auch wenn strukturelle Elemente vorkamen. Diese Auffassung hatte die letzte große Blüte in der Postmoderne. Da wurden die Bilder auch noch austauschbar, und alles war zulässig.

Weibel: Im Grunde bewegt man sich in einer Ruinenlandschaft, lauter verlassene, obsolete Bilder liegen herum.

STANDARD: Wie beliebig stapelbare Spielklötzchen?

Plottegg: Genau, doch mit dieser Bildhaftigkeit bekommt man die heutigen Fragen der Architektur, des Städtebaus nicht mehr in den Griff. Mit Grundrissmustern kann man die Probleme großer Städte wie Kairo oder Mexico City nicht lösen. Die Problemlösung muss über Prozesssteuerung erfolgen. Der Computer kann Prozesse steuern, auch städtebauliche, Verkehrsflüsse und dergleichen, und auch in der Gebäudetechnik dreht es sich mehr um Facility-Management, was ebenfalls wiederum Prozesssteuerung ist.

STANDARD: Er bringt eine vierte Dimension in die der Architektur?

Plottegg: Das neue Instrument, der Computer, mit dem man Prozesse simulieren kann, bringt uns einen Schritt weiter - vernünftig eingesetzt und nicht bloß als Bildmaschine. Es ist verhängnisvoll, dass die meisten Architekten mit ihren Computern wieder nur Bilder produzieren, damit aber an den Grundfragen vorbeigehen.

Weibel: Architektur, die nach Bildern funktioniert, ist heute zu Facility-Management und Immobiliendevelopment abgesunken. Es handelt sich nur noch um Ruinen der Bilder der Vergangenheit. Prozessive Architektur, die ihren eigenen Gesetzen folgt, kann weder vom Architekt noch vom Developer beeinflusst werden. Der Rückzug auf das Medium Papier, Print oder Plot ist tatsächlich kein Rückzug, sondern heute der eigentliche Ort des Widerstandes, wo die Architektur sich als Realität gegen das Imaginäre behaupten kann.

STANDARD: Was ist aber mit den Computerprogrammen, werden die dann zu den eigentlichen Kreateuren?

Weibel: Die Skepsis kommt zum falschen Moment. Diese Programme haben es der Architektur erstmals ermöglicht, mit den zeitgenössischen Diskurspraktiken gleichzuziehen. Die erste Sequenzierungsrevolution war die Sprache: Die Griechen entdeckten, dass man diesen kontinuierlichen Strom von Lauten in 26 Buchstaben teilen kann. Aus denen kann ich unendlich viele Romane und Theaterstücke bauen. Diesen Zustand, den die Sprache bzw. die Linguistik schon vor Jahrtausenden hatte, erreicht nun auch die Architektur. Sie beteiligt sich an dieser Sequenzierungsrevolution, sie entwickelt ein Raumprogramm.

STANDARD: Das heißt, die Architektur steht eigentlich erst am Beginn ihrer Evolution?

Weibel: Genau. Sie überlebt das postgenomische Zeitalter.

Plottegg: Die Grundregeln, die Architektur bisher bestimmt haben, purzeln weg: Das Bild ist weg. Der Raum ist weg. Der Autor ist weg, und die Funktion kommt auch zunehmend abhanden. Wenn heute Großprojekte ausgeschrieben werden, sind immer gleichzeitig auch Nachnutzungen gefragt. Es findet auch in den Funktionsfolgen eine Prozesshaftigkeit statt.

Weibel: Durch den Übergang von der Repräsentation zur Prozessierung kann sich die Architektur unserer Gesellschaft im Zeitalter der Informationstechnologie anpassen. Im herkömmlichen Sinn Gebautes ist nur noch Wasteland, und Widerstand gegen die Developer kann nur entstehen, indem die Architektur strukturell wird und das spiegelt, was Informationstechnologie ist, nämlich Prozessierung geschluckt.

STANDARD: Wo wird die Computerarchitektur zuerst zur Anwendung kommen?

Plottegg: In Geschäftshäusern, Großunternehmen, Rathäusern, Spitälern, also überall dort, wo große Datenmassen verwaltet werden.


[Bis 7. 1. 2000. ]

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