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Patente Architektur
Der Standard

Gute Architekten sind Erfinder, meint Volker Giencke, und wenn sie sich ihre Ideen nicht ständig klauen lassen wollen, sollten sie gelegentlich zum Patentamt schreiten. Das Urheberrecht wird zum Thema in der Architektur.

17. Februar 2001 - Ute Woltron
Der gute Architekt ist traditionell ein Spürhund seiner Zeit. Er ist permanent auf der Fährte neuer Ideen, Materialien, Technologien, Raumlösungen, Zeitströmungen, Lifestyletrends, Gesellschaftsentwicklungen. Das alles erschnüffelt er, fängt es für sich ein und vermengt es in gedanklicher Mischmaschine zu den architektonischen Gebilden, in denen später Menschen arbeiten und wohnen werden.

Eine überwältigende gesellschaftliche Entwicklung wird dabei von den Bauleuten häufig übersehen oder zumindest nicht clever genutzt: die zunehmende Macht der Juristen in allen Lebensbereichen. Wenn zum Beispiel in Chicago ein Schneesturm den Morgenverkehr auf den Freeways lahmlegt, verbünden sich die Autofahrer noch am Nachmittag desselben Tages, dingen einen entsprechenden Paragraphenfuchser und verklagen die Stadtregierung auf Schadenersatz wegen arbeitsmäßigen Zuspätkommens, weil die Natur sich als stärker erwiesen hat als die Schneepflüge. Und weil man mit den unmöglichsten Kleinigkeiten Geld verdienen kann, wird jede Erfindung juristisch abgesichert und patentiert, und der Begriff Urheberrecht wurde zum Schlagwort in allen Lebensbereichen.

Ein guter Architekt ist stets auch Erfinder. Er denkt sich neue Details aus, oft gemeinsam mit innovativen Betrieben, und er konstruiert intelligente neue Räume und architektonische Systeme. Meistens bleibt er dabei allerdings Urheber ohne Rechte, und genau das, meint der Grazer Architekt und Innsbrucker Professor Volker Giencke, gehe ihm langsam auf die Nerven. „Das Urheberrecht kämpft gegen das Plagiat und greift den kreativen Diebstahl an“, sagt er, und auch die Architekten sollten sich diesen Schutz verstärkt zunutze machen. Giencke zählt neben dem Wiener Architekten Helmut Richter und noch ein paar wackeren Streitern im Dienste der konstruktiven Innovation zu den unternehmungslustigsten Bauleuten Österreichs.

Die Architektur beginne eigentlich mit dem erfinderischen Hochbau, meint er, und die griffigsten Ideen, die er bisher umgesetzt hat, will er sich nun unter Patentschutz stellen lassen. Schon Adolf Loos hat vor fast hundert Jahren sinngemäß gemeint, alles, was in der Architektur bereits da und gut sei, müsse nicht nochmals neu erfunden werden, doch wer die Worte des allseits verehrten Architektururahns heute ernst nehmen will, muss sich auf das Patentamt verfügen.

Giencke hat etwa für die Gewächshäuser des Grazer Botanischen Gartens Aluminium in geschweißter Konstruktion eingesetzt, was in größeren Dimensionen als ungemein schwierig gilt. Darüber liegt nicht, wie gewöhnlich, eine Glashaut, sondern wesentlich besser selbstreinigendes Plexiglas in doppelter Schale - ebenfalls erstmals hier angewandt.

Für den Turnsaal der Stiftschule in Seckau erfand er eine schlaue - im Übrigen sicherheitshalber bereits patentierte - Isolierglasfassade, die sich quasi selbst hält, weil die zentimeterfeine Tragkonstruktion zwischen den Glasscheiben untergebracht werden konnte. Und für einen Baumax-Markt versenkte er computergesteuerte bewegliche Lamellen zwischen den Glasscheiben, die sich nach dem Sonnenstand orientieren und je nach Bedarf Licht und Wärme reflektieren oder einlassen. Dass die tragende, nach zwei Seiten gebauchte Rohr-Konstruktion ebenfalls hauchzart und raffiniert gemacht ist, versteht sich von selbst.

Gienckes neueste Architekturerfindung könnte schon bald unter dem demnächst errichteten Landeskrankenhaus in Bregenz entstehen, und zwar in Form einer ungewöhnlichen Tiefgarage. Wo normalerweise mühsam durchkurvt werden wollende Stützenwälder im Finsteren stehen, befinden sich nur drei große Kegelstümpfe im Tageslicht. Sie tragen zum einen das Dach und können zum anderen außen mit Bäumen bepflanzt werden, was keine andere Tiefgarage erträgt. Außerdem holt der Architekt mit einem kleinen und völlig unaufwendigen Kniff das Sonnenlicht in die Autohalle, indem er lediglich eine Wand leicht schräg legt, was oben einen geräumigen Lichtschlitz erzeugt. Das Tageslicht rinnt solchermaßen die Wand herab und wird in den gesamten Raum reflektiert. „Diese Tiefgarage kostet nicht mehr als jede herkömmliche“, sagt Giencke, „ist aber durch ganz einfache konstruktive Maßnahmen wesentlich besser und einfacher nutzbar, weil man sich rund vierzig der Stützen erspart, die normalerweise das Navigieren so mühsam machen.“

Giencke ist mit seinen Urheberschutzabsichten natürlich nicht der Erfinder „patenter Architektur“. Diverse prominente Baumannen der Gegenwart und auch der Vergangenheit haben ihre Erfindungen registrieren und schützen lassen, Jean Prouvé etwa, Konrad Wachsmann oder Buckminster Fuller. Vor allem Fuller, der intensivste Zusammenarbeit mit der Industrie pflegte, legte sich im Laufe seines Erfinderlebens eine enorme Fülle an Patenten zu, gelegentlich für ganze Einfamilienhäuser, die er mithilfe angewandter Flugzeugtechnologie konstruiert hatte.

Wenn schon alle ihre Urheberrechte eifersüchtig bewachen, warum sollten das nicht auch die Architekten in vernünftigem Maß tun? Außerdem könnte ein bisschen Gesetzeskraft und Juristerei ausnahmsweise einmal auf ihrer Seite der ohnehin gebeutelten Kreativbranche der Architektur sicher nicht schaden.

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