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Temporäre Freiräume
zolltexte

Szenarischer Replik zum Vortrag des Soziologen Peter Arlt.

28. Februar 2001 - Susanne Kreuzer
Peter Arlt entführte die TagungsteilnehmerInnen eine Stunde lang in die Welt des unkonventionellen Arbeitens. Sein Referat hatte wenig mit einem Vortrag gemein, sondern entsprach viel mehr einer seiner Aktionen im öffentlichen Raum. Nach einer kurzen Einleitung zu seiner Person und seinen Arbeitsschwerpunkten ging das Licht aus – der Film ab – untermalt mit Erfahrungen aus seinen Projekten.

Kunst im öffentlichen Raum?

Man sieht einen jener Bahnhofsvorplätze, die wir alle kennen: Menschen eilen herum, kein Sitzmobiliar weit und breit – halt – da war doch was! In einem wie eine Baustelle abgezäunten Bereich auf dem Bahnhofsvorplatz steht eine Bank. Auf ihr sitzen mehrere Frauen, die sich unterhalten oder einfach das Treiben beobachten. Die meisten PassantInnen stürmen in gewohnter Hektik vorbei, manche bleiben stehen, blicken kurz auf die abgesperrte Bank und gehen dann weiter. Nach einiger Zeit steht eine der Frauen auf, dann die nächste – die Bank ist leer. Schließlich aber wagt ein mutiger Herr den Schritt über die Umzäunung und be-setzt mit zufriedenem Gesicht die Bank. Bald gesellt sich die nächste Passantin dazu. Filmende.

Die Aktion „Bänke für Köln“ entwickelte Peter Arlt gemeinsam mit den TeilnehmerInnen des Workshops „Politische Landschaften“ im September 2000. Es wurde auf das Fehlen von unentgeltlichen Sitzgelegenheiten am Bahnhofsareal aufmerksam gemacht, um der Tendenz „Bänke zum Zahlen“ unter dem Motto „Was wollen Sie trinken?“ entgegenzusteuern. Ziel war den lokalpolitischen Diskurs zu entfachen und die schon lange vom Bürgermeister versprochenen, jedoch nie realisierten 200 Bänke für den Kölner Stadtraum zu thematisieren.

Die „umzäunte“ Bank machte fehlende Aufenthaltsqualitäten in öffentlichen Räumen erfahrbar. Sie zeigte benutzbare Freiräume als Aufenthaltsorte und Orte der Wahrnehmung von Menschen und des umgebenden Raumes. Vielfach wurde die Bank als Kunst im öffentlichen Raum, als temporäre Installation interpretiert. Wie auch immer die jeweilige individuelle Interpretation aussehen mag, die Aktion „Bänke für Köln“ hat die Notwendigkeit von gebrauchsfähigen, nutzbaren öffentlichen Räumen besonders für ältere, obdachlose und nicht rund um die Uhr arbeitende Menschen sichtbar gemacht.

Grüße aus Bad Ly

Neue Szene – Film ab. Kinder und Erwachsene schwimmen, planschen, spritzen, … in Bauschuttcontainern, die zu Schwimmbecken umfunktioniert wurden. Daneben ein Sonnenschirm am Sandstrand, ein engagierter Bademeister im Look der 20er Jahre, dazu ein kleiner Kiosk für die Kleinigkeiten, die das Herz begehrt. Zufriedene Gesichter der BesucherInnen des kleinen Bad Ly, die für zwei Mark Eintritt – die Saisonkarte kostet drei Mark – dem einzig wahren sommerlichen Vergnügen bei brütender Hitze frönen. Zahlreiche Reportagen aus Fernsehen und Zeitung runden das Bild ab:
„Es ist das kleinste öffentliche Schwimmbad Berlins – das Bad Ly – in Prenzlauer Berg. Vier mit Wasser gefüllte Bauschutt-Container, eine kleine Sandfläche mit Liegematten, ein Sperrholz-Kiosk und ein Mini-Wachturm. ...“ (GRÖMMINGER, 1999: 8) Filmende.

Im Sommer 1999 wurde in der Lychener Straße am Prenzlauer Berg in einer Baulücke für vier Wochen ein Freibad eingerichtet. In diesem Gründerzeitviertel mit rund 200.000 EinwohnerInnen, einer hohen Arbeitslosen- und SozialhilfeempfängerInnenquote, stand kein Freibad zur Verfügung.

Für Peter Arlt und KollegInnen Ansatzpunkt für eine direkte Hilfe für die BewohnerInnen des Quartiers – und was gibt es wohl naheliegenderes als selbst ein Freibad zu bauen. In kürzester Zeit organisierte der Wahlberliner mit der finanziellen Unterstützung einer Linzer Firma und der Stadt Linz, des Landes Oberösterreich sowie dem österreichischen Bundeskanzleramt – die Stadtverwaltung Berlin wollte nicht für die Kos-ten aufkommen – das kleinste und originellste Bad Berlins.

Das Freibad bestand aus vier, mit Folie abgedichteten Bauschuttcontainern, der Strand aus 17 t aufgeschüttetem Sand. Eine Liegewiese, Dusche und Toilette ergänzten das Angebot. Für die nötige Hygiene wurde gesorgt – das Badewasser war gechlort, wurde täglich gewissenhaft mit einem Küchensieb gereinigt und einmal pro Woche von der Feuerwehr ausgetauscht. Natürlich durfte auch ein reichhaltiges Rahmenprogramm mit Filmen, Sandburgenbau, Papierbootregatta, Party, Vorträgen, Pressekonferenzen und vieles mehr nicht fehlen.

Weder Presse noch Fernsehen wurden informiert, trotzdem sprach sich die Aktion schnell herum und füllte zahlreiche Berichte unter den Schlagwörtern „das kurioseste“ bzw. „das kleinste Schwimmbad Berlins”. Der große Medienrummel brachte schließlich auch das zuständige Bezirksamt auf die Sprünge, welches in Folge den Badebetrieb wegen „Betreiben eines öffentlichen Bades ohne Genehmigung“ untersagte. Nach längerem Hin und Her mit den Ämtern einigte man sich darauf, dass das Bad kein öffentliches Freibad, sondern Kunst im öffentlichen Raum sei und damit auch nicht den Bestimmungen für öffentliche Badeanstalten unterliegt. Die Gemüter der zuständigen BeamtInnen beruhigten sich wieder, sodass dem sommerlichen Badespaß für die AnrainerInnen nichts mehr im Wege stand.

Die Arbeiten von Peter Arlt eröffnen Handlungsfreiräume für NutzerInnen im öffentlichen Raum. Das situationsbezogene, unbürokratische Tun interveniert in bestehende Diskurse und fordert Reaktionen. Eine Aktion ist der erste Impuls und zielt darauf, NutzerInnen wie auch Medien als UnterstützerInnen zu bekommen, um so die Regierenden zu Reagierenden zu machen bzw. in die Defensive zu führen.

Peter Arlt demonstrierte uns bodenständigen LandschaftsplanerInnen, dass es nicht nur möglich, sondern oft auch notwendig ist, sich über Konventionen, Richtlinien und bürokratischen Trott hinwegzusetzen und in Graubereiche von rechtlichen und gesellschaftlichen Verbindlichkeiten einzudringen. Spontane, engagierte Menschen bringen Dinge in Bewegung, übernehmen Verantwortung und handeln anstatt zu warten – auf morgen, übermorgen oder …


Literatur:
GRÖMMINGER, Inga (1999): Das große Planschen im Schuttcontainer. Am Wochenende eröffnete das kurioseste Schwimmbad der Welt in Berlin. In: BZ-Aktuell, 2. August , Berlin.
Der Artikel basiert auf dem Referat und auf unveröffentlichten Notizen von Peter Arlt.

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