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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Der Standard

Wenn der Architekt seine Häuser nicht mehr selbst ausführen darf, verliert er seine Würde und seine Identität, finden Markus und Kinayeh Geiswinkler, und sie beweisen, dass es auch anders geht.

3. März 2001 - Ute Woltron
Architekten, die ihre Projekte an der Hand nehmen und aufmerksam begleiten, bis sie flügge sind, also den späteren Nutzern übergeben werden, sind im Aussterben begriffen. Kinayeh und Markus Geiswinkler, Jahrgang 1964 und 1956, sind zwar relativ jung, zählen aber noch zu dieser raren Spezies der Sorgfältigen, und ihr ausgeprägter architektonischer Fürsorgetrieb macht sich für sie und ihre Produkte einerseits bezahlt, andererseits wird dadurch das Leben in Zeiten hudelnder Bauträger und hastender Investoren nicht eben leichter.

„Die Projekte nicht mehr selbst auszuführen“, das steht für Markus Geiswinkler fest, „ist das Ende der Architektur. Leute, die sich dafür hergeben, degenerieren zu Architektenclowns und zu theoretisierenden Universitätskasperln, wie es sie in den USA so oft gibt. Die Architekten müssen sich gerade heute unbedingt darauf besinnen, was sie wirklich sein wollen - Bilderlzeichner oder tatsächlich ernst zu nehmende Fachleute.“

Diverse Versuche von Bauherren, die beiden Architektureheleute zu entmündigen, scheiterten. Tatsächlich umgibt die zwei die klare Aura kompromissloser Unbestechlichkeit, und zwar in einer angenehm konstruktiven Ausprägung, die zwischen Fragen und Antworten kleine sinnvolle Denkpausen erlaubt. Wer Unmögliches verlangt, bekommt von anderen Architekten oft vage Zusagen und Versprechungen, also unmögliche Antworten, die später sowieso nicht eingehalten werden können. Die Geiswinklers sagen ihren Bauherren lieber schon zu Beginn, was machbar ist und was nicht, welcher Termin eingehalten werden kann und welcher nicht, und diejenigen, die eine solche Klarheit der Ansage schätzen, arbeiten gerne und immer wieder mit ihnen.

So zum Beispiel die Wohnbauer von „Neues Leben“, für die demnächst eine Gartensiedlung an der Wiener Peripherie in Angriff genommen wird. Das 65-Wohnungen-Projekt vereint alle wesentlichen Merkmale Geiswinklerscher Architektur in sich: Es ist bautechnisch ausgeklügelt und auf dem letzten Stand, es nutzt intelligent alle Neuerungen der Bauordnung für sich aus und soll überhaupt als erstes Haus über Bauklasse 1 in Holzleichtbauweise errichtet werden. Die Architektur geht mit Platz und Dichtestaffelungen äußerst sorgfältig um, kippt und dreht die Baukörper so, dass optimale Besonnung bei größtmöglicher Privatheit der einzelnen Einheiten herrschen und ist nicht nur diesbezüglich in hohem Maß dem Nutzen seiner künftigen Bewohner verpflichtet: So hat jede Wohneinheit entweder einen Garten oder eine begrünte Rasendachterrasse und verfügt außerdem über jeweils zwei Eingänge, damit bei Bedarf ein Bürobereich abgetrennt und separat begangen werden kann.

Die Architekten haben den Standort genau hinterfragt und überlegt, welche Personengruppen für eine Wohnung an der Peripherie überhaupt infrage kommen. „Wer an den Stadtrand zieht, hat entweder kleine Kinder oder kann von zu Hause aus arbeiten“, sagt Kinayeh Geiswinkler. Diese Standort- und Nutzeranalyse ist ein Punkt auf der selbstauferlegten „Prinzipienliste zum Nutzen des gescheiten Wohnbaus“, nach der die Architekten ihre Projekte anlegen. Die Frage, wo gebaut wird und wer dort wohnen soll, steht zuoberst.

Ein paar weitere Punkte: Viel wichtiger als eine fesche Fassade ist das gründlich durchdachte Konzept der Architektur, formale Gags sind verboten, auch Materialspielereien ohne Hintergrund sind nicht erlaubt. Wohnungen sollten im besten Fall erweiterbar und veränderbar sein, sich anpassen können, und ein gewisses ingenieurhaftes Wesen, das den Architekten als Erfinder neuer Lösungen und Details ins Spiel bringt, darf ruhig spürbar sein.

In diesem Sinne wurden bisher diverse Projekte, auch abseits des Wohnbaus, abgewickelt. Da wäre zum Beispiel der ganz einfache und doch raffinierte Mehrzwecksaal, den das Bezirksamt Wien-Favoriten neben seinen historischen Mauern dazubekam: Der Glas-Beton-Holz-Pavillon scheint im Hof zu schweben, der Kontrast zwischen bestehender Architektur und dem Neuen macht klar, wie viel Spaß Alt und Neu miteinander haben können, wenn man sie unverkrampft zusammenspannt.

Ebenfalls im steinernen Kern alter Substanz entstand der kleine Umbau der Galerie Image neben der Wiener Ruprechtskirche, wo genau überlegt wurde, wie im städtischen Außenraum die Passantenströme fließen, aus welchen Richtungen der Galerieraum am besten betreten wird, wie also, so Markus Geiswinkler, „der Genius Loci beschaffen ist und mit dem eigenen Projekt verschärft werden kann“. So geschehen auch mit dem Guess-Club in Mariahilf, wo eine Hausecke geöffnet und eine flotte Bar untergebracht wurde.

Kennen gelernt haben sich die Geiswinklers übrigens in den späten 80er-Jahren auf der Technischen Universität Wien. Markus arbeitete beim damaligen Gestaltungslehre-Professor Rob Krier, und die Kurdin Kinayeh war 1984 aus dem Irak nach Österreich gekommen, um Architektur zu studieren. Man rannte sich also dauernd in irgendwelchen Zeichensälen über den Weg, zeichnete schließlich irgendwann gemeinsam, und zwar einen Europan-Wettbewerb, und heimste mit einem Ankauf einer flexibel angelegten Wohnhausanlage für La Chaux-de-Fonds in der Schweiz einen beachtlichen Erfolg ein.

Tatsächlich ins Geschäft mit der Architektur kamen sie, indem sie mit ihrem Projektmäppchen aktiv bei diversen Ämtern und Unternehmern vorstellig wurden. „Die Swobodazeit war eine aufgeschlossene, sie hat uns persönlich wirklich weitergebracht“, so die Meinung beider. Es gab Einladungen zu diversen Gutachterverfahren, man konnte sich einen Namen machen und schließlich ein ordentlich großes Projekt in Form der Kindertagesstätte Floridsdorf anpacken.

Wieder kommunizieren dort Stahlbeton, Glas und Holz miteinander, die Atmosphäre des Kinderhauses ist hell, freundlich, angenehm. Auf dem Dach könnten kleine Gärtchen und Wiesen angelegt werden, doch das hat Zeit, bis der Platz rundum knapp wird. Dann allerdings werden solch vorausschauende Maßnahmen wertvoll, ja unbezahlbar sein. Entstehen kann so etwas, wie gesagt, aber nur, wenn die Architekten ihre Projekte wirklich bis zur Schlüsselübergabe begleiten, die Ausführung eifersüchtig bis zum Schluss überwachen, ihre Ideen aktiv durchboxen. Denn Vertrauen ist gut, doch Kontrolle ist erwiesenermaßen viel besser.

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