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Unterspannung macht schlank
Unterspannung macht schlank, Foto: Erhard Kargel
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Eigentlich gab's bei der unspektakulären Bauaufgabe nichts zu holen: vier Brücken über die Westautobahn. Doch Erhard Kargel wurde für sein konstruktives und gestalterisches Konzept mit dem Österreichischen Ingenieurpreis 2000 ausgezeichnet - völlig zu Recht.

17. März 2001 - Walter Zschokke
Selbst bei hoher Geschwindigkeit wird man die Serie von vier Brücken, die westlich der Raststätte Sankt Pölten die Autobahn queren, nicht übersehen. Aber ihre Zahl - zwei, drei, fünf? - und ihre Bestimmung - Wirtschaftswege? Landesstraßen? - wird der eilige Autofahrer kaum auf Anhieb mitbekommen. Aber als Gruppe fallen die Brücken auf, bleiben sie im Gedächtnis der Benützer der Westautobahn haften.

Das wird vielleicht einerseits an der Wiederholung, an der Vierzahl liegen, andererseits aber an einer ungewohnten Eigenheit: Die Brückenfelder weisen nicht bloß das übliche Stahlbetontragwerk mit geradem Durch- laufträger auf. Vielmehr ist unten noch etwas dran, das die Erbauer stolz in leuchtendem Gelb streichen ließen: Die Brücken sind unterspannt. Unterspannte Tragwerke waren schon im 19. Jahrhundert gebräuchlich, um Material und damit Gewicht zu sparen, unerwünschte Durch- biegungen zu vermeiden und größere Spannweiten zu bewältigen. Hölzerne oder eiserne Träger erhielten durch schmiedeeiserne Zugstangen, die mit Druckstäben an der Unterseite auf Distanz gehalten wurden, höhere Tragfähigkeit, indem bei gleichem Trägerquerschnitt höhere Lasten übernommen werden konnten.

In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts kam es im Gefolge wachsender Begeisterung für alte Industriehallen mit derartigen Tragwerken zu einer Renaissance des Prinzips der Unterspannung, das aber allzuoft nicht nur in sinnvollen Zusammenhängen eingesetzt wurde, sondern immer irgendwie, wie dies bei Moden eben der Fall ist. Nur in Ausnahmefällen gelang es, dieses statisch-konstruktive Prinzip auch architektonisch zu bewältigen. Denn wie es eben so ist, wenn mittelmäßige Architekten das Abbild einer Konstruktion reproduzieren, ohne den komplexen Hintergrund zu verstehen, kam es zu allerlei lächerlichen Überspanntheiten, an deren Stelle ein simpler Profilträger auch gestalterisch die bessere Lösung gewesen wäre.

Die Brückeningenieure verwendeten das Prinzip im ausgehenden 19. Jahrhundert - und verwenden es bis heute -, um Kosten zu sparen: etwa wenn wegen höherer Verkehrslasten Brücken verstärkt werden mußten, die noch tragfähig waren und deren Neubau wesentlich teurer zu stehen gekommen wäre. So wies die berühmte Trisanna-Brücke an der Arlbergstrecke bis über die Jahrhundertmitte eine derartige Unterspannung auf. Der bautechnisch anspruchsvolle Vorgang beim Ersatz durch neue Stahlbogenträger kann an einem Modell im Wiener Technischen Museum bestaunt werden.

Das Prinzip der Unterspannung ist also alt. Aber die konkrete Umsetzung stellt darüber hinaus hohe Anforderungen. Allen voran steht bei Zweckbauten immer die Wirtschaftlichkeit. Aber die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken AG setzte eine ganze Reihe von weiteren Planungszielen: einheitliches Entwurfskonzept für alle vier Überführungen; wirtschaftliche Herstellung der Tragwerke, möglichst mit Fertigteilen, um den Autobahnbetrieb nur geringstfügig zu behindern; optische Auflösung der Widerlager zur optimalen Eingliederung in die Landschaft; schlankes Erscheinungsbild; Nachvollziehbarkeit des Tragverhaltens; und nicht zuletzt sollten die Brücken zum unverwechselbaren Kennzeichen dieses Landschaftsabschnitts werden.

Der Linzer Bauingenieur Erhard Kargel, der das Vergabeverfahren gewonnen hatte, ist uns von der Bundesstraßenbrücke über das Gernitztal bei Großmotten, an der Strecke von Krems nach Zwettl ein Begriff. Schon dort hatte sein kluges, konstruktiv-bautechnisch sowie gestalterisch souveränes Konzept beeindruckt.

Vor Sankt Pölten waren weder Topographie noch Spannweiten spektakulär, und drei Wirtschaftswege und eine Landesstraße sind harmloser als die Ortsumfahrung mit Talübergang einer Bundesstraße. Der Reiz liegt einerseits in der Vierzahl, somit in der Wiederholung innerhalb eines kurzen Autobahnabschnitts. Aber vor allem liegt er darin, wie die Aufgabe aufgefaßt wurde. Wirtschaftliche, konstruktive, herstellungstechnische und gestalterische Aspekte wurden zu einem Gesamtkonzept integriert, dessen Resultat sehenswert ist und das vorigen Herbst mit dem Österreichischen Ingenieurpreis 2000, für innovativen und kreativen Einsatz von Beton ausgezeichnet wurde.

Jeweils drei schlanke Pfeiler bilden ein Joch, mehrere dieser Joche stützen das Tragwerk, das in einem ersten Arbeitsgang aus vorgefertigten Plattenbalken mit einfacher Unterspannung aus massivem Rundstahl bestand. In der Breite dreifach, für die Landesstraße vierfach addiert und längs über sechs Felder aneinandergereiht, bildeten sie zugleich die Schalung für einen - ebenfalls bewehrten - Ortsbetonkern, durch den über die einzelnen Felder statische Durchlaufwirkung erreicht wurde. Die Stahl-Zugkonstruktion führt über mittig angeordnete Böcke, wird in den stärker betonierten Endteilen verankert und mündet in vertikalen, über das Betonelement hinausreichenden Stahlblechen, die über den Brückenpfeilern verbunden und hernach einbetoniert wurden, sodaß die Zugkräfte sich gegenseitig übernehmen und „durchlaufen“.

Bei all diesen Überlegungen wurde immer nach jener wirtschaftlichsten Lösung gesucht, die auch gestalterisch die Wünsche des Planers befriedigte. Zur Arbeit des Bauingenieurs auf diesem anspruchsvollen Niveau bemerkte der renommierte Tragwerksplaner Jürg Conzett aus Chur kürzlich anläßlich eines Symposiums über alpine Ingenieurbauwerke: „Bei hochstehender fachlicher Durchdringung eines Projekts gelangt man als Bauingenieur an den Punkt, an dem die pragmatischen Kriterien ihre Strenge verlieren und man in die architektonische Sphäre vorstößt.“

D ies ist Erhard Kargel mit seinen vier Brücken ebenfalls gelungen. Er konnte die inneren Kräfte, die aus den ständigen Lasten resultieren, sowie die Gesamtmomente infolge beweglicher Lasten mit seiner intelligenten Konstruktion - im Vergleich zu anderen konstruktiven Prinzipien - niedriger halten. So wurden dank der mittigen Unterstützung durch die Distanzböcke geringere Trägerhöhen möglich, mithin niedrigere Eigenlasten und insgesamt ein schlankeres Erscheinungsbild.

M it einer sorgfältigen Proportionierung, sauberen Betonoberflächen und exakt gesetzten Arbeitsfugen, wie sie nur bei weitgehender Vorfertigung erzielbar sind, gab er dem äußeren Erscheinungsbild eine besondere Note.

Der rhythmische Verlauf der Linie der Unterspannungen entspricht im umgekehrten Sinn der Folge der Wölbungen bei einer Bogenbrücke. Damit werden strukturell vertraute Elemente von Brücken aufgenommen, aber den zeitgenössischen technischen Bedingungen entsprechend umgesetzt, sodaß ein neuartiges Bild entsteht, das nicht fremd und unverständlich ist, sondern sich den Betrachtenden rasch erschließt.

In der flachwelligen Landschaft bilden die vier Brücken, wie angestrebt, unverwechselbare Merk-Orte. Ihre spezifische Identität überträgt sich auf den Landschaftsabschnitt. Damit gelingt es Auftraggeberin und Bauingenieur, mit einem zeitgenössischen Konzept an frühere integrale landschaftsgestalterische Überlegungen - wie sie im Zuge der Planung von Infrastrukturanlagen nicht immer gepflogen wurden - selbständig und auf hohem technisch-gestalterischem Niveau anzuknüpfen.

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