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Architekt, Theoretiker, Bürger
Neue Zürcher Zeitung

Zum Tod von Ignasi de Solà-Morales

15. März 2001 - Markus Jakob
Er hat wenig gebaut, aber als Architekturtheoretiker gehörte er zu den Grossen seiner Zeit. Es ist bezeichnend, dass die beiden bekanntesten Bauten des 1942 in Barcelona geborenen, am Montag in Amsterdam einem Herzinfarkt erlegenen Ignasi de Solà-Morales der kritischen Rekonstruktion zuzurechnen sind - wiewohl jeder auf ganz eigene Weise: der deutsche Pavillon von Mies van der Rohe (1929/1986) und die 1994 abgebrannte und fünf Jahre später wiedereröffnete Barceloneser Oper, das Liceu. Zu Solà-Morales' vielfältigen Betätigungen gehörte auch die Neuordnung historischer Stadtkerne (Tarragona, Marseille). Bedeutender aber war sein Wirken als Architekturhistoriker und -theoretiker, eine Berufung, der er als langjähriger Professor an der Architekturschule Barcelona, als Gast an zahlreichen andern Universitäten und internationalen Symposien lebte.

Sein Essay über die «Schwache Architektur» (1987) gehört heute zur Standardlektüre an amerikanischen Hochschulen. Schon zuvor hatte er sich mit Studien zur architektonischen Typologie (in der Nachfolge Pevsners) sowie über Gaudí, Jujol und weitere Aspekte der katalanischen Architekturgeschichte als rigoroser Denker profiliert. In seinem Hauptwerk, «Diferencias. Topografía de la arquitectura contemporánea» (1995), setzte er sich mit den poststrukturalistischen Theorien seiner Zeitgenossen Deleuze, Vattimo und Eisenman auseinander. Nicht zu unterschätzen ist auch seine Rolle als kultureller Agitator in seiner Heimatstadt und als deren Botschafter im Ausland, wo ihn nun - er war für die Verleihung des in Barcelona initiierten Mies-van-der-Rohe-Preises nach Holland gereist - überraschend der Tod ereilte.

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