Artikel

Architektur für eine instabile Welt
Der Standard

Seine Entwürfe - wie z. B. für das Jüdische Museum in Berlin - faszinieren und polarisieren. Mit Daniel Libeskind sprachen die Standard-Mitarbeiter Michael Marek und Matthias Schmitz.

12. Mai 2001 - Michael Marek
Standard: Ein großer Teil Ihrer Familie wurde während der Schoah ermordet. Sie sind in Polen unter kommunistischer Herrschaft aufgewachsen und mit Ihren Eltern Ende der 50er-Jahre nach Israel ausgewandert. Wie haben Sie diese Erfahrungen später beeinflusst?

Libeskind: Die Schoah ist für mich nicht nur aufgrund meiner Familiengeschichte sehr wichtig. Der Holocaust beeinflusst jeden Menschen, denn nach Auschwitz ist eigentlich jeder ein Überlebender, egal was ihm widerfuhr.

STANDARD: Wie haben Ihre Verwandten darauf reagiert, als Sie und Ihre Familie nach Berlin umgezogen sind?

Libeskind: Als ich mit dem Projekt für ein Jüdisches Museum begann, haben mich viele meiner Verwandten verleugnet. Sie haben mich für verrückt gehalten. Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass mein damals über 80-jähriger Vater meine Entscheidung nicht verstehen konnte. Als er aber selbst nach Deutschland kam, konnte er sehen, dass sich etwas zum Positiven gewendet hat.

STANDARD: Denken Sie bei Ihren Entwürfen auch an die Wirkung für kommende Nutzer?

Libeskind: Als Architekt muss man daran interessiert sein, wie Gebäude auf Menschen wirken. Zum Beispiel ist das Jüdische Museum eher ein Werk, bei dem man nicht allein an die konkreten Nutzer denkt, sondern gerade auch an jene anderen, die nicht in einem physischen Sinne, sondern einer Art potenzieller Anwesenheit mit da sind, das heißt all die jüdischen und nichtjüdischen Bewohner Berlins, die Anteil am Kulturerbe der Stadt haben.

STANDARD: Wie stehen Sie zum Vorwurf der Zweckfeindlichkeit Ihrer Bauten?

Libeskind: Man muss anerkennen, dass Hunderttausende Menschen das Jüdische Museum besucht haben, obwohl es leer ist. Sie haben eine Nutzung dafür gefunden - auch ohne Ausstellungsstücke. Eine solche Nutzung hängt nicht nur vom Intellekt ab, sondern auch von Gefühlen, von Hoffnungen. Ich bestreite deshalb, dass diese Architektur weniger nützlich ist als einige dieser geistlosen Schachteln, die am Potsdamer Platz stehen. Vielleicht ist sie sogar nützlicher.

STANDARD: Bietet das Jüdische Museum Berlin mehr als nur ästhetisierende Betroffenheitsarchitektur oder eine didaktische Manipulation der Sinne?

Libeskind: In der Architektur geht es um etwas anderes als um Manipulation oder Erziehung. Es ist gut, wenn sich Menschen über die Beziehung von Architektur und Raum wundern und sich kritisch ihrer eigenen Sichtweise stellen müssen. Daraus entspringt jener Funke, der zu etwas ganz anderem führt als zu jener Trägheit, mit der man Gebäude wie Konsumartikel ansieht.

STANDARD: Erscheint nicht die Größe Ihrer Gebäude problematisch wie beim Imperial War Museum in Manchester?

Libeskind: Natürlich ist dieses für ein großen Publikum geplante Museum beeindruckend, aber es wird räumlich eine intime Beziehung zu ihm geben, weil das bis zu 22 Meter hohe Dach zu beiden Seiten hin bis auf zwei Meter gekrümmt sein wird, sodass man es fast berühren kann. Das macht auch das Interesse an der Architektur aus: wie sie auf Menschen bezogen ist, wie sich diese Beziehung bei großen Gebäuden herstellt. Das hängt aber nicht von der Größe allein ab, sondern vom architektonischen Ganzen.

STANDARD: Sie haben in Ihrer Kritik am Potsdamer Platz gesagt, man könne Geschichte nicht simulieren. Stattdessen solle man sich der Geschichte erinnern und sich ihrer Dynamik bewusst sein. War heißt das für Architektur genau?

Libeskind: Ich glaube, man sollte der Öffentlichkeit nicht vortäuschen, einen beliebigen Abschnitt der Geschichte herausgreifen und nur auf ihn hin eine Stadt ausrichten zu können. Die Vorstellung von einem selektiven Gedächtnis hat nie funktioniert - bei keinem Entwurf. Wir sollten die Probleme nehmen, wie sie sich stellen, und auf eine Weise behandeln, die von einer menschlicher Haltung zeugt, aber nicht diese gesichtslose Architektur produziert.

STANDARD: Für Ihren Erweiterungsbau des Londoner Victoria & Albert Museums haben Sie die Form einer Spirale gewählt und diese zu den veränderten Bedingungen der Architektur im demokratischen Staat in Beziehung gestellt. Könnten Sie das erläutern?

Libeskind: Diese Spirale sucht nach möglichen Koordinaten in einem demokratischen Raum. In einer Demokratie kann man nicht einfach eine Alternative produzieren, weil es stets andere Möglichkeiten geben wird. Nach meiner Einschätzung muss diese Offenheit und Spannung von Alternativen Teil eines neuen räumlichen Ganzen sein. Wir leben in keiner stabilen Welt, sie ist es nie gewesen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: