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Die Verwandlung von Southwark
Neue Zürcher Zeitung

Belebung des Themse-Südufers durch die Tate Modern

6. Juli 2001 - Silvia Kobi
Die gegenwärtig so stürmische Neubelebung von Southwark ist kein Zufallsprodukt. Bereits Ende der achtziger Jahre - die Turbinen des schliesslich von Herzog & de Meuron zur Tate Modern umgebauten Kraftwerkes lagen damals schon seit Jahren still - erkannte die Lokalbehörde das Potenzial dieses Industrieareals. Sie musste aber lange kämpfen, bis sie ihre Vorstellung von einer Revitalisierung verwirklichen konnte. Sogar von einem Abbruch des Kraftwerkes war einmal die Rede, doch die damit verbundenen Kosten - rund 10 Millionen Pfund - haben glücklicherweise sämtliche Immobilienspekulanten abgeschreckt. Das Ausmass der Neubelebung übersteigt jedoch alle Erwartungen. Seit der Eröffnung im Mai 2000 sind mehr als fünf Millionen Menschen in die Tate Modern gepilgert. Einzig das Pariser Centre Pompidou kann ähnliche Besucherströme vorweisen.

Rund 30 Prozent der Besucher kommen aus dem Ausland angereist. Diese «Tate-Pilger» konsumieren nicht nur Kunst, sondern auch Postkarten, Fachliteratur sowie Tee und Kaffee. Und diese café society greift vom Museum immer mehr auf das Quartier aus. Dort sind nämlich in kurzer Zeit Hunderte von Arbeitsplätzen im Verpflegungsbereich entstanden. Lokale in Southwark sind nun plötzlich gefragt, aber auch Wohnungen. Diese im Zusammenhang mit den zahlreichen Firmenneugründungen. Damit wird das nach den schweren Zerstörungen durch Bombenabwürfe im Zweiten Weltkrieg zu einem Backwater gewordene viktorianische Arbeiter- und Industrieviertel allmählich salonfähig.

Southwark ist aber nicht der einzige Stadtbezirk am Südufer der Themse, der dank der Regenerierung von brownfield sites - Arealen mit Altbauten - zu einer begehrten Gegend geworden ist. Das östlich daran angrenzende Bermondsey kennt seit kurzem eine ähnliche Entwicklung. Demnächst soll dort das vom mexikanischen Architekten Ricardo Legorreta entworfene Fashion & Textile Museum der britischen Modedesignerin Zandra Rhodes eröffnet werden. Im Unterschied zur Tate Modern muss für dieses Museum allerdings ein Altbau weichen: Die neue Architektur ist vollständig zeitgenössisch, passt sich aber dem industriellen Ambiente an. Ebenfalls zum Bezirk Bermondsey gehört Hartley's Jam Factory, eine aus viktorianischer Zeit stammende Konfitürenfabrik. 20Jahre ist es her, seit dort die letzte Konfitüre produziert worden ist. In den Backsteinhäusern dieser Fabrik entstehen nun nach Plänen des Architekten Ian Simpson aus Manchester im Auftrag von Angel Property Läden, Büroräumlichkeiten und mehr als hundert Lofts, von denen die billigsten eine halbe Million Franken kosten werden. Gerade Objekte, die wie Hartley's Jam Factory nicht unter Denkmalschutz stehen, sind bei Architekten und Designern äusserst beliebt: Sie bieten ihnen einen grösseren Spielraum.

Mittelfristig werden Southwark und Bermondsey von der Umwandlung ihrer viktorianischen Backsteinrelikte profitieren. Denn die neuen Museen, Kunstgalerien und Lofts werden Touristen, finanziell besser gestellte Bewohner und Investoren anlocken. Gleichzeitig entstehen weitereHotels, Restaurants und Cafés und damit Arbeitsplätze für die Lokalbevölkerung. Wie der Anfang Jahr unter dem Titel «A New Commitment to Neighbourhood Renewal» publizierte offizielle Bericht über Englands verarmte Gegenden zeigt, bringt gerade die wirtschaftliche Belebung eines Quartiers die Armutsspirale zum Stillstand. Im Falle von Southwark etwa wird angenommen, dass seit der Eröffnung der Tate Modern zwischen 50 und 70 Millionen Pfund in den Bezirkgeflossen sind. Ob dieser Geldsegen sich allerdings für die hier Ansässigen auch längerfristig günstig auswirken wird, ist nicht sicher. In Notting Hill jedenfalls hat die Gentrification des einst von der karibischen Minderheit bewohnten Quartiers auch ihre Schattenseiten gezeigt: Denn was die Armutsspirale zum Stillstand bringt, kann die Immobilienspekulation ankurbeln und die Lokalbevölkerung zum Wegzug zwingen.

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