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Zurückhaltende Demontage
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt George Bähr - eine Ausstellung in Dresden

26. Januar 2001 - Hubertus Adam
Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Dresdner Frauenkirche, die gegenwärtig rekonstruiert wird, war das Hauptwerk des Barockarchitekten George Bähr. Eine Ausstellung im Schlossmuseum der sächsischen Landeshauptstadt widmet sich nun seinem Werk.

Zweifellos zählt die Dresdner Frauenkirche zu den erstaunlichsten Leistungen der protestantischen Kirchenbaukunst des Barocks. Doch längst ist nicht mehr allein der Name des Architekten George Bähr mit diesem Bau verbunden. Jüngere Archivstudien, die die 1990/91 beschlossene Rekonstruktion des stadtbildprägenden Sakralbaus begleiten, lassen die Planungsgeschichte eher als ein Gemeinschaftswerk erscheinen. So beauftragte August Christoph von Wackerbarth, als Gouverneur von Dresden zugleich Leiter des Zivil- und Militärbauwesens, den Landbaumeister Johann Christoph Knöffel 1725 mit einem Gegenentwurf zu den von Bähr vorgelegten Plänen. Knöffels Ideen flossen dann in den Ausführungsentwurf ein, bei dessen Realisierung sich Bähr der Mithilfe des Ratsmaurermeisters Johann Gottfried Fehre und des Steinmetzmeisters Daniel Ebhardt versichern konnte. Wesentlichen Anteil am Gesamtkonzept hatte überdies der vornehmlich für den plastischen Schmuck zuständige Bildhauer Johann Christian Feige: Wie die Quellen nahelegen, war er massgeblich an der Gestaltung des Innenraums beteiligt, weil Bähr dieses Problem nicht adäquat zu lösen vermochte.

Der produktive Aspekt der von den Staatlichen Kunstsammlungen gemeinsam mit dem Landesamt für Denkmalpflege organisierten und nun im Schlossmuseum Dresden präsentierten Ausstellung «George Bähr - Die Frauenkirche und das bürgerliche Bauen in Dresden» besteht darin, die Rolle des seit dem 19. Jahrhundert zum baumeisterlichen Genius emporgestemmten und somit nobilitierten Ratszimmermeisters Bähr zu relativieren. Man muss nicht einmal im Sinne Roland Barthes' vom «Tod des Autors» sprechen, um zu erkennen, dass sich das Forschungsinteresse der Kunst- und Architekturgeschichte in der letzten Zeit von den Personen auf die Strukturen verlagert hat. Eine einseitige, noch dem romantischen Genialitätskult verhaftete Fokussierung auf das schöpferische Subjekt musste derartige Aspekte ausblenden. Inzwischen hat die Analyse von Werkstattstrukturen und historischen Produktionsprozessen nicht nur das Œuvre Rembrandts schrumpfen lassen; sie fordert auch in der Architekturgeschichte berechtigt ihren Tribut.


Die Entstehung eines Platzes

Auch wenn der aufmerksame Katalogleser sich allenthalben mit der Frage konfrontiert sieht, welche Rolle George Bähr beim Kirchenbau und darüber hinaus zuzuweisen ist, zeigt sich die Präsentation der Ausstellung konventionell und wenig inspirierend. Weder wird die spannende Frage einer «multiplen Autorschaft» explizit zum Thema gemacht, noch wagen sich die Veranstalter an ein Epochenpanorama der sächsischen Residenz, welches der Untertitel der Schau verspricht. Die eher zufällig arrangierten Gegenstände täglichen Gebrauchs vermögen dieses Defizit ebenso wenig wettzumachen wie die Dokumentation einiger den Neumarkt prägender Bauten von Bähr, Pöppelmann und anderen. Nach der Niederlegung der mittelalterlichen Stadtmauer angelegt, wurde der Neumarkt zum Brennpunkt einer von bürgerlichen Schichten forcierten barocken Stadterweiterung. Bährs Anteil an dem im Verlauf des 18. Jahrhunderts entstandenen, um drei miteinander verbundene Platzbereiche gruppierten Ensemble, das als eines der bemerkenswertesten Raumkunstwerke seiner Zeit gilt, ist vergleichsweise unbedeutend. Von der Frauenkirche abgesehen, ist die Barockbaukunst in Dresden mit anderen Namen verbunden. Nicht nur mit den höfischen Baumeistern, wie dem Zwinger-Architekten Matthäus Daniel Pöppelmann, sondern auch mit weniger bekannten Personen wie George Haase, Johann Fehre sowie dessen Sohn Johann Gottfried Fehre. Dem älteren Fehre wird denn inzwischen auch massgeblich die bisher als Erstlingswerk Bährs gehandelte (und vor einigen Jahren ebenfalls wiederaufgebaute) Saalkirche im Elbvorort Loschwitz zugeschrieben.

1705 vom Gesellen zum Ratszimmermeister befördert, war der 1666 im erzgebirgischen Fürstenwalde geborene und seit 1689 in Dresden ansässige Bähr gemeinhin in Dresden dafür verantwortlich, die Einhaltung der Bauvorschriften zu begutachten. Details wie Dächer oder Türen wurden von ihm entworfen, doch lässt sich sein Anteil an vielen Projekten nur schwer fassen. Einfacher ist das ausserhalb der Stadt, wo Bähr eigenständiger aufzutreten vermochte. Zu seinen Werken zählt das Schloss Seusslitz nördlich von Meissen, vor allem aber eine Reihe von Sakralbauten. Besonders deutlich zeigt sich das Konzept der Zentralisierung des evangelisch-lutherischen Gottesdienstraums in der Dreifaltigkeitskirche von Schmiedeberg. Den Grundriss bildet ein griechisches Kreuz, das sich dem Quadrat annähert; liturgisches Zentrum bildet der Kanzel-Orgel-Altar mit vorgelagertem Taufbecken.


Vom Kreis zum Quadrat

Die Zentralraumkonzeption wurde mit der zwischen 1722 und 1743 errichteten Frauenkirche und ihren gestaffelten Emporen in die Vertikale gesteigert. Durch die in der Diagonale angeordneten Treppenhäuser entwickelte sich das Kreuz des Grundrisses hier definitiv zum Quadrat, während im Inneren der Kreis bestimmend blieb. Erst 1733 - drei Jahre vor Bährs Tod, zehn Jahre vor Fertigstellung des Baus - entschied man, die Kuppel nach dem Entwurf von Bähr vollständig in Stein auszuführen. Und es ist wohl gerade der monolithische Charakter, der das Faszinosum der Frauenkirche darstellt. Unabhängig von der Schale der Aussenmauern, wurde die Last auf einen Kranz von acht Pfeilern abgetragen. Mit einer etwas lieblos arrangierten Tour de force des europäischen Kuppelbaus - Sankt Peter in Rom, Santa Maria della Salute in Venedig, St. Paul's in London und Invalidendom in Paris - versucht die Schau schon zu Beginn, Bährs ingeniöse Leistung herauszustreichen.

Der einst von Canaletto in die Silhouette der Elbresidenz eingebrannte, zweifellos weniger elegante als markante Bau der Frauenkirche erlebt derzeit seine Wiederauferstehung: Bis zum Kuppelansatz stehen die Mauern. Und selbst wenn man den rauchgeschwärzten Trümmerhaufen, den die Bombardements vom Februar 1945 hinterliessen, als wichtiges historisches Zeugnis erachtete, so vermag doch das durch internationale Spenden finanzierte Wiederaufbauprojekt zu faszinieren. Dass wenige hundert Meter entfernt ein neues jüdisches Gemeindezentrum entsteht, ist ein Zeichen der Hoffnung. Anders als auf dem Neumarkt entschied man sich dort nicht für die Rekonstruktion der epochemachenden Synagoge Gottfried Sempers, sondern setzt mit dem Projekt von Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch bewusst auf zeitgenössische Architektur.


[Bis 4. März. Katalog: George Bähr - Die Frauenkirche und das bürgerliche Bauen in Dresden. Hrsg. Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Landesamt für Denkmalpflege Sachsen. 150 S., DM 30.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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