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Blinzeln in die Zukunft
Neue Zürcher Zeitung

Digitale Architektur im DAM in Frankfurt

6. Juli 2001 - Hubertus Adam
Die Veränderungen, welche das computerunterstützte Entwerfen hinsichtlich der Profession des Architekten bewirkt, sind im deutschen Sprachraum bisher erst wenig beachtet worden. Eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt widmet sich nun den «Blobs» und dokumentiert deren Weg in die Realisierung.

«Blob - Schrecken ohne Namen» hiess ein 1958 produzierter Science-Fiction-Horrorfilm, als dessen Hauptakteur eine aus dem Weltraum stammende, Menschen verschlingende, amorphe Masse fungierte. Nicht ganz ohne Grund mögen sich manche Verfechter einer traditionellen Architektur an den Streifen aus den Fifties erinnert fühlen, wenn sie sich mit den computergenerierten Entwürfen einiger junger Kollegen konfrontiert sehen. «Blob versus Box» wurde innerhalb des architektonischen Diskurses in den vergangenen Jahren zum polarisierenden Schlagwort:Gegenüber stehen sich die Vertreter eines reduktionistischen Essenzialismus und die Anwälte eines von bisherigen produktionstechnischen Restriktionen befreiten Biomorphismus. In dieser «querelle des anciens et des modernes» wird übersehen, dass die geometrische Rigidität, geistlos repetiert, sich in einer petrifizierten Simplizität erschöpft, während die Fixierung auf von topologischer Geometrie bestimmte Gebilde zu einem neuen Manierismus führen kann.


Veränderungen eines Berufsbilds

Mit der Ausstellung «Digital real, Blobmeister: erste gebaute Projekte» positioniert sich das Deutsche Architektur-Museum (DAM) in Frankfurt nun in einer Debatte, die an Deutschland bisher fast spurlos vorübergegangen ist, obwohl sie fachinterne Belange in erheblichem Masse transzendiert. Denn die fundamentalen und unwiderruflichen Veränderungen, welchen die Profession des Architekten in der digitalen Ära binnen einer Dekade unterliegt, zeigen paradigmatisch die - durchaus ambivalenten - Potenziale neuer Technologien. Studenten vermögen hinsichtlich der Beherrschung der neuen Techniken ihre Lehrer an den Hochschulen zu überflügeln, und selbst wenn man dem modischen «Hype» des Neuen gegenüber skeptisch ist, steht fest, dass die Blase des Blob - um im Bilde zu bleiben - in absehbarer Zeit nicht platzen wird.

Das eigentlich Faszinierende, das zeigt die Frankfurter Schau, ist nicht die neue Formensprache, die häufig zwischen den organischen Plastiken Hermann Finsterlins, den städtebaulichen Utopien von Archigram und den Wohnlandschaften Verner Pantons oszilliert. Die Innovation besteht vielmehr in der Möglichkeit, der euklidischen Geometrie sich verweigernde Visionen nicht nur zu berechnen, sondern auch praktisch umzusetzen - und das mit vergleichbar geringem Kostenaufwand. War Erich Mendelsohn zu Beginn der zwanziger Jahre auf Grund von Schalungsproblemen daran gescheitert, seinen Einsteinturm in Beton auszuführen, so lässt sich der Baustoff inzwischen in jede beliebige Form bringen. Eine Inkunabel dieser Bauweise stellt FrankO. Gehrys Neuer Zollhof in Düsseldorf dar, dessen ondulierende, mit Zinkblech, weissem Putz und Backstein verkleidete Konstruktion aus Tausenden von unterschiedlichen Betonelementen besteht. Die computergesteuerte CNC-Fräse erlaubte es, die nötigen Gussformen vollautomatisch aus Styroporblöcken herzustellen. Der kalifornische Architekt verwendete dafür «Catia», ein CAD-Programm, das vor allem im Flugzeug- und Automobilbau Verwendung findet.

Peter Cachola Schmal, der mit «Blobmeister» als neuer Kurator des DAM seinen Einstand gibt, war gut beraten, nicht die virtuelle Formenopulenz einer jüngeren Architektengeneration in den Mittelpunkt zu stellen, sondern den Prozess, der mit dem Digitalen beginnt und im Realen endet. Nach all den suggestiven Renderings und Animationen, die heute Zeitschriften und trendige Publikationen füllen, geraten endlich auch einmal Umsetzung und Ergebnis ins Blickfeld. Präsentiert werden elf ausgewählte Bauten äusserst anschaulich mit Videofilmen und Computerperspektiven, aber auch mit traditionellen Mitteln wie Modellen und Fotos. Die konkaven, von Königs Architekten aus Köln entworfenen Podeste wirken wie Miniaturbühnen, auf denen sich der Projektablauf vor den Augen der Besucher abspielt. Auch Architekturausstellungen der digitalen Ära, das wurde hier beherzigt, müssen die Sinne ansprechen - andernfalls wäre der Besucher mit einer CD-ROM für den heimischen PC besser bedient.


Bedürfnisse und Wünsche

Ob die Auswahl der Projekte in jeder Hinsicht überzeugt, darüber wäre zu streiten; auffällig zumindest sind einige Lücken. Ben van Berkels UN Studio, das mit einem realisierten Projekt wie dem Möbius-Haus zweifellos zu den Protagonisten einer topologischen Moderne zählt, ist ebensowenig vertreten wie das unlängst durch spektakuläre Shop Designs hervorgetretene amerikanische Team Archi-Tectonics um die gebürtige Niederländerin Winka Dubbeldam. Man vermisst Diller & Scofidio, aber auch die vornehmlich in Japan und Grossbritannien tätigen Ushida/Findlay; Alejandro Zaera-Polo von Foreign Office Architects aus London wurde immerhin zu einem Vortrag über sein zurzeit in Ausführung befindliches Fährenterminal in Yokohama eingeladen.Gleichwohl gibt «Blobmeister» einen guten Einblick in ein Thema, das, von den USA ausgehend,weltweit zur Diskussion gestellt wird - nicht zuletzt in der 1999 gestarteten Ausstellungsreihe «ArchiLab» des FRAC Centre in Orléans -, im deutschen Sprachraum aber bisher kaum Resonanz gefunden hat.

Berechtigterweise ist das Spektrum der präsentierten Arbeiten heterogen: Gehry ist ebenso vertreten wie Zaha Hadid mit ihrer spektakulären «Mind Zone», dem architektonischen Höhepunkt des sonst eher enttäuschenden Millennium Dome in London; Erick van Egeraat mit seinem «Whale» auf einem Versicherungsbau in Budapest ebenso wie Kas Oosterhuis mit einem reptilienhaft anmutenden Müllterminal. Dazu treten der Japaner Makato Sei Watanabe mit einer aus Rohren bestehenden Plastik für eine Metrostation in Tokio, Asymptote mit ihrer virtuellen Architektur für die New York Stock Exchange und das Restaurant von Jakob & MacFarlane auf dem Dach des Centre Pompidou in Paris. Während die New Yorker Ost/Kuttner Apartments von Kolatan/MacDonald nicht zuletzt durch die Ausstellung «The Un-Private House» (MoMA, 1999) bekannt sind und etwas überbewertet erscheinen, kann die Frankfurter Schau mit einer Neuentdeckung aufwarten: einem Pavillon, den die ortsansässigen Architekten ABB und Bernhard Franken derzeit auf der Frankfurter Messe für den Autokonzern BMW realisieren.

Vor allem aber überzeugt die presbyterianische Kirche für koreanische Einwanderer im New Yorker Stadtteil Queens. Diese geniale Transformation einer Wäscherei stammt von Michael McInturf und Garofalo Architects aus Chicago und dem - an der ETH Zürich lehrenden - Greg Lynn aus Venice, Kalifornien. Dem Team ist es nicht nur gelungen, einen der wenigen bemerkenswerten zeitgenössischen Neubauten an der amerikanischen Ostküste zu errichten; ihre Zusammenarbeit kann auch als ein Muster gelten, wie Kooperationen vermittels digitalen Datentransfers in Zukunft zu bewerkstelligen sind.


[Bis 5. August. Katalog: Digital real, Blobmeister: erste gebaute Projekte. Hrsg. Peter Cachola Schmal. Birkhäuser-Verlag, Basel 2001. 272 S., Fr. 88.- (in der Ausstellung DM 68.-).]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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