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Architekten-Report
Neue Zürcher Zeitung

Neuauflage zum 100. Geburtstag von Konrad Wachsmann

25. Juli 2001 - Manfred Wekwerth
Biographien sind ein beliebter Ort ungebremster Selbstdarstellung, und zwar der Biographen. Klassisches Beispiel ist die Biographie Richard des Dritten von Thomas Morus. Ihm gelingt es, aus einem reformfreudigen, tapferen und beliebten König ein grausiges Monster zu machen. Grund: Richard der «Schreckliche» aus dem Hause der besiegten Yorks wurde gebraucht, um die Taten der neuen Herren des Hauses Tudor in besserem Licht erscheinen zu lassen. Glaubwürdig wird das Ganze nicht durch einfache Lügen, wie sie die Politik verwendet, sondern durch die Lüge mit der Wahrheit, auch Halbwahrheit genannt.

Aber es gibt auch Gegenbeispiele wie Ernst von Salomons «Fragebogen» oder Michael Grünings «Wachsmann-Report». Beiden ist gemein, dass sie nicht als Biographien geplant waren. Ernst von Salomon ärgerten die Routinefragen, als er 1945 den Fragebogen der amerikanischen Militäradministration ausfüllen musste. Mehr aus Unwille gegen die Klischees beantwortete er Frage um Frage mit einer solchen Ausführlichkeit, dass ein Buch von über 700 Seiten entstand, «Biographie» beim Wort nehmend: Lebensbeschreibung. Auch Grüning wollte keine Biographie schreiben. Er, Redakteur einer Wochenzeitschrift, war ausgeschickt, eine Artikelserie über den Architekten Konrad Wachsmann (1901-1980) zu schreiben. Wachsmann, hervorgegangen aus der Bauhaus-Generation, vor den Faschisten emigriert in die USA, besuchte nun als Deutsch-Amerikaner 1979 die DDR, und Grüning sollte darüber berichten. Die notorische Gründlichkeit Grünings liess ihn ein kleines Tonbandgerät mitnehmen, und der Wissensdurst entlockte dem keineswegs Redseligen sein «Leben». Ob im Auto, am Frühstückstisch, bei Spaziergängen, Unter den Linden, beim Besuch des Bauhauses in Dessau oder von Freuden in Dresden, beim Rotwein im Hotelzimmer - die Tonbänder füllten sich bald mit ungeschminkten, unvergleichlichen, ungewöhnlichen Ansichten. Was ein Bericht über Architektur werden sollte, wurde der mitreissende Bericht über einen Menschen, der Architekt war in bewegten Zeiten und mit der Präzision und Schärfe, aber auch mit dem Humor der Bauleute alles registrierte, was um ihn herum geschah. Unangestrengt und wie nebenbei erzählt, steht Grosses neben dem alltäglichen Detail. Ob es die Begegnung mit Einstein ist, dessen Sommerhaus Wachsmann in Caputh baute, ob es die Tischordnung im Romanischen Café ist, die Maler, Musiker, Kritiker streng teilte, die Audienzen bei Max Reinhardt, die schmeichelnden Blicke der Tilla Durieux, die Dispute mit Brecht, die Erlebnisse im Atelier von Picasso oder im Arbeitszimmer Thomas Manns - der Leser meint, er sei mit dabei.

Denn es sind nicht nur die Fakten, die vermittelt werden. Man erfährt nicht nur, was geredet wurde, sondern wie. Grünings Fragen, die keinem Plan folgen, sondern im Gespräch entstehen, locken eben diesen Zeitgeist hervor. Diese Zeit war nicht frei von tragischen Zeichen, die schon am Himmel standen. Aber in Wachsmanns Erzählungen, hervorgelockt von Grüning, behält selbst das Deprimierende den Zug der Hoffnung. Die Finsternis des Faschismus kann hier die Grossartigkeit der Welt nicht völlig verdecken. «Ein Musterbeispiel, für das ich keine Parallele in der Weltliteratur gefunden habe», urteilt der kritische Jürgen Kuczynski.

Es ist dem Verlag der Nation zu danken, den «Wachsmann-Report» 1986 in der DDR herausgebracht zu haben. Bei «Auskünften eines Architekten» war der beispiellose Erfolg keineswegs vorauszusehen. Und man sollte annehmen, dass ein sozialistisches Land, wie es die DDR sein wollte, brennendes Interesse an den dargestellten dialektischen Widersprüchen, der ungeschminkten Wahrheit, der kritischen Zeitanalyse hätte haben müssen. In einem neuen Epilog zur soeben im Birkhäuser-Verlag erschienenen Neuauflage aber spricht Grüning von den Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Ängstliche Sicherheit bei der Machterhaltung verhinderte vielerorts den Erhalt einer neuen gerechteren Gesellschaft. Es ist gut, dass Grüning seinen Brecht kannte: «Es setzt sich nur soviel Wahrheit durch, wie wir durchsetzen. Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein.» Der «Wachsmann-Report», der 1986 in der DDR erschien, machte vielen Mut. Aber auch heute, nach dem Verfall einer gesellschaftlichen Alternative, kann Grünings «Wachsmann-Report» daran erinnern, dass Geschichte niemals aufhört.


[Michael Grüning: Der Wachsmann-Report. Auskünfte eines Architekten. Neuauflage mit einem neuen Epilog. Birkhäuser-Verlag, Basel 2001. 610 S., Fr. 42.-.]

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