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Muß ja nicht gleich Schinkel sein
Muß ja nicht gleich Schinkel sein, Plan: Marosevic
Spectrum

Eine Gemeinde will ein neues Feuerwehrgebäude mit Gendarmerieposten errichten, das äußerlich ins vorvorige Jahrhundert paßte. Hätte sie dann nicht auch einen „qualificirten“ Herrn Architekten aus dieser Zeit engagieren sollen? Ein Lehrstück aus Hinterbrühl bei Wien.

20. Januar 2001 - Walter Zschokke
Die vorausschauende Gemeindeführung von Hinterbrühl sieht sich veranlaßt, anstehende Raumprobleme von Straßendienst, Feuerwehr und Gendarmerie mit einem Gesamtkonzept zu lösen, bei dem auch Räumlichkeiten für Kultur - in dem für den Gemeindestraßendienst umgebauten derzeitigen Feuerwehrhaus - entstehen sollen.
Der „Gemeindebote“ informiert über das Vorhaben. Die harmonische Einbindung ins Ortsbild wird mit einer Darstellung von Architekt Marosevic illustriert.

Das ist vernünftig und vorbildlich; aber halten zu Gnaden: Wie schaut das aus?! Jedenfalls nicht wie die Feuerwehrhäuser in Dornbirn, Oberwart oder Kleinwarasdorf der Architekten Ritsch, Gangoly oder Szedenik, sondern wie ein Konglomerat aus Neubarock, ärarischem Zweckbau und einem Schuß Jugendstil, erkennbar am Mittelrisalit der Feuerwehrfahrzeug-Einstellhalle sowie an den in Quadrate geteilten Fenstern und Portalen.

Nicht zu vergessen der Turm, an dem Einflüsse des Expressionismus der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts vermutet werden dürfen, allerdings erinnern die hohen, quer versproßten Fenster an vertikale Stiegenhausverglasungen neusachlicher Bauten der dreißiger Jahre. Bleibt noch das Stichbogenfenster im ersten Stock des Mittelrisalits des Gendarmerietrakts: Hier werden die Enddreißiger und frühen vierziger Jahre zitiert. Die Dachgaupen verweisen auf die späten achtziger Jahre.

Ist es nun ein Lehrstück, eine gebaute Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts? Wohl kaum, denn was da zusammengeklaubt und zu einem Fassadenbild gestückelt wurde, sind dritte und vierte Ableitungen architekturgeschichtlich bekannter Werke. Wenn die Gestaltung quasi naiv erfolgt wäre, also unbewußt von Bauten abgeschaut wurde, die von anderen Bauten abgeschaut waren, die wiederum . . . - ja, wenn. Doch ist der Planer studierter Architekt. Die billige Ausrede akademischer Unschuld gilt nicht. Befragen wir daher drei Experten, die solchen Bauten nicht von vornherein ablehnend gegenüberstehen.

Als erster hätte der Prince of Wales das Wort. Er ist zwar kein Fachmann, aber ein Liebhaber historisierender Gestaltung. Er wäre mild, würde vielleicht am Turm als zu neuzeitlich herumkritteln, hätte sich noch einen Dachreiter gewünscht und auf fehlende Pferdestallungen hingewiesen.

Als zweiter soll der Luxemburger Léon Krier zum Zug kommen. Er hat in den achtziger Jahren mit dem antikisierenden Projekt „Atlantis“ von sich reden gemacht, war auch Architekturberater von Prinz Charles, doch ist er als studierter Architekt ein Fachmann. Das Stilgemisch würde ihm nicht wirklich passen, er hätte es gern klassischer, mit wirklichen Säulen anstelle von Pilastern. Warum sich der Chance begeben, das Gendarmeriegebäude aussehen zu lassen wie Wachhäuser des frühen 19. Jahrhunderts, etwa jenes in Graz; es muß ja nicht gleich die Neue Wache von Karl Friedrich Schinkel sein.

Den Schlauchtrocknungsturm hätte sich Krier höher gewünscht und im Stil eines römischen Wachtturms, der Limes lag ja nicht fern. Die Fahrzeugeinstellhalle dazwischen sähe er dann als Thermenhalle, mit Halbrundfenstern in der Giebelzeile. Nach kurzem Sinnieren würde er dem Bürgermeister vorschlagen, das Projekt der Einfachheit halber als Ganzes zu übernehmen, damit etwas Rechtes daraus werde. Wir warnen jedoch, es käme die Gemeinde teuer zu stehen.

Léon Krier wird gedankt und der dritte Experte um seine Meinung gebeten. Er spricht aus dem Jenseits, denn Karl König, Jahrgänger und Gegenspieler Otto Wagners, verstarb 1915. Der Wiener Exponent des Neobarock wäre streng. Er liebte das Monumentale und eine plastische Fassadendurchbildung. Au- ßerdem mochte er keine platte „Heimatkunst“, und er war ein fordernder Lehrer.

Als erstes hätte er die Massengliederung kritisiert, die schleifende Verbindung zwischen Gendarmerie- und Feuerwehrgebäude, dann die beiden sich konkurrenzierenden Mittelrisalite. Den bei der Feuerwehr hätte er durchgestrichen, dafür die Zeichenhaftigkeit des Turmes mehr betont. In der Architektursprache des Historismus deute ein Mittelrisalit auf einen Eingang hin und liefere Besuchern eine erste rasche Orientierung. Hier handle es sich aber nur um das mittlere von fünf gleichen Toren, was einer Irreführung gleichkomme.

Gar keine Freude hätte er am Fassadenaufbau des Gendarmeriegebäudes: Die bamstigen Knoten in halber Pilasterhöhe zerstörten die monumentale Wirkung. Entweder sollten die Pilaster durchgehen oder durch Säulen oder zumindest Halbsäulen vor dem Obergeschoß ersetzt werden.

Vollends ungehalten wäre er über die beiden großen Öffnungen im Erdgeschoß Mitte und rechts. Sie zerstörten die klare Hierarchie. Entweder sei der Mittelrisalit wichtig oder nicht, ein derartiger Symmetriebruch sei ein Greuel! Er schlage dem Bürgermeister einen kleinen Wettbewerb vor, selbstverständlich übernehme er den Vorsitz im Preisgericht, und er wisse auch, wen einladen.

Ja, die Experten für historisierende Architektur lassen kaum gute Fäden am Hinterbrühler Projekt. Dabei handelt es sich doch um eine Projektion von Sehnsüchten. Innen soll es neuesten Ansprüchen genügen, außen eine historisierende Hülle aufweisen - ein Bild, das Träumereien beschwören möchte, daß sich seit 1912 nichts verändert habe: kein Attentat auf den Thronfolger, kein Erster Weltkrieg, nicht die Nationalsozialisten und schon gar nicht ein Zweiter Weltkrieg; Autos vielleicht, aber nur der Pferdeäpfel wegen. Das Dilemma ist aufgespannt.

Leicht deutbare Bilder wünschen sich die Menschen; sie wollen sich etwas zu den Bauwerken denken können, das Neue in Beziehung zum Bestehenden sehen und im Neuen auch Vertrautes finden. Das Bemühen um Historizität ist daher alt. Paul Schultze-Naumburg hat das nach 1900 mit seinen Saalecker Werkstätten von Thüringen aus sehr sorgfältig und mit garantierten Preisen gemacht.

Einer, der heute diese Aspekte eingehendst analysiert und theoretisiert hat, ist der tschechisch-schweizerische Architekt Miroslav Sik. Sein Konzept einer „analogen Architektur“ bindet erinnerte Bilder in seine Gestaltungen ein und vermag damit Vertrautheit zu wecken, ohne in platt-historisierendes Nachstammeln abzugleiten.

Es gäbe sie also, die achtbaren konservativen Architekturleistungen. Sie erfordern aber ebensoviel Engagement und Können wie jene für moderne Architektur - und sind letztendlich so zeitgenössisch wie diese.

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