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Raum für Augenblicke
Neue Zürcher Zeitung

Der japanische Architekt Fumihiko Maki in London

11. Juni 2001 - Ursula Seibold-Bultmann
In seinem 1993 mit dem Pritzker Prize ausgezeichneten Schaffen verbindet Fumihiko Maki Elemente der Moderne mit solchen des Hightech und mit japanischen Traditionen. Das Londoner Victoria and Albert Museum zeigt in Zusammenarbeit mit dem Royal Institute of British Architects derzeit eine von Makis Tokioter Büro gestaltete Ausstellung, die seine urbanistischen Ideale und jüngsten Projekte vorstellt.

Architekten - so Fumihiko Maki - gleichen Filmregisseuren. Denn das Wichtigste an einem Film sei nicht die Handlung, sondern die Szene oder Szenerie, die für den kritischen Moment des Geschehens gewählt sei (zu seinen Lieblingsfilmen zählt Alain Resnais' «L'année dernière à Marienbad»). In diesem Sinne lassen sich seine Bauten als Kompositionen aus verschiedenen Bühnen für flüchtige Episoden und aus Rahmen für Momentaufnahmen verstehen. Ausser mit bestimmten filmischen Verfahren darf man dieses Interesse am Vorübergehenden auch mit den Holzschnitten aus dem Genre des Ukiyo-e in Verbindung bringen. Makis Arbeit steht unter dem Zeichen des japanischen Begriffs «Oku», was Tiefe oder einen Sinn für Tiefe meint und sich zugleich auf ein Innerstes, am wenigsten Zugängliches oder auch weit zurück Erstreckendes bezieht. Fassadenschirme aus perforiertem Metall, Jalousien, reflektierende Oberflächen, halb opake Trennwände, beiläufige Durchblicke und versteckte Passagen zählen zu den Mitteln, mit denen der Architekt solche Tiefe anklingen lässt.

Nun befasst sich das Londoner Victoria and Albert Museum mit dem 1928 in Tokio geborenen Architekten. Die Ausstellung veranschaulicht mit Text- und Bildtafeln, elf Modellen sowie einem Video insgesamt zehn Projekte, leider ohne diese in ein Verhältnis zur Geschichte der Moderne oder zur neueren japanischen Architektur zu stellen. Im Zentrum stehen Hillside Terrace und Hillside West in Tokio - gemischt genutzte Komplexe mit Geschäften, Wohnungen, Gastronomie, Büros sowie kleineren Räumen für kulturelle Veranstaltungen, die Maki für ein und denselben Bauherrn zwischen 1969 und 1998 in mehreren Phasen errichtet hat und die sein Bemühen um die Belebung städtischen Raumes sowie um eine sorgfältige Verzahnung von öffentlicher und privater Sphäre verdeutlicht. Die formale Zurückhaltung und die abwechslungsreiche räumliche Erschliessung lassen den Einfluss von Josep Lluís Sert ahnen, der in den fünfziger Jahren Makis Mentor in Harvard war; es gibt aber auch Berührungen mit Aldo van Eyck und den urbanistischen Interessen des Team X.

Die für die Londoner Präsentation ausgewählten Projekte reichen quer durch alle Bauaufgaben: vom schwimmenden Pavillon für Theateraufführungen (Groningen, 1997) über den Wettbewerbsbeitrag für ein Hochhaus in Helsinki (Vuosaari Tower, 1999) bis hin zum umfangreichen Erweiterungsbau der Medien-Labors am MIT in Cambridge/Massachusetts (1998-2004). Gern verwendet Maki in seinem Werk Materialien wie im Schiffsbau oder greift maritime Motive auf: In ihrem Grundriss und in einzelnen Ansichten ähnelt die Kirishima International Concert Hall (1994) einer im Gebirge gestrandeten Motorjacht, wobei sich die prismatischen Formen ihres stahlschimmernden Daches zugleich aus akustischen Berechnungen ergeben. Andere Projekte zeigen, dass Vergleiche zwischen Maki und europäischen Hightech-Architekten wie Norman Foster oder Nicholas Grimshaw zu kurz greifen: Ähnlich einer stillen Laterne leuchtet die Tokyo Church of Christ (1996) des Nachts an einer belebten Strasse der Metropole, und mit dem Kazeno-Oka-Krematorium in Nakatsu (1997) ist eine vom Statischen zum Stürmischen gespannte Landschaft zwischen Tod und Leben entstanden.

Die szenographischen Eigenschaften von Makis Bauten können in Modellen und Plänen kaum zum Ausdruck kommen. Will man die Qualitäten seiner Entwürfe würdigen, so muss man zudem in Rechnung stellen, dass in Japan von der Architektur weniger starke formale Präsenz als vielmehr Leichtigkeit und die Schichtung von Raum erwartet wird. Makis Eleganz streift häufig die Grenze zur Anonymität, wozu die Glätte und das kühle Spektrum seiner in Kombination mit Beton bevorzugten Materialien - Stahl, Glas, Aluminium, Kacheln - wesentlich beitragen. Für westliche Augen besteht sein vielleicht nachhaltigstes Verdienst darin, innerhalb der Reichweite einer modernen Formensprache immer wieder den Wert des Fragmentarischen und Vieldeutigen untersucht und damit die Polarität zwischen Moderne und Postmoderne relativiert zu haben.


[Bis 22. Juli. Anschliessend im Deutschen Zentrum für Architektur in Berlin (12. Oktober bis 9. November), in Kopenhagen und Paris. Begleitpublikation: 86 S., 10 £. - Ausserdem liegt die Werkmonographie Fumihiko Maki: Buildings and Projects, Thames & Hudson, London 1997 (ISBN 0-500-28031-2) vor. ]

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