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Kontinuität der britischen Moderne
Neue Zürcher Zeitung

Zum Tod des Architekten Denys Lasdun

13. Januar 2001 - Hubertus Adam
«Kombinationen des Vertikalen und des Horizontalen» seien seine Gebäude, definierte Denys Lasdun einmal. Das klingt simpel, trifft aber den Kern seines Verständnisses vom Bauen auf eigentümliche Weise. Denn der 1914 in London geborene und ebendort an der Architectural Association ausgebildete Architekt operierte mit Fensterbändern, Pfeilern und Terrassen, so dass seine Bauten als abstrakte dreidimensionale Kompositionen, zum Teil gar als Raumplastiken wirken.

Wie viele britische Architekten seiner Generation empfing er prägende Einflüsse von den ausländischen Architekten, die zu Beginn der dreissiger Jahre das eher traditionell bestimmte Vereinigte Königreich mit der Formensprache des Internationalen Stils vertraut machten und somit ästhetisch revolutionierten. Unter den Einwanderern waren nicht nur die prominenten deutschen Emigranten Walter Gropius, Erich Mendelsohn und Marcel Breuer, sondern auch der Kanadier Wells Coates sowie der zuvor in Paris tätige Berthold Lubetkin, der mit dem Penguin Pool im Regent's Park Zoo ein Meisterwerk des am russischen Konstruktivismus geschulten Neuen Bauens schuf. Nach zwei Jahren im Büro von Coates wechselte Lasdun 1938 in das von Lubetkin begründete Team «Tecton»; im gleichen Jahr errichtete er, erst 24 Jahre alt, ein Wohnhaus im Londoner Stadtviertel Bayswater, das unschwer das Vorbild von Le Corbusiers Pariser «Maison Cook» erkennen lässt, deren Eleganz und räumliche Komplexität allerdings nicht erreicht. Die gemeinsam mit Lindsay Drake entworfenen Wohnriegel des nahe gelegenen Hallfield Housing Estate (1951-1959), eines der grossen Wiederaufbauensembles in der Hauptstadt, folgen noch dem rationalistischen Fassadenaufbau von Tecton, während die um freistehende Erschliessungstürme gruppierten turmartigen Wohnensembles in Bethnal Green (1952, 1960) als Nukleus einer vertikalen Stadt eher den soziologisch orientierten Cluster-Konzepten von Robert Smithson verwandt scheinen.

Dass die Organisation von Gebäuden auch dem Kommunikationsbedürfnis gerecht werden müsse, wurde ein Gedanke, den Lasdun zeitlebens verfolgte und der sich durch sein gesamtes Œuvre zieht - von den Spielbereichen der Schule im Hallfield Estate bis hin zum Royal National Theatre. Daher nimmt es auch nicht wunder, dass sich die Tätigkeit des Architekten auf Wohn-, Universitäts- und Gemeinschaftsbauten konzentrierte; ein Geschäftshaus am Strand in der City of London (1958) steht in seinem Werk singulär da. Die reifsten - und eigenständigsten - Leistungen Lasduns stellen die in den sechziger Jahren geplanten Werke dar, vor allem aus Betonstrukturen gefügte künstliche Landschaften, die für verschiedene Universitäten entstanden. Die Terrassenbauten für den New Court des Christ's College in Cambridge und die als Wohnhügel ausgebildeten Gebäude der University of East Anglia (fertiggestellt 1970) lassen sich als revolutionäre Megastrukturen verstehen; Lasdun sprach von «architectural hills and valleys in an evocation of the permanent human environment and identification with nature and the primal dwelling».

Etwas später folgte das Londoner Institute of Education and Law, ein durch auskragende Treppen und akzentuierende Türme ins Expressive gewendetes Curtain-Wall-Gebäude. 1977, nahezu zeitgleich, wurde das National Theatre eingeweiht, mit dem das South Bank Centre seinen Abschluss erhielt. Lasduns Vorstellung einer abstrakten Komposition aus vertikalen und horizontalen Baugliedern, die sich gleichwohl nicht im Ästhetizismus erschöpft, fand hier zu ihrem Höhepunkt.

Architekten wie Denys Lasdun wurden in Zeiten der britischen Postmoderne zu Zielscheiben von Angriffen; Prinz Charles beispielsweise gefiel sich darin, gegen das South Bank Centre zu polemisieren. In der jüngsten Zeit zeigt sich ein entspannteres Verhältnis zur britischen Moderne der zweiten Generation; die grosse Lasdun-Retrospektive in der Royal Academy 1997 mochte dafür ein Beleg sein. Und selbst wenn es die Denkmalpflege mancherorts noch nicht zu verstehen vermag: Im Zuge der gegenwärtigen Retro-Bewegung erlangen auch die Megastrukturen der sechziger Jahre neue Aufmerksamkeit. Denys Lasdun mag dieses neue Interesse noch verspürt haben. Wie gestern bekannt wurde, ist er, der wie kaum ein zweiter Architekt die gesamte Tradition der britischen Moderne verkörperte, im Alter von 86 Jahren in London gestorben.

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