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Neues Bauen als Importprodukt
Neue Zürcher Zeitung

Ernst May in Afrika - Ausstellung in Frankfurt

22. März 2001 - Hubertus Adam
Zwanzig Jahre seines Lebens verbrachte der vormalige Frankfurter Stadtbaurat Ernst May in Ostafrika. Eine Ausstellung des Deutschen Architektur-Museums widmet sich nun erstmals ausschliesslich dieser Werkphase des Architekten, der als Schöpfer des «Neuen Frankfurt» zu den Protagonisten einer sozial orientierten Moderne zählt.

Zu Beginn des Jahres 1933 steht der einstige Frankfurter Stadtbaurat Ernst May, auf Einladung der sowjetischen Regierung seit drei Jahren sich mit der Konzeption neuer Städte befassend, vor einem Wendepunkt in seinem Leben: Die Hoffnungen, die während der Frankfurter Zeit entwickelten Ideen in den Weiten Russlands in den grösstmöglichen Massstab zu übertragen, haben sich auf Grund logistischer Schwierigkeiten und zunehmender politischer Repression zerschlagen. May muss die Sowjetunion verlassen, kann aber nicht nach Deutschland zurückkehren, wo er den Nazis als einer der meistgehassten Exponenten der Weimarer Republik gilt. Ausserdem hätte seine enge jüdische Verwandtschaft eine Karriere in Deutschland verhindert.


Exil in Afrika

Statt - wie manche Kollegen - nach Palästina, Grossbritannien oder in die Vereinigten Staaten zu emigrieren, wählte May Afrika, um seiner «leidenschaftlichen Liebe und Neigung für gärtnerisch kolonisatorische Arbeit» nachzukommen. Im Februar 1934 traf die Familie im ostafrikanischen Mombasa ein und zog von dort aus weiter auf eine Farm im Landesinneren bei Arusha. Lange indes währte diese vom Postulat der Selbstversorgungswirtschaft inspirierte Lebensphase nicht, denn bei den Landbesitzern der Umgebung sowie der britischen Kolonialverwaltung des Mandatsgebiets Tanganjika und des benachbarten Kenya wurde Mays Beruf bekannt. Da man Architekten dringend benötigte, erhielt May bald Aufträge, die es geraten erscheinen liessen, die Farm zu verkaufen und in die kenyanische Hauptstadt Nairobi zu übersiedeln. Mit einem Unterbruch von zweieinhalb Jahren, die er während des Zweiten Weltkriegs in britischen Internierungslagern in Südafrika verbringen musste, blieb er bis 1953 in Nairobi. Dem früheren Mitarbeiter Werner Hebebrand, nach dem Krieg zum Hamburger Stadtbaurat avanciert, war es massgeblich zu verdanken, dass May die Leitung der Planungsabteilung des gewerkschaftseigenen Siedlungsunternehmens «Neue Heimat» übertragen wurde.

Die zwanzig afrikanischen Jahre waren Mays längste zusammenhängende Schaffens- und Lebensphase. Auch wenn die nur fünf Jahre währende Frankfurter Ära (1925-1930) seinen Ruhm begründete und er später gerade von diesen Erfahrungen zu zehren vermochte, irritiert es, wie wenig die Zeit in Kenya bisher auf Interesse gestossen ist. Der mehrjährigen Forschungsarbeit des Kunsthistorikers Eckhard Herrel ist es zu verdanken, dass diese Jahre umfassend dokumentiert wurden und die erhaltenen Pläne des 1951 in Nairobi gegründeten Büros Dr. Ernst May & Partners, das nach dem Wegzug des Prinzipals von dessen Partnern weitergeführt wurde, 1993 in das Archiv des Deutschen Architektur-Museums (DAM) in Frankfurt eingehen konnten. Hier ergänzen sie den schon vorhandenen Nachlass; kleinere Konvolute besitzen überdies das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg sowie das Architektur-Museum der TU München.

Das DAM präsentiert nun 15 Jahre nach der Ausstellung über Mays Frankfurter Zeit dessen afrikanische Jahre im gerade renovierten Haus am Frankfurter Museumsufer. Ingeborg Flagge, die neue Leiterin, hat das Gebäude durch den Frankfurter Architekten Ingo Schrader auf den von Ungers intendierten Urzustand zurückbauen lassen - mehr Licht gelangt nun in die Räume und vor allem den Gartensaal. Zudem wird das Haus-im-Haus-Konzept deutlicher erkennbar. Der ästhetische Gewinn ist allerdings durch einen Verlust an Ausstellungsfläche erkauft, zumal Flagge auch die seinerzeit von Heinrich Klotz installierte Dauerausstellung «Von der Urhütte bis zum Wolkenkratzer» wieder freilegen lässt. Ob man mit den simplen Dioramen Kindern und Jugendlichen in heutiger Zeit den Zugang zur Architektur eröffnen kann, ist mehr als fraglich, und Klotz' Nachfolger Vittorio Magnago Lampugnani und Wilfried Wang waren gut beraten, die Schaukästen hinter Wänden verschwinden zu lassen und somit Ausstellungsfläche zu gewinnen.

Für wirklich grosse Ausstellungen ist also zukünftig im DAM kaum noch Platz, und Ernst May muss sich jetzt mit dem nicht gerade üppig dimensionierten ersten Obergeschoss bescheiden. Dennoch ermöglicht die Schau anhand der erhaltenen Dokumente - die durch speziell für diese Präsentation an der Universität Darmstadt angefertigte Modelle ergänzt wurden - einen instruktiven Überblick über das Wirken eines deutschen Architekten in Ostafrika. Zunächst versuchte May die Formensprache des sich als Internationaler Stil verstehenden und somit ubiquitär anwendbaren Neuen Bauens zu importieren - das Wohn- und Geschäftshaus Kenwood (1937/38) wirkt mit seiner ondulierenden Fassade und dem zylindrischen Treppenhaus wie ein Pasticcio aus Emil Fahrenkamps Berliner Shell-Haus und Erich Mendelsohns Gebäude für die Metallarbeitergewerkschaft. An das frühere Architektenhaus in Frankfurt-Ginnheim erinnert Mays eigenes Domizil südlich von Nairobi, das auf einem einst von der dänischen Autorin Tania Blixen als Kaffeeplantage bewirtschafteten Gelände entstand.


Modifikationen der Moderne

Doch allein schon das tropische Klima erforderte formale Modifikationen; ähnlich den nach Tel Aviv emigrierten europäischen Kollegen musste May Vorkehrungen gegen die Hitze treffen - Verschattung und Luftzirkulation sind Grundbedingungen für das Bauen in Afrika. Überdies fand der strenge kubische Stil bei den vielfach der englischen Oberschicht angehörenden, hinsichtlich ihres ästhetischen Geschmacks noch dem Arts and Crafts Movement verhafteten Bauherren nur wenige Anhänger, und so errichtete der deutsche Emigrant bis in die fünfziger Jahre opulente Landhäuser, die an Lutyens, und Cottages, die an Baillie Scott erinnern. Fremd war May dieser Stil nicht, hatte er doch vor dem Ersten Weltkrieg im Londoner Büro des renommierten Siedlungsplaners Raymond Unwin gearbeitet.

Aber selbst bei der einheimischen Bevölkerung fanden Mays Konzepte nicht unbedingt die erhoffte Gegenliebe: Die um 1945 entwickelten präfabrizierten Typenhäuser aus Betonfertigteilen wurden abgelehnt, da sie an die traditionellen Grashütten erinnerten, die schwarze Bevölkerung aber längst die ästhetischen Normen ihrer Kolonialherren übernommen hatte. Gleichwohl entstand eine Reihe von Bauten, in denen es May vorbildlich gelang, die Formensprache des Neuen Bauens mit den regionalen Bedürfnissen zu versöhnen. Hier sind in erster Linie die Projekte für die ismaelitische Religionsgemeinschaft des Aga Khan in Kisumu und Dar es Salaam zu nennen, darüber hinaus das Ensemble der vom Stamm der Chagga betriebenen Kaffee-Kooperative am Fuss des Kilimandscharo (ab 1949) und schliesslich das Oceanic Hotel in Mombasa, eine Inkunabel der Tourismus-Architektur im Osten Afrikas. Dass der zwischen 1945 und 1947 im Auftrag der britischen Protektoratsregierung von Uganda erarbeitete Plan für die Stadterweiterung von Kampala noch bei heutigen Bauprojekten als Grundlage dient, ist vielleicht der beste Beweis für Mays Fähigkeit, auf die Gegebenheiten in Afrika adäquat zu reagieren.


[Bis 8. Mai im DAM in Frankfurt. Katalog: Eckhard Herrel: Ernst May - Architekt und Stadtplaner in Afrika 1934-1953. Schriftenreihe zur Plan- und Modellsammlung des Deutschen Architektur-Museums in Frankfurt, Bd. 5. Verlag Ernst Wasmuth, Tübingen 2001. 208 S., DM 58.- (in der Ausstellung). ]

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