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Profil

Studium der Architektur an der TU Wien und University of Michigan, USA.
Diplom 1991, Dissertationsstudium 2007–2010.
Architektin, Architekturpublizistin, Kuratorin. Regelmäßige Tätigkeit als Kritikerin für Fachzeitschriften und Die Presse, spectrum zu den Themen Architektur und Städtebau, Kulturgeschichte und Design. Zahlreiche Textbeiträge, Ausstellungen und Publikationen. Fulbright Guest lecturer 2015/16, University of Minnesota, USA.

Lehrtätigkeit

2001 – 2003 Lehrauftrag an der TU-Graz, Institut für Raumgestaltung, Vorlesung und Übung.
2015 – 2016 Fulbright Gastprofessur an der Universität Minnesota
Thema: „Comparative Urban Planning in Central Europe and in the United States. The Transfer of Cultural Knowledge through Different Urban Structures.“ Basierend auf den Forschungen für das Buch: „Lernen vom Raster – Strasshof an der Nordbahn und seine verborgenen Pläne“, Hg. Judith Eiblmayr, Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Wien 2013.

Mitgliedschaften

1997 – 2003 Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur - ÖGFA.
2001 – 2003 Vorstandsvorsitzende der ÖGFA.
Mitgliedschaft bei ÖGFA und Zentralvereinigung der Architekten.

Publikationen

Bücher:

Elizabeth Scheu Close – Amerikanische Architektin mit Wiener Wurzeln
Judith Eiblmayr
Verlag Anton Pustet, 2025

Bad Gastein ab I an Iaufgebaut
Hg. Judith Eiblmayr, Philipp Balga
J&J edition, 2021, '22

Styria Media Center
Hg. ArchitekturConsult
Autorin: Judith Eiblmayr
erschienen im Juni 2015
Birkhäuser Verlag
ISBN 978-3-0356-0551-8

Tour de Palais
Hg. Iris Meder, Judith Eiblmayr
Grafische Gestaltung: grafisches Büro Wien
Günter Eder
erschienen im Mai 2015
ISBN 978-3-200-04141-7

Baukulturführer 79 - Musiktheater Linz
Hg. Nicolette Baumeister, München / Berlin
Autorin: Judith Eiblmayr
Büro Wilhelm. Verlag, Amberg, 2014
ISBN 978-3-943242-32-4

Lernen vom Raster – Strasshof an der Nordbahn und seine verborgenen Pläne
Hg. Judith Eiblmayr, mit Beiträgen von Erich Bernard, Günter Dinhobl, Judith Eiblmayr, heri & salli, Caroline Jäger-Klein, Franziska Leeb, Johanna Rainer, Manfred Russo und Fotografien: Philipp Balga
Grafische Gestaltung: Katharina Erich, www.katharinaerich.at
Titelidee: Katharina Erich und Judith Eiblmayr, Tribute to Robert Venturi und Denise Scott-Brown, „Learning from Las Vegas“, Cambridge 1972
erschienen im Oktober 2013
NWV - Neuer Wissenschaftlicher Verlag - Architektur
ISBN 9 783708 309439

Opera House. Musiktheater Linz
Terry Pawson & ArchitekturConsult / archinauten
Text Judith Eiblmayr
Idee, Konzept und Grafik: Katharina Erich, www.katharinaerich.at
Hg. ArchitekturConsult, erschienen im Mai 2013 bei Callwey
ISBN 978-3-7667-2050-4

HAUS HOCH – Das Hochhaus Herrengasse und seine berühmten Bewohner
Hg. von Judith Eiblmayr und Iris Meder
2. erweiterte Auflage erschienen 2013 bei Metroverlag
ISBN 978-3-902517-92-0

Der Donaukanal – Die Entdeckung einer Wiener Stadtlandschaft
Judith Eiblmayr / Peter Payer
erscheint im Mai 2011 bei Metroverlag
ISBN 978-3-99300-031-8

Die Österreichische Nationalbank und ihre Architekten
Dissertation am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege, Technische Universität Wien
März 2010

Der Teufel steckt im Detail – Architekturkritik und Stadtbetrachtung
Texte von Judith Eiblmayr, mit einem Essay von Daniela Strigl
erschienen im Februar 2010 bei Metroverlag
ISBN 978-3-99300-011-0

HAUS HOCH – Das Hochhaus Herrengasse und seine berühmten Bewohner
Hg. von Judith Eiblmayr und Iris Meder
erschienen im September 2009 bei Metroverlag
ISBN 978-3-902517-92-0

Der Attersee – Die Kultur der Sommerfrische
Hg. von Judith Eiblmayr, Erich Bernard,
Barbara Rosenegger-Bernard, Elisabeth Zimmermann
erschienen im Juli 2008 bei Christian Brandstätter Verlag
ISBN 978-3-85033-022-0

Moderat Modern – Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945
Katalog zur Ausstellung im Wien Museum
Herausgegeben von Judith Eiblmayr und Iris Meder
Farb- und Schwarzweißabbildungen
Broschierte und gebundene Ausgabe, 248 Seiten
erschienen im Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005,
ISBN 3-7025-0512-1

Anna-Lülja Praun – Möbel in Balance
Katalog zur Werk- und Lebensschau zum 95. Geburtstag im Haus Wittgenstein
Herausgegeben von Judith Eiblmayr und Lisa Fischer
Farb- und Schwarzweißabbildungen
broschierte Ausgabe, 85 Seiten
erschienen im Verlag Anton Pustet, Salzburg 2001,
ISBN 3-7025-0435-4

Schulbau 2000 – Schulbau in Wien
Unterrichtsbehelf für Bildnerische Erziehung und Werkerziehung
Hg. BM für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, Medienservice
Konzeption und Texte: Judith Eiblmayr
Eigenverlag BMUK, Wien 1999

Architektur des Geldes
Die Baugeschichte der Oesterreichischen Nationalbank
Hg. Oesterreichische Nationalbank,
Konzeption und Texte: Judith Eiblmayr
Coverfoto: Rupert Steiner
Eigenverlag OeNB, Wien 1999

TEXTBEITRÄGE für BÜCHER, KATALOGE und WEBSITES:

Architektur und Psychodynamik
in „ARCHITEKTUR TRANSDISZIPLINÄR“, S. 39 ff
Hg. Mariela Dittrich, Andrea Rieger-Jandl
Autor:innen: Judith Eiblmayr gem. mit K. Paulitsch
IVA Verlag, Wien 2016

• Das Juridicum
• Studienräume
beide in „Stätten des Wissens. Die Universität Wien entlang ihrer Bauten 1365–2015“, S. 311 und S. 321
Hg. Julia Rüdiger, Dieter Schweizer
Autor:innen: Judith Eiblmayr et al.
Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2015

Heri & Salli
in „Time Space Existence. Made in Europe“, S. 106
Hg. GlobalArtAffairs Foundation
Autor:innen: Judith Eiblmayr et al.
2014
ISBN 9789490784157

Die Sichtbarmachung des Gesehenen – Zur Entwicklung der Architekturfotografie in Österreich
Dossier „Architekturfotografie“ zum Thema „Architektur & Fotografie“ auf nextroom.
• Ateliers und Interieurs / Studios and Interiors
• Zur Sichtbarmachung des Gesehenen – Architektur als Objekt vor dem Objektiv / On the Visualization of the Seen: Architecture as the Object in Front of the Photographic Objective
in „pez hejduk. vor ort_on site“
Hg. Pez Hejduk, mit Beiträgen von Ruth Horak, Judith Eiblmayr, Elke Krasny und Helmut Weber.
Metroverlag, Wien, November 2012

So nahe bei Wien und eine solche menschenleere Fläche!
in „Strasshof an der Nordbahn. Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung“, S. 89 ff
Hg. Irene Suchy
Metroverlag, Wien, April 2012

Ungekünstelte Kunst. Ein Dach für das Passionstheater Oberammergau
Autor:innen: Judith Eiblmayr, Martin Zigon, Michael Seidel, Matthias Pfeifer
Hg. Karlheinz Wagner, Waldhör Verlag, Wien, Juni 2010

• Architektur nobler Zurückhaltung – Erich Boltenstern (1896 – 1991)
• Poesie durch Präzision – Wilhelm Holzbauer
beide in „Kunst Kunst Kunst – Der Große Österreichische Staatspreis“,
Katalog zur Ausstellung, S. 62 f und S. 94 f
Hg. John Sailer, Verlag Jung & Jung, Wien 2003

Dienst an der Kremser Bau(amts)kultur
Die Architektur österreichischer Amtshäuser zeichnet sich seit Generationen durch einen speziellen Charme aus, der „das Ungemütliche“ schlechthin repräsentierte. Das Wiener Architektenteam BEHF beweist, dass durch gezielten „Rückbau“ das Gegenteil möglich ist.
Krems, Stadt im Aufbruch, Architektur und Städtebau. Eine Bilanz, 2003

Schönbrunnerstraße 74 – BEHF mit BÜRO X
Broschüre making it 2, Hg. Marc Gilbert, Wolfgang Niederwieser, Wien 2000
Vorwort zur Architektur Wilhelm Holzbauers

in „Wilhelm Holzbauer – Arbeiten aus den letzten fünf Jahren des vergangenen Jahrhunderts“, Katalog zur Ausstellung, S. 6 f
Hg. Universität für angewandte Kunst
Eigenverlag Univ. f. angewandte Kunst, Wien 2000
Ernst Linsberger
Doppelwohnhaus in Krems an der Donau 1991 – 94
in „Meisterschule Roland Rainer“, S. 48 ff
Springer Verlag Wien New York, Wien 1998

• Analyse der Ursachen für den Bruch in der österreichischen Designidentität
• Lösungsmöglichkeiten für eine Zustandsverbesserung
beide in „Design in Österreich – Studie und Datenbank des MAK“, Österreichisches Museum für angewandte Kunst,
Wien 1992

ARTIKEL:
siehe http://www.eiblmayr.at/publikationen/index.htm

Veranstaltungen

Ausstellungen:

Moderat modern – Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945
Ausstellung im Wien Museum Karlsplatz von 20.10.2005 – 29.1.2006

Anna-Lülja Praun
Werk und Lebensschau der Architektin zum 95. Geburtstag
im Haus Wittgenstein von 11. – 24.5.2001

Herbert Eichholzer – Architektur und Widerstand
Ausstellung im Haus Wittgenstein von 12.11. – 4.12.1998

Anna-Lülja Praun – Werkschau der Architektin
bei Minerva Buchhandlung von 19.6. – 13.7.1997'

Architektur als Unterhaltung – Über ein neues Rollenverständnis der Architektur
Veranstaltungsreihe der Österreichischen Gesellschaft für Architektur
von 4.4.2001 – 22.2.2002

coming up: Elizabeth Scheu Close - American Architect with Viennese Roots.

VORTRÄGE:

Open Office versus Private Corner - Großraumbüro und das Recht auf Intimsphäre
Miba Forum Laakirchen, 20. 7. 2019
Blaha office Seminar, 3.3.2020

Dem Schach Raum geben
„ARCHITEKTUR HÖREN“ – Special: Rösselsprünge bei Loos
Gespräch mit Michael Ehn, Schachhistoriker
Bridge Club Wien, 16.2.2018

Anna Lülja Praun - Pionierin als Architektin in Österreich
für TU Graz und Ortwein-Schule,
Prenning bei Graz, 29.9.2018

Sprechen über Architektur
Werkvortrag von Judith Eiblmayr
ZV Architekt:innen Österreich, Wien, 11.1.2018

My Home Is My Castle - Das schwere Erbe von Suburbia
ÖGFA (IG Architektur), Wien, 10.5.2019
Soroptimistinnen Club Traunsee, Gmunden, 15.11.2018
Ausschuss der Ziviltechnikerinnen, Wien, 15.11.2017
HDA, Graz, 19.4.2017
Kamingespräch, Wien, 6.3.2017
Werkschau, Salzburg, 10.11.2016
Fulbright Womens Roundtable, Wien, 23.5.2016

Architektur als kreative Dienstleistung
Mödling, 18.7.2017

Die Stadt als Bühne - Von der Hochstraße zur Herrengasse, 200 Jahre Leben in Wien
mit Iris Meder
HG+ Infopoint, Wien, 9.6.2016

A planned Ideal City and the Legacy of its Plot
University of Minnesota, 11.12.2015

Is there a Perfect Town? The Rational Grid andthe Medieval Maze -
Two Systems of Urbanization
University of Minnesota, 19.11.2015

Margarete Schütte-Lihotzky - Talk and a Tour on the
Frankfurt Kitchen
MIA - Minneapolis Institute of Art, 17.11.2015

Vater, Großvater, Übervater. Zwei Generationen Holzmeister-Schüler.
Hannes (1905–1971) und Hansjörg Eiblmayr (1936–2013)
Internationale Fachtagung „Gibt es eine Holzmeister-Schule?“
Innsbruck, 16. - 18.10.2014

Was bewegt? Zur Situation von Architektinnen im
österreichischen Baugeschehen
Initiative Architektur Salzburg, 27.11.2013

Venus oder Eisenguss? Gendermainstreaming in der Architektur
Institut f. Architekturtheorie, TU Wien, 14.5.2013

ArchitektIn als DienstleisterIn?
frauwt - Netzwerk Wirtschaftstreuhänderinnen, 23.11.2010

Wettbewerbe

2006 Arbeiterkammer Wien Innenraumgestaltung, mit Irmgard Frank (Umsetzung 2006 – 2008)

Karte

Bauwerke

Artikel

13. Dezember 2002 Spectrum

Das Rathaus als Rasthaus

In Österreich kaum mehr zu glauben, aber wahr: Ein Architekt gewinnt einen Wettbewerb - und darf sein Großprojekt dann sogar realisieren! Auch sonst ist Dominique Perraults neues Innsbrucker Rathaus ein gelungenes Beispiel lebendiger Baukultur.

Eine der Idealvoraussetzun gen für eine lebendige Baukultur ist ein diesbezüglich klares Bekenntnis eines politisch Verantwortlichen. Ein Politiker, dem ein nuanciertes Stadtbild durch moderne Architektur ein Anliegen ist, wird durch den Einsatz vieler verschiedener Kreativer eine Vielfalt an Kreativität erzielen.

Da die Moderne in Kunst und Architektur nicht unbedingt mehrheitsfähig ist, erfordert es Mut und Durchhaltevermögen der Entscheidungsträger, um spannendere Bauten durchzubringen. Zur Zeit ist tendenziell das Gegenteil der Fall; in Wien werden die Investoren von Großbauprojekten zu den eigentlich Verantwortlichen für die Stadtentwicklung erkoren, frei nach dem Motto „Wer zahlt, schafft an“. Diese Developer im doppelten Sinn wollen in Architekturfragen tunlichst wirtschaftlich auf Nummer Sicher gehen und beschäftigen eine kleine Riege an arrivierten Architekturbüros, die aktuelle Vergabepraxis zwischen Wien Mitte und Salzburg Stadt zeigt, daß Bauaufträge nach fairen Auswahlverfahren oder architektonischen Qualitätskriterien ein frommer Wunsch sind.

Ein Projekt wie der Neubau des Innsbrucker Rathauses mutet da bereits als ein herausragendes Ereignis in der österreichischen Architekturwelt an, denn hier hat nicht nur ein französischer Stararchitekt den Wettbewerb gewonnen, er durfte sein Projekt auch bauen!

Dominique Perrault ist einer der angesehensten Architekten Frankreichs, international bekannt wurde er Anfang der neunziger Jahre durch seine Planung für die Bibliothèque Nationale de France in Paris, die 1996 eröffnet wurde. Ungefähr zu dieser Zeit wurde Perrault zum Wettbewerb für den neuen Rathauskomplex in Innsbruck geladen, den er in Kooperation mit seinem Partner Rolf Reichert aus München abwickelte und den die beiden vor fünf Jahren für sich entscheiden konnten.

Nachdem das erste Projekt für ein neues Rathaus von Leopold Gerstel, datierend aus dem Jahr 1985, aus ökonomischen Gründen nicht weiterverfolgt worden war, wußte die neu gebildete und um Investoren bereicherte Rathausbaukommission 1994 bereits konkreter, welche Kriterien die Planung erfüllen muß, um als städtebauliches Großprojekt zu reüssieren.

Das alte Rathaus liegt direkt an der Maria-Theresien-Straße im Stadtzentrum von Innsbruck, der Erweiterungsbau aus der Nazizeit an der Fallmerayerstraße war bislang nur über einen Hof an das Hauptgebäude angebunden. Diese bauliche Trennung - verschärft durch den ungeliebten Hinterhofcharakter - und die Zerrissenheit der Behörde, da einige Ämter sich an anderen Orten in der Stadt befanden, sollten beseitigt werden. Das Ziel: eine neue, zentrale Anlaufstelle für Bürgeranliegen. Um den Kaufkraftabfluß in die Shopping-Center an der Peripherie hintanzuhalten, sollte zugleich die Belebung der Innenstadt forciert werden, am besten mittels einer Einkaufspassage mit Tiefgarage, ergänzt um ein Vier-Sterne-Hotel.

Perraults Lösung für diese Anforderungen galt als die städtebaulich sensibelste, vor allem war sein Entwurf der einzige, der den Baukörper verstärkt in die Höhe und nicht in die Breite entwickelte. Seitens der Errichtergesellschaft BOE wurde Perrault ein ortskundiges Gesamtplanungsbüro (Achammer-Tritthart & Partner) zur Seite gestellt, offiziell um die wirtschaftliche Umsetzung der Planung zu gewährleisten. Perrault gilt als ein Architekt, dem nicht Materialperfektionismus in Details, sondern architektonische Gesamtzusammenhänge wichtig sind - und genau das hat er mit seinem Entwurf bewiesen.

Die Rathaus-Galerie wurde nach den Kriterien einer klassischen Einkaufspassage des 19. Jahrhunderts so angelegt, daß sie die Verbindung wichtiger Straßen herstellt. In ihrem Mittelpunkt birgt sie den Eingang ins neue Rathaus. Darüber erstreckt sich das weithin sichtbare Zeichen des neuen Gebäudes, der 37 Meter hohe gläserne Stiegenhausturm, dessen oberstes Geschoß als geschützte Plattform für die Öffentlichkeit angelegt ist. Von hier aus kann man einen Blick auf die Stadt und die flankierenden Berge werfen.

Der sechsgeschoßige Trakt des Rathauszubaus liegt zwischen den beiden alten Gebäuden und bindet diese aneinander an. Formal ist die schwarzweiße Glasfassade im (rechteckigen) Schachbrettmuster ein eigenständiger Baukörper, der von dem mit einem Geflecht aus Nirostastäben eingehausten, darunter verglasten Plenarsaal bekrönt ist. Materialien wie diese zu Matten verarbeiteten Metalle entsprechen Dominique Perraults Streben nach Transparenz in der Architektur und Leichtigkeit in deren Materialität. Als metaphorischer Verweis auf Innsbrucks Wahrzeichen hätten die Metallstäbe übrigens aus Messing sein und im Sonnenlicht hoch über den „Dacheln“ golden strahlen sollen.

Transparenz ist jedoch nicht nur ein formaler Gag des Architekten, sondern zieht sich als leicht identifizierbares Gegenkonzept zu „Wir da oben, ihr da unten“ durch den ganzen neuen Rathauskomplex: vom schwellenlosen Bürgerservice im Eingangsbereich zum Rathaus über den gläsernen Erschließungsturm bis zum Terrassen-Café auf dem Dach. Diese Verwobenheit von Dienstleistung und Komfort und die identifikatorische Qualität, die Stadt gemeinsam überblicken zu können, schafft ein sehr ausgeglichenes Verhältnis zwischen Bediensteten und Bürgern, entsprechend hoch ist laut Thomas Posch von der Innsbrucker Stadtplanung die Zufriedenheit der Angestellten und die Akzeptanz durch die Bevölkerung.

Natürlich gab es im Vorfeld Anrainerproteste, aber der damalige Innsbrucker Bürgermeister und jetzige Landeshauptmann von Tirol, Herwig van Staa, der vor allem von Perraults Architektur überzeugt war, und die BOE standen immer engagiert hinter dem Projekt.

Ambitioniert war man seitens der Stadt auch bei der Kunst am Bau, die konzeptionell in die Architektur einbezogen wurde; stellvertretend seien zwei Werke erwähnt: Die Südseite des gläsernen Turmes ist mit einer durchscheinenden Applikation des Innsbruckers Peter Kogler versehen. Über die gesamte Höhe zieht sich ein unregelmäßiges System von Schläuchen und Röhren, ein Abbild der verschlungenen Vernetzung des Urbanen einerseits, ein vorgelagertes Bild beim Blick auf die Innsbrucker Dachlandschaft mit ihren Dachrinnen und Abluftrohren andrerseits. Durch entsprechendes Fokussieren kann der Blick des Betrachters auf das Bild selbst oder durch dieses hindurch über die Stadt hinweg bis zu Zaha Hadids neuer Sprungschanze auf dem Bergisel gerichtet werden.

Auch der Konzeptkünstlers Daniel Buren spielt mit einer Glasfläche, indem er in die Passagenüberdachung einzelne bunte Glasfelder integriert und so den darunterliegenden Raum in angenehmes natürliches Licht taucht.

Apropos Passage: Vielleicht liegt es an den Lichtverhältnissen oder an der sinnvollen Funktionskulminierung, die Rathaus-Galerien sind belebt, und man fühlt sich wohl. Nicht, daß der Branchenmix spannender wäre als anderswo, aber es scheint, daß die Dimensionierung, die Anzahl der Lokale und das Fehlen jeglicher Attribute einer touristisch-tirolerischen Gemütlichkeit das Durchqueren der Passage zu einem angenehmen Geh- und Seherlebnis werden läßt.

Die kreuzförmige Wegführung ist zwar noch nicht umgesetzt, da die bauliche Anbindung an die Anichstraße noch aussteht, trotzdem ist auch die bestehende kleine Achse wichtig: Am Ausgang Stainerstraße gelangt man zum völlig neu gestalteten Adolf-Pichler-Platz, den baulichen Abschluß an dieser Ecke macht der Trakt des Hotels Penz.

Und so gelangen die Bürger von verschiedenen Seiten bequem zum neuen Zentrum der Stadtverwaltung, das nicht nur ein Rathaus ist, sondern auch als Rasthaus zum Verweilen über den Dächern der Stadt einlädt. Dank Perraults Architektur ein gelungenes Beispiel lebendiger Baukultur.

26. Oktober 2002 Spectrum

Städte wie Stoffmuster

Die Zeit sei wieder reif, neue Denkweisen in der Architektur zu zeigen, befand Zaha Hadid. Einen Querschnitt durch die internationale experimentelle Szene präsentiert sie denn auch in der für den „steirischen herbst“ ausgerichteten Ausstellung „Latente Utopien“.

Es war 1914, als in Italien das Manifest für eine futuristische Architektur formuliert wurde, eine durch die Entwicklungen des Maschinenzeitalters euphorisch aufgeladene Theorie, die auf Marinettis Grundsatz von 1909 basierte: „Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt durch eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit.“ Die Futuristen forderten eine Architektur, die unter anderem sich der neuen Materialien bedient, die Ausdruck besitzt und Kunst bleibt, die schräge und elliptische Linien bevorzugt, weil sie emotionsbeladen sind, die ihre Inspiration aus der Maschinenwelt schöpft.

Man entwickelte Entwürfe für „Moderne Metropolen“, die von hoher Dichte und freigelegter Infrastruktur wie Verkehrsbauten geprägt waren und in ihrer dynamisch plastischen Ausformung Abbilder von Motoren zu sein schienen. Die Futuristen erkannten die Stadt als ein Gebilde, das seine spezifische Spannung aus der permanenten Bewegung in ihr erfährt. Durch die Industrialisierung waren die Bewegungsabläufe immer schneller und intensiver geworden und übten eine ungeheure Faszination auf die künstlerische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts aus, die spürte, daß die Zukunft der Städte mit dem technologischen Fortschritt eng verknüpft sein würde.

Die Selbstdefinition als Futuristen war jedenfalls richtig gewählt, denn im Prinzip ist bereits fünfzig Jahre später in Teilbereichen das eingetreten, was sie als Zukunftsmodell gezeichnet hatten: Leistungsfähige motorisierte Fortbewegungsmittel sind Grundvoraussetzung, um das reibungslose Funktionieren einer Großstadt zu garantieren. Die Futuristen hatten als Schauplatz für ihr Szenario nicht Utopia, „das Land, das nirgends ist“, auserkoren, sondern Titel wie Città Nuova, „Die Neue Stadt“, und somit eine reale Vision kreiert.

Üblicherweise werden visionäre Projekte in der Architektur als utopisch deklariert, da Realitätsbezüge vernachlässigt werden können, und dienen als wesentliches Instrument zur Überprüfung und Infragestellung hergebrachter Planungs- und Bauweisen. Besonders reich an städtebaulichen Utopien und Fiktionen waren die sechziger und frühen siebziger Jahre in Europa und Japan, was in losgelösten „Walking Cities“ (Archi-gram, 1964) oder Megastrukturen, mit denen eine Großstadt wie Tokio überlagert wurde (Kenzo Tange, 1960) seine Ausprägung fand. In den letzten 25 Jahren wurden Projekte dieser Art von der Realität eingeholt, und die Städte begannen sich eher ungelenkt zu Mega-Agglomerationen zu entwickeln.

Die Architekten wollten lieber bauen, als in Theorien zu schwelgen, und begannen außerdem ihrem neuen Planungswerkzeug, dem Computer, mehr Augenmerk zu schenken. Computer-simulationen wurden vorwiegend gemacht, um konstruktive Probleme zu lösen oder um die hinkünftig reelle Plazierung eines neuen Bauwerks zu zeigen, und weniger, um utopische Stadtbilder mit soziokultureller Relevanz zu entwickeln.

Jetzt allerdings sei die Zeit wieder reif, neue Denkwei sen in der Architektur zu zeigen, meint Zaha Hadid, weltbekannte Architektin mit Bürositz in London und Professorin an der Universität für angewandte Kunst in Wien. „Latente Utopien“ nennt sie die Ausstellung anläßlich des „steirischen herbsts“ 2002, die - von ihr gemeinsam mit Patrik Schumacher kuratiert - einen Querschnitt internationaler experimenteller Architektur bilden soll. Im Titel selbst wird bereits klar, daß es sich hierbei um keine rein utopischen Projekte, sondern um teilweise real existierende handelt, denen formal utopisches Flair anhaftet: Die Palette der Darstellungen reicht von Computergraphiken im konstruktiven Bereich über Entwürfe für ein neues World Trade Center bis zu pneumatischen räumlichen Tragwerken.

Interessanterweise gibt es bei fast allen Projekten einen Verweis auf ein bereits dagewesenes kreatives Potential: Man findet Objekte, die an Verner Pantons Siebziger-Jahre-Wohnlandschaf-ten (Andreas Thaler, A; Karim Rashid, USA), oder amorphe Architekturen, die an Plastiken oder Stoffmuster der fünfziger Jahre (deCOi, F) erinnern. Der Entwurf für einen Wolkenkratzer von Kolotan/MacDonald Studio, USA, läßt die Kapselstrukturen der Metabolisten wiederaufleben, und auch Coop Himmelb(l)au scheinen bei ihrem in Planung befindlichen Musée des Confluences in Lyon die räumliche Großstruktur der als Kristall definierten Eingangshalle eher im Sinne Konrad Wachsmanns als durch einen weiterentwickelten Dekonstruktivismus in den Griff bekommen zu wollen.

Der Entwurf von Foreign Office Architects, GB, für das World Trade Center weist, bei dieser prinzipiell prekären Planungsaufgabe, ein wahrscheinlich wirklich zukunftsweisendes Konstruktionsmuster auf, das allerdings von Toyo Ito für die Mediathek in Sendai, im erdbebengefährdeten Japan entwickelt und gebaut wurde. Röhrenförmige, in ihrer Längsachse verwundene räumliche Tragwerke als Baukörper werden zu einem Bündel zusammengefaßt und stellen Flexibilität bei der Aufnahme von Horizontalkräften dar.

Ein Element zieht sich allerdings durch alle Entwürfe: die Dynamik. Nach wie vor scheint der Wunsch zur Utopie darin zu bestehen, die Architektur aus ihrer systemimmanenten Starre zu lösen. In der Stadt jedoch ist, wie bereits erwähnt, genau das eingetroffen: Was Hadid für die Architektur fordert: Spontanität, Einplanung des Spiels des Zufalls, ist in der Stadt längst erfüllt, denn genau das erzeugt Urbanität. Hadids Arbeit „Fieldspace“ (1999), auf der Einladungskarte für die Ausstellung zu sehen, ist ein Abbild der Struktur einer Stadt wie Tokio: mehrere Ebenen - Kanal, Eisenbahn, U-Bahn, Autobahn -, die einander über-, unter- und verschneiden. Die durchfahrenden Verkehrsmittel erzeugen jene Dynamik, die in Hadids Computergraphik durch einen Schwung simuliert wird, und damit schwingen wir uns zurück zur futuristischen Architektur, die „schräge und elliptische Linien bevorzugt, weil sie emotionsbeladen sind“. Die Idee der Loslösung des Gebauten selbst ist im letzten Jahrhundert offensichtlich utopisch geblieben. [*]

[ Die Ausstellung „Latente Utopien - Experimente der Gegenwartsarchitektur“ ist von 26. Oktober 2002 bis 2. März 2003 im Landesmuseum Joanneum, Graz, zu sehen (Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr; für die Dauer des „steirischen herbsts“, bis 24. November, Donnerstag 10 bis 20 Uhr). ]

24. August 2002 Spectrum

Firmling samt God und Gödl

Es steht nach gut 100 Jahren noch genauso da wie eh und je, nur seine infrastrukturelle Basis war nicht mehr up to date: das Wiener Riesenrad. Mathis Barz ist es gelungen, den Formensynkretismus des Wurstlpraters um ein zeitgemäßes Bauwerk zu bereichern.

Als das Riesenrad 1896/97 errichtet wurde, war es bereits die zweite groß-dimensionale kreisrunde Attraktion im Wiener Prater. Nachdem die 1873 anläßlich der Weltausstellung erbaute Rotunde mit ihren 108 Metern im Durchmesser das größte Gebäude des Kontinents war und somit als eigentliches Wahrzeichen des Praters galt, bot das 50jährige Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph eine gute Gelegenheit, diesem etwas ähnlich Spektakuläres entgegenzuhalten.

Ende Juni 1897 konnten die Fahrgäste erstmals die schwebenden Gondeln besteigen und aus maximal 64 Metern Höhe auf Wien herabschauen: ein weiteres Entertainment - neben so grotesken wie der Zwergen- und Liliputaner-Schau. Wie dem Leopoldstadt-Bezirksführer von Klusacek und Stimmer zu entnehmen ist, ist das von den britischen Ingenieuren Basset & Hitchins erbaute Wiener Riesenrad das einzige, das bestehen blieb; jene in London, Paris, Chicago und Blackpool wurden bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder abgetragen.

Die feingliedrige Stahlkonstruktion des Riesenrads überlebte auch das Großfeuer im Wurstlprater kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, lediglich die 30 Waggons brannten aus und wurden durch 15 neue ersetzt. Und so konnten ab 1947 die Wiener Firmlinge wieder traditionsgemäß von Göd und Godl in den Prater geführt und auf eine Fahrt mit dem Riesenrad eingeladen werden.

100 Jahre später hat der Wurstlprater nichts an Attraktivität verloren, wobei die Volksbelustigung nicht mehr darin besteht, sich am Leid anderer Menschen zu weiden. Mittlerweile ist der zahlende Gast das Objekt, das mechanisch herumgewirbelt und in die Luft katapultiert wird und dieserart sich selbst und den Zuschauern gruselige Schauer über den Rücken jagt.

Das unter Denkmalschutz stehende Riesenrad ist in seiner Funktion im Prinzip unverändert geblieben, allerdings wollten die privaten Betreiber neue Strategien entwickelt wissen, um die Qualität in der Nutzung zu verbessern. Die infrastrukturelle Basis für das Riesenrad hatte bislang ein flankierender Pavillon mit Kassa und Souvenirshop im abgeschmackten Hundertwasser-Design gebildet, der jedoch sowohl ästhetisch wie auch von der Kapazität her ausgedient hatte.

Man entschloß sich, von Stefan Seigner, der bereits für das Haus der Musik ein geschicktes Marketingkonzept realisiert hatte, eine Studie für eine zeitgemäße Attraktivierung erstellen zu lassen. Attraktiver sollte das Riesenrad nicht nur für potentielle Fahrgäste werden, sondern natürlich auch für seine Besitzer in Hinsicht auf höhere Umsätze. In einem neuen Auffanggebäude sollte die notwendige Infrastruktur inklusive eines komfortableren, gedeckten Zu- und Abgangs unter einem Dach vereint sein. Neben der dadurch gewährleisteten Ganzjahresnutzung wurde als programmatische Erweiterung ein Panorama eingeplant, das es schon in früherer Zeit als eigenständiges Gebäude in der Nähe des Riesenrads gegeben hatte.

Zusätzliches Entertainment also durch ein bißchen Bildung - im Panorama wird die Geschichte Wiens in Bildern und Szenen nacherzählt - und ein bißchen mehr Shopping, indem der Abgang von der Riesenradfahrt zwingend durch den großen und gut sortierten Souvenirshop führt. Bei Nacht macht eine Lichtinstallation von Patrick Woodroffe das Riesenrad selbst zum Objekt und läßt es weithin über die Stadt strahlen.

Der in Wien lebende Schweizer Architekt Mathis Barz war bei seiner Konzeption darauf bedacht, für das bislang auf acht Stützen frei stehende Riesenrad nicht ein starres Sockelbauwerk wie bei einer Seilbahnstation zu entwickeln, sondern das kinetische Element der Anlage zu betonen und dies in die Grundrißgestaltung einfließen zu lassen. Die einzelnen Funktionen sind in lose aneinandergereihten, gerundeten Pavillons unterschiedlicher Dimensionierung und Materialität organisiert, wobei der Negativraum zwischen diesen als überdachtes halböffentliches Foyer definiert ist. Mit diesem Pavillonsystem wollte Barz die, wie er es nennt, „Buden-architektur“ des Wurstlpraters metaphorisch einbinden und der technoiden Charakteristik des Riesenrads kontrastierend entgegensetzen. Selbstverständlich sind es keine kitschigen Buden, wie sie sonst das Straßenbild des Praters prägen, sondern in Form und Material aufwendig gestaltete, eigenständige Objekte, die trotzdem dem Riesenrad Bodenhaftung verleihen sollen.

Der größte Baukörper, das Panorama, ist wie ein Schiffsrumpf nach außen hin völlig geschlossen und an seiner doppelt gekrümmten Außenwand mit rotem Alublech verkleidet.

Wenn man sich vom Praterstern her nähert, bildet er den Sockel, über dem das Riesenrad emporragt. Zu den Vergnügungsstätten hin orientiert liegt das rundum verglaste Café, das seinen Gästen den Panoramablick auf das bunte Treiben des Wurstlpraters gewährt. Zwischen dem roten und dem gläsernen Bauteil liegt die Kassa als anthrazitgrau verblechter Pavillon, aneinander-gebunden sind die drei Einzelelemente durch die zurückversetzten Eingänge ins Foyer.

Was man zu ebener Erde als sich zwar ergänzende, jedoch amorph geformte Bauteile wahrnimmt, wird von oben her betrachtet in seiner Konzeption kenntlich: Sobald man die Rundreise in einer der Gondeln antritt und über das Sockel-geschoß hinausfährt, werden die einzelnen Pavillons im Grundriß als angenäherte Dreiecke sichtbar. Barz hat eine geometrische Form aus dem Maschinenbau, das Releaux-Dreieck, gewählt, um sich dem Rund des Rads anzunähern, und sich nicht einfach eines Zylinders oder eines Ovals bedient. Die einzelnen Dreiecke mit gewölbten Seiten und abgerundeten Ecken sind durch die Dachhaut des Foyerbereichs zusammengespannt und lassen die fünfte Fassade wie ein eigenständiges Bild wirken, dem man sich langsam von oben her nähert.

Das Interessante an Barz' Konzept ist der spielerische, aber architektonisch ernsthafte Umgang mit der Praterthematik. Er hat es geschafft, ohne Verkitschung, aber auch ohne trocken funktionalistische Reduktion dem Formensynkretismus des Wurstlpraters ein zeitgemäßes Bauwerk hinzuzufügen. Und wer damit hadert, daß das Riesenrad nicht mehr ohne Annexbauten auskommt, der kann sich im Shop eine Schneekugel kaufen und ganz aus der Nähe Wiens Wahrzeichen frei- stehend, einsam im Schnee-gestöber betrachten.

18. Mai 2002 Spectrum

Wenn das Kellerabteil voll ist

Notorische Sammler, Händler, die ein Zwischenlager brauchen, Erben, die nicht wissen, wohin mit der Verlassenschaft: sie und viele andere, die unter Platznot leiden, finden seit drei Jahren in Wien-Umgebung eine Lösung ihres Problems: „Selfstorage“. Anmerkungen zu einem Phänomen anonymer Architektur.

Wenn man durch die Gewerbegebiete von Groß- und mittlerweile auch Kleinstädten fährt, macht eine Branche mit speziell raumgreifender Aggressivität auf sich aufmerksam: die Möbelindustrie. Während Baumärkte bereits einige Jahre in ihrer selbst formulierten Maßstäblichkeit des „Mega“ verharren, sind die Möbelhäuser längst bei „Giga“ angelangt, ein Begriff, der bei Betrachtung der enormen, mit Ware angefüllten Kubaturen und der gigantischen Dichte von Werbeauftritten nicht übertrieben scheint.

Der Expansionsdrang der konkurrierenden Unternehmen ist atemberaubend, und auf den Verkaufsflächen in XXXL-Dimension werden nicht nur mit Mobiliar, sondern mit Dingen wie „langbrennenden Altarkerzen“, „Kombi-Kinderwagen nach dem Feng Shui-Prinzip“ und „Gasgrillern mit Rost und Pfanne“ - kurz gesagt: mit Dingen, die einen „schöner leben“ lassen - Kunden gekeilt. Man fragt sich nun, wenn Frau und Herr Österreicher offensichtlich all diese „Musts“ eines zeitgemäßen Lebensstils kaufen - denn noch ist keines der Möbelhäuser offiziell vom Konkurs bedroht -, wo stellen sie das Zeug hin?!

Zweifellos ist die verfügbare Wohnfläche pro Kopf in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend gestiegen und will dem Einkommen adäquat mit Mobiliar und Accessoires gefüllt und vielleicht öfter im Stil verändert werden. Gleichzeitig wird die Menge an geerbten Stücken immer größer, da es durch den Wohlstand, der sich in der jüngeren Vergangenheit entwickelte, erstmalig für breitere Bevölkerungsschichten leistbar wurde, lustvoll zu konsumieren („Shopping macht happy“) und Güter anzuhäufen.

Es kommt also einiges zusammen; und will man nicht gleich alles verschenken oder entsorgen, so ist man gezwungen zu lagern. Für Wohnungsbesitzer heißt dies meist auslagern, denn das Kellerabteil ist in aller Regel voll, und Lagerung auf Dachböden ist behördlicherseits verboten.

Diese Marktnische hat sich in den vergangenen drei Jahren mit einem Angebot gefüllt: „Selfstorage“ offeriert Lagerräume in allen Größen zur Vermietung, die, wie der Name verrät, von den Nutzern selbst direkt bedient werden können. Am Stadtrand, verkehrsgünstig gelegen, kann hier frei nach dem Motto „Aus den Augen - aus dem Sinn“ alles mit dem Auto geliefert, abgeladen und schwellenlos hinter einem Garagentor verstaut werden, was man im täglichen Leben als Ballast empfindet.

Dies gilt natürlich nicht nur für private Haushalte oder notorische Sammler, sondern ebenso für Firmen, die ein externes Archiv praktisch finden, und für Händler, die für ihre Ware ein Zwischenlager benötigen. Auch Übersiedlungsgut oder eben Verlassenschaften können wochenweise eingestellt werden.

Das System ist einfach: Jeder Mieter, der bezahlt hat, erhält seinen persönlichen Code, nach dessen Eingabe sich der Schranken zur Garagenanlage zwischen sechs und 22 Uhr öffnet. Das eingezäunte und mit Überwachungskameras gesicherte Gelände in Langenzersdorf, die erste „Selfstorage“-Anlage Österreichs, hat den nüchternen Charme von Lagerhütten; silbriggraues Blech, blaue Tore und knallrote Türen signalisieren allerdings sofort, daß hier nicht anonyme Ware gelagert, sondern eine Identifikation mit dem Ort angestrebt wird.

Lagerhallen sind klassische Bauten anonymer Architektur, die aus vorgefertigten Teilen ausschließlich nach funktionellen Kriterien zusammengebaut werden und gleichzeitig vermitteln, umgehend demontierbar zu sein, sollten sie nicht mehr gebraucht werden. Diese reine Zweckorientiertheit der Bauten findet in der Billigbauweise aus Blechpaneelen und Rolläden ihre formal authentische Entsprechung, ein Ansatz, der längst auch in der Architektur seinen Niederschlag gefunden hat; Blech als Fassadenelement ist ein in seiner Ästhetik etabliertes und gern verwendetes Material um Baukostenbewußtsein zum Ausdruck zu bringen.

Interessant an dieser in Österreich vergleichsweise neuen Art der Gebäudenutzung ist, daß mit zunehmender Etablierung der Idee auch massiver gebaut wird: Die zweite „Selfstorage“-Anlage in der Wiener Breitenfurter Straße ist bereits aus Betonfertigteilen und mehrgeschoßig errichtet, die dritte steht überhaupt in einer Baulücke, von außen nicht mehr als Lagergebäude identifizierbar. Da diese Bauten jedoch schwieriger als Blechhütten abzubauen sind, ist eine eventuelle Nachnutzung als Bürohäuser bereits planerisch mitgedacht.

In den USA, woher die Idee stammt, ist die Marktentwicklung der Branche ganz klar an Situierung und Form zu erkennen; nach echten Lagerhäusern, wo, in Holzboxen verstaut, Hab und Gut für einen längeren Zeitraum abgegeben und eingelagert werden konnten, begannen sich Mitte der 1960er Jahre in den Industriezonen der Städte die ersten Selfservice-Anlagen zu etablieren. Die zunehmende Automobilisierung der Amerikaner verhalf der Idee sehr schnell zu großer Popularität, und so rückten die Anlagen immer näher an die Kunden heran.

Mittlerweile gelten sie dann als optimal situiert, wenn sie auf halbem Weg zwischen dem Wohnviertel und dem Einkaufscenter liegen und unkompliziert täglich angefahren werden können. Vom Store zum Storage ist es dann nicht mehr weit: Ware wird gekauft, eine Zeitlang benutzt und dann gelagert. Ist das Lager voll, macht man einen Garage-Sale oder entsorgt und kann dem Konsum wieder von neuem frönen.

Diese Anlagen sehen allerdings nicht mehr wie simple Garagen aus, sondern sind, weil fix institutionalisiert, um einen architektonischen Mehrwert bemüht und versuchen, mit Putz- oder Klinkerfassaden sich an benachbarte Bank- und Postgebäude stilistisch anzupassen.

Hält der augenscheinliche Trend - siehe Möbelhäuser - zur Etablierung einer Konsumgesellschaft nach amerikanischem Vorbild an, wird sich im dichten europäischen Raum die „Selfstorage“-Idee sicher auch in subtileren architektonischen Ausformungen verbreiten.

Vom ökonomischen Standpunkt aus ist die Auslagerung des Angehäuften deshalb so genial, weil sie den Konsumenten die tägliche Konfrontation mit dem Überfluß erspart. Womöglich würden sie sonst ein Kinderwagerl ausleihen und nicht mehr kaufen!

23. März 2002 Spectrum

Jedem sein Fenster!

Ein High-Tech-Krankenhaus in denkmalgeschützte Bausubstanz zu integrieren: So diffizil die Bauaufgabe auch war, so souverän lösten sie Ernst Beneder und Anja Fischer. Die Neurologie Baumgartner Höhe: ein Gewinn für die Patienten, das Personal und die Architektur.

Die Niederösterreichische Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke „Am Steinhof“ war seit ihrem Bestehen - 1907 als eine der weltweit modernsten Institutionen dieser Art errichtet - einigen Nutzungsänderungen unterworfen gewesen. Ein Teil der von Franz Berger, einem Architekten der niederösterreichischen Bauabteilung, geplanten und von Otto Wagner in ihrer städtebaulichen Anordnung supervidierten Pavillonanlage wurde bereits nach dem Ersten Weltkrieg in eine Lungenheilstätte umfunktioniert. Aus dieser entwickelte sich seit den sechziger Jahren einerseits das Pulmologische Zentrum und andrerseits, aus der Abteilung für Knochentuberkulose hervorgegangen, eine orthopädische Abteilung. Die eigentliche „Nervenheilanstalt“ wurde in Psychiatrisches Krankenhaus Baumgartner Höhe umbenannt, und so wurde man bei psychiatrisch auffallendem Benehmen ab den sechziger Jahren nicht mehr „auf den Steinhof“, sondern „auf die Baumgartner Höhe“ gebracht.

Seither hat sich viel geändert. Nach einer Reform der Betreuung psychiatrischer Patienten hat sich in den achtziger Jahren das Bild der psychiatrischen Krankenhäuser deutlich gewandelt. Allein die Verwendung des Plurals zeigt, daß in Wien nicht mehr eine einzige geschlossene Anstalt, am Rande des Stadtgebiets gelegen, als „der Steinhof“ angstbesetzt synonymisiert existiert, sondern zusätzlich in zwei Schwerpunktspitälern psychiatrische Abteilungen eröffnet wurden. Man ging in der Behandlung dazu über, die Stationen zu öffnen und Patienten und Patientinnen vermehrt ambulant und in relativer Nähe zu ihrem Wohnbezirk zu betreuen. Durch die Auslagerung einzelner Stationen von der Baumgartner Höhe wurden dort Pavillons leer und konnten einer neuen Verwendung zugeführt werden: einem Förderpflegeheim für geistig behinderte Kinder und Jugendliche etwa oder dem allgemeinen Pflegeheim Sanatoriumstraße.

Die wesentliche Neuerung stellte jedoch die Integrierung einer eigenen neurologischen Abteilung dar. Durch die zunehmende Spezifizierung in Diagnostik und Therapie erfolgte vor einigen Jahren die Trennung des Faches Psychiatrie und Neurologie in zwei eigenständige Disziplinen. Gerade auf der Baumgartner Höhe war der Bedarf einer Neurologie besonders stark gegeben, um sowohl Psychiatrie wie Orthopädie unmittelbar ergänzen zu können. Ein Synergieeffekt, den der Wiener Krankenanstaltenverbund auch insofern anstrebte, als zwecks Rationalisierung kleine Spitäler in Wien geschlossen und deren Abteilungen in den Verbund mit bestehender Infrastruktur gebracht werden und das Neurologische Krankenhaus Maria-Theresien-Schlös- sel in Döbling so neu verortet werden sollten. Die denkmalgeschützten Gebäude mit ihrer großzügigen Kubatur waren ideal für den Platzbedarf der neuen Nutzer, in drei benachbarten Pavillons konnte das gewünschte Raumprogramm umgesetzt werden.

Um der diffizilen architektonischen Aufgabe gerecht zu werden, ein High-Tech-Krankenhaus in denkmalgeschützte Bausubstanz zu integrieren, war seitens der Gemeinde Wien 1997 ein EU-weites Bewerbungsverfahren ausgeschrieben worden, das die Wiener Architektengemeinschaft Ernst Beneder und Anja Fischer mit einem Konzept gewann, das sie ohne Abstriche und unter Einhaltung der budgetierten Kosten realisieren konnte. Das Denkmalamt war von Anfang an in die Generalsanierung der Jugendstil-Pavillons eingebunden, paradoxerweise bedeutete das aber in diesem Fall keine Einschränkung, sondern lieferte eher die Argumente, um die Großmaßstäblichkeit, die die besondere Qualität der Jahrhundertwendebauten ausmacht, zu erhalten und nicht möglichst rationell zuzubauen.

Man war mit dem Altbestand zufrieden, da er sich in seiner räumlichen Struktur als sehr gut adaptionsfähig herausstellte: Durch die Einhüftigkeit waren die süd-, ost- und westseitige Orientierung der Krankenzimmer und der nordseitige, natürlich belichtete Gang gegeben, auch die enorme Raumhöhe, die aus Kostengründen bei keinem Krankenhausneubau mehr gemacht werden würde, ließ mehr Spiel in der Raumgestaltung zu. Die Sichtziegelfassade, die großformatigen Holzfenster (mit kleiner Sprossenteilung), die südostseitigen Loggien zum Grünraum hin und die hellen Stiegenhäuser wurden originalgetreu instand gesetzt, notwendige Neuerungen an struktureller Infrastruktur, wie Haustechnik oder der Einbau von Aufzügen mit neuen Zufahrten für die Krankentransporte, wurden weitestgehend integrativ, also ohne Zubauten an die bestehenden Gebäude vorgenommen.

Die drei Pavillons sind alle nach dem gleichen Ordnungsprinzip aufgebaut, um im laufenden Betrieb eine universelle Orientierbarkeit zu gewährleisten. Jeweils im Sockelgeschoß sind Therapieeinrichtungen beziehungsweise die Tagesklinik untergebracht, im Erdgeschoß Ambulanz oder Bettenstationen und im ersten Obergeschoß Bettenstationen unter anderem mit Critical Care (Intensivstation). Die Dachgeschoße sind mit den Dienst- und Besprechungszimmern dem medizinischen Personal vorbehalten. Wichtig ist, daß in jedem einzelnen Gebäude noch Reserveflächen vorhanden sind, die nach Bedarf individuelle Entwicklungen der einzelnen Abteilungen zulassen.

Neben einer Akutneurologie (Stroke Unit) werden die meisten stationären Betten von Langzeitpatienten zur neurologischen Rehabilitation belegt sein. Dies war einer der wesentlichen Gründe für den von Ernst Beneder und Anja Fischer formulierten konzeptionellen Leitsatz: „Jedem Patienten sein Fenster“. Die räumliche Großzügigkeit in Form des langgestreckten Baukörpers ausnutzend, wurden die Patientenzimmer so angelegt, daß die Betten nicht nebeneinander, sondern einander vis-à-vis angeordnet sind und somit jede Patientin, jeder Patient über „ihr“ oder „sein“ Fenster verfügen kann. Bei diesem Konzept kann jeder beim Fenster liegen und den ungehinderten Blick in den Grünraum genießen, man kann es öffnen oder geschlossen halten oder auch abdunkeln, ohne den „Kollegen“ zu beeinträchtigen. Es wird für jedes Bett ein eigener Bereich definiert, was auch während der Besuchszeiten von großem Vorteil ist. Selbst die Vierbettzimmer sind entlang der Fensterfront orientiert in zwei Hälften geteilt, wobei durch halbhohe Schrankwände eine Art Vorraum abgetrennt ist, der die Intimität der Bettenkojen weiter erhöht.

Die Längsorientierung bewirkt, daß die Zimmer weniger Tiefe brauchen, was neue räumliche Definitionen möglich macht. An den Sanitärbereichen vorbei verläßt man das Krankenzimmer, gelangt jedoch nicht direkt auf den Gang, sondern in einen Vorbereich mit halböffentlichem Charakter, was durch ein fix befestigtes Bankerl noch unterstrichen wird. So verfügt jedes Zimmer über seinen eigenen Vorraum, wobei über Oberlichten eine visuelle Anbindung hergestellt wird. Diese Entkoppelung vom hohen Raum und den weniger hohen Zwischenwänden läßt die Einbauten wie hineingestelltes Mobiliar wirken. Gleichzeitig wird der Gang durch die Rücksprünge, die sowohl in der Bodengestaltung als auch durch abgehängte, auskragende Deckenelemente aus Aluminium betont werden, in seiner Länge entschärft. Zwischen den „Vorplätzen“ liegen Versorgungsräume, über dieser Zone verläuft entlang der Längsachse der Technikkollektor mit sämtlichen Ver- und Entsorgungsleitungen.

Über die bereits beschriebenen Zonierungen hinaus war die räumlich-funktionale Organisation der einzelnen Stationen an der Achsialität des Baubestandes so gut festzumachen, daß sie ganz selbstverständlich wirkt: Gegenüber dem mittig an der Nordseite des Baukörpers liegenden Stiegenhaus mit direktem Blick auf den Eingang liegt der jeweilige Stationsstützpunkt, an der Südostecke mit Ausgang auf die Loggia der Patientenaufenthaltsraum. Jedes Stockwerk ist durch eine spezifische Farbe der eingebauten Möbel und Wandpaneele kenntlich gemacht, alle Details sind durchgeplant und in hochwertigen Materialien ausgeführt - und vor allem: Alt und Neu gehen, wie meistens, wenn gute, sensible Architekten oder Architektinnen mit der Planung beauftragt werden, einander bedingend und ergänzend bestens zusammen.

Ernst Beneder und Anja Fischer betreiben ein relativ kleines Architekturbüro, durch ihr kreatives Potential, ihre Erfahrung und eine gut funktionierende Kooperation mit Partnern wie dem Zivilingenieurbüro Pörner & Partner für Statik, Haustechnik, örtliche Bauaufsicht ist es ihnen als Generalplaner gelungen, ein Großprojekt wie dieses mit all seiner Mühsal perfekt abzuwickeln. Dies soll ein Hinweis darauf sein, daß gerade im Spitalsbereich so oft intelligente Individuallösungen gefordert sind, die durch eine engagierte, fachkenntnisreiche Planung enorme Verbesserungen im für Personal wie Patienten nicht einfachen Alltag bewirken können. Leider scheint es derzeit eher so zu sein, daß dringend notwendige Sanierungen wie beim Kaiserin-Elisabeth-Spital trotz vorhandener Planung nicht umgesetzt werden.

Der Steinhof hat es jedenfalls geschafft, rundum erneuert zu werden. Mit insgesamt fünf sanierten Pavillons und neuen Kompetenzbereichen ausgestattet, wurde die Institution auch einem semantischen Relaunch unterzogen und heißt jetzt: Sozialmedizinisches Zentrum (SMZ) Baumgartner Höhe, Otto-Wagner-Spital mit Pflegezentrum. Am Fuße seiner Kirche wird Otto Wagner vereinnahmt; aber vielleicht wollen die Patienten dann eher hin - nicht nur die Architekten.

9. Februar 2002 Spectrum

Ablaufdatum inklusive

Dem Baustellen-Container ist es unübersehbar eingeschrieben, dem „Set-Design“ eines Fernsehstudios ist es nicht unmittelbar abzulesen. Dennoch: Beide sind „temporäre Architektur“. Über die Zeit-Raum- Arbeiten von Stuart und Mascha Veech.

Der Begriff der „temporären Architektur“ beschreibt, einfach ausgedrückt, ein Bauwerk, dem ein Ablaufdatum (in unterschiedlichen Ausformungen) impliziert ist. Das bekannteste synonyme Objekt temporärer Architektur ist wohl das Zirkuszelt: eine in ihrer Funktion spezifizierte Hülle, in kürzester Zeit aufgebaut, sich Raum nehmend und Raum gebend, über Nacht wieder abgebaut und an den nächsten Ort weitertransportiert. Im Winter unbenutzt, kann es viele Saisonen lang in Verwendung bleiben. Auch einem Baustellenbüro-Container ist das Temporäre eingeschrieben. Allein die Form signalisiert, daß das „Hüttel“ bald wieder weg und an anderer Stelle aufgebaut sein wird.

Es gibt aber noch andere als ausschließlich am Ort festgemachte Lesarten des temporär Gebauten. Ausstellungs-architektur definiert sich sowohl über den situativen als auch über den inhaltlichen Kontext für eine begrenzte Zeitspanne. Die meist speziell für einen Ort, ein Thema oder sogar ein Objekt entworfenen Gestaltungselemen- te landen nach Abbau einer Ausstellung bestenfalls in einem Depot, können aber meist nie wieder verwendet werden. Im Gegensatz zu mobiler Mehrwegarchitektur wie oben handelt es sich hierbei um meist statische Einwegarchitektur.
Auch in der Medienwelt wird selbstverständlich mit temporärer Architektur operiert. Eine regelmäßige Fernsehsendung ist für die Zuseher nicht nur über Titel, Themenbezogenheit und fixen Zeitpunkt der Ausstrahlung festzumachen, sondern auch über ihr „Set-Design“. Dieserart wird den Fernsehkonsumenten „ein gleichermaßen durch Kommunikation und Architektur bestimmter Raum“ (Stuart Veech), in einem beschränkten Zeit-Raum - wenn auch nur visuell - zugänglich gemacht. Allein durch eine divergierende Ausleuchtung können kurzzeitige Raumwirkungen von vermeintlich unterschiedlichem architektonischem Charakter in ein und demselben Raum erzeugt werden, als sozusagen temporär inszenierte Architektur der Wahrnehmung.

Die Arbeit von Stuart Veech und Mascha Veech-Kosmatschof widmet sich hauptsächlich der temporären Architektur - in all den genannten Ausformungen. Der Name veech.media.architecture. besagt dabei nicht nur, daß die Architekten (Massen-)Medien wie den ORF bedienen beziehungsweise sich der Medien, wie neuester Computertechnologie, als Arbeitsinstrumente bedienen, sondern daß sie die von ihnen erdachte Architektur selbst als Medium verstanden wissen möchten, das die Stimulierung eines Innen- oder Außenraums bewirkt.

Wenn Stuart Veech ein neues Studio-Design für „Zeit im Bild“ entwickelt - das demnächst auf dem Bildschirm zu sehen sein wird -, macht sich der durchschnittliche Fernsehkonsument keinen Begriff von der Komplexität dieser gestalterischen Aufgabe.

Abgesehen von technischen Notwendigkeiten gilt es speziell für eine Nachrichtensendung, das Studio so herzurichten, daß es nicht nur gut aussieht, sondern auch Glaubwürdigkeit vermittelt. Für die Zuseher muß ein Gleichgewicht hergestellt werden zwischen den Objekten (Tisch, Videowall et cetera) und der Moderatorin als aktivierendem Element, denn erst durch die Präsenz einer Person wird das Set-Design in seiner Maßstäblichkeit und räumlichen Wirkung identifizierbar.

Die Inszenierung des realen architektonischen Raums mit Hilfe von Licht, Bewegung, Kameraführung und „framing“ - der Monitor schafft den passenden Rahmen für das Bild - bedingt eine Transformation, deren Endprodukt als visuell spannende Illusion auf dem Bildschirm erscheint: On-Screen- Architecture oder, wie es Veech nennt, ein Raum in 2.5D. Insofern ist dieser Entwicklungsprozeß - der meist unter Zeitdruck einer starken kreativen Dynamik unterliegt - der konventionellen Entstehung eines architektonischen Gebildes diametral entgegengesetzt.

Ein thematisch naheliegendes Beispiel von veech.media.architecture. ist die Gestaltung der Ausstellung „Televisions - Kunst sieht fern“ in der Kunsthalle Wien, die Anfang Jänner zu Ende ging. Um die Kunst-betrachter näher an die Fernsehkunst heranzubringen, bedurfte es in der schwierig zu bespielenden Halle 1 eines prägenden architektonischen Eingriffs: Die Veechs nutzten den hohen, mit einer Tonne gedeckten Raum aus, indem sie eine mit Projek-tionsfolie bespannte Gerüstkonstruktion hineinstellten, die ei- nerseits die zwei Galerien an den Breitseiten der Halle durch einen Steg verband, andererseits als den Raum längs strukturierendes Element wirkte. Durch Ausschnitte im fast raumhohen Screen wurde der Blick in den Ausstellungsraum beziehungsweise auf die einzelnen vorgehängten Wände mit Kunstwerken freigegeben, von der unteren Ebene betrachtet schufen die über den Steg spazierenden Menschen ein „bewegtes Bild am Schirm“. Der Einbau der Brücke intendierte, eine Fluktuation durch die Ausstellung herbeizuführen, gleichzeitig wur- de der ganze Raum für die Besucher aktiviert, da sich von der Brücke aus neue räumliche Perspektiven erschlossen.

Mascha und Stuart Veech haben sich dadurch einen Namen gemacht, daß sie, ohne sich selbst in Szene zu setzen, experimentelle Projektentwicklung für jene Kunden betreiben, die sich des Wunschprodukts nicht sicher sind. Als sie vom Bundesministerium für Bildung und Kunst gebeten wurden, anläßlich des „Jahres der Sprachen“ (2001) einen interaktiven Info-terminal in Säulenform zu planen, konnten Veech & Veech die Bauherrschaft davon überzeugen, daß ein solches Objekt alleine keinen sehr hohen Aufforderungscharakter hat, ein attraktiver Raum jedoch sehr wohl.
Sie entwickelten einen Pavillon aus einer pneumatischen Klappkonstruktion, der im öffentlichen Raum aufgestellt wurde. Mit einer Zelthaut aus transluzenten Luftpolstern glich er einem gelandeten UFO, das durch eine breite Öffnung betreten werden konnte. Die „Roadshow“ war insofern perfekt inszeniert, als nach einem Tag Aufbau das über Nacht leuchtende Objekt als sein eigener Werbeträger fungierte und das Publikum für den nächsten Tag anzog. Im Inneren der „Sprachblase“ konnte man sich über Möglichkeiten der Fremdsprachenvermittlung einen Tag lang informieren.
Nebst einer Wanderbühne wie dem Sprachpavillon, der mehrere Wochen durch Österreich „tourte“, ist ein anderer von veech.media.architecture. entworfener Bühnenraum seit drei Jahren unverändert in Verwendung: das STUDIO 44, das die Österreichischen Lotterien als hauseigenen Veranstaltungssaal einrichten ließen. Stuart und Mascha Veech erhielten den Auftrag, das Inventar des technisch voll ausgestatteten Studios so flexibel wie möglich zu halten, um für Veranstaltungen verschiedenster Art in formaler und funktionaler Hinsicht gerüstet zu sein. Neben Eigenveranstaltungen wie Pressekonferenzen und Produktpräsentationen wollte man die Räumlichkeiten durch Fremdvermietung sinnvoll nutzen.

Die Lösung war ein im besten Sinne multimedial ausgerichteter Raum, der durch ein Maximum an technischer Ausstattung mit einem Minimum an Einbauten auskommt. Der anthrazitfarben ausgekleidete Veranstaltungssaal verfügt lediglich über eine Bühne mit einem konkaven Hintersetzer an der Stirnwand und zwei konvexen, seitlich flankierenden Hintersetzern, zwei Videowalls, die gegebenenfalls zu einer großen zusammengeschoben werden können, und einer mit technischem Gerät vollgepackten Decke.

Die eigentliche, individuelle Raumgestaltung erfolgt nun von der technischen Leitzentrale aus, die sich auf einer „Kommandobrücke“ im Hintergrund des Raums befindet und von dort aus alle Scheinwerfer, Projektoren und Lautsprecher steuert. Die Bühne ist aus Glas, kann durch integrierte Leuchtstoffröhren in allen Farben hinterleuchtet werden und gerät dieserart selbst zur Installation. Ihre trapezoide Form verstärkt die Perspektivwirkung und erzeugt durch einen leichten (Auf-)Schwung des Bühnenbodens als Übergang zum kon-kaven Hintersetzer räumliche Spannung, wodurch die Redner oder präsentierten Objekte zum integralen Bestandteil der Inszenierung werden.
Durch die gezielte Bespielung der Videowall und der Netz- Vinyl-Screens (Hintersetzer) mit Farben und Motiven wird die dem jeweiligen Event adäquate Raumstimmung erzeugt. Dies ist ein medial erschaffenes Environment, wo reine Projektionsträger raumbildend wahrgenommen werden. Die rasch mögliche Änderung des Raumbilds bewirkt natürlich eine praktikable Flexibilität für die Raumnutzung, wodurch die Multifunktionalität des STUDIO 44 in höchstem Maße gegeben ist.

Diese Art von Flexibilität verkörpernder Architektur entspricht auch dem ganz persönlichen, kosmopolitischen Ansatz von Architektin und Archi-tekt im abstammungsbedingten Spannungsfeld zwischen Moskau und Chicago und dem gemeinsamen Studium an der Architectural Association (AA) in London.

Vielleicht fungieren Mascha und Stuart Veech an ihrem momentanen Lebensmittelpunkt Wien auch als kreative Mediatoren zwischen unterschiedlichen Kulturen.

3. November 2001 Spectrum

Zum Mittelpunkt der Erde

„Architektur beherrscht den Raum, indem sie in die Höhe schießt, die Erde aushölt, weit auskragend über dem Land schwebt.“ Was Hans Hollein vor 40 Jahren schrieb, liest sich wie das programmatische Konzept zu seinem Vulkanmuseum in der Auvergne, das demnächst eröffnet wird: eine Erlebniswelt im besten Sinne.

„Architektur beherrscht den Raum. Beherrscht ihn, indem sie in die Höhe schießt, die Erde aushöhlt, weit auskragend über dem Land schwebt, sich in alle Richtungen ausbreitet. Beherrscht ihn durch Masse und Leere. Beherrscht Raum durch Raum. In dieser Architektur geht es nicht um Schönheit. Wenn wir schon eine Schönheit wollen, dann weniger eine der Form, der Proportion, sondern eine sinnliche Schönheit elementarer Gewalt. ... Alles Bauen ist kultisch.“

Was Hans Hollein 1962/63 - hier auszugsweise wiergegeben - in seinem Manifest „Absolute Architektur“ geschrieben hat, klingt, als ob ein Vulkanmuseum schon immer ein Traumprojekt von ihm gewesen wäre. Denn wo ist die elementare Gewalt unmittelbarer spürbar — sowohl in ihrer Sinnlichkeit, als auch in ihrer Brutalität — als bei Bewegungen, die aus dem Inneren des Erdballs herrühren. Eigentlich ist es ein Vulkanausbruch, der den Raum beherrscht. Ihn beherrscht, indem Lava in die Höhe schießt, die Erde aushöhlt, weit auskragend über dem Land schwebt, sich in alle Richtungen ausbreitet.
Seine Theorie der frühen sechziger Jahre erklärt unter anderem all jene durch technische Machbarkeit entstandenen Negativräume in der Natur zur Architektur, ein Ansatz, dem Hollein 1990 beim preisgekrönten Wettbewerbsbeitrag für das Guggenheim-Museum in Salzburg konkrete Form gab. In kaum einem anderen architektonischen Projekt jemals wurde die Dialektik zwischen Architektur und Landschaft so deutlich zum Ausdruck gebracht wie in Holleins Entwurf für „Das Museum im Fels“.

Die Idee im historisch gewachsenen, dichten Stadtkern von Salzburg zusätzlichen Raum zu schaffen, indem man unter Tag abbaut statt hoch aufbaut und dem Mönchsberg Räume „herausreißt“, entspricht exakt der Umsetzung des Gedankens von der „sinnlichen Schönheit elementarer Gewalt.“ Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob man den Fels für einen Zweckbau wie einen Tunnel oder eine Garage aushöhlt oder ob man diesen Höhlen kultischen Charakter verleiht, indem man sie zu einem Museum für bildende Kunst macht.
Valérie Giscard d´Estaing dürfte die Entsprechung des Holleinschen Architekturbegriffs für die Bauaufgabe eines Vulkanmuseums bewusst gewesen sein, denn angeblich war er es, der einem lokalen Architekturbüro in der Auvergne empfahl, für den diesbezüglichen Architekturwettbewerb Hans Hollein beizuziehen. Giscard d´Estaing — so wie jeder französiche Präsident mit dem lebenslangen Titel „Président de la République Française“ versehen — blieb zu Amtszeiten (1974-81) die Fertigstellung eines von ihm initiierten großen Bauwerks versagt, da es jedoch durchaus zum Selbstverständnis der Französischen Staatspräsidentschaft gehört, sich auch über Architektur zu definieren, wollte er dies zu einem späteren Zeitpunkt nachholen; In seiner jetzigen Funktion als „Président du Conseil Régional d’Auvergne“ war es seine Idee im strukturschwachen, mittelfranzösischen „Avernerland“ den Tourismus zu forcieren und inmitten der beeindruckenden Landschaft erloschener Vulkane das „Europäische Zentrum für Vulkanismus“ anzusiedeln, womöglich durch einen berühmten Architekten realisiert.

Hans Hollein - in Kooperation mit „Atelier Quatre“ aus der Nähe von Clermont-Ferrand - gewann den 1994 ausgeschriebenen Wettbewerb gegen hochkarätige internationale Konkurrenz, nicht zuletzt deshalb, weil sein Konzept das einzige war, das auch in die Tiefe ging, indem er die Hälfte der musealen Ereignisse in das aus Vulkangestein gebildete Gelände eingegraben hat.

Nachdem es für ein Museum dieserart keinerlei Vorbild gab, war ein interessanter Aspekt bei dieser Bauaufgabe, das Thema Vulkanmuseum an sich zu entwickeln und das geforderte Nutzungsprogramm in eine räumliche Komposition zu bringen. Hollein verfolgte dabei einen poetischen Ansatz und bezog sich nicht nur auf Werke der Literatur, wie Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ oder Dantes „Göttliche Komödie“, indem er zum Beispiel den Abstieg in einen künstlichen Krater für das Publikum infernalisch inszenierte, sondern zitierte auch aus der (französischen) Architekturgeschichte, wie etwa aus dem Werk des Revolutionsarchitekten Etienne-Louis Boullée oder des Architektur- und Geschwindigkeitstheoretikers Paul Virilio.

„Vulcania“, dessen programmatisches Konzept von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet wird, wird jedoch nicht nur ein Ziel für Erlebnistouristen darstellen, sondern auch als weltweit einzigartiges wissenschaftliches Zentrum auf dem Gebiet der Vulkanologie dienen. Es soll sowohl als Kongress- und Forschungszentrum entsprechen, als auch für Schülerinnen und Schüler einen spannenden, interaktiven Geologieunterricht bieten.
Das Museumsgelände ist in einen großen von Gilles Clément geplanten Landschaftspark eingebettet, der unter striktem Naturschutz steht und als Erholungsgebiet genutzt werden wird. Zur Sicherung der nahen unterirdischen Wasserreservoirs von Volvic und aus Angst vor einer Disneyfizierung der Gegend wurden sehr strenge Richtlinien für den Umweltschutz erstellt und ein rigoroses Bauverbot für Hotels und ähnliches in der näheren Umgebung verhängt. Gleichzeitig hofft man, dass sich für die zehn Kilometer entfernt liegende Stadt Clermont-Ferrand durch das Anbieten der tourismusorientierten Infrastrukur neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen.

Wenn man sich der Museumsanlage nähert, die sich im Innen- und Aussenraum erstreckt, sind nur zwei Baukörper als Blickattraktoren ausnehmbar, das Empfangsgebäude, in dessen Obergeschoß ein Restaurant mit Rundblick auf die vulkanische Landschaft untergebracht ist und „Le Cône“, der das Zentrum der Anlage signalisiert.

Über eine lange, von einer Zyklopenmauer aus herausgesprengtem Lavagestein einerseits und einer begrünten Böschung andrerseits begrenzten Rampe dringt man ins Gelände ein und gelangt auf die unter Niveau liegende Ebene der so bezeichneten „Caldera“. Hier umschreitet man den aussen mit dezenten hellgrauen Basaltgesteinsplatten belegten Konus, der aus zwei versetzt angeordneten Halbschalen von unterschiedlicher Höhe besteht. Seine Innenseite erstrahlt allerdings in Gold und man erkennt sehr schnell, dass es sich hier um einen Archetypus kulthaften Bauens handelt, der symbolträchtig das Sonnenlicht einfängt und ins Untergeschoß weiterleitet.

Diese innere Haut des Konus wird aus Edelstahlplatten gebildet, die durch ein spezielles, in Korea entwickeltes Titanbedampfungsverfahren ihren goldfarbenen Glanz erhalten und eine unterschiedliche Oberflächenstruktur aufweisen: An der sonnenzugewandten Seite werden die Strahlen über eine kassettenförmige Anordnung der in sich strukturierten Bleche gestreut, das gleichmäßige Licht von Norden wird hingegen über eine glatte Oberfläche reflektiert. Bei Dunkelheit soll der Innenraum mit künstlichem Licht und sogar mit Feuer bespielt werden. Die Sockelzone des „Cône“ ist gleichzeitig die Hauptebene des Museums, das sich den BesucherInnen in einem abwechslungsreichen Rundgang erschließt: Die Ausstellungsräume, die einer eigenen Szenografie von Rainer Verbizh unterliegen, der „Jardin Volcanique“, ein Gewächshaus, das die fruchtbare Bodenbeschaffenheit nach einem Vulkanausbruch thematisiert, die zwei Kinosäle, wo Vulkaneruptionen im Imax-Format verfolgt werden können.
Schlussendlich gerät man über eine gewundene Rampe im Krater, der einen Blick in die Natur der Sache gewährt und die freigelegten, echten Schichtungen von Lavagestein zeigt, wieder auf die Ebene der „Caldera“. Begleitet wird man dabei von einem künstlichen, erdinneren Grollen und aufsteigenden Dämpfen sein.

Bei der Gesteinswahl hat sich Hollein vorwiegend an regional Vorhandenes gehalten, sei es beim grauen Basalt und rötlichen Sandstein, oder beim Basalt als Zuschlagsstoff des anthrazitfarbenen Betons mit vereinzelt roter Körnung.
Sogar der Name „Vulcania“ wurde in der Region in einem eigenen Schülerwettbewerb kreiert, was beweist, dass Star Trek auch die Kinder in der Auvergne kreativ beflügelt.

„Vulkane sind die konstante Erinnerung an den fortwährenden Prozess der Bildung unseres Planeten. Es gibt einen starken rituellen und symbolischen Aspekt in der Idee eines Zentrums für Vulkanologie. Architektonisch gesehen ist dieses Konzept wirklich dreidimensional. Da es gleichzeitig substraktiv und additiv ist, erlaubt es eine freie Entwicklung der Räume und ihre Bewegung in jede Richtung: horizontal, vertikal und diagonal“, schreibt Hans Hollein.
Nach fünfjähriger Bauzeit wird das Vulkanmuseum Anfang nächsten Jahres eröffnet, eine Erlebniswelt im besten Sinne, wo das beeindruckende Naturschauspiel eines Vulkanausbruchs inszeniert, gleichzeitig jedoch ein Bildungsauftrag erfüllt wird und diese beiden Aspekte in einer poetischen Gesamtkonzeption miteinander verbunden werden.

8. September 2001 Spectrum

Was sich daheim alles abspielt

Nicht nur das satte Orange der Fassade verbindet den Tochter- mit dem Mutterbau. „Miss Sargfabrik“ von BKK-3 hat sich inzwischen ebenso wie die „Missis“ als Synonym für gelungenen sozialen Wohnbau etabliert. Weiterer Nachwuchs dringend erwünscht!

Leben im Industriedenkmal ist in Wien zur Zeit ein hochaktuelles Thema. Allerdings befürchtet die Betriebsgesellschaft eines solchen Projekts offensichtlich die mangelnde Identifikation ihrer Zielgruppe mit dem historischen Ort und kreiert ein zeitgemäßes Branding, um die Kundschaft nicht mit architektonischen Altlasten zu verschrecken. Und so wird zum Beispiel durch einen semantischen Kunstgriff aus den plumpen Gasometern eine schicke Vorstadt, denn: „G-town ist eine junge Stadt“.

An einer anderen Stelle in Wien, in Penzing, hatte man mit dem Verweis auf die ehemalige industrielle Nutzung des Orts offensichtlich weniger Probleme gehabt, wodurch sich die eher skurril anmutende Bezeichnung „Sargfabrik“ als Synonym für ein gelungenes soziales Wohnbauprojekt etablieren konnte.

Eine Gruppe unzufriedener Wohnungssuchender war Anfang der 1990er Jahre angetreten, um mit Hilfe der Architekten und Architektinnen des Baukünstlerkollektivs BKK-2 (Ch. Lammerhuber, A. Linemayr, F. Sumnitsch, F. Wallnöfer, J. Winter und E. Wurster) eine neue Art der Wohnform auf dem Wiener Wohnungsmarkt zu plazieren. Man gründete den „Verein für integrative Lebensgestaltung“ und wollte das leerstehende Fabriksgebäude im dicht verbauten Gebiet zu einem Wohnbau umfunktionieren. Die Bausubstanz war allerdings zu schlecht, und so wurde 1996 ein Neubau in sattem Orange fertiggestellt, der sich nicht nur durch diese Farbgebung exzentrisch zeigt, sondern der auch in seinem sozial ausgerichteten Raumprogramm links der Mitte anzusiedeln ist: In bester Tradition des Wiener kommunalen Wohnbaus der Zwischenkriegszeit wurden nebst Wohnungen gemeinschaftlich zu nutzende Zusatzeinrichtungen wie Kindergarten, Hallenbad, Veranstaltungssaal und Café errichtet, deren Betrieb gemeinsam und durch Vermietung finanziert wird. Gleichzeitig wollte man durch diese Infrastruktur ein neues kulturelles Zentrum schaffen und sich trotz unangepaßter Architektur im Grätzel integrieren. Die Intention: eine Belebung des Viertels, ging auf.

Um eine höhere Dichte zu erreichen, die Förderungsmittel für die Gemeinschaftseinrichtungen voll ausschöpfen und möglichst billig bauen zu können, wurde das Gebäude als Wohnheim deklariert, in dem die Wohnungen wie Heimplätze vergeben werden. Ein Kollektivprojekt, das 1996 wegen seiner außergewöhnlichen Architektur mit dem Bauherrnpreis der Zentralvereinigung der Architekten und mit dem Adolf-Loos-Preis ausgezeichnet wurde.
Der gute Ruf der „Sargfabrik“ und die hohe Wohnzufriedenheit bewirkten eine starke Nachfrage nach freien Wohnungen im Verband, sodaß schon bald über eine Erweiterung in unmittelbarer Nachbarschaft nachgedacht wurde. Dies auch aus der Erkenntnis heraus, daß die Gemeinschaftseinrichtungen durch mehr Nutzer und Nutzerinnen jeden einzelnen billiger kommen würden. So wurde an der nächsten Ecke ein Grundstück angekauft und von (mittlerweile) BKK-3, den Architekten Johann Winter und Franz Sumnitsch, ein Ableger geplant, der sich gebauterweise zu einem stattlichen Fräulein auswuchs: „Miss Sargfabrik“ - weil in der Missindorfstraße gelegen - wurde in ihrer Konzeption insofern modifiziert, als sämtliche Erfahrungen der Bewohner und Bewohnerinnen des ersten Bauteils analysiert wurden und in die Planung einflossen. Bei der Beibehaltung der Farbe Orange für die Fassade, die auch bereits als Trademark fungiert, war man sich einig. Leicht verändert wurde hingegen die bauliche Struktur; „Missis“ wurde abgeschlankt, sprich, die Wohnungen wurden kleiner, um besser leistbar zu sein, und die Dichte weiter erhöht, indem das ausgeklügelte Split-level-System, das die Schlafräume extrem niedrig und die Wohnräume möglichst hoch werden läßt, gegenüber dem Altbau noch verfeinert wurde.

Der Niveauausgleich innerhalb der Wohnungen erfolgte dort, wo die Mieter dies wollten, über Rampen neben den Gehstufen, wodurch ein offener Übergang mit höchst dynamischem Charakter geschaffen wurde. Durch eine Überbauung der Rampen kann jedoch bei Bedarf zusätzlich nutzbarer (Stau-)Raum geschaffen werden. Vorwiegend geprägt wird die Raumdynamik allerdings durch die geknickten Wohnungstrennwände, die die Kleinheit der Wohneinheiten durch die Perspektivwirkung kaschieren. Diese Wohnungen sind im besten Sinne schräg und weichen entschieden vom gängigen Grundrißtypus ab. Ausgeglichen wird die geringe Wohnfläche durch die Einbettung in eine auch im architektonischen Sinne soziale Struktur: Alle Wohnungen werden wohnzimmerseitig, wo auch der Eingang in die Wohnungen liegt, von einem süd- beziehungsweise ostseitigen, L-förmigen Laubengang erschlossen, der gleichzeitig als private Loggia dient. Diese Laubengänge, an deren beiden Enden die Stiegenhäuser situiert sind und die in den gemeinschaftlich genutzten Innenhof orientiert sind, können als die kommunizierenden Gefäße des Systems betrachtet werden, denn hier kriegt man alles mit, was sich daheim im Heim abspielt. Man sieht, wer kommt und geht, wer zu Hause ist und wer mittels heruntergelassener Jalousie seine Intimsphäre gewahrt haben möchte - dies stellt eine Art der sozialen Kontrolle dar, die man wollen muß.

Begünstigt sind dabei die Wohnungen im Dachgeschoß, die nicht nur über mehr Privatheit, sondern auch über einen herrlichen Fernblick verfügen. Auf Straßenniveau liegen nebst dem Haupteingang und der Garage (drei Pkw-Stellplätze sind für das Wohnheim genug, und selbst die sind durch eine Unzahl eingestellter Fahrräder alternativ zweckentfremdet) fünf Maisonetten, die durch jeweils eigene Eingänge direkt von der Gasse ideal als „Homeoffices“ genutzt werden können. Der Innenhof wurde auf die Ebene des Souterrains abgesenkt, wodurch ein vollwertiges, natürlich belichtetes Geschoß gewonnen wurde. Hier sind Bäume gepflanzt, plätschert das Wasser in einem Brunnen und ergibt sich für die Maisonetten eine ebenerdige Erweiterung in den Außenraum.

Die Kollektivräume der Hausgemeinschaft hingegen sind nicht als Nebenräume im Souterrain angelegt, sondern liegen vom Laubengang aus begehbar zentral im Gebäude auf zwei Ebenen, ineinander verschachtelt und teilweise mit Sichtverbindung untereinander: eine Küche mit Eßplatz, die für größere Einladungen oder Feste benutzt werden kann, die Waschküche, ein Raum für mögliches Teleworking und das erweiterte Wohnzimmer für alle, eine Bibliothek. Diese verfügt auf beiden Ebenen über einen Zugang, wobei sich der Raum bei Benutzung des unteren Eingangs über eine extrem steile, gewendelte Rampe erschließt, die seitens der Baubehörde nur deshalb genehmigt wurde, weil sie als „Bergskulptur“ (Benutzung auf eigene Gefahr) gewidmet wurde. Lediglich der Discoraum für die Jugendlichen ist im Keller untergebracht und auch separat von der Gasse aus zugänglich. Ins Hallenbad, in den Kindergarten oder ins Café spazieren die Mieter und Mieterinnen eine Gasse weiter in die „alte Sargfabrik“.

Dem von seiten des „Vereins für integrative Lebensgestaltung“ selbstauferlegten sozialen Anspruch wird dieses gelungene Integrationsprojekt nicht nur dadurch gerecht, daß auch Behindertenwohnungen und eine betreute Wohngemeinschaft für Kinder und Jugendliche Platz fanden, sondern er zeigt sich logischerweise in der Bewohnerstruktur. Alleinerziehende Mütter, geschiedene Männer sind jene, die auf eine erschwingliche, funktionierende soziale Infrastruktur angewiesen sind, um nicht häuslich zu vereinsamen. Die Nachfrage seitens der Frauen war so hoch, daß sogar ein Inserat aufgegeben werden mußte - „Miss sucht Männer!“ -, um eine bessere Durchmischung zu erreichen. 10 Prozent der Wohnungen werden mit befristeten Verträgen vergeben, damit ein gewisses Flexibilitätspotential gewahrt wird und neue Interessenten die Chance erhalten, in die „Sargfabrik“ einzuziehen. Die Fluktuation ist jedoch wesentlich geringer als erwünscht, wer einmal hier wohnt, möchte nicht mehr ausziehen. Durch das genossenschaftliche Prinzip hat sich eine Hausgemeinschaft gebildet, die die Verantwortung für die Pflege des Ganzen übernommen hat und dadurch offensichtlich für jeden einzelnen eine höhere Lebensqualität erzeugt als bei einer individualisierten Wohnform.

In Zeiten wie diesen, wo auch im sozialen Wohnbau die Gewinnmaximierung des Bauträgers im Vordergrund steht - siehe „G-town“ -, sind intelligente Projekte, wo die Architekten einen „sozialen Funktionalismus“ mit spannenden Formen und charmanten Details kombinieren, eine wahre Wohltat. Der Einsatz von Wohnbauförderungsgeldern erfolgt dieserart in optimaler Weise und schließt, wie die ungebremste Nachfrage von Bewerbern und Berwerberinnen zeigt, eine Lücke auf dem Wohnungsmarkt. Kollektive Wohnprojekte gab es schon viele, aber dieses scheint in ganz unwienerischer Art auch gut zu funktionieren. Der Bedarf an Projekten wie Mutter und Tochter Sargfabrik ist gegeben, hoffentlich sind die Architekten des Vereinslebens noch nicht müde und betreiben weiterhin eine geordnete „Familienplanung“.

16. Juni 2001 Spectrum

Was man alles für die Quote tut

Museen setzen auf Konsum- und Unterhaltungsangebote, um die Kunstbetrachtung an die Klientel zu bringen; Einkaufszentren gehen mit pseudomusealen Inszenierungen auf Kundenfang. Über die trendige Annäherung von Konsum und Kultur.

Als im Oktober 1959 Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum in New York eröffnet wurde, schienen sich die Kritiker in der Beurteilung ziemlich einig: Es sei ein großartiges Bauwerk, sensationell in seiner skulpturalen Wirkung im städtebaulichen Kontext und in der Inszenierung des Innenraums - die ausgestellten Kunstwerke jedoch würden dadurch zu stark in den Hintergrund der Besucherwahrnehmung gedrängt. Eine Einschätzung, die in einer Umfrage unter den Museumsbesuchern 1960 eindrucksvoll bestätigt wurde: 38 Prozent waren gekommen, um das Gebäude zu sehen, 53 Prozent, um das Gebäude und die Kunst zu sehen, und nur 5 Prozent allein wegen der Kunst.

Frank Lloyd Wrights Konzept, den Weg für die Kunstbetrachter spiralförmig anzulegen und diese nicht nur dynamisch an den Werken vorbeiziehen, sondern selbst als Bestandteile in der Dynamik des runden Zentralraums wirken zu lassen, verfehlte seine Wirkung nicht, und das Guggenheim Museum zählte bald nach seiner Eröffnung 3000 Besucher am Tag. Wright hatte als einer der ersten erkannt, daß ein Museum auch etwas anderes bieten kann als ein monumentales Äußeres und möglichst neutrale Ausstellungs- räumlichkeiten, und zweifellos prägt er die Linie der Guggenheim Foundation, be i neuen Gebäuden auf eine außergewöhnliche Architektur als wesentlichen Marketingfaktor zu setzen, bis heute - zuletzt bei Frank O. Gehrys Museum in Bilbao.

Auch die österreichischen Museen - mehr oder weniger in die Selbständigkeit entlassen - werden sich in Zukunft anstrengen müssen, die nötige Besucherquote zu erbringen, um angemessen wirtschaftlich reüssieren zu können. Am Beispiel Museumsquartier Wien, das Ende Juni eröffnet wird, ist allerdings zu sehen, daß der Bauherrschaft die Notwendigkeit eines zeitgemäßen architektonischen Zeichens nicht bewußt gewesen sein dürfte. Die neuen Museumsbauten ducken sich brav hinter den barocken Trakten, das sogenannte und so erwünschte historische Stadtbild wird durch keinerlei aufragenden Aufreger gestört. Daß es gerade dieses vertikalen Anregers für das potentielle Publikum bedurft hätte, den die Architekten Laurids und Manfred Ortner in Form des aus dem siegreichen Wettbewerbsentwurf eliminierten Leseturms geplant hatten, wird nun offensichtlich und vom Geschäftsführer des „Muqua“, Wolfgang Waldner, auch thematisiert.

Abgesehen vom „sichtbaren Signal“ (Waldner) wird man auf andere Mechanismen setzen müssen, um das mitunter anstrengende Erlebnis Kunstbetrachtung an die Klientel zu bringen. Die Kunst an sich ist für die notwendige Quote nicht mehr Attraktion genug; um neue Zielgruppen zu erreichen, muß die Institution Museum einen „Auftritt“ disperser Art bieten, der Konsum- und Unterhaltungsangebote einschließt. Im Museumsquartier tut man sich insofern leicht, als dieses bereits als Kulturbezirk mit unterschiedlichen Funktionen angelegt ist und von vornherein die Gastronomie einen Fixpunkt der Marketingkonzeption darstellt: Man rechnet damit, daß ein Drittel der Quartierbesucher aus urbaner Neugierde und wegen des Lokal- und Shopangebots kommen wird.

Ein solitärer Museumsbau jedoch wird in Zukunft nicht mehr die optimale Präsentation der Sammlung in den Mittelpunkt stellen, sondern aus kaufmännischem Interesse die Inszenierung der Nebenschauplätze für die Zusatzfunktionen forcieren. Was Lóránd Hegyi ein „Disneyland-Museum“ befürch- ten und ihn deshalb als Direktor des Museums für Moderne Kunst vorzeitig abtreten ließ, scheint vielleicht übertrieben, die Gefahr der Verkitschung der Museen durch gefällige Ausstellungen und ein Überangebot im begleitenden Merchandising ist aber zweifellos gegeben.

Interessanterweise beschreiten die Einkaufszentren bezüglich Kundenfang denselben Weg mit umgekehrten Vorzeichen; man versucht den Besuchern mittels pseudomusealer Inszenierungen ein spezielles Flair zu vermitteln. In Österreich beispielgebend dafür ist die „Plus-City“, wo an einer Landstraße zwischen Linz und Wels Indoor-Urbanität dadurch erzeugt werden soll, daß „originalgetreue“ Fassadenreproduktionen zum Beispiel venezianischer Palazzi und toskanischer Kirchen appliziert werden. Hier ist das reine Konsumangebot der gängigen Ladenketten nicht genug, auch das Auge will bedient sein, um eine entspannende Atmosphäre und mehr Absatz zu schaffen. Dieser Stilsynkretismus wird unter „Marcusplatz“ subsumiert und der vorwiegend ländlichen Kundschaft als Klein-Venedig verkauft. Die Vorteile gegenüber einem Kurzurlaub in der als Freilichtmuseum rezipierten Lagunenstadt sprechen für sich: Einkaufen am Fuße der Rialtobrücke, ohne sich in Touristenströmen wälzen zu müssen! Pizza essen im Angesicht des Marcuslöwen, ohne durch gurrende Taubenmassen gestört zu sein - und viel billiger obendrein! Wer könnte sich der Faszination dieses Angebots entziehen, die konsumierbare Ware ist da wie dort dieselbe, und ob die Fassaden nun echt sind, oder nicht . . .

Ganz nebenbei: Die Architektur des Einkaufszentrums selbst ist bei einer solchen Konzeption völlig unerheblich. Und: Auch die Kapitalgruppe, die mit dem Vergnügungspark „Venedig in Wien“ - 1895 im ehemaligen Kaisergarten des Praters errichtet - auf „Architektur zur Unterhaltung“ setzte, tat dies, um Geld damit zu verdienen, und nicht, um irgendeinen Bildungsauftrag zu erfüllen.

Die zwei beschriebenen Phänomene zeigen, daß Konsum und Kultur in verstärktem Maße einander ergänzen werden müssen, um sich zu rechnen, und daß die zu diesem Zwecke benutzte Architektur - sei es als kitschige Kulisse oder als expliziter „Event“ - eine offensivere Haltung einnehmen wird müssen. Bleibt abzuwarten, ob das dieserart in die Defensive gedrängte und zu einem rein konsumistischen Verhalten angehaltene Publikum diese Rechnung wird aufgehen lassen.

Am Freitag, 22. Juni, findet um 19 Uhr im Infopool-Besucherzentrum des Museumsquartiers (Wien VII, Museumsplatz 1) eine Podiumsdiskussion zum Thema „Marketingfaktor Museumsarchitektur“ statt. Unter der Moderation von Dieter Bogner diskutieren u. a. Edelbert Köb und Laurids Ortner.

2. Juni 2001 Spectrum

Zwei Stollen im Inneren Österreichs

„SS-Arbeitslager Zement“ war der Deckname für das Nazi-Konzentrationslager im oberösterreichischen Ebensee. Nach dem Krieg war man bemüht, die Spuren des Terrors rasch zu beseitigen. Dem von Denkinger und Felber gestalteten Zeitgeschichte-Museum gelingt es nun, die Ortsgeschichte kritisch zu beleuchten.

Das Salzkammergut wird mitunter als das Herz Österreichs bezeichnet. Dies gilt nicht nur geographisch - mit der vermeintlichen Übereinstimmung der von hohen Bergen und tiefen Seen geprägten wunderschönen Gegend und seiner Bevölkerung, die Hunderte Jahre vorwiegend im Bergbau tätig war und dadurch den karstigen Kalkalpen sicherlich speziell verbunden ist, wird eine Form des „Urösterreichischen“ assoziiert. Vom Klima nicht gerade begünstigt, durch eine Bahnlinie und kaiserliche Gunst jedoch privilegiert, konnte sich hier nebst der Salzgewinnung der Sommerfrischetourismus stetig entwickeln.

Die erwähnte Form des (Deutsch-) Österreichertums im Salzkammergut findet nicht nur in einer tourismusträchtig gepflogenen Trachtenkultur ihren Ausdruck, in Wende-Zeiten wie diesen werden auch gerne Metaphern bemüht, die die Bevölkerung zwar nicht als Ureinwohner, aber als „Urgestein“ politischer Art bezeichnen. Wenn heutzutage mit verschämtem Stolz von so manch eingesessener Familie als „blauem Urgestein“ die Rede ist, so weiß doch jeder, daß sich dahinter übertünchte braune Felsen verbergen können.

Über die Geheimnisse, die die Stollen des Salzkammerguts abgesehen vom Salzabbau bargen, wird naturgemäß nicht gerne gesprochen, und es hat über 40 Jahre gedauert, bis zumindest eine Gemeinde sich diesem Teil ihrer Geschichte stellte und in einer Dauerausstellung publik machen wollte. In Ebensee, am südlichen Ende des Traunsees gelegen, wurde im März dieses Jahres das erste österreichische Zeitgeschichte-Museum eröffnet, das sich umfassend mit der örtlichen Geschichte von 1918 bis 1955 im gesamtösterreichischen Zusammenhang auseinandersetzt. Ebensee wurde durch eine Saline zum sozialdemokratisch geprägten Industrieort, und auch jetzt war es der rote Bürgermeister, Herwart Loidl, der gegenüber der Idee, die Ortsgeschichte kritisch aufzuarbeiten, aufgeschlossen war und „die Strategie der Verdrängung“, die bislang im Ort geherrscht hatte, zu beenden.

Ebensee war wegen seiner Lage und guten Infrastruktur als Standort für ein Konzentrationslager gewählt worden, das die Nationalsozialisten im November 1943 als das größte Außenlager des KZ Mauthausen von Häftlingen errichten ließen. Es war unter dem Decknamen „SS-Arbeitslager Zement“ für jene Zwangsarbeiter bestimmt, die in kürzester Zeit zwei riesige Stollenanlagen für die Verlegung der nach Bombardements beschädigten Raketenversuchsanstalt Peenemünde der Deutschen Wehrmacht in den Berg treiben mußten. In den eineinhalb Jahren seines Bestandes wurden 27.000 zivile Häftlinge aller europäischen Nationalitäten von Mauthausen nach Ebensee gebracht, bis zur Befreiung des Lagers am 6. Mai 1945 durch die US-Army hat diese „ordentliche Beschäftigungspolitik“ zirka 8500 von ihnen das Leben gekostet. Nach dem Krieg war man seitens der Gemeinde bemüht, die Spuren des Terrors rasch zu beseitigen, in den fünfziger Jahren wurde das Lager geschleift und das Areal mit einer Arbeitersiedlung bebaut. Auf Initiative ehemaliger Häftlinge wurde das Eingangstor zum Lager erhalten und eine Gedenkstätte errichtet.

Die Erinnerungsarbeit des offiziellen Österreich beschränkte sich auf Mauthausen, und so konnten Nebenschauplätze des Nazisystems wie Ebensee leicht in Vergessenheit geraten. Erst in den achtziger Jahren begann sich eine Gruppe engagierter Bürger mit der regionalen Zeitgeschichte kritisch zu befassen. Die gleichzeitig entstandene Publikation über das „Arbeitslager Zement“ des Wiener Historikers Florian Freund bildete die Basis für die Idee, ein „Widerstandsmuseum“ zu errichten und die erhaltenen Stollen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

1993 wurde nach einem geladenen Wettbewerb das Wiener Büro Denkinger und Felber beauftragt, die inhaltliche und gestalterische Betreuung des Museums zu übernehmen. Das gemeinsame Konzept der Historikerin Ulrike Felber und des Architekten Bernhard Denkinger, in Kooperation mit dem zukünftigen Leiter des Museums, Wolfgang Quatember, zielte darauf, nicht mehr nur den Widerstand gegen das Naziregime zu thematisieren, sondern auch jene historischen Entwicklungen seit Beginn der Ersten Republik aufzuzeigen, die das Entstehen des Nationalsozialismus erst möglich machten. Dabei sollen die prozeßhaften Vorgänge im Kleinen, in der Gemeinde Ebensee, im Kontext des Großen, der politischen (Un)Kultur des Staates Österreich, als einander bedingend und ergänzend dargestellt werden. Auch der Zeit nach dem Krieg wird bis zum Jahr 1955 Raum gegeben, um den Umgang der Bevölkerung mit dem Wissen um die unmittelbare NS-Geschichte zu beleuchten.

Seit 1997 besteht eine Dauerausstellung in einem der Stollen, die die Geschichte des KZ und des „Projekts Zement“ behandelt, das Museum mitten im Ort, in einem ehemaligen Schulgebäude aus dem späten 18. Jahrhundert untergebracht, entwickelte sich sukzessive in den letzten vier Jahren. Zuerst wurde das Erdgeschoß mit Foyer, Veranstaltungssaal und Café fertiggestellt, zuletzt das eigentliche Museum und der ausgebaute Dachbodenraum für temporäre Ausstellungen und anderes.

Das kleinteilig organisierte, generalsanierte Gebäude wird über eine einläufige, mit Perger Granit belegte Stiege erschlossen. Man gelangt in die zwei Obergeschoße mit den Ausstellungsräumen, die sich thematisch in drei abgegrenzte Zeiträume gliedern, wobei die mittige Lage der Treppe einen automatischen Rundgang auf einer Ebene bewirkt. Dadurch ergibt sich eine logische Orientierung in der Raumabfolge, was gerade bei einer historischen Ausstellung als sehr angenehm empfunden wird. Die Präsentation der vorwiegend schwarzweißen Dokumente, Photos, Zeitungsausschnitte und Plakate erfolgt auf Glastafeln, die jedoch mit undurchsichtigen, raumteilenden Platten (weißes Plexi oder Eternit) mit Distanz hinterlegt sind. Diese bilden die Träger für die - im wahrsten Sinne des Wortes - Hintergrundinformation, die auf roter Folie appliziert ist. Gegenüber den Exponaten hat dieser Farbfleck natürlich einen sehr hohen visuellen Aufforderungscharakter und bildet somit die perfekte informative Ergänzung.

Die Eternittafeln dienen als Raumteiler, die als Zäsuren mit inhaltlicher Relevanz gesetzt werden, und gewähren auch bewußte Durchblicke, um durch kleine Öffnungen einen zeitlichen Bezug zwischen zwei entfernten Dokumenten herzustellen. Auf thematisch unruhigere Zeiten wurde mit einer „unruhigeren“ Gestaltung der Glasplatten reagiert. Teilweise sind die gläsernen „Objektträger“ auch vor ein Fenster gestellt und werden bei Tageslicht hinterleuchtet. Eine andere Fensteröffnung wird konzeptionell einbezogen, da sie den Blick über den Ort hinweg auf den entfernten Steinbruch freigibt , wo die Stollenanlagen liegen.

Was an diesem kleinen Museum beeindruckt, ist die Kongruenz von wissenschaftlicher Bearbeitung und deren praktischer Vermittlung. Felber und Denkinger wollten keine vordergründige Betroffenheit bei den Besuchern erzeugen, vielmehr haben sie es geschafft, aus der Fülle an Material eine prägnante, in Informationsgehalt und Gestaltung vielschichtige Schau zusammenzustellen, die so manch verregneten Tag im Salzkammergut intellektuell erhellen wird.

KZ-Gedenkstätte und Zeitgeschichte-Museum Ebensee, Kirchengasse 5. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.

5. Mai 2001 Spectrum

Mit dem Maß der sozialen Kompetenz

Anna-Lülja Prauns Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen wie auch ihre Häuser zeichnet eines aus: Ihre prägenden Eingriffe schaffen einen gestalterischen Freiraum für die Benutzer und Bewohner. Zum 95. Geburtstag der Grande Dame der österreichischen Architektur, der eine Wiener Ausstellung gewidmet ist.

Es waren kosmopolitische Einflüsse, die das architektonische Verständnis von Anna-Lülja Praun formten. Von Bulgarien und Österreich, Rußland und Frankreich gingen die Prägungen aus, die eine fruchtbare Symbiose für jene Vitalität herzustellen vermochten, die die Grande Dame der Architektur kennzeichnen. Ihr biographischer und beruflicher Werdegang durchmißt fast das gesamte 20. Jahrhundert.

Die Öffnung der Universitäten für Frauen machte es auch ihr möglich, als eine der ersten Studentinnen an der Technischen Universität in Graz eine professionelle Ausbildung zu erlangen. Gemeinsam mit Margarete Schütte-Lihotzky ist sie daher eine der wesentlichen weiblichen Repräsentantinnen der österreichischen Architekturgeschichte.

Der Lebensweg führte Anna-Lülja Praun als Kind einer russischen Mutter und eines bulgarischen Vaters nach St. Petersburg und Sofia, in den Ferienmonaten zum Schwarzen Meer und 1924 als Studentin in der Zwischenkriegszeit über die Alpen nach Graz. Während sie hier ihre ersten Karriereschritte machte, wurde ihr Vater in Sofia im Zuge einer politischen Säuberungswelle ermordet.

Die Politik holte Anna-Lülja Praun in der Folge 1934 auch in Österreich ein. Da sie mit dem Architekten Herbert Eichholzer, der der linken internationalen Avantgarde in der Steiermark zuzurechnen war, zusammengelebt hatte, wurde auch sie verhaftet, schließlich aber wieder freigesetzt. Der Nationalsozialismus unterbrach nicht nur ihre Karriere und trieb viele Hochbegabte in die Emigration, er kostete Herbert Eichholzer auch das Leben. Als Widerstandskämpfer wurde er 1943 hingerichtet. Anna-Lülja Praun verließ Graz und kehrte 1939 über Berlin und Paris nach Sofia zurück. Hier arbeitete sie bis 1941 im Ministerium für Eisenbahn und Wasserverkehr.

1942 reiste sie nach Österreich, um ihren Fachkollegen Richard Praun zu heiraten. Noch im selben Jahr kam ihre Tochter Svila zur Welt. Die Schaffensperiode als eigenständige Architektin begann jedoch erst nach ihrer Scheidung mit Mitte Vierzig, als sie ab 1952 in Wien ihr eigenes Atelier führte, in dem sie seit über fünfzig Jahren unermüdlich arbeitet.

Architektur ist für Anna-Lülja Praun nicht nur Qualifikation, sondern Leben. Sie baut fü r Menschen, aber auch an Menschen. Ihre Wohnung war und ist geselliger Treffpunkt der unterschiedlichsten Sparten internationaler Provenienz. In ihrem „offenen Wohnzimmer“, im Kreise bewährter Freundschaften und neuer Zuzüge setzt Anna-Lülja eine Salon-Tradition fort, deren Basis die soziale Kompetenz darstellt. In den jeweiligen Konstellationen können ihre Einflüsse wirksam werden. Hier prägt die Architektin Menschen, indem sie ihnen fachliches Wissen weitergibt. So ist sie als Person und als Architektin eine Brücke zwischen Tradition und Moderne.

Bei all den multikulturellen Einflüssen und trotz ihres bis vor dem Zweiten Weltkrieg eingeschränkten Wienbezugs entwickelte sich Anna-Lülja Prauns eigene Möbelbaukunst sehr stark in der Tradition des „Wiener Möbels“. Beeinflußt war sie dabei sicherlich durch ihren Mann Richard Praun, der einer Tischlereidynastie entstammte und ihr wohl direkten Einblick in die Kunstfertigkeit von Handwerkern verschaffte, sowie durch jene von Oskar Strnad und Josef Frank in der Zwischenkriegszeit propagierte moderne Wohnkultur. In den fünfziger Jahren arbeitete sie als Architektin für Josef Franks Einrichtungshaus „Haus & Garten“ in Wien. Nach wie vor verabsäumt sie es nicht, auf die praktischen Vorzüge von Strnad- und Frank-Sesseln, die selbstverständliche Bestandteile ihrer eigenen Einrichtung sind, zu verweisen, wie ganz generell die Auffassung der beiden Architekten in ihrer Wichtigkeit zu verdeutlichen.

Anna-Lülja Praun ist eine Praktikerin, der ein produktives Verhältnis zu „ihren“ Handwerkern und ein daraus resultierendes formvollendetes Produkt wichtiger sind als hehre Theorie. Materialkundigkeit der Architektin ist die eine Sache, viel wichtiger jedoch ist Praun die Kunstfertigkeit des jeweiligen Handwerkers, um die Qualitäten der unterschiedlichen Materialien in einem Möbelstück richtig zur Geltung bringen zu können. Um dies zu erreichen, ist eine sehr direkte, persönliche Auseinandersetzung mit den Professionisten nötig - und diese scheut sie nicht.

Dasselbe gilt für den Umgang mit den Bauherren; dieser Aspekt ist insofern wesentlich, als es sich bei ihren Entwürfen fast ausschließlich um private Direktaufträge handelt. Das Gelingen der diffizilen Aufgabe, das persönliche Umfeld von Menschen zu gestalten, hängt primär vom Einfühlungsvermögen des Architekten und von dessen verinnerlichtem Wissen um scheinbar banale Alltagsabläufe ab.

Gleich wichtig ist die Akzeptanz durch die Bauherrenschaft, das heißt, es ist in hohem Maße Beziehungsarbeit zu leisten, um zu einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis zu gelangen. Voraussetzung dafür ist ein dementsprechend hohes Niveau der Auftraggeber - ein Umstand, über den sich Anna-Lülja Praun bei ihrer Klientel nicht beschweren konnte und kann. Welcher Architekt kann schon auf so außergewöhnliche Bauaufgaben wie Bootseinrichtungen (zum Beispiel für Wolfgang Denzel) oder ein Komponierpult (für György Ligeti) verweisen?

In Prauns Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen ist immer der kooperative Ansatz des „Sich-aufeinander-Einlassens“ spürbar. Ihr im Stil unverkennbares Maßmobiliar steht - ganz im Sinne von Strnad und Frank - mit unaufdringlichem Selbstverständnis ne- ben des Bauherrn persönlichen Möbeln und Gegenständen des Alltags. Sie schafft es, trotz ihrer geschmackvoll prägenden gestalterischen Eingriffe eine Qualität an Freiraum für die Bewohner zu erzeugen, in welchem diese ihre eigenen Stilvorstellungen entfalten können.

Das Zusammenspiel dieser zwei Komponenten ergibt die Praunsche Raumkunst, wie sie in ihren zwei umfangreichsten Werken, dem Haus Sailer in Salzburg und dem Haus Ligeti in Wien, in unnachahmlicher Weise spürbar ist. Beweis für das Vertrauen in ihre Gestaltungskompetenz ist die Kontinuität ihrer Bauherrenbeziehungen, die sowohl bei den beiden eben genannten wie vor allem auch bei Wolfgang Denzel über mehrere Jahrzehnte währ(t)en.

Es gibt nur noch ganz wenige Architekten und Architektinnen, die mit der beschriebenen Verve die Gestaltung von Maßmöbeln betreiben. Auch der Wille potentieller Bauherren, in die Exklusivität solch feiner Einzelstücke zu investieren, ist durch die zunehmende Perfektionierung und die Vielfalt industriell gefertigter Produkte zweifellos im Abnehmen begriffen. Es wird spannend zu beobachten sein, ob hinkünftig die Tradition der Wiener Handwerkskunst ihren Stellenwert behaupten und in Form eines eigenständigen Wiener Möbels weiterhin manifest bleiben wird.

Anna-Lülja Praun ist eine wichtige Frau der österreichischen und eine Integrationsfigur der Wiener Architekturszene, die auch im hohen Alter nicht müde wird, ihr Leben mit Kreativität zu füllen, und andere daran partizipieren und davon profitieren läßt.


[Im Haus Wittgenstein (Wien III, Parkgasse 18) ist von 11. bis 24. Mai die Ausstellung „Anna-Lülja Praun - Werk- u. Lebensschau der Architektin zum 95. Geburtstag“ zu sehen (täglich 9 bis 17 Uhr). Zur Ausstellung erscheint ein neuer, von Lisa Fischer und Judith Eiblmayr erstellter Katalog: „Möbel in Balance“, 88 S., geb., S 290, Euro 21,08 (Anton Pustet Verlag, Salzburg).]

24. Februar 2001 Spectrum

„Nur im Wort, nicht im Stein“

Für eine „ummontierbare“ Kirche erhielt er zwar 1993 den Staatspreis für Architektur, er blieb aber ein wenig bekannter Name: Ottokar Uhl. Das dürfte damit zu tun haben, daß sich seine Bauten hartnäckig publicitywirksamen Ästhetizismen entziehen. Eine Würdigung zum 70. Geburtstag.

In Österreichs Architektenschaft gab und gibt es in den Jahren 2000 und 2001 eine ganze Reihe von Siebziger-Jubilaren zu feiern. Neben Ottokar Uhl, der diesen Geburtstag am 2. März begehen wird, sind dies Friedrich Achleitner, Wilhelm Holzbauer, Anton Schweighofer und Friedrich Kurrent, auch Josef Lackner würde heuer siebzig. Es scheint dies das passende Alter zu sein, um das Werk und Wirken von Architekten entsprechend zu würdigen, was in Ausstellungen und Publikationen seinen Niederschlag findet.

Ottokar Uhl ist für Nichtarchitekten vielleicht einer der weniger bekannten Namen, einerseits, da er durch eine langjährige Professur in Karlsruhe nicht ständig in Österreich präsent war, und andrerseits, weil sich seine Bauten hartnäckig und vorsätzlich jenen Ästhetizismen entzogen haben, die üblicherweise der Steigerung des Bekanntheitsgrades von Architektur förderlich sind. Dies ist insofern bemerkenswert, als Uhl vorwiegend auf dem Sektor des Kirchenbaus planerisch tätig war - eine Bauaufgabe, die sich jahrhundertelang als klassischerweise prestigeträchtig erwiesen hat.

Aber Uhls Ansinnen war ein anderes, als der Institution Kirche mit einer repräsentativen Architektur dienlich zu sein. Wenn er meinte: „Der Begriff des ,Sakralen' kann für den Kirchenbau heute kein Ausgangspunkt mehr sein“ und „Das Wissen um Gott kann sich nur im Wort, nicht im Stein realisieren“, so beschreibt dies sein Anliegen, die Gemeinde der Gläubigen in den Mittelpunkt seiner architektonischen Überlegungen zu stellen und ihr in einem neu gestalteten Umfeld eine auf demokratischer Basis funktionierende interne Kommunikation zu ermöglichen.

Geprägt und wahrscheinlich auch angeregt von Monsignore Otto Mauer, dem Gründer der Galerie Nächst St. Stephan, die der künstlerischen Avantgarde im Wien der fünfziger Jahre als wichtige Plattform diente, postulierte Ottokar Uhl architektonische Konzepte für eine aufgeschlossenere Form der Religiosität und neue Modelle der Liturgie.

Seine erste Bauaufgabe bestand 1958 darin, einen an einen Lichthof grenzenden, 120 Quadratmeter großen Lagerraum in einem bestehenden Gebäude in der Wiener Ebendorferstraße zu einer Kapelle der katholi-schen Hochschulgemeinde umzubauen. Ganz im Sinne zweier Grundsätze der fortschrittlichen Katholiken, nämlich der „Entlarvung jeder Lüge“ und dem „Streben nach Wahrhaftigkeit“, beschränkte sich der Architekt auf die unverhüllte Darstellung des konstruktiv Wesentlichen; der dreischiffig angelegte Raum wurde durch Säulen und Deckenbalken aus schalrauhem Sichtbeton gerastert strukturiert, der Boden asphaltiert, der Altar in Lärchenholz gestaltet.

Durch ein Oberlicht und undurchsichtige Verglasungen seitlich des Altars fällt Tageslicht in den Raum, als herkömmliches sakrales Element fungiert eine barocke Christusfigur hinter dem Altar. Dieses auf formale Reduktion bedachte, geradezu puristische Konzept hat einen Raum von stark kontemplativem Charakter erzeugt, der sich offensichtlich bewährt hat und nahezu unverändert bis heute besteht.

Ottokar Uhl wollte seine Gebäude nie als Endprodukte verstanden wissen, wo determinierte Funktionen für die Nutzer manifestiert werden. Aus seiner Architektur sollte das Prozeßhafte ablesbar sein, was für die frühen sechziger Jahre, als eine „mobile Architektur“ international postuliert wurde, nichts Ungewöhnliches war. Ungewöhnlich war jedoch, daß er „Erweiterbarkeit, Veränderbarkeit (Flexibilität), Demontierbarkeit und Mobilität“ auch für Bauten der Kirche forderte, die in ihrer Programmatik als doch eher träge zu bezeichnen ist.

Er ging sogar so weit, 1964 - dem Wunsch seiner Auftraggeber entsprechend - eine „ummontierbare“ Kirche zu entwickeln, für die er den Österreichischen Staatspreis für Architektur erhielt. Da die Widmung des vorgesehenen Grundstücks an der Siemensstraße in Wien-Floridsdorf die Errichtung eines festen Baus nicht zuließ und dieser, in Einzelteile zerlegt, abtransportierbar sein mußte - was übrigens nie geschah -, entwarf er unter Verwendung eines Stabtragwerks (Mero-System) ein Pfarrzentrum in Leichtbauweise.

An diesem Bauwerk wird der Einfluß des deutschen Architekten Konrad Wachsmann besonders deutlich, der von 1956 bis 1960 an der Sommerakademie in Salzburg lehrte. Wachsmann begeisterte die junge Architektengeneration durch sein forscherisches Interesse für präfabrizierte Konstruktionen und eine somit industrialisierte Ästhetik, die seiner Meinung nach eine perfekte Objektivität von Räumen und deren unbegrenzte Vervielfältigung erst möglich macht.

Ottokar Uhl hatte diese rationale Herangehensweise, die sich einem formalistischen Ansatz verweigerte, die Architektur als Wissenschaft verstand und ihre soziale Verantwortung einforderte, verinnerlicht, was auch an seinen Wohnbauten ablesbar ist. Er praktizierte dabei partizipatorische Modelle, das heißt, daß die zukünftigen Bewohner und Bewohnerinnen nicht nur auf
Basis eines fixierten Konstruktionssystems bei den Grundrißlösungen ihrer Wohnungen, sondern bis zur Fassadengestaltung der Gebäude mitbestimmen sollten.

Der österreichische Staat verfolgte in den siebziger Jahren teilweise eine aufgeschlossene Wohnbaupolitik, die unter dem Titel „Wohnen morgen“ in allen Bundesländern Wettbewerbe initiierte und in deren Rahmen ein experimenteller Ansatz ermöglicht wurde. Ottokar Uhl gewann 1973 einen dieser Wettbewerbe und realisierte in Hollabrunn eine Wohnhausanlage, wo erstmals die späteren Nutzer in
den Planungsprozeß eingebunden wurden.

Begleitend dazu wurde ein interdisziplinäres Forschungsprojekt betrieben, das für den nächsten derartigen Wohnbau evaluierende Aufschlüsse liefern sollte. Es folgte ein Gemeindebau in Ottakring, wo allerdings - im Spannungsfeld zwischen Einschränkungen seitens der Gemeinde Wien und mangelnder Bedürfniskenntnis der Wohnungswerber - die Grenzen der Mitbestimmung evident wurden und der Bauprozeß sich von 1973 bis 1981 zog.

Sowohl beim Projekt „Wohnen mit Kindern“ in Floridsdorf (1984) als auch beim christlich geprägten Wohnheim B.R.O.T. (Beten, Reden, Offensein, Teilen) in Hernals (1990) traten aus der Eigeninitiative heraus hochmotivierte Gruppen an Ottokar Uhl heran, um ihre Idee vom gemeinschaftlichen Planen und Wohnen architektonisch strukturieren zu lassen. „Handlungs-ergebnis dieser Lern-, Planungs- und Bauprozesse“ (Uhl) waren zwei Wohnanlagen, wo das Konzept vom „planning with people“ in optimaler Weise umgesetzt zu sein scheint.

Was für ein basisdemokratisches Verständnis wunderbar einfach klingt, ist in Wirklichkeit mühsame Detail- und Beziehungsarbeit, die bei derartigen Planungen von allen Beteiligten geleistet werden muß. Es ist Ottokar Uhls Verdienst, als einer von ganz wenigen in Österreich sich diesem sozialen Aspekt der Architektur ohne vordergründige Selbstdarstellungsambition gestellt und ihn unbeirrt in Werk und Lehre vertreten zu haben.

11. November 2000 Spectrum

Einfach den Bach hinunter

Wenn einer ins neue Wiener Dianabad geht, dann kann er was erzählen: von Plastikpalmen, einer Buschhütte als Kassa, ja sogar von betonierten Felsen (mit Höhle!) – nur nicht davon, dass er schwimmen war. Über saubere Subventionsflüsse und preise, die sich gewaschen haben.

Dies hätte eine nette Feuilletongeschichte werden können. Die Neueröffnung des Dianabades, des vierten Projekts in fast zwei Jahrhunderten Badtradition unter demselben Namen und am selben Platz, gab Anlass, sich mit der Bau- und Kulturgeschichte desselben zu befassen. Man hätte die drei Vorgängerbauten beschreiben und die Entwicklung vom Wannenbad Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Erlebnisbad Anfang des 21. Jahrhunderts im jeweiligen kulturhistorischen Kontext analysieren können. Oder man hätte dem hohen Niveau der Wiener Bäderkultur, das vor allem im „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit installiert wurde, huldigen und erfreut berichten können, dass nach mehrjähriger Abstinenz das zweite Hallenschwimmbad innerhalb des Gürtels seine Pforten wieder geöffnet hat.

Aber leider: Nach dem ersten Besuch im neuen Bad kommt einem jegliche Nettigkeit abhanden, und Schöngeistigkeit empfindet man ob der desillusionierenden Realität als verzichtbaren Zeitvertreib. Das Erlebnisbad macht nämlich seinem Namen anders als gedacht alle Ehre: Nach einem kurzen Rundgang durch die mit Bambusgeländern, Solnhofner Plattenbruch, tropischen Pflanzen aus Kunststoff und mit Wasserflächen dekorierte Halle wird man von dem Aha-Erlebnis überwältigt, dass man als Badegast offensichtlich für völlig degeneriert gehalten wird und um viel Geld für blöd verkauft werden soll. Ein Hallenbad, in dem man nicht mehr schwimmen kann – das entzieht sich der Vorstellungskraft einer der sportlichen Betätigung nicht abgeneigten Person.

Der Erlebnischarakter dieses Badbesuchs offenbart sich allerdings bereits beim Betreten des Gebäudes. Beschildert ist zur Zeit noch nichts, aber man erinnert sich, wo der Eingang ins alte Bad war, und schreitet über eine leicht überdimensioniert wirkende Freitreppe empor. Oben angekommen landet man in einem winzigen Foyer, in dem eine als Buschhütte getarnte Kassa ein unbeschreibliches Tropenflair, verbreitet. Vis-à-vis der Kassa ist ein Teil jenes Glasmosaiks appliziert, das noch aus dem Badkomplex von 1917 stammt und im räumlichen und stilistischen Kontext völlig deplatziert wirkt.

Eine Tafel mit Angebot oder Preisübersicht findet sich einstweilen nicht, aber ein paar kopierte Zettel tun´s ja schließlich auch. Ein Blick darauf genügt, um zu erkennen: Man ist in einem Privatbad, denn die Preise haben sich – wie man so schön sagt – gewaschen. Minimaltarif am Wochenende für Kinder zwischen sechs und 14 Jahren: 100 Schilling. Ab 14 ist man nach Auffassung des gewinnorientierten Betreibers als erwachsen einzustufen und muss 170 Schilling ablegen, um dem Badeerlebnis zu frönen. Wer glaubt mit einer Familienkarte davon zu kommen, hat leider auch Pech gehabt, denn die Familie definiert sich hier als „1 Erwachsener + 2 Kinder“.

Wer dieses Familienmodell bornierterweise hinterfragt, erhält prompt und gratis eine ideologische Belehrung seitens des Kassenpersonals: Ein Elterteil hat nämlich das Geld zu verdienen, während der andere mit den Kindern im Bad ist. Das leuchtet ein bei diesen Preisen. Kurz und gut: „Freizeit. Pur“ (Foldertext) kostet eine fünfköpfige Familie zirka 500 Schlling.

Mit und in den progressiverweise gemischten, aber doch beengten Garderoberäumlichkeiten – eine Umkleidekabine auf 40 Kästchen – möchte ich mich nicht länger aufhalten, denn schließlich ist man im Bad, um zu schwimmen. Man betritt die Halle, erkundet das überbaute Terrain (um nicht zu sagen Terrarium – das ist nämlich die erste Assoziation) und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: Mittig im Raum liegt das Wellenbecken, das adriastrandmäßig flach ausläuft und bei Wellenbetrieb (jede Stunde) mit gezählten 50 Menschen als voll zu bezeichnen ist. Links daneben baut sich eine betonierte Felsformation (mit Höhle!) auf, von deren Spitze die mit riesigen Reifen zu befahrende Wasserrutsche ihren Start nimmt und quer durch den Raum schwungvoll Platz greift. Deren Auslauf ist in Form eines gewundenen, zirka 60 Zentimeter tiefen Kanals angelegt und dient in seiner gesamten Länge als eine Art Reifenparkplatz für jene Zeit, in der die Rutsche nicht in Betrieb ist. Das ist übrigens die Hälfte der Zeit der Fall. Sobald es nämlich mit turbinenähnlichem Gedröhne losgeht, formt sich die liegende Reifenschlange zu einer stehenden mit Menschenbegleitung um und verstellt jetzt nicht mehr die Wasserstraße, sondern den Hauptdurchgangsweg.

Neben drei ganz flachen Kleinkinderbecken mit Dino-Rutsche, Piratenschiff und ähnlich anregendem Inventar gilt es noch, vorbei an der Buschhütte, in der der Bademeister thront, einen letzten Bereich zu erkunden, der von einem mäanderförmigen, ebenfalls seichten Wasserband, zeitweise mit Strömung, teilweise mit Sprudel gebildet wird. Dazwischen herrliche Textil- und Plastikpalmen, deren „Beete“ aus mit Epoxiharz verklebtem Schotter (logisch, die Stein würden sonst im Wasser landen) bestehen.

Auch der Bodenbelag ist eine Erwähnung wert: Bruchrauhe Solnhofner Kalksteinplatten sind in dieser Funktion denkbar ungeeignet, da sie in permanenter Nässe, wie das in einem Schwimmbad Normalzustand ist, Algen ansetzen und rutschig werden. Naturstein nimmt immer das Wasser an und erhält ein feuchtes Milieu, das auch eine Brutstätte von Pilzen aller Art ist. Aber die gebrochenen Steine, ein Abfallprodukt der Plattengewinnung, sind billig zu haben und erzielen außerdem den gerne gesehenen Hundertwasser-Effekt.

Zurück zu den Badeoptionen. Wer schnöde einfach einfaches Schwimmbecken gesucht hat, muss erkennen: Es gibt keines. Dies erklärt auch den überdurchschnittlichen Bauchumfang des durchschnittlichen Badegastes; Wassersport ist nicht unbedingt die Devise. Ganz entspannt lassen sich diese sympathisch unergeizigen Typen bespülen, sodaß sie wenigstens bis zur Brust benetzt sind, oder waten flamingoartig im seichten Wasser mit eher verlorenem Gesichtsausdruck herum.

Wer die „bestmögliche Ausstattung am letzten Standard“ (Folder) bereits genossen, aber leider keine der 20 Liegen am „Strand“ ergattert hat, muß auf die Galerie ausweichen um sich am besten gleich der „Gastrokultur auf hohem Niveau statt Fastfood“ zu widmen. Bleibt zu hoffen, dass sich das Qualitätsniveau der speisen doch als um einiges höher als jenes des Foldertextes erweist, da sonst gastroenterologische Spätfolgen nicht auszuschließen werden.
Apropos verpöntes Fastfood: das erste, was sich einem beim Betreten der Halle in den Weg stellt, ist ein Automat für Schokoriegel.

Aber wir wollen mit dem privaten Betreiber dieses Bades und seiner Werbemaschinerie im Format 10 mal 21 Zentimeter nicht zu streng sein. Es ist dies ein niederländisches Konsortium, das sich immerhin geopfert hat, von der Gemeinde Wien 200 Millionen Schilling anzunehmen – für das Himmelfahrtskommando eines Badbaus und –betriebs. Die mit der Gestaltung der „attraktiven Freizeiteinrichtung“, wo man „die Sonnenseite des Lebens erleben“ kann, beauftragte Firma hat ihren Sitz interessanterweise in Monte Carlo, sicherlich aus dem einzigen Grund um die Wasserrutschenparks entlang der Cote d´Azur genau zu studieren...
Der zweite Teil der Geschichte ist weniger lustig, denn je länger man über die Sache nachdenkt und die unsäglichen Details dieser Anlage analysiert, umso eher kommt man zu dem Schluss, dass hinter einer so offensichtlichen Fehlplanung nur Kalkül stecken kann. Eine geringe Wassertiefe soll Kinderfreundlichkeit vorgeben, aber jeder der Kinder hat, weiß, dass diese lieber schwimmen, tauchen und ins Wasser springen wollen. Auch für die Allerkleinsten sind die Becken ungeeignet, da die Begleitpersonen diese Becken nur unter beträchtlichen Mühen beaufsichtigen können. Rund um die Becken ist zuwenig Platz zum Sitzen, und im 30 Zentimeter seichten Wasser knieend oder liegend mit Kindern zu planschen ist auch nicht wirklich entspannend.

Eine geringe Wassertiefe hat allerdings den großen Vorteil, dass weniger Wasser erwärmt und verbraucht werden muss, dass die darunter liegende Tiefgarage in ihrer Höhe nicht beeinträchtigt wird und keine teuer vermietbaren Stellplätze verloren gehen. Wer die eigentliche Zielgruppe für das „tropische Schwimmparadies“ ist, wird nach Betrachtung des Saunabereichs klar. Dieser ist zwar gleichfalls klein, aber geschmackvoller gestaltet als die Schwimmhalle. Gediegen saunieren nach einem anstrengenden Arbeitstag, kurz ins Wellenbad und dann ein wohlverdientes Essen – wer möchte so ein Service nicht direkt beim Arbeitsplatz genießen?

Die Raiffeisen Landesbank als Investor und die „Konstruktiva“ als Bauträger haben ja nicht nur das bad, sondern darüber ein 17geschoßiges Bürohochhaus gebaut, in dem unter anderem das Raiffeisen-Rechenzentrum untergebracht ist; allein in diesem Gebäude sind 600 Menschen beschäftigt, im benachbarten Landesbankgebäude weitere Hunderte, und im gerade in Umbau befindlichen IBM-Haus nebenan werden es ähnlich viele sein. Dieserart kommt eine kaufkräftige Klientel zusammen, für die ein so nahes Angebot an konsumierbarer Wellness zweifellos attraktiv ist. (Das Problem von lärmenden Kindern im Bad wird sich durch die hohen Eintrittspreise ohnehin von selbst erledigen.)
Dagegen wäre auch nichts einzuwenden, wenn in die niedrigen Gewässer des privaten Betreiber nicht 200 Millionen Schilling Steuergeld geflossen wären, die für die Allgemeinheit einfach den Bach hinuntergegangen sind. Zwar besteht seitens der Gemeinde Wien die verpflichtende Auflage, das Bad 20 Jahre zu halten, in welcher Form steht jedoch nirgends. Und falls das Bad vorzeitig in Konkurs gehen sollte – der Saunabereich könnte praktischerweise direkt von Raiffeisen übernommen werden -, wird eine neuer Betreiber wohl kaum gezwungen werden können, dieses offensichtliche Defizitgeschäft weiterzuführen.

Dann ist das ungeliebte Bad auf teuren Innenstadtboden endgültig zu, kann durch die entsprechende konstruktive und ausstattungsmäßige Vorarbeit leicht eliminiert werden – die Reifenrutsche ist rasch ausgebaut und anderweitig wieder verwertbar – und zum Beispiel zu einer Mehrzweckhalle oder einer repräsentativen Bankfiliale und vor allem zu einem adäquaten Entrée ins Bürohochhaus umgebaut werden. Plötzlich erfüllt sich die Überdimensionierung der Freitreppe in der Lilienbrunngasse mit Sinn, denn zur Zeit müssen sich die Büroangestellten im „Raiffeisen Diana Haus“ mit einem Eingang im Minimalformat begnügen, der der täglichen Frequenz spottet.

Am neuen Dianabad ist beispielhaft abzulesen, mit welch zynischer Leichtfertigkeit heutzutage die Durchschnittsbevölkerung vom Steuergeldfluss weggehalten wird. Ein Bad, das für Familien, alte Menschen und Jugendliche unbezahlbar und unbrauchbar ist und in dem das Pflichtfach Schulschwimmen seriöserweise nicht abgehalten werden dürfte, weil man dort das Schwimmen nicht erlernen kann, lässt sich nicht soziale Einrichtung nennen, und es ist besonders erschreckend, dass es die Wiener Sozialdemokraten waren, die solch ein Objekt auch noch hoch subventioniert haben. Die Bauaufgabe „öffentliches Bad“ war und ist eine sozialpolitische, der sich eine verantwortungsvolle Kommune zu stellen hat, auch wenn es hohe Betriebskosten und ein eventuelles Defizit bedeutet.

Was kommt als nächstes: die Einzäunung der Donauinsel und ihre Umgestaltung zum Sissyland? Verkauf und Rodung des Grünen Praters, weil das Wiener Stadtgartenamt defizitär arbeitet, bei gleichzeitiger Installierung einer gebührenpflichtigen Lauf-, Rad- und Skatingstrecke, um die spinnerten Sportler ein bisserl zu schröpfen? Den Auswüchsen der gewinnmaximierenden, passivitätsorientierten Freizeiteinrichtungen sind in der Phantasie einer um sich greifenden Unkultur wahrlich kein Grenzen gesetzt. Im Fachjargon der sogenannten Betreiber heißt das dann laut Folder: „Erfolg. Spaß.“ Frage: Wobei?

16. September 2000 Spectrum

Das Zuschalten des Außenraums

Fertigteilhaus-Katalog, tradierte 08/15-Typologie oder sich doch einem „besserwisserischen“ Architekten ausliefern? Die Grundsatzfrage im privaten Einfamilienhausbau findet im Klosterneuburger Haus H. eine klare Antwort: Architekt Stelzhammer wußte es besser!

Es ist eine gerne und meist heiß geführte Diskussion zwischen professionell Architekturschaffenden und Architekturnutzern: jene um die Notwendigkeit von Architektenarbeit im privaten Einfamilienhausbau. Die Manifestierung von familiärer Idylle und deren materialisierte Darstellung überlassen Bauherrn - falls dies nicht ohnehin aus dem Fertigteilhaus-Katalog erfolgt - ungern Dritten, schließlich weiß jeder selbst am besten, wie er sich im spezifischen sozialen Umfeld präsentieren will.

Die Lebensaufgabe Hausbau, die rein aus finanziellen Gründen meist zwingendermaßen zur solchen gerät, ist weiters für viele Menschen vermeintlich eine der wenigen Möglichkeiten, wo sie ihre Kreativität ausleben können, also wozu sich einem Besserwisser ausliefern, der einem ja doch nur „seinen Geschmack aufzwingen“ will?

Ein Haus habe ein Haus in seiner tradierten und von Kindheit an verinnerlichten Form zu sein: steiles Dach, übliche Fensteröffnungen, vielleicht ein Dreikant-Erker oder auch ein Wintergarten, wobei sich die typologische Differenzierung zwischen „Salzburger Stil“ und „Modell Europa“ bewegt. So bleibt es Aufgabe der Architekturkritik, die Vermittlerrolle zwischen Laien und Profis wahrzunehmen und immer wieder Objekte zu zeigen, die den qualitativen Nutzen für Bauherrn beim Bauen mit Architekten dokumentieren. In diesem Falle handelt es sich wieder einmal um ein Haus mit Flachdach, wo üblicherweise der größte Erklärungsbedarf herrscht.

Klosterneuburg hat sich zu einem der gefragtesten Stadterweiterungsgebiete von Wien für die gehobene Einkommensschicht entwickelt. Donaustromaufwärts - infrastrukturell durch die Schnellstraße sehr gut beziehungsweise die Schnellbahn ganz gut angebunden - zieht es immer mehr Menschen von der Stadt weg hinter den Leopoldsberg. Bodenpreise und Verkehrsaufkommen sind dementsprechend hoch, von der Lage begünstigt sind dabei die Grundstücke im Weidlinger Tal, insbesondere jene am Fuße des Kahlenbergs. Hier ist man Wien am nächsten und kann bei richtiger Plazierung einen herrlichen Rundblick von den Weinbergen bis zum Bisamberg genießen. Um die attraktive Blickoption dieser Bauplätze optimal zu erschließen, empfiehlt es sich zweifellos, von der Durchschnittslösung für ein Einfamilienhaus abzurücken und sich eine individuelle Planung zu leisten.

Familie H. hat dies getan und den Wiener Architekten Walter Stelzhammer auf Basis eines sehr detaillierten Raumprogramms mit der Konzeption ihres Hauses beauftragt. Er hat sich der Problematik, die ein relativ steil abfallender Nordhang mit sich bringt, konsequent von zwei Seiten genähert: Am höchsten Punkt des Grundstücks liegt die Zufahrtsstraße - südseitig. Am tiefsten Punkt wird die Grenze zum Nachbarn hin von dichtem Baumbestand gebildet, über dessen Wipfel hinweg sich nordseitig die beschriebene Landschaft malerisch dahinzieht.

Aus dieser Dualität bei der Orientierung heraus schuf Stelzhammer eine auf formale Reduktion bedachte Bebauung, die in ihrer der Hanglage entsprechenden Raumabfolge logischer nicht sein könnte. Relativ weit von der Straße abgerückt erstreckt sich quer zum Hang ein dreigeschoßiger, sechs Meter tiefer Riegel, ein schlichter, fast strenger weißer Quader mit anthrazitfarbenen Profilen bei den rundumlaufenden Fensterbändern. Im tektonischen Kontext ist das Flachdach hier die einzig richtige Lösung, schließlich will (oder soll!) man ja auch dem oberen Nachbarn nicht durch einen hohen Dachaufbau die Sicht verstellen.

Orthogonal auf diesen Haupttrakt liegt ein niedrigerer Schenkel, der, teilweise mit einer Dachterrasse versehen, bis zur Straße reicht und in dem der Unterschied zwischen höherem Straßenniveau und tiefer liegender Wohnebene über die hinabführende Eingangstreppe ausgeglichen wird. Das räumlich Besondere ist nun, daß zwischen den beiden Baukörpern und einer den Hang abfangenden Stützmauer an der Südseite ein (auch sicht-) geschützter Hof ausgebildet wird, der eine Orientierung zur Sonne praktisch in jeder Ecke des Erdgeschoßes möglich macht: Über große Glasschiebeelemente kann dieses Semiatrium westseitig Diele und Küche und südseitig dem Wohnzimmer als ergänzender Außenraum zugeschaltet werden. Betritt man den Wohnraum, eröffnet sich dem Betrachter erst die volle Qualität der architektonischen Konzeption: Auch die Nordseite ist auf 15 Metern Länge ganzflächig verglast und gibt den Blick auf das Weinbergpanorama frei, über die Kuppeln des Stiftes Klosterneuburg hinweg bis zur Burg Kreuzenstein ganz in der Ferne.

Zweifellos ist die nordseitige Glaswand energiepolitisch höchstgradig unkorrekt, aber in diesem Fall muß wohl zugunsten des ästhetischen Mehrwerts ein erhöhter Heizbedarf im Winter in Kauf genommen werden. Die kühle Vorderfront setzt auf Extraversion, an der „warmen“ Rückseite bleibt durch die Orientierung in den Hof die Privatheit gesichert. In dem zirka 70 Quadratmeter umfassenden, in Wohn-, Arbeits- und Eßbereich und durch die zentral liegende transparente Stiege ins Ober- und Kellergeschoß gegliederten Großraum herrscht eine räumlich-visuelle Offenheit, die in keiner Weise entgrenzt oder ungemütlich wirkt.

Walter Stelzhammers Raumkonzepte sind im großen wie im kleinen Maßstab ganz wesentlich von der gezielten Lichtführung und dem Hofhausprinzip geprägt. Sei es, indem er den Lichthof eines stattlichen Gründerzeithauses verglast, die umgebenden Mauern „aufreißt“ und somit einen lichtspendenden Zentralraum für einen Verwaltungsbau gewinnt; sei es, indem er ein ebenfalls in Hanglage befindliches Ferienhaus aus Holz an der türkischen Küste an der Rückseite um einen schattigen, aus Naturstein geformten und daher kühlen Hof erweitert. Auch beim Haus H. ergibt sich die Form aus der konsequenten Auseinandersetzung mit dem Ort und dem architektonischen Willen heraus, den Außenraum als integralen Bestandteil des Raumprogramms zu betrachten.

An diesem Beispiel ließe sich eine Empfehlung an potentielle Bauherrn formulieren: Der Genius loci soll die ihm entsprechende Hausform prägen - und nicht umgekehrt. Ein guter Architekt, eine gute Architektin sollten das wissen.

26. August 2000 Spectrum

Mit Ökologie und Schießstand

Mächtig, aber ruhig liegt es am Wasser: das neue Klubhaus, das MartinTreberspurg für den Wiener Polizeisportverein errichtet hat - ein Stück ökologischer Funktionalismus an der Alten Donau

Es ist zirka 130 Jahre her, daß in Wien die kaiserlichen Schiffmühlen am rechten Ufer der Donau in Betrieb waren und etwas flußabwärts die Dampfschiffe der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft anlegten. Der Donaustrom floß noch in seinem alten Bett, die „Colonie Kaisermühlen“ war mit den Praterauen verbunden und gehörte zum zweiten Wiener Gemeindebezirk. Erst durch die Donauregulierung (1870 bis 1875) wurde Kaisermühlen zu einem Teil Transdanubiens und durch seine exponierte Lage zwischen Altarm, neuem Donaubett und Kaiserwasser ein interessanter Standpunkt für die wasserintensive Industrie wie Färbereien und Wäschereien oder für die Eisgewinnung. Dementsprechend wurde Kaisermühlen in der Gründerzeit als Rasterviertel mit Fabriken und Wohnhäusern, ergänzt durch Kirche und Schule, angelegt.

Wie in dem kürzlich bei Bohmann erschienenen, von Gernot Ladinig herausgegebenen Buch „Die Alte Donau“ anschaulich beschrieben ist, nahm gleichzeitig die hohe Wiener Bäderkultur ebendort ihren Ausgangspunkt. Im Jahre 1907 wurde das Gänsehäufel, das um die Jahrhundertwende auf Initiative des legendären Florian Berndl gegründet worden war, zum ersten Strand-Großbad in Europa. Diese Tradition wurde im Roten Wien der Zwischenkriegszeit mustergültig fortgesetzt, indem entlang der Alten Donau mehrere Bäder errichtet wurden, betrieben von den Kultur- und Sportvereinen einzelner Berufssparten oder Firmen. Seit damals befinden sich zum Beispiel auf dem Dampfschiffhaufen, einer Halbinsel südlich des Gänsehäufels, wo einst die Donaudampfer anlegten, unter anderen das Straßenbahner-, das E-Werk- oder das Siemens-Bad und an seinem nordwestlichen Ende das Polizeisportbad. Der sogenannte Polizeisteg bindet den Dampfschiffhaufen für Fußgänger und Radfahrer an Kaisermühlen an.

Der Polizeisportverein betreibt nicht nur das Strandbad mit Öffentlichkeitsrecht, sondern auch eine große Sportanlage, die für Wettkämpfe und die Ausbildung von Polizisten benötigt wird. Da die zugehörigen Hütten für Garderoben und Klubräume, die seit dem Zweiten Weltkrieg sukzessive im Eigenbau errichtet worden waren, baulich und funktional nicht mehr entsprachen, entschloß man sich, diese abzureißen und durch ein durchdachtes Stück Architektur ersetzen zu lassen. Man entschied sich für den Wiener Architekten Martin Treberspurg, der für seine ökologieorientierten Konzepte bekannt und mit dem Bauen in den Donauauen bereits vertraut war. Von ihm stammt in Zusammenarbeit mit Georg Reinberg und Erich Raith die Planung für eine der ersten genossenschaftlichen Reihenhaussiedlungen, die nach ökologischen Gesichtspunkten, jedoch im finanziellen Rahmen der Wohnbauförderung in Stadlau errichtet wurde. Treberspurg wurde seitens des Projektbetreibers, der Bundesimmobiliengesellschaft, vertraut, gemeinsam mit Richard Fritze (Statik und örtliche Bauleitung) für den Polizeisportverein ein modernes, jedoch auf die vorhandene Baukultur bezogenes Bauwerk zu entwickeln. Er tat dies - selbstverständlich - mit einem Holzbau: Der zweigeschoßige Baukörper ist in Holzleimbinderkonstruktion mit gedämmten Paneelen errichtet und mit einer Stülpschalung aus unbehandeltem Lärchenholz versehen. Er steht zwischen Alter Donau und der Längsseite des Fußballfeldes - an derselben Stelle wie das alte Gebäude. Das einzige, was von diesem erhalten blieb, ist eine vor kurzer Zeit erneuerte Kegelbahn, die frisch überbaut wurde.

Um dem 70 Meter langen Gebäude Leichtigkeit zu verleihen, ist es direkt an die Wasserkante gesetzt, kragt drei Meter aus und wirkt dadurch wie über dem Wasser schwebend. Gleichzeitig wird, vom anderen Ufer aus betrachtet, die Assoziation zu einem Schiff geweckt, das mächtig, aber ruhig am Wasser liegt. Der Baukörper mit seiner Nutzfläche von rund 1600 Quadratmetern ist in drei Längsabschnitte gegliedert, wodurch ihm die Länge genommen wird. Eine mittige, breite Loggia auf beiden Etagen, die durch eine Stiege verbunden sind, erzeugt Durchlässigkeit für Blick und Wind und bildet gleichzeitig den zentralen, überdachten Außenraum. Von hier aus besteht über eine Treppenanlage der direkte Zugang zum Wasser; außerdem werden die zwei unterschiedlich genutzten Bauteile erschlossen. Im Südtrakt befinden sich Mannschaftsräume, Büros und der Raum des Platzsprechers, im Nordtrakt die Kantine und Schulungsräume. Jeder Trakt verfügt im ersten Obergeschoß über je einen Laubengang, der hie über dem Wasser liegt und da auch als Zuschauergalerie bei einem Fußballspiel dienen kann. Am oberen Ende des Gebäudes befindet sich die Kegelbahn, die man mit einer tischartigen Konstruktion aus Stahlbeton überbaut hat, um im oberen Geschoß einen geschlossenen Schießstand unterbringen zu können.

Das Haus, das auch im Winterbetrieb bestehen muß, funktioniert durch die Bauweise und die großen Fensteröffnungen nach Südwesten als Niedrigenergiehaus. Die Speisung von Heizung und Warmwasser aus Sonnenenergie ist zwar vorbereitet, die Sonnenkollektoren fielen allerdings der „Kostendeckelung“ des Bundes zum Opfer.

Nicht gespart wurde bei der Dachkonstruktion, einem flach geneigten Alu-KalZip-Dach, das nicht über eine herkömmliche Hinterlüftung, sondern über eine Zwangsentlüftung des Dachraumes verfügt: Ein Hauch genügt, um ein Windrad auf der Dachhaut in Bewegung zu setzen, das wiederum einen Ventilator zur Absaugung der Warmluft unter dem Dach betreibt.
Seit die Kleingärten rund um die Alte Donau für ganzjähriges Wohnen genehmigt und teils im Eigentum vergeben sind, beginnt eine rege Bautätigkeit einzusetzen.

Dies hat einerseits eine große Menge an 08/15-Mansardendach-Kleinhäusern in Schönbrunnergelb oder Biedermeierblau, mit schmiedeeisernen Laternen dekoriert, zur Folge. Andrerseits entsteht auch eine Reihe von Häusern, die sehr sensibel auf die Kleinmaßstäblichkeit der Umgebung reagieren und durch die richtige Materialwahl und Orientierung eine Integration im gewachsenen Grünraum erreichen. Es ist beruhigend, zu sehen, daß in diesem heiklen Umfeld der Bund mit gutem Beispiel vorangeht und um eine anspruchsvolle Architektur bemüht ist. Das Klubhaus des Polizeisportvereins, das im Herbst fertiggestellt sein wird, wurde in bester Tradition dieses Haustypus geplant und errichtet. Trotz seiner Größe ist dieses Gebäude im übertragenen Sinne kein trötendes Dampfschiff, sondern vielmehr ein ruhendes Flaggschiff eines ökologischen Funktionalismus, wie er an dieser (Anlege-)Stelle nicht besser passen könnte.

10. Juni 2000 Spectrum

Es geht auch ohne Feng Shui

Ein traditionelles bäuerliches Bebauungsschema, einen formal zeitgemäßen Neubau und umwelttechnologische Standards auf der Höhe der Zeit: Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer brachten mit dem Haus K. in Unterolberndorf, Weinviertel, all das unter einen Hut - und erzielten zudem höchste Wohnqualität.

Unterolberndorf ist ein idyllischer kleiner Ort, eingebettet in die sanfte Weinviertler Hügellandschaft. So typisch das Dorf in seiner Formation und Bevölkerungsstruktur für diese Gegend ist, so untypisch ist seine Geschichtsträchtigkeit. Kaum jemand würde vermuten, daß ausgerechnet hier die Verfassung eines schwarzafrikanischen Staates formuliert wurde: 1985 trat die Exilregierung von Uganda unter der Führung des späteren Präsidenten Yoweri Museveni im Dorfwirtshaus „Zum grünen Jäger“ zu einer konspirativen Sitzung zusammen, um den Sturz des herrschenden Regimes in ihrem Land vorzubereiten. Ein Unterfangen, das von Erfolg gekrönt war, weshalb Unterolberndorf seither als „die Wiege des demokratischen Uganda“ gilt und durch Besuche des Präsidenten in Ehren gehalten wird.

Auch die Ortsbewohner und -bewohnerinnen sind sich ihrer Verantwortung bewußt und initiieren nach wie vor Spendensammlungen, die Entwicklungshilfeprojekte, wie zum Beispiel die Errichtung von Schulen, finanzieren helfen.

Orte wie dieser sind auch längst keine Bauerndörfer mehr, die relative Nähe zu Wien bewirkt einen verstärkten Bezug zur Großstadt, was etwa auch in der Etablierung urbaner Architektur ihren Niederschlag findet. Die ursprüngliche Bebauungsstruktur einer relativ geschlossenen Straßenfront mit großen Toreinfahrten in die Bauernhöfe wurde im Lauf der Zeit aufgelöst und in individualisierter Weise neu geformt: Freistehende Einfamilienhäuser mit Vorgarten stehen an der Stelle der alten, klein dimensionierten Gehöfte, die in immer geringerer Anzahl benötigt und daher abgerissen werden.

Das Wiener Architektenduo Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer hat bei der Planung des Projektes Haus K. gezeigt, wie man durch Einbeziehung dieses althergebrachten Bebauungsschemas ein Einfamilienhaus mit höchster Wohnqualität errichten kann. Sie ließen nicht nur das alte Bauernhaus als Nebengebäude stehen, sondern ergänzten dieses straßenseitig, indem die Hofeinfahrt mit einem Dach überbaut und zur Garage umfunktioniert wurde. Zwischen dieser und einer kleinen Einliegerwohnung im Altbestand führt einen der Haupteingang direkt in den großen begrünten Innenhof.

Am Ende des ostseitig flankierenden ehemaligen Wirtschaftstrakts, in dem jetzt Abstell- und Lagerräume untergebracht sind, liegt der ins ansteigende Gelände eingegrabene Weinkeller. In der ursprünglichen Bebauungsstruktur sind entlang dieser Kante die Scheunen situiert, die somit den hinteren Abschluß der Bauernhöfe zu den bewirtschafteten Feldern bilden. Hochholdinger und Knauer haben nun anstelle des Stadels parallel zum Hang das eigentliche Wohnhaus für die Familie errichtet, wodurch der Wunsch seitens der Bauherrn, dem Haus nicht nur formal, sondern auch umwelttechnologisch eine zeitgemäße Entsprechung finden zu lassen, in idealer Weise umgesetzt werden konnte.

Wegen der bestehenden Nebenräume wurde auf eine Unterkellerung des Neubaus verzichtet und das Erdgeschoß ins Gelände eingegraben. Nord- und Ostseite schließen direkt ans Erdreich an, die Wohnräume sind mit großflächigen Verglasungen nach Südwesten in den Hof orientiert und mit einem begrünten Flachdach versehen. Diese Kombination aus gewonnener Sonnenenergie an der Vorderseite und speicherwirksamer Masse an der Rückseite, läßt das Gebäude als prototypisches Niedrigenergiehaus funktionieren, Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung und ein spezielles Be- und Entlüftungssystem ergänzen das ökologische Energiekonzept.

Dem in den Hang integrierten unteren Geschoß ist ein kleiner dimensioniertes Obergeschoß draufgesetzt. Mit seiner Fassadenverkleidung aus unbehandelten Lärchenholzpaneelen kann die aufgesetzte Schachtel durchaus als Zitat der vormals hier plazierten Scheune verstanden werden.

Allerdings fehlt ihm das steile Dach, wodurch die Besonderheit dieses ganzen Projekts in bezug auf die Bauordnung augenscheinlich wird. Vom in Niederösterreich gültigen sogenannten Satteldachparagraphen, der besagt, daß ein Haus grundsätzlich über ein geneigtes Dach verfügen muß, um genehmigungswürdig zu sein, konnte hier mit Hilfe der Argumentation eine Ausnahme gemacht werden, daß der Neubau von der Straße aus eh nicht sichtbar ist . . . Dieser behördlichen Logik folgend, dient der Altbestand somit nicht nur den Bewohnern als Schutz vor Straßenlärm, sondern auch der Ortsbevölkerung, um vor irritierender Architektur beschützt zu werden.

Von den zwei Kinderzimmern, die im oberen Geschoß untergebracht sind, erschließt sich ein herrlicher Blick über den Ort hinweg auf die Kirche und den Gegenhang des Tales zu. An der Nordseite ist der ebene Ausgang in den oberen Teil des Gartens und ins dahinter liegende Feld möglich. Von hier aus und beim Umschreiten des Hauses zeigt sich, wie intelligent und stimmig die Terrassierung des Baukörpers im tektonischen Kontext ist. Die Kubatur wurde so perfekt ins Gelände hineinmodelliert, daß zu jedem Teil des Gartens ein spezifischer Bezug hergestellt wurde.

Um den Eindruck eines Erdhauses zu vermeiden, werden Durchblicke gewährt, die die räumliche Entwicklung zwischen Haus und Garten klar nachvollziehbar machen. Der Haupteingang im Erdgeschoß erfolgt über ein paar Stufen mittig im Gebäude, rechts erstreckt sich der Wohn-Eß-Bereich mit offener Küche, links liegt das Schlafzimmer mit angrenzendem Bad und der Haustechnikraum. - Betritt man die Diele, wird der Blick auf die Übereckverglasung oberhalb der Treppe gelenkt, die einem sogleich vermittelt, daß der Garten hier weitergeht. Der Innenraum geht fließend in den Außenraum über und wird erst durch einen großen alten Nußbaum begrenzt. Auch der Wohnraum besteht nicht nur aus gemauerten Wänden hinten und der Glasfront vorne: Durch ein horizontales Glasband zwischen dem Mauerwerk und der auf schlanken Stahlstützen punktuell gelagerten Decke wird wiederum eine Blickbeziehung zum oberen Grünbereich hergestellt.

Südwestseitig erweitert sich der Wohnraum wie selbstverständlich nach außen über den atriumartigen Grünraum bis zur gegenüberliegenden Mauer des Altbestands. Der graue Schiefer ist unter den großformatigen Schiebetüren hindurch niveaugleich als Bodenbelag durchgezogen und bildet so eine befestigte Übergangszone zur Wiese hin aus. Gedeckt ist diese Loggia durch die auskragende Stahlbetondecke und daran anschließende Glasfelder, die an der Unterseite mit Rundhölzern belegt sind und somit einen gerasterten Lichteinfall bewirken.

Ein Stahlträgerkranz dient der Erdgeschoßdecke als rundumlaufendes Traufenelement, das auch noch über der nordwestseitigen Terrasse eine Pergola ausbildet und - vertikal betont gestützt durch eine sienarote Mauerscheibe - eine starke horizontale Gliederung des Baukörpers schafft.

Konterkariert wird diese konstruktive Linearität einerseits von zwei Geländestützmauern aus Natursteinen, die vom abgebrochenen Hofgebäude stammen und einem Baum, der, in der Westecke des Innenhofes stehend, konzeptionell so eingebunden wurde, daß er in der warmen Jahreszeit als Schattenspender für die intime, mit Lärchenholz belegte Terrasse an der Breitseite des Hauses zum Tragen kommt.

So nüchtern solch eine technische Baubeschreibung auch klingen mag, so wichtig ist sie, um die klar formulierte architektonische Konzeption der Planer darzulegen. Es bedarf keiner lieblichen Ökozismen oder bauesoterischer Attribute aus der Feng-Shui-Lehre, um ein Haus „im Einklang mit der Natur“ zur errichten, vielmehr ist es eine technologisch optimierte, intelligente Architektur, die diese Qualitäten schafft.

Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer haben sich mit viel Sensibilität auf den Bestand am Grundstück - gebauter wie gepflanzter Art - eingelassen, den Neubau perfekt integriert und den Bauherrn ein auf naturbezogenen Rückzug bedachtes Wohnen ermöglicht. Es ist die Abfolge der beschriebenen räumlichen und atmosphärischen Übergänge, die ein homogenes Ganzes mit einem hohen Maß an Privatheit bilden und dazu geführt haben, daß den Hausbesitzern erst jetzt auffällt, wie wenig Zeit sie - noch in ihrem alten Haus wohnend - im Garten verbracht haben.

Roland Rainer, der kürzlich seinen neunzigsten Geburtstag feierte, wurde nie müde, diese Art des naturbezogenen Wohnens zu propagieren. Ihn müßte es freuen, daß in bester Tradition seines eigenen Werks Bauten jüngerer Kollegen entstehen, die um den Aspekt ökologieorientierter Technologie bereichert die Relevanz seiner Lehre auch fürs 21. Jahrhundert unter Beweis stellen.

Für Unterolberndorf läßt sich der Kreis des Afrika-Bezugs schließen: Der Atrium-Haus-Typ stammt eigentlich aus dem islamischen Städtebau Nordafrikas, womit die Sinnhaftigkeit des Austausches zwischen noch so weit voneinander entfernten Kulturen erwiesen ist.

13. Mai 2000 Spectrum

Planet Sun & Planet Fun

Alles, was auf Erden lustig ist: das - virtuell, versteht sich - versprechen Vergnügungsreservate weltweit. Etwa das Wiener „Donau-Plex“: Freiheit der Prärie und Nervenkitzel des Dschungels - glasüberdacht und klimatisiert, inklusive Parkgarage.

Der Begriff Entertainment Design spricht für sich selbst. Die institutionalisierte Enthemmung zu Unterhaltungszwecken findet auf allen Ebenen statt, nicht nur auf den „Park“-, „Kassa“- und „Brückenebenen“ der Vergnügungstempel, sondern auch auf jenen der Linguistik, speziell der Semantik.

Kinopolis im Donau Plex ist ein Beispiel für die superlativischen Wortkreationen, die offensichtlich notwendig geworden sind, um sich in der Dichte der in Wien erbauten Kinopaläste behaupten zu können. „Center“ ist zu einer geradezu minimalistisch anmutenden Umschreibung für den Mittelpunkt konsumorientierter Örtlichkeiten geraten, heutzutage müssen viel eher Attribute wie World, Planet oder Universum herhalten, um das Zielpublikum von den satellitenschüsselgenährten Fernsehgeräten wegzulocken.

Da sich der Kinobesuch lediglich als Appetizer für weitere Kulinarik versteht, ist die „Kinostadt“ mit ihren elf Sälen in einem neuen, ans Donauzentrum durch eine Brücke angedockten Gebäude integriert, das den Charme einer Flughafenabfertigungshalle entfaltet. Der Name Donau Plex verweist dabei nicht nur auf die Verflochtenheit mit der vorhandenen Infrastruktur, sondern auch auf die globalen Verflechtungen im Lokalangebot. Neben Altbewährtem, wie italienischem Eissalon, amerikanischem Fast- food- Restaurant und japanischem Sushi-Lokal trifft man auf selbstbewußt Österreichisches, wie die Palatschinkeninsel, aber auch auf echte Attraktionen wie zum Beispiel einen texanischen Saloon, der sich Indian dreams nennt. Fraglich, ob solch groteske Namengebung auf die Absatzsteigerung bei Feuerwasser abzielt oder die Gäste dazu animieren soll, sich nach dem Verzehr von Spareribs im nahen Sonnenstudio Planet Sun (sic!) zur Rothaut rösten zu lassen?

Auch bei der Gestaltung der Regenwald Bar wurde mit originellen Gags nicht gespart: die eingerollte Riesenschlange als Überdachung der Bar, eine Savannenszene mit Löwen, Zebras und Elefanten als Hintergrundmalerei, ein Baum mit Gesicht, der mit den Augen rollen kann - Natur pur also. Jede Menge Getier findet gemalt, modelliert oder eingebaut seinen Platz. Den wahren Eyecatcher bildet indes ein Krokodil, das alle paar Minuten das Maul aufreißt und nach den Longdrinkgläsern der Bargäste zu schnappen droht.

Wem es solcherart und nach Disney- oder Actionfilm noch nicht spaßig genug war, dem bleibt jenes Etablissement, das bislang als „Spielhölle“ in Verruf stand. Kurzerhand auf Planet Fun umbenannt, wird den Zerstreuung Suchenden klar, daß sich hier virtuell alles nachvollziehen läßt, was auf Erden wirklich lustig ist.

Dann ist das Ziel der Erfinder solcher „Freizeitträume für Frei- zeiträume“ auch schon erreicht: Die Menschen konnten aus der schrecklichen Realität, in der sie ihr berufliches oder Schülerdasein fristen müssen, „entführt und verzaubert“ werden.
G egen ein bißchen Kleingeld ist selbst die Freiheit der Prärie und der Nervenkitzel im Dschungel in der viergeschoßigen, glasüberdachten und klimatisierten Halle mitten in der Donaustadt konsumierbar (inklusive drei Stunden gratis parken in der Tiefgarage!). - Prinzipiell ist gegen derartige Vergnügungsreservate nichts zu sagen: keine Lärmbelästigung von Anrainern, der Lokalwechsel erfolgt nicht über die Straße, sondern muskelschonend über die Rolltreppe - ein absolut geschützter Bereich, wo Sicherheitsorgane die Kids unter Kontrolle haben. In Wirklichkeit werden die Jugendlichen natürlich ver führt, an einem Ort möglichst viel Geld abzulegen, und ent zaubert, denn wie soll man noch mit seinen eigenen Geschichten prahlen, wenn einem ständig ein brüllender Löwe im Nacken sitzt. Imponieren durch konsumieren ist angesagt!

Apropos Reservat: Wie Frank Stronach zweifellos bestätigen wird, ist Österreich trotz dieser jüngsten Entwicklungen und trotz Meister Hundertwassers bemühtem Spätwerk im internationalen Vergleich auf dem Gebiet der Event culture hoffnungslos unterentwickelt, selbst Afrika ist uns da weit voraus.

Bei der Jagd nach devisenbringenden Touristen wird zum Beispiel in Südafrika nicht mehr nur auf Klischees wie Wildparksafari oder Weinverkostung gesetzt, sondern gleich mit einem ganzen Königreich an Vergnügungen geworben. Sun City, Ende der siebziger Jahre in einem Homeland inmitten trockener Buschlandschaft errichtet und als Gipfel des Zynismus des Apartheidregimes geächtetes „Klein Las Vegas“, präsentiert sich nun als Africa's Kingdom of pleasure. K einen Wunsch konsumistischer Urlaubsträume läßt die in den frühen neunziger Jahren errichtete Erweiterung offen: The Lost City. Hier wird einem gar endless escapism - die Flucht vor der Realität ohne Ende - versprochen, und tatsächlich befällt einen beim Spazieren durch den Dschungel, beim Überqueren wackeliger Hängebrücken oder beim Anblick des im dezenten Stile eines indisch-maurischen Maya-Barock gehaltenen Hotel Palace das Gefühl, als Statist in einen Indi- ana-Jones-Film geraten zu sein.

Hier ist nicht nur (Gott sei Dank!) das Krokodil falsch, das in einem Tümpel am Rande des crocodile valley walk liegt, sondern die ganze Dschungellandschaft gleich dazu. Eingeflogene Pflanzen, die durch Bewässerungsanlagen zum Wuchern gebracht werden, Kaskaden aus Chlorwasser, die über als Felsen getarnte Betonbrocken plätschern, vorbei am griechischen Amphitheater und hinein ins Wellenbad, das an einen künstlichen Sandstrand mit Buschhütten und Palmen brandet - eine Apotheose des Kitsches, die einen allerdings in ihrer Perfektion und Ungeniertheit wahrlich staunen macht.
Das Erleben von gekünstelten Märchenwelten sei der Touristen größter Wunsch, Authentizität in Material oder Ort ist dabei völlig unerheblich. In Zeiten der Globalisierung wäre es wahrscheinlich kleinlich, darüber nachzudenken, ob man sich gerade in Südafrika, Los Angeles oder Ebreichsdorf befindet. Der Event -Konsument in Lost City wie Kinopolis soll das sprachlos begeisterte Kind sein. Je toller, je aufdringlicher die (Bild-)Sprache der inszenierten Örtlichkeit, desto größer die erwünschte infantile Sprachlosigkeit. Leider ist diese gleichbedeutend mit der Kommunikationslosigkeit unter Erwachsenen. Aber das macht nichts: Entertainment Design spricht für sich selbst.

29. Januar 2000 Spectrum

Gemischte Platte mit Torte

Von den Dimensionen her nimmt sich Paolo Pivas dreigeschoßiger Kreissegmentbau im Vergleich zu den umgebenden Kubaturen geradezu bescheiden aus. Von der städtebaulichen Funktion her ist er umso wichtiger: Er ist das Kopfbauwerk der Wiener Donau-City.

Wiens neuer Stadtteil an der Neuen Donau beginnt sich, ganz im Sinne der Betreiber, zusehends zu entwickeln. Die erste Bauphase des Langzeitprojekts Donau-City ist mit der Fertigstellung des Mischek Towers an der Grenze zum Donaupark vorerst abgeschlossen. Der streng orthogonal strukturierte, nordwestliche Bereich des Geländes war einer hochverdichteten Wohnbebauung der Architekturbüros Cufer, Delugan Meissl, Loudon und Neumann & Steiner vorbehalten. Den westlichen Eckpunkt an der „Uferpromenade“ der Donau-City bildet die Volksschule mit integriertem Kindertagesheim von Hans Hollein.

In der diagonal anderen Ecke des Baugebiets vor dem Hintergrund der UNO-City steht inmitten der ihrer Verbauung harrenden Brache Wilhelm Holzbauers Bürohaus Andromeda Tower bislang als Solitär. Ihm wird nun allerdings sukzessive baulich näher gerückt. Vorerst kann Holzbauer selbst diese Annäherung vollziehen, ist es doch wiederum sein Büro, das mit der Planung des in unmittelbarer Nachbarschaft in Bau befindlichen Technologiezentrums Tech Gate Vienna beauftragt wurde. Das städtebauliche Umfeld des oval geformten Andromeda Tower wird nun durch einen querliegenden Riegel und ein dreieckiges Hochhaus begrenzt.

Wenn es nach dem Plan des Projektträgers, der WED – Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum geht, soll diesen Gebäuden jedoch langfristig die Sicht auf die Stadt durch ein Hochhauspaar verstellt werden, welches laut Werbeprospekt der WED nicht nur „die Corporate Identity für die Donau-City bildet, sondern darüber hinaus auch ein neues Wahrzeichen Wiens werden soll“. Die DC-Twin Towers von Arata Isozaki und Gustav Peichl sollen, alle anderen Bauten an Höhe überragend, den Blickfang von der Reichsbrücke aus abgeben und gleichzeitig den unverstellbaren Ausblick auf Wien bieten — woraus sich sicherlich ein akkurater Mehrwert bei den Büromieten lukrieren läßt.

Bis dahin präsentiert sich die sogenannte Platte als „gemischte Platte“ mit attraktivem Nutzungsmix (vorerst ein weiteres Bürohochhaus, eventuell die Maschinenbaufakultät der TU-Wien, ein „Experimentarium“, die europäische Flugsicherung CEATS), um potentielle Investoren auf den Geschmack zu bringen. Schließlich wird es alleinig an deren Engagement liegen, ob die geplanten Projekte realisiert bzw. nach Wunsch des jeweiligen Geldgebers verändert umgesetzt werden. Dementsprechend wird das zukünftige Stadtbild primär von den Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes und weniger von hehren städtebaulichen Überlegungen geprägt sein. Der Masterplan, von Adolf Krischanitz und Heinz Neumann & Partner 1993 erstellt, wurde zwar in der Wegeführung und in der Entflechtung des Verkehrs — Fußgänger und Radfahrer auf -, Autos unter der Platte — übernommen, in der Anordnung der Kubaturen jedoch sehr frei interpretiert. Man darf gespannt sein, wie mit den öffentlichen Räumen, die zwischen den groß dimensionierten Bauten mit ihren verheißungsvollen brandmarks entstehen, umgegangen wird: Werden sie von der WED gestalterisch mitentwickelt oder sollen sich die Dinge hinterher selbst entwickeln? Wird es so etwas wie ein City-Center geben und könnte sich ein solches neben der herrschenden Zentrumsagglomeration — Vienna International Center, Austria Center, Technologiezentrum, Entertainment Center — überhaupt eigenständig behaupten?

Ob die Platzierung eines Kirchenbaus bereits als Versuch einer klassischen Ortszentrumsdefinition zu werten ist, sei dahingestellt, zur Zeit scheint sich aus der Situierung von Heinz Tesars Kirche (in Bau) jedoch ein logisches soziales Zentrum zu bilden. Dieses liegt am Rande der Donau-City, dort, wo deren Anbindung an die wichtigste innenstadtorientierte Infrastrukturachse (U1, Wagramerstraße, Reichsbrücke) und ein Bezug zum gewachsenen Bezirk, nämlich Kaisermühlen, gegeben ist. Von hier aus wird der neue Stadtteil erschlossen, was durch ein gerade fertiggestelltes, in der beschriebenen Umgebung verhältnismäßig kleines, aber umso wichtigeres Element thematisiert wird.

Paolo Piva hat zwischen der verlängerten Schüttaustraße und der diagonalen Haupterschließungsachse der Donau-City einen kreissegmentförmigen, dreigeschoßigen Bau gesetzt, der weniger wegen seiner Nutzung als Filiale der Bank Austria und für weitere kleine Geschäftslokale, sondern vielmehr wegen seiner Gelenksfunktion aufwändig gestaltet ist. Die zur Reichsbrücke gewandte Südseite wird über einem metallverkleideten Sockelgeschoß von einer vorgehängten, doppelt gekrümmten Glasfassade gebildet, die einen äußerst repräsentativen Eindruck vermittelt. An den geraden Seiten wird das „Tortenstück“ von zwei Betonscheiben gefasst, die den Knick der Fußgängerverbindung zwischen U-Bahn- und Busstation und Donau-City nachbilden und richtungsweisend fungieren. Durch die Überbauung der bereits vorhandenen Fußgängerrampe gegenüber der U-Bahnstation, schafft Piva jene Torsituation, die dieses Gebäude zum Kopfbauwerk für die Donau-City macht.

Hat man das „Tor“ durchschritten, wird klar, dass genau hier, an der vermeintlichen Rückseite des Gebäudes, ein kleines Zentrum entstehen könnte: An diesem stark frequentierten Platz zwischen Pivas Bau und Tesars Kirche liegen der Eingang in die Bank und eine Bäckerei, im Zwickel der aufeinandertreffenden Wandscheiben, die durch große Öffnungen aufgelöst sind, ist eine amphitheaterartige Freitreppe angelegt, die einerseits ins Obergeschoß führt und andrerseits zum Verweilen mit Blick auf die Kirche einlädt. Schade ist, daß die Idee des Architekten, im oberen Geschoß ein Restaurant zu etablieren, nicht aufgegriffen wurde und der langgestreckte, geschwungene Raum mit seiner durchlaufenden, südseitigen Glasfront nun wahrscheinlich in kleinere Einheiten unterteilt wird. Abgesehen von der Segmentierung des großzügigen Raumes: Ein Kirchenwirt wäre der Zentrumsbildung zweifellos dienlich gewesen...

Das Interessante an einem Großprojekt, wie es die Errichtung der Donau-City darstellt, bleibt letztendlich die Ungewissheit, die dem Städtebau sytemimmanent ist. Das Entstehen von urbanem Flair ist vielleicht indirekt steuerbar, Urbanität selbst jedoch niemals konkret planbar und so bleibt das spätere Funktionieren einer künstlich hochgezogenen City im Planungsstadium die große Unbekannte. Die Entwicklung des Wiener Donauraumes, sei sie passiv oder autoaktiv, und vor allem seine Belebung werden eine spannende Geschichte bleiben.

27. November 1999 Spectrum

Alles Gute von der MA 2412!

Alle Jahre wieder behängt sich die Stadt mit Tannenreisig. Diese vorweihnachtliche Marketingmaßnahme – Motto: Die wahre Frohbotschaft ist jene über gestiegene Umsätze – beschehrt Wien heuer ein Stadtmöbel der besonderen Art: einen riesigen Adventkranz.

Noch vier Wochen bis Weihnachten. Wir besinnen uns ob des Advents und beginnen uns auf die entbehrungsreichen Wochen der Fastenzeit einzustellen. Für die Kraftanstrengung zur inneren Einkehr werden wir allerdings im Außenraum visuell belohnt. Die Üppigkeit der Stadt-Bilder, die zum Beispiel in Wien jeden Dezember geboten werden, lassen uns die Strenge des spirituellen Rückzugs ein wenig leichter ertragen. Die Stadt behängt sich – sprich ihre Bauten – mit einem grünen Umhang aus Tannenreisig, stellt dezent rustikale Blockhütten auf und läßt die kahlen Bäume mit Hilfe bunter Herzerl und anderer Attribute der Herzigkeit in buntem Glanz erstrahlen.

Dies wäre eine durchaus nette Geste, stünde sie nicht unter der Schirmherrschaft des Handels, der naheliegenderweise einzig und allein einem Leitspruch folgt, der da heißt: „Leute, kauft! Wir schmücken euch die Stadt, wie ihr wollt, wir bescheren eurem Auge in jedem kleinsten Straßenzug eine kleine Freude, wenn ihr uns nur nicht bei der Bescherung vergeßt.“ Ohne hier moralisieren zu wollen: Die Alterierung über das Weihnachtsgeschäft wäre naiv und realitätsfern, wir wissen alle, daß die wahre Frohbotschaft jene über gestiegene Umsatzprozente ist.

Um im Verkauf froh zu sein, bedarf es allerdings ein wenig mehr, als seine Waren im Schaufenster feilzubieten. Gerade die Wiener City steht in der Adventzeit in einem ausgesprochenen Konkurrenzverhältnis zu wetterunabhängigen Einkaufszentren und versucht verständlicherweise sich durch attraktive Stadteinbauten als Ort des „Event-Shopping“ zu präsentieren. Wer keine geheizten Malls bieten kann, der trumpft dafür mit Superlativen vorweihnachtlicher Volkskulturattribute auf: Sentimentalität hin, Umwegrentabilität her – ein Bild des „größten Adventkranzes der Welt “genügt wahrscheinlich, um via Medien die potentielle Käuferschaft auf den Graben zu locken.

Ein grandioser Werbegag: Endlich kann ein Brunnen sein winterbedingtes zweckloses Herumstehen verleugnen und darf als Sockelbauwerk für ein schleifenbehangenes Adventgebinde Dienst tun! Die Brunnenskulptur ist schnell verschalt und mit Grünzeug beklebt, und oben drauf sitzt turbangleich der krönende Kranz.

Bei genauer Betrachtung des Gebildes zeigt sich jedoch, daß im Zuge der Umsetzung dieses Geistesblitzes der Wiener Kaufmannschaft kleinere statische Probleme aufgetreten sind: Der Brunnen konnte die ihm aufgebürdete Last offensichtlich nicht tragen, und so wurde das Gebinde einfach auf vier pölzende Beine gestellt. Ein wahrer Kunstgriff, der bewirkt, daß der Kranz als solcher nicht mehr wahrnehmbar ist und man eher meint, den weltweit größten (grünen!) Tisch mit der plumpesten Tischplatte vor sich beziehungsweise über sich zu haben. Es ist natürlich nicht fair, bei solch origineller Stadtmöblage die strengen Richtlinien architektonischer Gesetzmäßigkeiten anzulegen, andrerseits sollte – auch im Interesse der Erbauer – ein Mindestmaß an Sensibilität für den umgebenden Stadtraum im Sinne Camillo Sittes sehr wohl gefordert werden. Gerade ein Stück temporäre Architektur muß sich, um akkurat wahrnehmbar zu sein, um eine situationsbezogene Dimensionierung bemühen. Ein zu großes Objekt in einem zu kleinen Umfeld wie dem Wiener Graben kann nur schwer eine attraktivierende Frohbotschaft erzielen.

Um sich den Zwängen einer städtebaulichen Analyse zu entziehen, könnte das Werk auch als eines der Kunst im öffentlichen Raum auslegt werden. Aber selbst in der Sparte der freien Kunst gelten Gesetze bezüglich ihres Wirkungsgrades, die der Kunst- und Kulturphilosoph Boris Groys folgendermaßen definiert: „Kunst im Außenraum steht im urbanen Umfeld und konkurriert mit diesem; sie bildet einen politisch-sozialen, gesellschaftlichen Kommentar, visualisiert und kommentiert den Kontext; sie sensibilisiert den Blick des Betrachters für die Umgebung.“

Der größte Adventkranz der Welt tritt leider etwas zu stark in Konkurrenz mit dem urbanen Umfeld, sodaß er primär eine Sichtbarriere im gewohnten Graben-Blickfeld darstellt. Ob er die ergreifende Visualisierung von „Es weihnachtet sehr!“ zuwege bringt, kann erst nach Entzünden der vier Kerzen beurteilt werden.

Natürlich sollen gestalterische Eingriffe wie dieser nicht mit puristischer Strenge abqualifiziert werden, sie gehören zum (Weihnachts-)Geschäft und tun niemandem wirklich weh. Verwundert ist man nur, wenn man aus Erfahrung weiß, welch wachsames Auge die MA 19 – Stadtgestaltung – auf das Schaffen von Architekten und Architektinnen wirft, um die Stadtbildverträglichkeit eingereichter Planungen zu prüfen, und es drängt sich schon die Frage auf, warum man der „MA 2412 “ (eine schrille ORF-Sitcom über ein fiktives Amt für Weihnachtsdekorationen) ung’schaut alles durchgehen läßt.

Aber – wie wir wissen – Wien ist anders, wie uns der Architekt Günther Feuerstein in seinem Buch „Visionäre Architektur, Wien 1958/1988 “anschaulich darlegt:

Wien ist gleichzeitig eine Stadt der Heiterkeit und der Lebensfreude, und es ist eine Stadt der Zeremonien und der Rituale: Wien ist eine ,katholische‘ Stadt, nicht von einer tief spirituellen Gläubigkeit erfüllt, sondern vor allem von jener Religiosität spanisch-barocker und gegenreformatorischer Prägung, die nur über die Sinnenfreude, auch über den Kitsch, Aberglauben und Paganismus hindurch zur Gläubigkeit findet. Liturgie und Zelebration, Festlichkeit und Gepränge, Augenlust und Pomp haben in Wien Tradition ...“

Und weiter: „Es ist überraschend, wie gerade in dieser Stadt die Gegensätze aufeinanderprallen, Konflikte hervorrufen, oft Ausgleiche bewirken – aber auch ungelöst stehen bleiben oder verdrängt werden: nirgends so virtuos wie Wien.“

Apropos Kitsch und „MA 2412 “:Hier einige Tips aus dem Fachbereich Architektur zum Thema Weihnachtsdekoration: Abgesehen davon, daß durch den Kunst-Adventkalender am Rathaus endlich Licht ins Dunkel der Wiener Ringstraßenarchitektur gebracht wird, könnte so manches Wiener Gebäude ansehnlicher Aufputzträger dienen: der Donauturm als leuchtender Christbaum – welch Erleuchtung; das AKH als aufgemascherltes Geschenkpackerl welch gelungene Masche, um die Weihnachtsbotschaft zu allegorisieren. Ob der rustikalen Gemütlichkeit, die sie den umgebenden nüchternen Stadträumen entgegenhauchen, wäre weiters der flächendeckende Punschhütten-Dorfcharakter anzustreben. Ein Szenario, das uns jetzt schon in ritualistischer Erwartung das Herz erwärmt.

2. Oktober 1999 Spectrum

Ein zeitgemäßes Seh-Erlebnis

Inflationär gebraucht, oft mißbraucht, in der Folge verbraucht: der Begriff „Design“.Das Wiener Duo Renate Martin und Andreas Donhauser verleiht ihm indessen Körper und Glanz: mit seinen fulminanten Ausstattungen von Filmen, Theater- und Operninszenierungen.

Der Begriff „Design “ist in den letzten Jahren in Inflationärer Weise gebraucht, oft genug mißbraucht und in der Folge ein bißchen verbraucht worden. Umso erfreulicher ist es, daß es Kultursparten gibt, die – bislang von der Modebegrifflichkeit „verschont “– unter dem Designaspekt sehr wohl neue Qualitäten entwickeln können, wie zum Beispiel Bühnenereignisse, sei es in Theater oder Oper.

Während die Ausgestaltung bei Filmen und Fernsehstücken längst als„Set-Design“ bezeichnet wird,ist dem Theater das „Bühnenbild “erhalten geblieben, eine Differenzierung, die grundsätzlich richtig ist: Bei der Filmausstattung müssen Räume oder Rauminhalte so dargestellt werden, daß sie, auf Kinoleinwand oder Bildschirm flächig projiziert, für das menschliche Auge, der jeweiligen Intention der Filmemacher entsprechend, entschlüsselbar bleiben. Zu diesem Zweck ist alles technisch Machbare erlaubt, das Auge kann mit Hilfe des Medium Film ziemlich leicht ausgetrickst werden und unterliegt (gerne!) dem illusionären „Abbild des Geschehens“.

Der Begriff „Set-Design“ umschreibt die Vielschichtigkeit bei der Gestaltung der Szenen als einen dynamischen Prozeß, er impliziert die Künstlichkeit bei der Verquickung von Filmarchitektur, Licht, Zeit und technischen Trick mit den entsprechend gestylten Akteuren. Im Theater hingegen wird die Bühne als „Bild im Geschehen“ wahrgenommen. Das, was „geschieht“, ist die Schauspielerei, das Bühnenbild bleibt gegenüber der „Aura, die um den Darstellenden ist “(Walter Benjamin), trotz perspektivischer Bemalung und immer ausgereifterer Bühnenmaschinerie in einem semantischen Anspruch schön brav zweidimensional im Hintergrund.

Was passiert, wenn jemand, der um die „Designbarkeit“ des Sets aus der filmischen Praxi weiß, sich einer Bühne annimmt, kann am Beispiel der Arbeiten des Wiener Ausstatterduos Renate Martin und Andrea Donhauser abgelesen werden. Unter der Bezeichnung „donmartin superset“ bewerkstelligen sie die Ausgestaltung sowohl von Spielfilmen, Videoclips und Werbespots als auch von Theater- und Operninszenierungen im In- und Ausland, wie zuletzt „Le Grand Macabre“ von György Ligeti am Tiroler Landestheater (1998) oder „Gormenghast “von Irmin Schmidt am Opernhaus Wuppertal (1998).

Ihre letzte hochgelobte Produktion ist eine für die Wiener Staatsoper: Wilfried Hillers Kinderoper „Da Traumfresserchen “(Buch:Michael Ende) in der Inszenierung von Michael Sturminger. Obwohl von kleinerem Umfang, wird hier die Qualität der Arbeit von Martin und Donhauer in vollem Ausmaß deutlich, was von der Pressesprecherin der Wiener Staatsoper bei der Auswahl der Photos folgendermaßen treffend beschrieben wurde:„Na ja, Bühnenbild in dem Sinn gibt es eigentlich keines.“

Die kleine Bühne im Kinderzelt auf dem Dach der Staatsoper ist eben mehr als ein „Bild “,sie wird gestalterisch so besetzt, daß sie mit den handelnden Personen zu einem in einer Gesamtheit wahrnehmbaren Erlebnis gerät, Bühnenbild und Kostüme bedingen einander und lassen die Sänger und Sängerinnen zu integralen Bestandteilen der Bühneninstallation werden. Diese Herangehensweise, die „die Bühne selbst zum Objekt machen will“ (Martin/Donhau er) und dem in diesem Falle jungen Publikum eine kindgerecht dynamische, jedoch in keiner Phase des Stücks infantilisierte Bildabfolge bietet, ist natürlich ungleich spannender als „auf die Bretter“ oder „vor die Kulissen gestellte“und dort agierende Schauspieler.

Die computergenerierten Hintergrundmuster beim „Traumfresserchen“ sind von einer gekonnten, eindrucksvollen Zeichenhaftigkeit, die das jeweilige Bild untermalt und dadurch zuammenhält. Die Kostüme hingegen sind in Farben und Materialien im besten Sinne opulent: Hier wird verziert, humorvoll aus der Modewelt zitiert, aber auch experimentiert. Wenn das knallrote Ganzkörperkostüm des Traumfresserchens sich nach dem Verzehr aller schlechten Träume zu einer Kugel aufbläht, dann ist dies der Innovationsfreudigkeit der zwei Ausstatter auf dem Filmset zu danken. Technische Entwicklungen aus einer Werbespotproduktion fließen synergiennutzend in die Bühnenarbeit ein: Das Experimentieren mit Polyesterharz, das, über raumgroße Ballons gegossen, in Kugelform gebracht wurde, ließ praktisch als Nebenprodukt das aufblasbare Ballonkostüm für die Bühnenfigur entstehen. – Das Überzeugende am „Stage-Design “von Martin und Donhauser ist, daß es nie outriert wirkt oder zum Selbstzweck gerät und damit Bühnenstück und Darsteller nie bedrängt.

Die Vielseitigkeit, die die zwei Absolventen der Hochschule für Angewandte Kunst mit ihren Set-Designs beweisen, ist nicht nur Talent, sondern auch Ergebnis einer vielschichtigen Ausbildung. Martin besuchte die Meisterklasse für Bühnenbild von Axel Manthey, Donhauser jene für Produktgestaltung von Carl Auböck. Beide können jedoch auch auf ein Architekturstudium an der TU Wien verweisen; dem dürften sie ganz wesentlich die hohe Qualität der Auseinandersetzung mit dem Raum und das Wissen um die Wichtigkeit strukturierter Funktionsabläufe gerade bei der Bühnengestaltung verdanken. Mit dergleichen Selbstverständlichkeit, mit der sie ganz praxisorientiert Prototypen für ein Set entwickeln und selber bauen, bedienen sie sich des Computers für die Planung einer abstrahierten, kühlen Architektur wie für den Spielfilm „Anatomie“ von S.Ruzowitzky im Auftrag der Columbia TriStar.

So abgeschmackt das Thema Design in vielen kulturrelevanten Bereichen auch sein mag, auf der Bühne sollte ihm notwendigerweise etwas mehr Verbreitung zuteil werden. Gemeint ist hierbei eben nicht eine billige Effekthascherei, die dem Theaterpublikum ein „Wow!“ entlocken soll, sondern vielmehr jener klassische Designbegriff, dem ein innovatives Moment immanent ist, das so manche herkömmliche Opern- oder Theateraufführung zu einem etwa dynamischeren und damit zeitgemäßen Seh-Erlebnis geraten lassen könnte.

28. August 1999 Spectrum

Drei Kirchen, drei Häuser

1896 auf einer steilen Wiese am Westhang des unteren Eisacktal errichtet, 1928 von Hubert Lanzinger sachlich-modernistisch umgestaltet und seit 70 Jahren bis ins Detail unverändert: die Sommerfrische-Pension Briol – ein Insidertip.

Neben dem frischen Sommer ist die Sommerfrische ein mit (Alt-)Österreich eng verbundener Begriff, der angeblich bereits seit dem 16.Jahrhundert existiert. Es waren naheliegenderweise die Städter, die Sommerfrische aus gesundheitlicher Notwendigkeit heraus „erfunden“ haben. Schon geraume Zeit bevor einem das bodennahe Ozon während der Sommermonate den Aufenthalt in den Ballungsräumen verleidete, pflegte man sich an die gute Luft in höhere Lagen zurückzuziehen.

Hitze und Staub trieben zum Beispiel die Wiener, die es sich leisten konnten, ins Rax- und Semmeringgebiet oder ins Salzkammergut. Seit der Errichtung der Ei enbahnstrecke über den Brenner im Jahre 1867 wählten die Adeligen allerdings auch gerne Südtirol als Ort für die sommerliche Erholung. Das mildere Klima an der Südseite der Alpen, die durch Wein- und Apfelanbau kultivierte Landschaft und nicht zuletzt die Schönheit der Dolomiten machten die Strapazen der weiten Anreise zweifellos wett. Die Sommerfrische sei sogar hier erfunden worden, indem sich die Bozner Bürger schon im Mittelalter während der heißen Jahreszeit nach Oberbozen, auf den Ritten verzogen hätten, ist in dem kleinen Buch „Ein Sommer in Dreikirchen “von Erich Kofler zu erfahren.

Durch das Eindringen der Städter in die Bergwelt entwickelte sich im19.Jahrhundert ein neuer Haustypus: Die Sommerfrische-Villa brachte städtisches Typologiedenken in die ländliche Gegend. Anders als mit dem Aufkommen der Fremdenverkehrsindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg, die versuchte, Touristenmassen alles für sie Gebaute als ursprünglich bäuerlich zu verkaufen, waren diese reinen Sommerhäuser, die gegen die Unbill des Winters einfach dicht gemacht wurden, nicht um eine erzwungene Originärität bemüht. Sie wurden vielmehr an der neu entdeckten und romantisierten Schönheit der alpinen Landschaft orientiert und eher mit historistischen Stilattributen versehen.

Ein besonders schöne Beipiel der Sommervillen-Architektur in Südtirol au den zwanziger Jahren findet sich in Bad Dreikirchen am Westhang des unteren Eisacktals. Auf 1200 Meter Seehöhe, in der Nähe dieses aus drei Kirchen und drei Häusern gebildeten Weilers, fügen sich neben anderen zwei unveränderte Häuser de bekannten Tiroler Architekten Lois Welzenbacher malerisch in die Landschaft ein. Es war eine kultivierte Bozner Kaufmannsfamilie, die Welzenbacher diesen seinen ersten Bauauftrag gegeben hatte.

Im Besitz der Familie Settarisbefand sich neben dem Dreikirchner Badhaus praktisch der halbe Berg, den sie durch eine konzertierte Familien- und Ankaufspolitik Ende de 19.Jahrhunderts an ich gebracht hatte: Heinrich Settari schenkte seiner Frau Johanna zu jeder Geburt eines Kindes eine Wiese oder einen Wald in der Gegend, sodaß sich diese nach 15 Kindern zu einem stattlichen Anwesen zusammenfügen ließen.

Die zahlreichen Nachkommen sollten in Dreikirchen ihre zweite Heimat und möglichst ein eigenes Heim besitzen, und so wurden nebst den Häusern von Welzenbacher, in noblem Abstand voneinander vereinzelt Sommerhäuser für die „Bergfamilie “errichtet reit bestehende adaptiert. Dem Umstand, daß sich diese große Gebiet in der Hand einer einzigen, zwar weitverzweigten, aber offenbar unzerstrittenen Familie befindet, ist es zu danken, daß sich hier nach wie vor keine Appartementburgen und Wellness-Hotel breitgemacht haben. Durch die Landschaft, die fast parkähnlich gepflegt wirkt, führt keine öffentliche Straße –Touristen finden somit zwar über Wanderwege Zutritt, jedoch keine freie Zufahrt, was als natürliches Tourismusregulativ gut zu funktionieren scheint.

Inmitten diese Idylls steht nun ein Gebäude, das es schafft, da Erlebnis der unverfälschten Landschaft um jenes einer unverfälschten Architektur für die interessierte Allgemeinheit zu ergänzen. Johanna Settari hatte 1896 veranlaßt auf 1300 Meter Höhe auf der steilen „Prioler Wiese “mit herrlicher Aussicht eine Dependance zum Badhaus Dreikirchen zu errichten. Es wurde ein typische Kurgebäude mit talseitig tiefen Loggien und einem voluminösen Satteldach.

Einer ihrer Schwiegersöhne, der Maler Hubert Lanzinger, betätigte sich auch als Architekt und plante 1928 den Umbau des Gebäudes. Lanzinger war Innsbrucker, hatte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studiert, erhielt 1909 das Rom-Stipendium und 1911 eine Ausstellung in der Wiener Secession. Er war es gewesen, der Lois Welzenbacher, mit dem er eng befreundet war und in den frühen zwanziger Jahren einige gemeinsame Ausstellungen gestaltete, in die Familie Settari eingeführt hatte. Anders als Welzenbacher, der in Wien die Gewerbeschule absolviert, jedoch nicht dort, sondern in München studiert hatte, dürfte Lanzinger stark der Wiener Moderne verhaftet gewesen sein.

Die Möglichkeit, ein Gebäude nach den Gesichtspunkten des modernen (Bau-)Körperverständnisse, auch im Sinne einer neuen Haltung gegenüber der Natur gestalten zu können, muß wohl eine große Herausforderung gewesen sein. Nachdem die Berge mit Hilfe der Technik, durch Eisenbahn und Seilbahnen bezwungen waren, sollte Naturnähe nicht länger auf passives Sommerfrischlertum beschränkt bleiben. Man begann die Natur zu erobern: durch Wandern, Bergsteigen und Klettern und im Winter durch Skifahren. Die Strenge, mit der man begann, den menschlichen Körper am Berg zu messen, wurde auch in der Architektur gefordert, und so waren es reduzierte Formen, mit denen auch ein Hau zeigen sollte, „was es wirklich kann “.Lanzinger, der angeblich mit Adolf Loo bekannt und zweifellos von ihm beeinflußt war, setzte diesen puristischen Ansatz so gelungen um, daß ihm ein zeitlos stimmiges Ambiente gelungen ist.

Er ließ von der alten Pension Briol die massiven Grundmauern stehen, das Satteldach hingegen wurde abgetragen und durch ein dem Hang entgegenlaufend geneigtes Pultdach ersetzt. Eine Verblendung aus Lärchenholz im obersten Geschoß, die eine horizontale Attika ausbildet, verleiht dem Gebäude von drei Seiten kubische Wirkung. Ostseitig schließt eine Loggiakonstruktion an, die von vier mächtigen weiß gestrichenen achteckigen Holzsäulen getragen wird, von der aus sich einem der überwältigende Blick auf die Dolomiten und ins Eisacktal bietet. Neben der weiß verputzten Fassade wird das Äußere durch das Olivgrün der glatten Fensterläden geprägt.

Auch das Innere gestaltete Hubert Lanzinger völlig neu, räumlich bestimmend dabei ist die innere Erschließung. Mittig in der Längsachse des Baukörpers liegt eine einläufige, durch ein Oberlicht erhellte Treppe, die an drei Seiten von den Gängen zu den Zimmern um schlossen wird. So bildet sich ein zentraler kommunikativer Raum aus, der die zwei oberen Geschosse mit den Gästezimmern an das Erdgeschoß mit Gaststube, Aufenthaltsraum und Küche anbindet.

Da Haus besitzt zwei Eingänge, den Haupteingang im Erdgeschoß an der Südseite und, bedingt durch die Hanglage, einen im ersten Obergeschoß an der Nordseite, der über eine Wiese zum zugehörigen ovalen Schwimmbecken und zu den Wanderwegen führt. Durch die axiale Verbindung der beiden über die Stiege wird hausintern eine angenehme Durchlässigkeit und Entflechtung der Wegeführung erzeugt.

Das vorherrschende Material im Haus ist Weichholz: für Böden, Treppe, Wandtäfelungen und einen Großteil des Mobiliars. Die großen Fensteröffnungen werden nicht durch Vorhänge verhängt, bei der Dekoration beschränkte sich der Künstler auf eine feine Strichführung vereinzelt an den weißen Wänden. Hubert Lanzinger entwarf auch ein Stuhlmodell au Lärchenholz, da im ganzen Hau eingesetzt wird und bei dem, im besten Loosschen Sinne, der Sessel nicht neu erfunden wurde, sondern als ideale, bequeme Ergänzung der fixen Elemente dient.

Das Erstaunliche an dieser Gestaltung ist, daß durch den sachlichen Einsatz dem Holz seine unangenehme Rustikalität genommen wird. Der Künstler hat die Wärme des Materials Holz eingesetzt, um die Wärme der Sonne im Hau weiterzuleiten, und nicht, um substituierend eine künstliche Heimeligkeit zu erzeugen. Das umgebaute „Briol“ war für die Sommerfrische, als „Sonnentempel in freier Höhe“, als Treffpunkt geplant und mußte langen Winternächten konzeptionell nichts entgegenhalten.

Diesem Umstand entsprechend, hat Hubert Lanzinger ein – wie man heute sagen würde – perfektes Design entwickelt, das auch nach siebzig Jahren bis ins Detail unverändert geblieben ist. Zwei Bäder pro Stockwerk bieten einen ausreichenden Hygienestandard, statt eines eingebauten Waschbeckens finden sich in jedem Zimmer nach wie vor die Waschschüssel und ein Wasserkrug aus Porzellan, ohne daß dies inszeniert oder die Bequemlichkeit beschneidend wirken würde.

Die Pension Briol muß in ihrer Funktion nicht mehr bieten als in den zwanziger Jahren und konnte daher auch in ihrer Form unverändert bleiben. Insider schätzen dies schon seit langer Zeit, in Zeiten von Fun-Sport und Erlebnisbad wird jedoch immer mehr Menschen bewußt, was die Moderne mit der „Reduktion auf das Wesentliche“ gemeint hat und wie wichtig dieser Ansatz für eine echte geistige wie körperliche Regeneration des Städters vom streßgeladenen Arbeitsalltag ist.

29. Mai 1999 Spectrum

On the Sunny Side of Design

Industrie und Designer finden schwer zueinander: Das MAK versucht diesem Mißstand mit einem Design-Info-Pool abzuhelfen, das Wifi startete eine eigene Designoffensive. Allein: Produktive Zusammenarbeit ist ohne Innovationswillennicht zu haben.

Angeblich krankt das österreichische Industrial Design daran, daß Produzenten und Designer nicht zueinander finden. Die Kreativen meinen, es gebe geringe Chancen auf Bewährung der erlernten Fähigkeiten, da sich hierzulande zuwenig Firmen einer professionellen Produktgestaltung bedienen würden. Die Seite der Wirtschaft bemängelt das oft mangelhafte Praxiswissen der Designer, qualifiziert sie in der Folge gerne als künstlerisch angehauchte Besserwisser ab und hält ihre Dienste für überwiegend verzichtbar.

Diese beiden – etwas klischeehaft geschilderten – Extrempositionen in produktiver Weise einander anzunähern, haben sich zur Zeit zwei Institutionen zur Aufgabe gemacht. Das Österreichische Museum für angewandte Kunst (MAK) vertritt traditionell den Anspruch, öffentliches Interesse für Design zu wecken und zwischen Designern, Industrie, Künstlern und Publikumzu vermitteln. Auf Basis eines aus dem Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank finanzierten Forschungsauftrags ging man 1989 daran, den Design-Info-Pool (DIP) einzurichten, ein Archiv, dem systematisch alle österreichischen Designer mit ihren Daten und Werken erfaßt wurden.

Man war bestrebt, eine Katalysatorfunktion zwischen Gestaltern und der designverwertenden Industrie einzunehmen und diese dahingehend wahrzunehmen, daß interessierte Firmen sich im MAK anhand des vorhandenen Materials einen Designer, eine Designerin ihrer Wahl aussuchen können. Mittlerweile hat sich – der technischen Entwicklung auf dem Mediensektor entsprechend – die Designer-Datei auch im Internet etabliert und kann nach einem halben Jahr auf 40.000 Zugriffe pro Monat verweisen. Allerdings werden diese vorwiegend von Studenten und Journalisten, also eher zur Grundlagenforschung, als von Firmen zur wirtschaftlichen Verwertung getätigt.

Gleichzeitig wird seitens der Wirtschaft, vom Wifi-Österreich eine eigene Designoffensive betrieben, indem Informationsmaterial unter dem Titel „Design bringt Ihr Produkt in Form“ an Produzenten mit der Aufforderung versandt wird, sich „mit einem Designer an einen Tisch zu setzen“. Das Wifi greift den Unternehmern dabei auch fördernd unter die Arme, indem es Erstgespräche mit Designern vermittelt und diese auch finanziell unterstützt. Beigelegte „Erfolgsstories“ dokumentieren die Sinnhaftigkeit einer solchen Kooperation.

Daß eine produktive Zusammenarbeit zwischen einer kleinen Firma und einem Designer fernab jeglicher Fördermodelle erfolgreich zustande kommen kann und nur auf dem Innovationswillen der Beteiligten basiert, soll nicht unerwähnt bleiben: Die Firma Kautzky Mechanik ist ein feinmechanischer Betrieb in Wien-Währing. Hier werden Metalle, Leichtmetalle und Kunststoffe verarbeitet.

Das Entwicklungs- beziehungsweise ProduktionsKnow-how des Familienbetriebs reicht von der Prototypenfertigung für die Industrie (etwa für Swarovsky-Optik) bis zur „cleaning-card“ für Bankomaten. Seit hundert Jahren produziert die Firma auch jene Proviantdosen aus Alublech mit den abgerundeten Ecken und der sternförmigen Lochung, die tapfer der Tupperware-Konkurrenz standhalten konnten. Auf die Bestimmung, die Apothekern vor zirka zehn Jahren vorschrieb, ihre Kräuter nur mehr in Aluminiumbehältern aufzubewahren, hatte die Firma Kautzky umgehend reagiert und vertreibt seither direkt über den Pharmaziegroßhandel Kräuterdosen in vorbildlichem anonymem Design – und in großen Mengen. Diese Firma hatte also keinerlei Probleme mit ihrer Produktgestaltung und auch keinen expliziten Bedarf an einem Designer. Umgekehrt jedoch hatte ein junger Designer eine Idee und Bedarf an einer guten Firma und wandte sich zwecks Kooperation an die Firma Kautzky. Das entwerferische Interesse von Gerald Wurz galt einem Sonnensegel, bei dem die konstruktiven Nachteile einer Markise vermieden werden sollten, das heißt, es sollte frei schwebend, ohne zwingend längs einer Hausmauer oder an eine stark dimensionierte Konstruktion gebunden zu sein, trotzdem über eine sinnvolle Flächengröße verfügen und in einfacher Weise auf- und abspannbar sein.

Bei der dreieckigen Segelform und dem Prinzip des Aufrollmechanismus nahm der Designer Anleihen am Segelsport, die Entwicklungsarbeit für das Endprodukt wurde in vorbildlicher kreativer Kooperation mit Herrn Kautzky senior geleistet, der sich an der Idee höchst interessiert gezeigt hatte.

Er lieferte durch sein umfassendes technologisches Wissen und seinen Willen zur „Tüftelei“ jene intelligenten Detaillösungen, die das Sonnensegel zu einem in Funktion und Gebrauch optimierten, objekthaften Sonnenschutz-System geraten ließ.

Das Segel benötigt vier Montagepunkte, zwei für die Antriebswelle, die die Rautenform in zwei Dreiecke teilt, und zwei für die Segelenden. Die Befestigung kann an freistehenden, fundamentierten Stahlstützen, aber auch an einem Punkt der Hausmauer erfolgen. Dazwischen wird das Segeltuch durch ein Seilsystem gehalten und über eine Doppelfeder vorgespannt. Windlasten werden elastisch abgetragen. Das Aufrollen erfolgt elektrisch, die zwei „Dreieckstücher“ werden ineinander und um die Antriebswelle herum gewickelt, ein sogenannter Windwächter sorgt für ein automatisches Einfahren des Segels bei einer Windgeschwindigkeit ab 40 Stundenkilometer.

„Sun Square System“ wird von der Firma Kautzky nun seit fünf Jahren hergestellt und über eine eigens gegründete Firma verkauft. Gerald Wurz ist mittlerweile mit seinem Büro voll damit ausgelastet, die einzelnen Objekte durchzuplanen, denn jedes ist eine Sonderanfertigung. Außerdem wird in die technische Perfektionierung und in die Entwicklung artverwandter Produkte, wie eines verschiebbaren Raumteilers aus zartem Nirostarohr, der mit Ballonseide bespannt ist, Zeit investiert.

Dieses positive Beispiel österreichischen Designs könnte insofern beispielgebend sein, als das innovative Zusammenspiel zwischen kreativem Kopf mit Fingerspitzengefühl und produzierender Hand mit Köpfchen so gut ablesbar wird. Wenn nicht nur die Umsetzung einer guten Idee, sondern auch das professionelle Marketing bei der Produktentwicklung bereits mitgedacht wird, kann eine kleine Firma auch international reüssieren: „Sun Square System“, das bei der Design-Staatspreisverleihung 1998 den zweiten Preis erhielt, wird demnächst in Italien vertrieben werden.

3. April 1999 Spectrum

Design Now. And then?

Kreatives Potential ist hierzulande vorhanden – das zeigt nicht zuletzt die von Eichinger oder Knechtl vorbildlich zeitgemäß kuratierte Ausstellung „Design Now. Austria“. Fehlen nur noch förderliche Rahmenbedingungen. Ein Plädoyer.

Nachdem die unbefriedigende Lage des Designwesens in Österreich über einen längeren Zeitraum hinweg kein Thema von nennenswertem politischem Interesse war, ließen gleich mehrere Initiativen in den letzten Monaten aufhorchen. Eine Ausstellung und zwei Symposien, von Kultur- und Wirtschaftspolitik organisiert, zeugten wieder einmal von der fallweisen Beschäftigung mit der Thematik.

Bei der Tagung design.forum 1999 wurde vom Wirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit dem Wifi Österreich zum Dialog zwischen Firmen und Designern geladen. Vorträge und Diskussionen signalisierten keinerlei Fortschritt in der österreichischen Designpolitik. Trotz eines von den zuständigen Politikern beteuerten Problembewußtseins, einer durchaus vorhandenen begleitenden Grundlagenforschung, eines verschärften Wettbewerbs durch den EU-Beitritt und einer funktionierenden Online-Designer-Datenbank des Museums für angewandte Kunst konnte dem Produktdesign als wesentlichem Wirtschaftsfaktor in den letzten zehn Jahren nicht zu mehr Bedeutung verholfen werden.

Design wird noch immer eher als „Produktkosmetik“ (Carl Auböck) verkannt denn als innovatives Instrument anerkannt, das es im Idealfall schafft, Funktionalität, Ästhetik, ökologische Verträglichkeit und wirtschaftlichen Erfolg in einem Produkt zu vereinen. Ein politisches Versäumnis nebst anderen besteht darin, daß in Österreich nach wie vor kein eigenes Designergesetz existiert, das Betätigungsfeld für professionelle Produktgestalter juridisch absichern würde.

Eine Begründung dafür könnte in jenem Statement zu finden sein, das auf dem unter etwas verwegen betitelten Symposion „Die organisierte Kreativität“ letzten Jänner gefallen ist: „In Österreich gehört Verschlafen zur Nationalidentität.“ Der Physiker Anton Zeilinger formulierte hiermit trefflich, woran die Anerkennung von Kreativarbeit in Österreich so oft scheitert.

So sehr den altbewährten Kulturprodukten aus der darstellenden und der bildenden Kunst gefrönt wird, so mißtrauisch werden kulturelle Neuentwicklungen beäugt. Diese Haltung fällt nicht nur der wissenschaftlichen Forschung auf den Kopf, sondern auch einer Kreativsparte wie dem Design, das sich notwendigerweise mit dem kritischen Hinterfragen bestehender Strukturen befaßt und neue Formen an die Erfordernisse letztgültiger Technologien anpassen sollte.

Wenn dieses kreative Potential nicht in seiner Wichtigkeit erkannt und weder von der Politik gefördert noch von der Wirtschaft in entsprechendem Maße genutzt wird, kann es leicht passieren, daß ein moderner oder auch modischer Trend „verschwitzt“ wird.

Eine erfreuliche, zeitgemäße Designoffensive stellt „Design Now.Austria“ dar, eine mobile Ausstellung, die in mehreren europäischen Städten Station machte beziehungsweise machen wird. Von der Kunstsektion im Bundeskanzleramt initiiert und nach Abhaltung eines geladenen Wettbewerbs beauftragt, wurde sie erstmals in Lissabon parallel zur Expo 98 gezeigt, was die hundert farbig trüben Wässerchen offizieller österreichischer Kulturidentität doch ein wenig aufklarte.

Die Kuratoren Gregor Eichinger und Christian Knechtl (das Architektenteam Eichinger oder Knechtl – EoK) nähern sich in ihrer Konzeption einem erweiterten Designbegriff an; in einem ähnlichen Sinn, wie Hans Hollein dies bei der von ihm 1976 für das „Cooper Hewitt National Museum of Design“ in New York gestalteten Eröffnungsausstellung „MAN transFORMS“ getan und in seinem Exposé folgendermaßen formuliert hatte: „Design wird dargestellt als die Art des Umgehens mit Situationen, Lebensumständen, und nicht nur als Beschäftigung mit dem Einzelobjekt.“

Auch Eichinger oder Knechtl geht es in ihrer Ausstellung nicht darum, Design als „gute Form“ zu präsentieren, sondern vielmehr als dem Menschen verinnerlichte kulturelle Lebensweise zu verstehen, als von ihm in eine leichter verständliche Welt der Objekte transformierte Rituale. Dementsprechend präsentieren sie auch Gestaltungsformen neuer Technologien – wie Homepages im Internet – und wollen „die mit der medialen Eroberung des digitalen Raumes einhergehende exponentielle Dimensionsvergrößerung des Begriffs Design“ kenntlich machen. Musik wird ebenso als raumbildender Faktor betrachtet wie weltbildprägende Erkenntnisse aus der Physik.

Trotzdem sind vorwiegend Gegenstände ausgestellt. Neben aktuellem Objektdesign finden sich Design-Ikonen, aber auch Manner-Schnitten-Packerl oder die mit allen vorstellbaren Sujets gefüllten Schneekugeln, die im Jahr 1900 in Wien erfunden wurden. Solche liebgewonnenen österreichischen Alltagsprodukte sind als „Design zum Mitnehmen“ bei einem Automaten käuflich zu erwerben.

Auch die Ausstellung selbst versteht sich als Produkt optimierten Designs – das graphische Konzept übergreift die Ausstellungsarchitektur und den Katalog. Als Wanderausstellung konzipiert, ist sie auf ein minimales Transportvolumen (ein Container) hin reduziert und in ihrer Form mit jeder Raumtypologie kompatibel, sei es nun eine aufgelassene Fabrikshalle wie in Lissabon (August 98), das Palais Harrach in Wien (November 98) oder das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Prag (Jänner 99), eine „Kathedrale des Konstruktivismus“ (Eichinger oder Knechtl) von 1928.

Wer „Design Now.Austria“ als interessierter Besucher bisher versäumt hat, kann dies noch im Mai in Barcelona, im September in London nachholen. Das Versäumnis jedoch, das die politisch Verantwortlichen erzeugen, indem sie die unmißverständliche Aufforderung „Design Now!“ verschlafen, könnte zu einem bösen Erwachen für Österreichs Wirtschaft führen.

23. Januar 1999 Spectrum

Das neue Haus fürs neue Geld

Funktional, städtebaulich eingebunden und der Bedeutung des Gebäudes angemessen: so wünschte sich die Österreichische Nationalbank ihr neues „Technisches Zentrum“. Wilhelm Holzbauer erfüllte die Vorgaben auf dem Gelände des Wiener Alten AKH souverän.

Die Beziehung zwischen Geld und Architektur ist von einer selten artikulierten wechselseitigen Abhängigkeit geprägt. In erster Linie ist die Architektur fundamental vom Geld abhängig: Erst wenn die geistige und zeichnerische Arbeit eines beziehungsweise einer Kreativen zum Bauwerk wird, ist es auch ein Werk der Architektur. Die Realisierung dieses Werkes allerdings ist teuer, zum Bauen benötigt man verhältnismäßig viel Geld. Ohne materielle Basis kann kein Bauprojekt „materialisiert“ werden.

Umgekehrt ist aber auch das Geld von Architektur abhängig. Werte wollen schließlich geschützt sein. Es gibt wenig, was baulich derartig gutgesichert wird wie die Lagerstätten von Geld. Darüber hinaus soll natürlich die Wertigkeit der Geldgeschäfte über die Architektur dargestellt werden, Bauen als Repräsentationszweck ist ein ganz wesentlicher Faktor der Bankenarchitektur.

Das neue, als „Geldzentrum“ bezeichnete, „Technische Zentrum“ der Oesterreichischen Nationalbank von Wilhelm Holzbauer, in dem unter anderem die Banknotendruckerei und der Tiefspeicher als Werte-Lagerraum untergebracht sind, hat durch die glatte, steinerne Fassade durchaus Festungscharakter, der die sichere Verwahrung eines kostbaren Schreins ausstrahlt. Das Gebäude in der Garnisongasse im 9. Wiener Gemeindebezirk Ist jedoch kein Bankgebäude im herkömmlichen Sinn, sondern ein Industrie- und Verwaltungsbau, der keinen bedeutenden Kundenverkehr aufzunehmen hat. Es wurde errichtet, um einige Abteilungen aus dem unter akutem Platzmangel leidenden Hauptgebäude am Otto-Wagner-Platz auslagern zu können.

1990 wurden zehn internationale Architekten zu einem Wettbewerb geladen, um auf dem Areal des Alten AKH, dessen primäre Nachnutzung als Campus der Universität Wien bereits beschlossen war, das Gebäude des Geldzentrums zu planen. Im Anforderungsprofil an das Bauwerk wurde nicht nur die Gewährleistung „optimaler Funktionsabläufe“ und der „städtebaulichen Einbindung“ formuliert, sondern auch, daß der architektonische Entwurf„ der Bedeutung und Aufgabe des Gebäudes entsprechen“ solle; das heißt: einerseits der Entwicklung, Produktion und Lagerung von Wertpapieren adäquate Räumlichkeiten bieten, die einen reibungslosen Arbeitsablauf garantieren, andrerseits im äußeren Erscheinungsbild entsprechend sein.

Der Wunsch nach einer repräsentativen Gestaltung des Gebäudes wurde nicht explizit artikuliert, das Image der OeNB sollte vielmehr durch den Einsatz innovativer Umwelttechnologie, wie eine der größten fassadenintegrierten Photovoltaikanlagen Europas, geprägt werden. Investitionen wie diese zeugen vom verantwortungsvollen Umgang mit dem Baubudget. Von großer Bedeutung für das Geldzentrum war die durch den Campus neue städtebauliche Struktur, in der es errichtet werden sollte: nämlich im Zentrum eines durch die planerischen Eingriffe homogenisierten Stadtteils von höchster Qualität.

Dem geplanten Neubau fiel nun innerhalb dieses Viertels die Aufgabe zu, den Universitätscampus und das angrenzende Wohngebiet miteinander zu verzahnen, gleichzeitig jedoch, sich mit der eigenen, für die Umgebung völlig neuen Nutzungsfunktion architektonisch zu behaupten. Der Architekt mußte definieren, in welcher Form dieses Gebäude seine Spezifität als katalytische Qualität im städtebaulichen Zusammenhang entwickeln kann.

Wilhelm Holzbauer, der mit seinem Projekt den Wettbewerb gewann, hat durch eine von ihm selbst als „pragmatisch“ bezeichnete Herangehensweise die erwünschte Integration des Gebäudes geschafft. Holzbauer sagt, ihm gehe es bei jedem Entwurf primär ums Erforschen und Untersuchen der Machbarkeit im Kontext der Umgebung. Gerade beim Technischen Zentrum sei durch die eigenartige Grundstückskonfiguration und durch die Bestimmungen der Bauordnung für den Entwurf die Konzentration auf eine gedachte Hülle geblieben, auf die man mit Einstülpungen und Ausnehmungen kompositorisch reagieren konnte. – Die „gedachte Hülle“ umschreibt dabei eine gewaltige, mit Granit verkleidete Kubatur. Holzbauer nimmt in diese sehr wohl Elemente der Baukörperstruktur des AKH-Komplexes auf, allerdings ohne sich formal anzubiedern. Im U-förmigen Grundriß des Technischen Zentrums sind zwei langgestreckte, parallele Trakte ausdifferenziert. Zwischen ihnen liegt ein über die ganze Länge reichender Hof, der von drei verglasten Verbindungsbrücken überspannt wird.

Während der im Süden liegende Trakt dem Schwung der vis-à-vis liegenden Bebauung nachgeht und gegen Westen hin zu einem bugförmigen Spitz zusammenläuft, ist der zweite Trakt als südseitig nach oben zu gleichmäßig terrassierter Baukörper ausgebildet. Seine Nordseite gleicht einem Brückenbauwerk, ist ihm doch der Drucksaal eingeschoben, der als schachtelförmiges Element in seiner konstruktiven Eigenständigkeit erkennbar gemacht ist.

Um die Schwingungen von den Druckmaschinen nicht auf das gesamte Gebäude zu übertragen, ist dieser Bauteil separat fundamentiert.

Vielleicht ist es eine Art des going public der OeNB, daß gerade jener Teil des Technischen Zentrums, der dem Laien besonders geheimnisumwittert scheinen mag, nämlich der Saal, in dem das Äquivalenzprodukt alles Materiellen – das Geld – erzeugt wird, am weitesten in den öffentlichen Raum hineinragt. Jedenfalls führt entlang der mit zwei durchlaufenden Fensterbändern versehenen Wertpapierdruckerei die Fuß- und Radwegverbindung zum Campus.

Wenn man sich von der Van-Swieten- Gasse her nähert, wird der Blick unweigerlich auf die 30 Meter hohe Stahl-Glas-Konstruktion des Feuerwehrlifts gelenkt. Durch den Kunstgriff der überhöhten Ecke wird die Horizontalentwicklung des quaderförmig liegenden Drucksaales in ein relevantes Verhältnis gesetzt, das heißt: optisch verkürzt, was dem oben erwähnten Weg in der Verlängerung der Van-Swieten-Gasse eine einladende Proportion verleiht.

Auch in der Garnisongasse, wo am Eingang in das neue Gebäude „die große Geste gesetzt wurde“ (Holzbauer), kommt in keinem Bereich ein Gefühl von Maßstabsverletzung in bezug auf die umgebende Bebauung auf. Durch die zurückversetzte Baufluchtlinie, die gegenüber dem Baubestand gewahrte Traufenhöhe und die Pflanzung einer Baumreihe hat sich die Gasse zu einem – wenn auch kurzen – avenueartigen Straßenabschnitt gewandelt, der in dem mittig sitzenden Uhrturm des Garnisonspitals einen malerischen Abschluß findet.

Das OeNB-Gebäude zeigt sich in diesem Bereich von seiner – vermeintlich – transparenten Seite. Der Vorplatz geht schwellenlos, ohne Materialwechsel ins Innere des Gebäudes über. Die dreigeschoßige Loggia über dem Eingang und die dahinterliegende Halle, deren Raumhöhe nach innen zu immer niedriger wird, wirken als ein einziger Raum und sind lediglich durch eine vollflächige Übereckverglasung voneinander separiert.

Natürlich ist die Offenheit, die dieses Glasportal vermittelt, eine vordergründige: Wer die Lobby erst einmal betreten hat – vielleicht um sich an der hier befindlichen neuen Banknoten und Münzenkassa einen zerrissenen Tausender einzutauschen –, wird rasch bemerken, daß ab der „Sicherheitsschleuse“ kein weiteres Vordringen ins Gebäude möglich ist. Hinter ihr liegt das repräsentative Stiegenhaus mit einem großzügig dimensionierten Luftraum.

Holzbauer läßt durch zwei raumhohe Fensteröffnungen die Öffentlichkeit an dem Raumerlebnis teilhaben, auch das zwölf Meter hohe Gemälde „Das blaue Tor“ von Eduard Angeli ist von der Gasse her sichtbar. Im Inneren des Komplexes erfolgt die räumliche Orientierung in den Innenhof. Hier sind sämtliche Fassaden aus Glas, um einen starken Bezug zwischen Innen- und Außenraum herzustellen. Durch die Terrassierung der Baukörper nach oben zu und die Reflexion erhält der Hof die Funktion des hellen, ruhigen zentralen Raums.

Ebenerdig sind zwei von der Gartenarchitektin Maria Auböck gestaltete Patios ausgebildet. Den Blick auf diese Grünbereiche hat man nicht nur von den Büros aus, sondern auch von drei verglasten Brücken, die auf verschiedenen Ebenen die beiden Längstrakte miteinander verbinden.

Es ist ein Beweis für die Kunstfertigkeit des Architekten, wenn bei einem enorm voluminösen Bau, dessen äußeres Erscheinungsbild von Granit geprägt ist, jegliche einschüchternde Monumentalität vermieden wurde. Holzbauers abwechslungsreiches Spiel von Granitflächen und Fensterbändern im Raster der Steinteilung unter Vermeidung von demonstrativer Achsialität ist trotzdem nie willkürlich, sondern Ergebnis eines planerischen Selbstverständnisses, das der pragmatisch interpretierenden Komposition fähig ist.

Die Oesterreichische Nationalbank leistet sich selbstverständlich qualitativ hochwertige Materialien, ohne jedoch „Pomp und Prunk“ zu demonstrieren. Man wollte keinen Bau zum Repräsentieren, sondern ein Bauwerk, das per se Wertbeständigkeit präsentiert. Wilhelm Holzbauer hat mit seiner betont unpathetischen Interpretation dieser Bauaufgabe eine eindeutige Aussage gekonnt formuliert: Hier ist das Geld zu Hause.

1. August 1998 Spectrum

Aquarium, anders herum

Eine Auszeichnung nach der anderen, zuletzt der weltweit renommierteste Preis für innovativen Glasbau: Der Glaspavillon, den Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer ans Salzburger „Haus Sailer“ angebaut haben, ist drauf und dran, ein Klassiker zu werden.

Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen läßt, läßt sich klar aussprechen.
Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus

Was macht die Bauaufgabe Einfamilienhaus und in der Folge die Analyse derselben immer wieder interessant? Oder besser: Wodurch macht sich ein Einfamilienhaus - gemeint sind hier sogenannte „Architektenhäuser“, deren Anteil am österreichischen Privathaus-Bauaufkommen ganze 5 Prozent beträgt - beziehungsweise ein Detailbereich desselben immer noch interessant genug, um spezifisch beschrieben zu werden?

Sind nicht sämtliche Grundrißvarianten bereits durchgespielt und verfeinert, ist nicht - auch formal - „alles schon einmal dagewesen“? Ja und nein, ist die logische Antwort, das Einfamilienhaus muß nicht immer neu erfunden werden, um trotzdem neu und gut zu sein. Es kann übrigens auch alt und unscheinbar sein und erst durch qualitätvolle Eingriffe in architektonische „Hochform“ gebracht werden.

Ein Haus, dem dieses Schicksal in bislang zwei Etappen widerfahren ist, ist jenes der Familie Sailer in Morzg bei Salzburg. Als das 1939 errichtete Gebäude in den späten siebziger Jahren von den Teppichgaleristen und Kunstsammlern Ingrid und Franz Sailer erworben wurde, war an ihm bereits mehrmals „herumgebaut“ worden, und es präsentierte sich zu diesem Zeitpunkt als historisierende Fünfziger-Jahre-Villa. Diese sollte für die Zwecke der Familie adaptiert werden, und so wurde Anna-Lülja Praun mit der Neugestaltung der Innenräume beauftragt. - Schon bei der Wahl dieser Architektin bewiesen die Bauherrn Stil: Praun - mittlerweile 92jährig und immer noch aktiv - ist in der Tradition einer zeitlosen Wiener Moderne des Möbelbaus verhaftet und dafür bekannt, trotz ihrer bestimmenden gestalterischen Eingriffe eine Qualität an Freiraum für die Bewohner zu erzeugen, in welchem diese ihre eigenen Geschmacksvorstellungen entwickeln und entfalten können.

Prauns üblicher Ansatz eines klaren, auf Durchlässigkeit bei Blickachsen und Wegführung zielenden Raumkonzepts und ihr im Stil unverkennbares, jedoch mit den persönlichen Dingen der Bauherrn bestens kompatibles Maßmobiliar haben auch dem „Haus Sailer“, als das es im Praunschen Werk einen wichtigen Platz einnimmt, sein spezifisches Gepräge verliehen.

Zwanzig Jahre später haben sich die Bedürfnisse der Hausbewohner gewandelt, oder besser: weiterentwickelt. Sie wollten das nach wie vor unverändert gültige hohe Niveau bei der Qualität der Innenräume nun auch im Außenraum erreichen. Es sollte der Bezug zum Garten, der bislang lediglich über eine kleine Loggia und über einen Ausgang vom Wohnzimmer treppab gegeben war, in verstärktem Maße hergestellt werden können.

Beim klimatischen Fixpunkt an Salzburgs oftmals wolkenverhangenem Himmel, dem Schnürlregen, ist eine „Beziehung zum Außenraum“ freilich nicht durchwegs ungetrübt herzustellen. „Wetterfleck“ und Gummistiefel sind nicht umsonst gern getragene Salzburger Accessoires für draußen. Allerdings ist es nicht jedermanns Sache, einen verregneten Sonntag im Garten - obzwar vor der völligen Durchnässung textil geschützt - als entspannenden Zeitvertreib zu empfinden.

Die Bauherrn hatten die konkrete Vorstellung, daß sie sich die Natur unabhängig vom Wetter als ganzjährig „belebbaren“, zusätzlichen Raum erobern wollen. Nicht vom Formalen her wußten sie, was sie wollten, sondern im Sinne einer klar formulierten zusätzlichen Lebensqualität, die durch diesen Zubau erreicht werden sollte. „Wir waren angenehm überrascht, Bauherrn zu treffen, die so bewußt Vertrauen in ihre sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeiten hatten“, meinten die beiden Wiener Architekten Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer und gingen daran, das gewünschte sinnliche Element eben möglichst „elementar“ auszubilden und eine (Architektur-)Sprache zu finden, die diese Intention präzisiert auszudrücken vermag.

Bulant-Kamenova und Wailzer haben das Ansinnen ihrer Auftraggeber regelrecht auf den Punkt gebracht. Der von ihnen entworfene und in geklebter Konstruktion entwickelte Ganzglaspavillon ist dem von diversen Vorbauten und Zierrat befreiten Haus wie zur Veredelung vorgelagert. Dabei wird die kubische Wirkung des strahlend weißen Baukörpers eher noch verstärkt, als daß sie durch den Annexbau formal bedrängt würde. Dies ist kein klassischer Wintergarten, der als Anhängsel des massiven Baus wirkt, sondern ein auf konstruktive und ästhetische Reduktion angelegtes Glashaus mit maximaler funktionaler Entsprechung im Sinne der Klassiker dieser Art - wie das „Farnsworth House“ von Mies van der Rohe oder das „Glass House“ von Philip Johnson.

Anders jedoch als bei diesen solitären, transparenten Pavillons, die ausschließlich auf größtmögliche Verschmelzung ihres Innenraums mit der umgebenden Natur abzielten, soll mit dem Sailerschen Glashaus auch eine Staffelung von Räumen zwischen drinnen und draußen erfolgen. Lülja Prauns Raumkonzept wurde insofern konsequent weiterverfolgt, als eine sukzessive räumliche Annäherung von den Wohnräumen zum Grünraum hin stattfinden kann: vom Musiksalon niveaugleich ins Glashaus, weiter auf die Terrasse und über drei Stufen in den Garten.

Über der sockelartigen, mit Granitplatten belegten Terrasse, die vom Haus bis an die Grundstücksgrenze reicht, wird der Außenraum ganz konkret definiert: Die Gartenmauern aus Sichtbeton bestimmen seine Länge und Breite, die sowohl Glashaus wie auch Terrasse überspannende Pergola aus verzinktem Stahl schafft dessen horizontalen Abschluß.

Und sollten die Drahtseile, die zwischen den I-Trägern gespannt sind, erst einmal bewachsen sein, wird ein „grünes Dach“ in der warmen Jahreszeit diese Wirkung noch verstärken. So entsteht ein geschützter Hof, ein Semiatrium dessen Hauptorientierung sich westseitig in den Garten ergibt.

Aus dem Glashaus heraus verlegt kein konstruktives „Sprießelwerk“, sei es aus Holz oder Aluminium, den Blick ins Freie, ohne lästige Steher, die das Sehfeld „parzellieren“, können Wiese, Bäume und Himmel in einem erfaßt werden. Die Vorstellung, bei Regen nur von einer gläsernen Membran „beschirmt“ im Liegestuhl zu liegen, läßt einen den entspannenden Effekt eines „inversen Aquariums“ erahnen. Auch im Winter ist wohl ein stark kontemplativer Charakter gegeben, wenn man aus dem beheizten, neutralen Raum heraus den Schneefall rundherum beobachten kann.

Die formale Reduktion, die letztendlich die außergewöhnliche Eleganz dieses gläsernen Raumes ausmacht, stellte konstruktiv eine große Herausforderung dar, sowohl für die Architekten als auch für die ausführende österreichische Glasfirma, die diesen Auftrag als „experimentell“ einstufte. Es wurde - erstmalig in Österreich - eine geklebte Ganzglaskonstruktion hergestellt und montiert.

Die tragenden Elemente bilden dabei zwei Dreischicht-Glasstützen beziehungsweise -Glasbalken, die durch einfache Zapfenverbindungen miteinander befestigt sind und allen anderen lediglich geklebten Glasteilen den nötigen Halt geben. Als vertikale Aussteifung dienen vier sogenannte Glasschwerte, um die Windlasten abtragen zu können. Gefertigt wurde aus laminiertem Isolierglas mit erhöhter Sonnenschutzfunktion, die Dachfläche ist zwecks Beschattung 40prozentig punktgerastert. Auch bei der großdimensionierten, rahmenlosen Terrassentür wurde der Weg der technischen Herausforderung beschritten.

Trotz der relativ geringen Kubatur und der verhältnismäßig kleinen Dimension dieser Bauaufgabe wurde der Wille zur schlichtestmöglichen Versachlichung des Bauherrnwunsches unter Einsatz und Entwicklung innovativer Technologie mit einer wahren Preisflut belohnt. Den Anfang machte der Architekturpreis des Landes Salzburg 1997, es folgten die Wahl zum „Haus des Jahres 98“ der Zeitschriftenredaktionen von „Häuser“ und „Schöner Wohnen“ und der Bauherrnpreis für „Das goldene Haus 98“ der Münchner Zeitschrift „Das Haus“.

Eine echte Sensation allerdings stellt der Gewinn des „Benedictus Awards 98“ dar, der als der weltweit renommierteste Preis für innovativen Glasbau gilt, vom American Institute of Architets organisiert und von der amerikanischen Firma DuPont, einem Hersteller von Glaslaminaten, gesponsert wird. Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer sind nun Träger derselben Auszeichnung, die etwa 1993 an den britischen Stararchitekten Sir Norman Foster vergeben wurde.

Um zur Thematik des Einfamilienhauses zurückzukehren: Das Haus Sailer ist deshalb so ein wichtiger Beitrag dazu, weil es zeigt , daß auch ein schlichtes, unprätentiöses Haus zu einem Kulturträger höchster Qualität geraten kann, wenn die Bauherrn dies nur wollen. Deren Aufgeschlossenheit, ihr „altes“, gediegenes Haus neu aufgekommenen persönlichen Bedürfnissen anzupassen und dies von Architekten in einer zeitgemäßen Formensprache interpretieren zu lassen, ist hier, im Wittgensteinschen Sinne, klar ablesbar: Alles, was überhaupt gedacht werden kann, läßt sich klar planen. Und auch - wie an diesem Beispiel ersichtlich - mit höchster Präzision bauen.

Publikationen

2025

Elizabeth Scheu Close
Amerikanische Architektin mit Wiener Wurzeln

Elizabeth Scheu Close, 1912 in Wien geboren und 2011 in Amerika gestorben, wuchs in einem von Adolf Loos geplanten Haus auf. Ihre Eltern waren neuen Ideen sehr aufgeschlossen: Die Mutter, Helene Scheu-Riesz, war Autorin und Verlegerin von Kinderbüchern, der Vater ein Rechtsanwalt und politisch engagierter
Autor: Judith Eiblmayr
Verlag: Verlag Anton Pustet

2013

Lernen vom Raster
Strasshof und seine verborgenen Pläne

Wenn es nach den Vorstellungen seiner Erfinder gegangen wäre, könnte Strasshof an der Nordbahn heute „die größte und schönste Stadt Niederösterreichs“ sein, geplant auf einem orthogonalen Straßenraster nach US-amerikanischen Vorbild. Eine „Garten- und Industriestadt“, die 1908 nach der Errichtung des
Hrsg: Judith Eiblmayr
Verlag: NWV Verlag GmbH

2010

Der Teufel steckt im Detail
Architekturkritik und Stadtbetrachtung

Seit fast zwei Jahrzehnten ist Judith Eiblmayr als Architektin tätig, parallel dazu verfasst sie Architekturkritik für Fachzeitschriften und Zeitungen. Die Themen sind dabei vielfältig wie die Architektur selbst: von der Revitalisierung des Palais Palffy bis zum Neubau der Hauptbücherei, von der Containerarchitektur
Autor: Judith Eiblmayr
Verlag: Metroverlag

2005

Moderat Modern
Erich Boltenstein und die Baukultur nach 1945

Erich Boltenstern (1896-1991) war eine der zentralen Figuren der Wiener Architektur im 20. Jahrhundert. Einer der Schule von Oskar Strnad entstammenden spezifisch wienerischen Moderne verpflichtet, profilierte er sich erstmals 1930 mit dem Grazer Krematorium für den „Wiener Verein“, dessen Geschichte
Autor: Judith Eiblmayr, Iris Meder
Verlag: Verlag Anton Pustet

2001

Anna-Lülja Praun
Möbel in Balance

Anna-Lülja Praun zählt zu den wichtigen Persönlichkeiten der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts. Sie wurde 1906 in St. Petersburg geboren, verbrachte aber ihre Kindheit und Jugend in Sofia. 1924 begann sie als eine der ersten Frauen in Graz ein Architekturstudium. Im Atelier von Clemens
Autor: Judith Eiblmayr, Lisa Fischer
Verlag: Verlag Anton Pustet