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Weil wir es uns wert sind
Der Standard

Ein wieder einmal völlig missglücktes Wettbewerbs-verfahren in Wien bringt die Architektenschaft in Rage: Das Projekt Katharinengasse könnte zum Präzedenzfall und zum Wendepunkt für ein gequälte Branche werden.

31. März 2001 - Ute Woltron
Stellen Sie sich vor, Sie haben mit viel Mühe und Engagement etwas gebastelt. Es hat mehrere Wochen gedauert. Sie haben nächtelang darüber nachgedacht. Sie haben diverse Entwürfe ersonnen, für ungenügend befunden, verworfen, sie später wieder hervorgeholt und weiterbearbeitet. Sie haben schließlich die für Sie beste Lösung gefunden, sie aufgezeichnet, ein Modell davon gebaut, eine Freude damit gehabt. Sie haben, wenn das Werk vollendet ist, einiges an Lebenszeit und viel Geld investiert - nehmen wir an, etwa eine Viertelmillion Schilling, also ungefähr das Nettojahreseinkommen eines Durchschnittsösterreichers. Sie haben Pech. Das Geld können Sie abschreiben, Sie werden es nie wieder sehen. Warum? Weil Sie Architekt oder Architektin sind, an einem Architekturwettbewerb in Wien teilgenommen und, wie dutzende andere auch, nicht gewonnen haben. So ist das halt - aber so ist das nur in der Architektenbranche, die sich selbst langsam aber sicher in diesem System zerfleischt.

Das Instrument des Wettbewerbsverfahrens zur Findung des geeigneten Architekten und des besten Projektes für ein Bauvorhaben ist an sich ein intelligentes Produkt der Demokratie, doch irgendwie ist es im Laufe der Jahre entartet und hat die Branche zurückgeführt zu ähnlich anarchischen Zuständen, wie sie bei primitiveren Tieren als dem Menschen anzutreffen sind: Nicht der schnellere Hase entgeht dem Fuchs, sondern derjenige, der klügere Haken schlägt. Nicht die hungrigste Sau gelangt als erste zum Trog, sondern die, die am lautesten grunzt und am energischsten drängelt.

Wenn das Ausleseverfahren selbstmörderisch wird und die Kosten und Energien wie im Falle der Architekten ausschließlich eine einzige der beteiligten Branchen belasten, dann stimmt etwas nicht im System. Die Architekten arbeiten jetzt schon großteils am Limit. Das Durchschnittsbüro in Österreich setzt pro Jahr nicht mehr als zwei Millionen Schilling um. Die Rede ist vom Umsatz, wohlgemerkt.

Die Baukünstler leben also, wie der Fischotter, der mit dem soeben gefangenen Fisch gerade so viel Energie erbeutet, um dem nächsten nachschwimmen zu können, von der Hand in den Mund. Fett setzt dabei kaum einer an.

Im Falle des Architekturwettbewerbs, der an sich schon eine mörderische Auslese darstellt, wird in den letzten Jahren eine zusätzlich verschärfende Mutation immer offensichtlicher, und die schaut folgendermaßen aus: Ein paar besonders gewitzte Architekten sind, neben vielen anderen wackeren Kollegen, irgendwie am Verfahren beteiligt. Nennen wir sie Gustl, Hansi, Willi, Kurti oder so ähnlich. Gustl sitzt diesmal in der Jury, die die zum Zwecke des Objektivbleibens ohne Verfassernamen anonym eingereichten Projekte beurteilen wird. Hansi, Willi und Kurti kennen Gusti sehr gut - sind ja alles Kollegen - sie nehmen am Wettbewerb teil. Ein paar Tage vor der entscheidenden Sitzung kommt man dann ins Reden, Projekterln werden dem Juror quasi unverbindlich beschrieben, Telefone, Faxe und Kopiermaschinen werden bemüht.

Solchermaßen illegitim mit Insiderwissen ausgestattet geht der Gustl dann in die Jury. Und weil beim nächsten Wettbewerb, den er schließlich selbst gewinnen will, der Kurti praktischerweise in der Jury sitzen wird, kann man den Ketteneffekt des sich gegenseitig Wettbewerbssiege Zuschanzens beschaulich ins Laufen bringen.

Das gleiche Spiel funktioniert natürlich auch dann, wenn Bauträgerchefinnen sich besonders gut mit hohen, in Jurys vertretenen Beamten verstehen, wenn Architekten mit an Wettbewerben teilnehmenden Kolleginnen unter einer Decke stecken. Da alles klingt zwar verleumderisch saubartelisch, ist aber bedauerlicherweise der Fall. Nicht immer, aber immer öfter, und jeder in der Szene weiß das, und keiner kann wirklich etwas dagegen tun.

Gerade wurde in Wien wieder einmal ein Wettbewerb abgehalten. Es ging darum, eine neue Volksschule samt Hort, Kindergarten und Jugendzentrum in der Katharinengasse zu planen. 250 Büros, teils internationaler Provenienz, haben die Unterlagen käuflich erworben, 74 davon konnten schließlich fertig durchdachte Projekte abgeben, im Schnitt hat jeder eine Viertelmillion aus eigener Kasse investiert. Gewonnen hat der Entwurf von Wilhelm Holzbauer, dem hier natürlich keiner Freunderlwirtschaft irgendeiner Art unterstellen wird. Doch Tatsache ist: Sein Projekt war nur hinsichtlich der Pragmatik das beste, und der gesamte Jury-Prozess, der hurtig an einem einzigen Tag abgwickelt wurde, ist eine schriftlich protokollierte Zumutung für jeden, der an diesem Verfahren teilgenommen und auch nur einen Schilling hineingesteckt hat.

Er weist diverse eklatante Formalfehler auf. Und er wird dieses Mal nicht, wie so viele andere Male, von den zwischenzeitlich echt genervten Architekten unwidersprochen bleiben. Gut zwei Dutzend der Teilnehmer, die sich nur zum Teil persönlich kennen, haben sich vergangene Woche zusammengetan, sie wollen nun alle anderen Teilnehmer kontaktieren und gemeinsam mit der Wiener Architektenkammer den Auslober MA 19 erst einmal mittels des Gesprächs in die Verantwortung nehmen, gleichzeitig aber die Rechtslage prüfen und gegebenenfalls das Verfahren anfechten.

Weil wir uns das wert sind, sagen sie, weil wir nicht länger die Pausenclowns der Nation sein wollen. Weil sie nicht, wie der Vogel Dodo, der nur hübsch und lieb war, von anderen zum Spaß totgeschlagen werden wollen.

Doch konkret zu den absonderlichen Vorgängen am 12. März des Jahres, dem Tag der Entscheidung: Um 8.30 versammelten sich Teile des Jury-Gremiums, zwei nominierte Juroren kamen zu spät, ein weiteres Jurymitglied blieb der Veranstaltung überhaupt fern und entsandte einen zuvor nicht, wie vorgeschrieben, genannten Ersatzjuror. Eine Jurorin tauchte erst nach dem Mittagsmahle auf und schickte ebenfalls eine vorher nicht-nominierte Ersatzperson ins Rennen. Nach ihrem persönlichen Eintreffen stimmte sie aber sofort kräftig mit. Die Weitsicht, eine derartige Projektmasse mit kurzem Blick zu durchleuchten, war wohl nicht einmal einem Corbusier oder Mies van der Rohe gegeben.

Schon zuvor war der Juryvorsitzende nie, wie vorgeschrieben, gewählt worden, und wenn ja, dann entzog sich das der Kenntnis des Schriftführers, der im übrigen als Vorprüfer ein solcher gar nicht hätte sein dürfen. In dieser munteren, Formales lässig überspringenden Art, ging es weiter, bis um 17.50 das Resultat feststand. Der zweite für die Abwicklung des Verfahrens vorgesehene Jury-Tag konnte damit der Freizeit gewidmet werden.

Äußerst peinlich und geradezu fahrlässig ist der Umstand, dass jeder Architekt, der sein Projekt persönlich beim Vorprüfer abgeliefert hatte, dafür in einer Liste neben der Projektnummer unterschreiben musste: eine völlig unübliche Vorgangsweise, die die geforderte Anonymität des Verfahrens ad absurdum führt. Nur zum Verständnis: Um jegliche schiefe Optik tunlichst zu vermeiden, werden die Wettbewerbsunterlagen gewöhnlich doppelt verpackt abgegeben. Die Frage des Vorsitzenden nach einer etwaigen Befangenheit der Preisrichter unterblieb. Sie ist jedenfalls nicht im Protokoll festgehalten, und aus zuverlässigen Quellen geht - selbstverständlich nicht per lege beweisbar - hervor, dass zumindest zweien der Juroren sehr wohl Projekte schon bekannt waren, bevor das Verfahren eröffnet wurde. Eventuell wurde aus diesem Grund das Juryprotokoll abschließend nicht unterschrieben, womit es im übrigen ungültig ist?

Es ist immer sehr kniffelig und auch anrüchig, Wettbewerbsentscheide im Nachhinein fachlich in Frage zu stellen. Diesenfalls muss es dennoch geschehen: Das sieghafte Schulprojekt war sowohl städtebaulich als auch in seiner Raumkonzeption sicher nicht der beste der eingereichten Entwürfe. Andere Architekten haben die späteren Benutzer - die vielen tausend Kinder, die hier in den kommenden Jahrzehnten einen wichtigen Zeitraum ihres Lebens verbringen werden - besser gespürt, ernster genommen, ihre Bedürfnisse genauer verinnerlicht und in Kenntnis der Koordinaten ihres Berufes zu Architektur raffiniert.

Es geht hier um Freiräume, um Vormittagslicht in den Klassen, um Orientierbarkeit, um Lärmschutz, um das Bereitstellen sinnvoll koordinierter Zonen verschiedenster Nutzung, um das intelligente und unerhört schwierige Verschmelzen tausender Faktoren zu einem kompakten, funktionierenden Ganzen, in dem sich kleine und große Menschen wohlfühlen sollen. Oder täuschen wir uns alle, und es geht ausschließlich um Aufträge, Raumkubaturen, Effizienz und Haberer, mit denen man super saufen gehen kann?

„Uns geht es vor allem um die Zukunft“, sagt Jakob Dunkl von der Gruppe Querkraft, „und um einen Ehrencodex in der Architektur, an den sich alle halten sollten.“ Die rechtlichen Grundlagen für Wettbewerbe wie diesen sind ohnehin äußerst schwammig. Wenn die paar Richtlinien, auf die man sich geeinigt hat, auch noch missachtet werden, dann bedeutet das die programmierte Niederlage all jener, die sich an den Spielregeln orientieren. Es sind dabei nicht nur die ganz jungen Architekten, die diesen Teufelskreis durchbrechen wollen. Die Mehrheit der Architektenschaft wünscht sich faire Vorgangsweisen und ist durchaus bereit, die zehrenden Wettbewerbsanstrengungen auf sich zu nehmen, wenn dabei alles mit rechten Dingen zugeht, obwohl, wie Architekt Ernst Unterluggauer anmerkt, „wir eigentlich alle Wahnsinnige“ sind.

Dass die 74 Wettbewerbsprojekte für die Volksschule Katharinengasse so gut wie unter Ausschluss der Öffentlichkeit in den Gängen neben den WC-Anlagen des Hanappi-Stadions zur Schau gestellt wurden, untermalt jedenfalls die Ehrerbietung, die man Architekten hierzulande entgegenbringt. Auch dass der Wettbewerbsveranstalter die Mühsal einer Pressekonferenz nicht auf sich nehmen wollte, zeigt die Wertschätzung, die man für die Arbeit der Bauleute übrig hat.

Uns wäre es angesichts dieses Schlamassels lieber gewesen, sagen viele von ihnen, wenn man den Auftrag gleich direkt vergeben hätte, das hätte uns Zeit, Geld, Mühe, Nerven gespart. Andererseits geht jetzt endlich laut und öffentlich eine Debatte los. Weil die Architekten sich - und ihren späteren Kunden, den Benutzern - das wert sind.

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