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Gemeinschaftsprojekt statt Vision
Neue Zürcher Zeitung

Vielversprechende Pläne für das South Bank Centre

Das Londoner South Bank Centre stellt mit gegenwärtig vier Hausorchestern eines der grössten Kulturzentren der Welt dar. Architektonisch handelt es sich um ein wenig attraktives, schlecht zugängliches Konglomerat von Betonbauten. Nun bestehen Pläne, den Komplex durch Neubauten und die Renovation der Festival Hall zu sanieren.

9. Januar 2001 - Hans-Theodor Wohlfahrt
Londons bedeutendster Konzertsaal, die Royal Festival Hall, verdankt seine Existenz dem Festival of Britain, das 1951 an der Southbank, der Südfront der Themse gegenüber dem Stadtteil Westminster, stattfand. Später wurde dieser Komplex erweitert mit der Queen Elizabeth Hall, dem Purcell Room, der Hayward Gallery und dem National Film Theatre mit dem Museum of the Moving Image. Das South Bank Centre (SBC), das zugleich die Kunstsammlung und die Lyrikbibliothek des Arts Council of England (ACE) verwaltet, stellt mit gegenwärtig vier Hausorchestern - dem London Philharmonic, dem Philharmonia Orchestra, dem Orchestra of the Age of Enlightenment und der London Sinfonietta - eines der weltweit grössten Kulturzentren dar. Allerdings war damit unweit der Waterloo Bridge eine inhomogene, schwer zugängliche und wenig einladende Betonlandschaft entstanden. In den letzten zwei Jahrzehnten scheiterten mehrere vielversprechende Pläne, das SBC architektonisch zu einer ansprechenden Einheit zu verschmelzen, an mangelnden Finanzen und an ästhetischen Erwägungen.


Neue Voraussetzungen

Inzwischen aber haben zwei Entwicklungen den Stein ins Rollen zu gebracht. Zum einen erlebte das Südufer der Themse von der Westminster Bridge im Westen mit dem Riesenrad London Eye bis zur Southwark Bridge im Osten mit der Tate Modern und der Rekonstruktion von Shakespeares Globe Theatre eine erhebliche touristische Aufwertung. Lediglich das von der Hungerford-Eisenbahnbrücke unterbrochene Terrain zwischen Riesenrad und Waterloo Bridge mit den Jubilee Gardens, einem Parkplatz und dem SBC bleibt ein Dorn im Auge. Dieses rund 12 Hektar grosse Grundstück gehört dem Arts Council und ist an das SBC verpachtet. Zum anderen sorgte 1999 ein Führungswechsel beim SBC für frischen Wind und neue Alternativen. Zum Aufsichtsratsvorsitzenden wurde mit Elliott Bernerd eine in Planungsfragen erfahrene Persönlichkeit berufen, während Karsten Witt die Generalintendanz übernahm.

Der Gründer der Jungen Deutschen Philharmonie, der Deutschen Kammerphilharmonie und des Ensemble Modern hatte von 1991 bis 1996 die inzwischen nach seinen Plänen erfolgreich abgeschlossene Renovierung des Wiener Konzerthauses eingeleitet und bis zu seinem Wechsel nach London die Deutsche Grammophon neu strukturiert. Witt gesteht ein, dass die Vision eines grossen Wurfs gescheitert sei. Daraus habe sich die Konsequenz ergeben, die Bedürfnisse des SBC und die Wünsche all der Institutionen, die ein Mitspracherecht haben, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Eine 25-köpfige Projektgruppe aus Vertretern von Regierung, Arts Council, SBC, Baubehörden, Denkmalschutz, der Londoner Stadtgemeinde Lambeth und den umliegenden Nachbarn beauftragte einstimmig den Architekten Rick Mather mit dem Entwurf eines Gesamtplans. Dieser Entwurf wurde durch eine unabhängige Firma einer öffentlichen Konsultation unterzogen, welche acht Bereiche dokumentierte, darunter visuelle Aspekte, Zugänglichkeit, Vermeidung von Schwellenangst oder die Balance zwischen Aktivitäten und Erholung unter Berücksichtigung der idealen Lage am Themseufer.


Drei Phasen

Daraus entstand ein vorläufiger Masterplan, der erneut einer umfangreichen öffentlichen Prüfung unterzogen wurde. Inzwischen liegt der von allen Seiten akzeptierte, allerdings ausschliesslich strukturell orientierte Gesamtplan vor. Er sieht drei Phasen vor: die Renovierung der Royal Festival Hall unter besonderer Berücksichtigung der Akustik, was zur Schliessung des Konzertsaals für eine Spielzeit führen wird; die Sanierung des Gebiets zwischen dem Riesenrad und der Hungerford-Eisenbahnbrücke sowie zwischen Themseufer und der parallel dazu verlaufenden Belvedere Road, die das Grundstück nach Süden abschliesst; die Erweiterung der Hayward Gallery sowie das Projekt, die gegenwärtige Queen Elizabeth Hall mit dem Purcell Room durch zwei neue, zweckmässigere Konzertsäle zu ersetzen. Karsten Witt hat sich entschlossen, zuerst die zweite Phase in Angriff zu nehmen, um die Kontinuität des Musiklebens während der Renovation der Royal Festival Hall gewährleisten zu können. Die Grundidee für dieses Grundstück besteht darin, die Jubilee Gardens und den Parkplatz in einen Park zu verwandeln, der von der Themse aus ansteigt und an der Front zur Belvedere Road die Höhe von drei Stockwerken erreicht.

Damit könnten auf dem Parkareal nicht nur drei Stockwerke über Grund, sondern auch drei Stockwerke unter Grund gewonnen werden. Hier sollen ein neuer Konzertsaal mit einer Höchstkapazität von 1500 Plätzen, ein neuer Purcell Room, ein neues British Film Centre mit fünf Kinos, ein erweitertes Museum of the Moving Image und Räume für die bisher andernorts beheimatete Filmbibliothek entstehen. - Andere Kulturorganisationen, darunter die National Film and Television School, das Theatre Museum und die Architecture Foundation, haben bereits ihr Interesse bekundet, sich ebenfalls hier anzusiedeln. Laut Karsten Witt ist ein internationaler Architekturwettbewerb bereits ausgeschrieben. Bis Ende Februar könnte ein Architekt berufen sein, so dass man im Herbst das Baugesuch einreichen könnte. Das Bewilligungsverfahren dürfte ein halbes Jahr oder länger dauern. Dafür ist man laut Witt erstmals in der idealen Situation, dass von der Bevölkerung bis zur Regierung jedermann eine städtebaulich attraktive Konsolidierung wünscht und der Masterplan einhellige Zustimmung gefunden hat. Im besten Fall könnten die zweite Phase der Gesamtsanierung bis 2005 und die übrigen Phasen bis 2008 fertiggestellt sein. Was die Finanzierung betrifft, sicherte der Arts Council für die zweite Phase rund 63 Millionen Franken zu; der Heritage Lottery Fund versprach 30 Millionen für die Renovierung der Royal Festival Hall. Eine Reihe von kommerziellen Projekten sind Bestandteil des Masterplans und werden zusätzliche Gelder einbringen; ausserdem hofft man auf die Gunst privater Sponsoren.

Noch müssen viele Hürden überwunden werden. Schliesslich handelt es sich bei der Royal Festival Hall um das erste unter Denkmalschutz (Grad 1) gestellte Gebäude aus der Nachkriegszeit, was offiziell besagt, dass selbst im Innern nichts verändert werden darf. Doch Karsten Witt hat nach allen bisher geführten Gesprächen keine Zweifel, dass die mit der Verbesserung der Akustik verbundenen internen Veränderungen akzeptiert werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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