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Architekturmeisterschaften am Arlberg
Der Standard

Ein Mega-Sportereignis sorgt für massive Veränderungen in einem Wintersportort. Ist es Zufall, Glück oder doch Kalkül, dass dies in St. Anton zu einem beachtlichen Anteil auch anspruchsvolle, zeitgemäße Architekturen mit sich brachte?

20. Januar 2001 - Franziska Leeb
Sportliche Großereignisse ziehen meist auch Großbauten nach sich. Manchmal gehen diese in die Geschichte der Baukunst ein - wie zum Beispiel Frei Ottos Leichathletikstadion für die Olympischen Spiele 1972 in München. Fast immer sind sie ein prägender Eingriff in das Bild und das Gefüge einer Stadt - wie zum Beispiel die Olympiabauten in Innsbruck.

Wie sehr ein derartiges Event einen Ort mit 2500 Einwohnern verändert, lässt sich nun an Sankt Anton nachvollziehen. Binnen weniger Monate wurde das Dorf anlässlich der alpinen Skiweltmeisterschaften 2001 richtiggehend umgedreht. Eine Schlüsselposition im städtebaulichen Gefüge des Arlbergdorfes nahm seit je her die Eisenbahn ein. Die 1884 von Kaiser Franz Josef in Betrieb genommene Arlbergstrecke führte direkt durch die Mitte des Ortes, angeblich, weil der an Einfluss reiche Wirt der Alten Post dies der Bequemlichkeit seiner Gäste zuliebe so durchsetzte. Im zu den Nobelskiorten der Alpen zählenden St. Anton macht sogar der Orient-Express auf seiner Reise zwischen Venedig und Paris halt. Was in den Anfängen des Skitourismus als Segen galt, wurde mit zunehmendem Verkehr zur Plage. Wenige Meter vor den Hotelfenstern rasten Güterzüge durch das Zentrum des Erholungsortes - ein Faktum, das durch die Lage im Herzen des Ortes nicht länger aufgewogen werden konnte.

Ein 1998 ausgeschriebener internationaler Architektenwettbewerb suchte nach der besten Lösung für einen neuen Bahnhof am südlichen Ortsrand, der durch die Trassenverlegung das Ende der Zweiteilung des Dorfes bedeuten sollte. Das Architektenteam Manzl-Ritsch-Sandner reussierte mit einem langgestreckten schmalen Bau, der sich entlang des Gleiskörpers und zwischen dem Flusslauf der Rosanna und dem dahinter ansteigenden Hang anmutig in das Gelände einfügt und in den die Lärmschutzwand integriert ist. Ursprüngli ch in vorauseilendem Alpingehorsam noch mit einer Holzfassade gedacht, wurde nun eine technoidere, klare Lösung mit Edelstahlgewebe realisiert. Die Station St. Anton erhebt das Dorf schon bei der Ankunft wieder in die Kategorie eines modernen, in die Zukunft blickenden Fremdenverkehrsortes. Ihre Architektur entspricht dem Image eines international agierenden Verkehrsbetriebes und wird einer guten Adresse gerecht.

Gerhard Manzl, Johann Ritsch und Manfred Sandner fallen noch ein zweites Mal positiv auf. Im bereits mit der Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen 2000 gewürdigten Zielstadion werden sämtliche Läufe der Ski-WM enden. Wie eine Prallwand steht es am Fuß des Hanges, eine leicht geknickte Holzskulptur auf einem Sockel aus Beton und Glas, die Jury, Zeitnehmung, den Arzt und diverse Büroräume beherbergt. Für die Zeit des Skispektakels ergänzen stählerne Zuschauertribünen den kristallinen Bau .

Etwas weiter Richtung Dorfzentrum liegt die WM-Halle der Architekten Helmut Dietrich und Much Untertrifaller. Konzipiert für den multifunktionalen Einsatz für sportliche und kulturelle Aktivitäten, dient sie zur Ski-WM als Pressezentrum. An der dem Ort zugewandten Seite öffnet sich der trotz seines großen Volumens nicht zu dominierende Betonbaukörper mit einem verglasten und von fragil wirkenden Eichenholzlamellen abgeschirmten Foyer. In einer weiteren Bauetappe wird der an der ehemaligen Bahntrasse zentral gelegene Komplex mit einem sogenannten Wellnessbad ergänzt. Als Kongress- und Wellnesszentrum mit dem etwas bemüht klingenden zeitgeistigen Taufnamen „ARLBERG well.com“ ist es auf längere Sicht ein wesentlicher Beitrag zur Infrastruktur der Gemeinde.

Opfer und - rein architektonisch gesehen - gleichzeitig Profiteure der Ski-WM sowie der Bahnhofsverlegung sind die Hoteliers Robert und Gitti Falch. Sie wohnten in ihrem auf dem Hang hinter dem neuen Bahnhofsareal in idyllischer Hangsituation gelegenen Gasthof, der insofern von historischem Interesse ist, als hier 1953 die erste Sauna Westösterreichs eingerichtet wurde. Bedingt durch die Umstrukturierungen mussten sie als einzige Familie im Dorf Ihr Anwesen verlassen und sowohl ihre Wohnsituation als auch ihr Unternehmertum völlig neu regeln. Wolfgang Pöschl plante für die Falchs zuerst das private Wohnhaus zu deren großer Zufriedenheit und wurde daraufhin gleich für ihr neues Apartmenthotel „Anton“ im Dorfzentrum engagiert. Einzig die geschindelten Fassadenteile erinnern auf den ersten Blick an eine traditionelle Alpenherberge. Ansonsten äußert sich das klug organisierte Haus durch und durch modern und zeitgemäß.

Gemessen an der extrem knappen Planungs-und Bauzeit - für das Einfamilienhaus dauerte es von der Grundstücksfindung im Frühling 1999 nur bis Dezember des gleichen Jahres bis zum Einzug, das Hotel wurde ein Jahr später in Betrieb genommen - zählen viele Details doppelt. Erstaunlich ist die Vielfalt der durch Raumzusammenlegungen und Schiebewände möglichen Apartmentkonfigurationen sowie die ausgeklügelte platzsparende Möblierung und Extras wie Liegeflächen in den Fenstern.

Vor dem alten Bahnhof blieb ein großer leerer Platz, der für verschiedene WM-Einrichtungen temporär gute Dienste leistet. Über kurz oder lang müssen jedoch sorgfältige Überlegungen angestellt werden, wie man mit dieser attraktive Freifläche umgeht. Die Verantwortlichen haben in St. Anton - vielleicht bedingt durch die gebotene Eile - konsequent und richtig gehandelt. Überfahren wurden die Gemeindebürger dennoch nicht. Die Kommunikation zwischen Gemeinde, ÖBB und Bürgerinitiative blieb stets auf einem konstruktiven Niveau und führte bis jetzt zu einer für alle Beteiligten akzeptablen Lösung.

Der Arlberg wurde mittlerweile zu einem lohnenden Reiseziel für Architekturfreaks. Neben den neuen Bauten im tirolerischen St. Anton hat sich mit der Zeit auch im Vorarlberger Teil der näheren Umgebung eine Anzahl interessanter Bauten angesammelt: am Arlberg eine jüngst fertiggestellte Sporthalle von Peter Lorenz in St. Christoph, Hotels und Apartmenthäuser von Armin Kathan (Holzbox Tirol) in Zug bei Lech und Oberlech, ein Einfamilienhaus von Hermann Kaufmann in Lech und ein Stück weiter am Hochtannberg die bereits zehn Jahre alte Schule von Roland Gnaiger in Warth und ebendort ein Apartmenthaus von Christian Lenz, ein Hotelzubau und Apartments von Erich Strolz (Holzbox Tirol) sowie ein Hotelzubau in Schröcken-Neßlegg von Hermann Kaufmann.

Weder das Ortsbild noch die von vielen beschworene alpine Idylle oder der exklusive Ruf der Gegend sind durch die manchmal noch mit Argwohn betrachteten neuen Bauten und Maßnahmen gefährdet. Im Gegenteil, sie sind wesentliche Träger einer Neupositionierung, die eines kultivierten und kosmopolitischen Publikums würdig ist. Das Jodl-Dodl-Image wird an den gleichen Orten und anderswo noch zur Genüge gepflegt. Ein Fremdenverkehrsort, der sich jedoch stolz mit dem Etikett eines gehobeneren Anspruches ziert, wird über kurz oder lang denselben auch konsequent über seine Bautätigkeit transportieren müssen. Es wird Zeit, dass spannende neue Bauten nicht mehr aus purem Glück oder Zufall passieren, sondern bewusst gefördert werden.

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