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Gewässer im Stadtraum
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Über gestaltete Bachöffnungen im Stadtgebiet

In vielen Städten der Schweiz wurde erkannt, dass mit der Wiederöffnung eingedolter Bäche im Stadtgebiet die Qualität des Wohn- und Arbeitsumfeldes erhöht und gleichzeitig Geld gespart werden kann. Neben dem geeigneten wasserbautechnischen und biologisch/ökologischen Umgang ist dabei der adäquate gestalterische Ausdruck gefragt.

28. Februar 2001 - Gerwin Engel
Wie sollen Gewässer, die ehemals in ländlicher Umgebung flossen, neu im städtischen Umfeld aussehen? Dies war die Frage, als die Regierung der Stadt Zürich 1988 ein Konzept vorstellte, in dem Bäche, die im Laufe der Jahre verrohrt wurden, am Stadtrand, in Außenquartieren oder im Stadtinneren wieder an die Oberfläche geholt werden sollten.

Eines der wichtigsten Ziele des Bachöffnungskonzeptes war die Steigerung des Erlebnis- und Erholungswertes, welche die Wohnlichkeit der städtischen Landschaft beeinflusst. Außerdem sollten wiedergewonnene Bachläufe vielfältigen Pflanzen- und Tiergemeinschaften Lebensraum bieten und damit indirekt auch das Umfeld der StadtbewohnerInnen interessanter gestalten und verschönern helfen.

Der eigentliche Anlass für das Konzept war aber die Reduktion der Kosten der Abwasserreinigung, indem die den Kläranlagen zugeführte Menge sauberen Wassers verkleinert und damit die Klärleis-tung erhöht werden sollte.
Doch wie sollen solche Bäche aussehen: Bäche bei Spielplätzen, auf Plätzen, in Straßen, durch Gärten und Parks.

Gewässer im Stadtraum

Zur Qualität des Wohnumfeldes im Stadtgebiet zählt die Identität eines Ortes.
Eine solche Identitätsbildung kann von einem Bachlauf ausgehen, der prägenden Einfluss auf dort lebende Menschen ausübt.
„Gebaute“ Gewässer im urbanen Umfeld bilden einen städtebaulichen Bestandteil: Sie haben sehr direkt mit dem Stadtbild und der Stadtgestalt zu tun. In diesem Sinn müssen sich hier Gewässer nach den Besonderheiten des städtischen Umfeldes ausrichten.

Die im schweizerischen Gewässerschutzgesetz formulierten Ziele bezüglich Hochwassersicherheit und ökologische Optimierungen gelten auch für Stadtgewässer. Doch das Ziel, sich an den Vorbildern in der freien Natur und an der ursprünglichen Gestalt des Bachlaufes zu orientieren, gilt in der Stadt nur beschränkt.

Bäche sind ebenso Zeugen der Erdgeschichte wie Zeugen der Entwicklung der Stadt. Man muss sorgfältig abwägen, welche neue Gestalt sie annehmen. In Zürich wurde eine differenzierte Betrachtung im Stadtbereich akzeptiert, wie nachfolgende Beispiele zeigen.

Pflanzenwelt und Naturhaushalt

Auch wenn im städtischen Raum die Aspekte der Erholungsnutzung, des architektonischen Ausdruckes und der städtebaulichen Struktur wesentlich sind und am augenfälligsten in Erscheinung treten, dürfen die Aspekte Wasserbau, Pflanzen- und Tierwelt nicht vernachlässigt werden. Gewässer, die ohne Berücksichtigung der zu erwartenden Wasser- und Geschiebemengen und der vorhandenen Wassergüte gebaut werden und deren Bepflanzung nicht auf den Standort abgestimmt ist, werden kaum die angestrebte Qualität erreichen oder halten können. Die Akzeptanz von Gewässern in der Stadt ist dann massiv gefährdet.

Tierwelt und Naturschutz

80 % der tierischen Biomasse eines Gewässers lebt in den Zwischenräumen der Gewässersohle! Diese Kleintiere tragen wesentlich zur Selbstreinigung des Gewässers und zum gelungenen Erscheinungsbild bei. Der Ausgestaltung der Sohle kommt dementsprechend entscheidendes Gewicht auch in einem Stadtbach zu. Fließgewässer sind lineare Strukturen und auch in der Stadt besonders gut geeignet, Vernetzungen von Lebensräumen herzustellen.

Ein wichtiger tierökologischer Aspekt von Gewässern in der Stadt ist, dass das Wasser, die Gewässervegetation und die im Gewässer lebenden Tiere wesentliche Voraussetzung für andere Tiere der Stadt sind. So z. B. pflegen viele Gartenvögel ihr Gefieder in Bächen. Bienen aller Art nutzen diese als Tränke. Mehlschwalben holen sich hier lehmigen Boden für ihren Nestbau.

Tiere, z. B. Köcherfliegen, die aus dem Wasser kommen, bilden eine wichtige Nahrungsquelle für andere Tiere, die traditionell in Siedlungen und Städten leben: Fledermäuse, Mauer- und Alpensegler oder auch die Schwalben finden dadurch bessere Lebensgrundlagen. Das Vorhandensein dieser Tiere bildet eine große Bereicherung des Wohnumfeldes der Menschen.

Besonderheiten des Wasserbaus
Am Stadtrand

Die das Fließgewässer charakterisierenden Gestaltungselemente betreffen je nach Gewässertyp einige oder mehrere der nachfolgend genannten Ausbildungen: die Rohplanie mit Steilufer, Flachufer, unterschiedliche Sohlenausbildung mit grobem und feinem Kies, Kolkstellen mit wirbelnden Tiefenwasser, schnell fließendes Flachwasser etc.

Im Stadtrandbereich ist die Naherholungsnutzung von Bedeutung. Kiesflächen und Gestein haben demzufolge nicht nur eine gewässertechnische Bedeutung als Erosionsschutz, sondern erfüllen auch Aufenthaltsfunktionen wie Spielen, Liegen und Sitzen.

Bei der Anlage eines gewundenen Gewässers mit wechselweise engem und weitem Querschnitt verfolgen wir nicht das Ziel, ein möglichst perfekt nachempfundenes Naturidyll zu inszenieren. Weite, sonnenerfüllte Mulden oder schattige, kühle, durch Böschungen und Gehölze abgeschirmte Nischen sollen vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten für Flora und Fauna zulassen und sich gleichzeitig für die Erholungsnutzung eignen.

Naturnahe Gestaltung besteht nicht aus einer zufälligen Anhäufung von „formlosen“ Erdbewegungen und Materialien, sondern verfolgt wasserbauliche, ökologische und gestalterische Inhalte, die bei eingewachsenem Zustand Landschaftsästhetik beinhaltet sowie das Wissen über vielfältige Lebenszusammenhänge von Flora und Fauna.

Die „Kunst“ der naturnahen Gestaltung besteht darin, die richtigen Dimensionen im jeweiligen Landschafts- und Freiraum zu treffen, „einfach“ zu bleiben und einen gewissen Grobheitsgrad, dem Umfeld entsprechend, anzuwenden.
Durch besondere Fähigkeit weist sich der/die LandschaftsarchitektIn aus, wenn er/sie die Kunst des Weglassens beherrscht: Z. B. wenn der Gewässerverlauf nicht lückenlos perfekt verbaut und eine verändernde Dynamik im verantwortbaren Rahmen zugelassen wird.

Im Siedlungsbereich

Natürlich treffen die vorgängig genannten Gestaltungsanliegen auch auf den Gewässerausbau im Siedlungsbereich zu, werden jedoch durch verschiedene Einflüsse eingeschränkt. So gilt es auf einengende Platzverhältnisse, Nähe und Bezug zu baulichen Strukturen und spezielle Nutzungsfunktionen wie Spielen am Bach zu reagieren.

Unter diesen Umständen verschieben sich die vorgängig beschriebenen Ansprüche der freien Landschaft zu Guns-ten von gestalterischen Aspekten. Die ökologischen Aspekte dürfen deswegen nicht vernachlässigt werden, obwohl sie in einer dichter genutzten Umgebung weniger zum Tragen kommen.

Eine architektonische Komponente (zum Beispiel in Form einer Kanzel oder einer linearen, einseitigen Mauer) kann partiell das Bild beherrschen. Das Naturbild wild wachsender Vegetation und natürlicher Bachausbaumaterialien soll jedoch überwiegen.

Durch das richtig gewichtete Gegen-überstellen von prägnanten, harten Bauteilen und der naturnahen Gestaltung lässt sich die Wirkung der Natur im Siedlungsraum speziell hervorheben und steigern und entspricht dieser strukturellen Situation am besten. Das Herausarbeiten dieser spannungsvollen Gegensätzlichkeit entspricht einer von uns verfolgten „Gestaltungsphilosophie“.

Im innerstädtischen Straßenraum

Bachöffnungen im innerstädtischen Bereich sind umstritten, da unter den beengten Verhältnissen des Straßenraumes oft keine sinnvolle Lösung möglich erscheint. Außerdem wird von KritikerInnen angeführt, dass das Verrohren von Bächen zu dokumentieren ist.

Wir sind dagegen der Meinung, dass das Bachwasser wieder seinen erd- und stadtgeschichtlich angestammten Platz einnehmen kann.

Es scheint klar, dass die Gestaltungskriterien der freien Landschaft hier nicht angewendet werden können. Das Schwergewicht verschiebt sich noch mehr zu Gunsten des gebauten, architektonischen Ausdrucks.

Die ausgeprägt urbane Form ist gefragt, auch als Bestandteil der implizierten Bachnatur. Sie grenzt ab, bietet Schutz vor Verkehr und Straßenbauten und stellt einen adäquaten Teil der städtebaulichen Struktur dar.

Die Ausstrahlung desßkann für den gesamten öffentlichen Raum prägend sein; besonders wenn mit der Bachöffnung die Straße inklusive Einmündungen usw. in die Planung einbezogen wird.

Bei jeder Gestaltung muss die Besonderheit des betroffenen öffentlichen Raumes erspürt und spezifisch auf den Ort und seine Bedeutung eingegangen werden. Für die BewohnerInnen wird ein typisches, charakteristisch individuelles Arbeits- oder Wohnumfeld geschaffen. Dessen Ursprung ist nicht beliebig, sondern bezieht sich z. B. auf ein historisches Element an diesem Ort und schafft eine neue Qualität. Diese setzt sich nicht nur aus der visuellen Gestaltungserscheinung, sondern auch aus den akustischen Wahrnehmungen und den ökologischen und faunistischen Wechselwirkungen zusammen.

Bachöffnung als Chance

Die Chance einer Bachöffnung darf nicht durch technische Aufgabenerfüllung vertan werden. Nach dem Finden der grundsätzlichen Lösung beginnt der wichtigste Teil der Arbeit: das Wesen des Projektes durch gestalterische Inhalte ausdrucksstark zu vertiefen. Die Bedeutung des öffentlichen Raumes verlangt nach Lösungen, die einer Vision entsprechend die unterschiedlichsten Stimmungen beinhalten und auch durch künstlerische Aussagen überraschen können.

In jedem Fall ist für alle Umfeldtypen der Gewässergestaltung, unabhängig ob am Stadtrand, im Siedlungsbereich oder im urbanen Raum, die ortsspezifische Aussage mit ihrer gestalterischen Individualität gefragt.


Quellen:
SCHWEIZERISCHER VEREIN DES GAS- UND WASSERFACHES (SVGW) (1993): Das Bachkonzept der Stadt Zürich. Eine Standortbestimmung nach 5 Jahren. Sonderdruck Nr. 1296 aus gwa (Gas, Wasser, Abwasser) 7/93: ENGEL, G.: Umlegung und Bachöffnung Nebelbach, und Gestaltungsgrundsätze aus der Sicht des Landschafsarchitekten.
STADT ZÜRICH, ENTSORGUNG UND RECYCLING ZÜRICH (Hg.) (2000): Bäche in der Stadt Zürich, Konzept, Erfahrungen und Beispiele, Zürich.
STOCKER, M., HOFMANN, A. (1992): Landschaftsgeschichte und Leitarten, Hilfen beim Definieren und Konkretisieren des Wiederbelebungszieles für einen zu revitalisierenden Bachabschnitt, Ingenieurbioloigie Nr. 2/92, S. 17-21.

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