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Aufprall, unvermitteltes Zusammentreffen, auch zärtliche Berührung. Holz und Gras; Beton, Ziegel und wiederum Holz.

28. Juli 2001 - Eva Stanzl
Aufprall, unvermitteltes Zusammentreffen, auch zärtliche Berührung. Holz und Gras; Beton, Ziegel und wiederum Holz. Zeitgeschichte als Oberfläche": So beschreibt die Architekturkritikerin Liesbeth Wächter-Böhm die „Keime, aus denen Ideen langsam und irgendwie zart, entwicklungs- und schutzbedürftig sprießen“, in ihrer Einleitung zu der gerade erschienenen Monographie über das österreichisch-luxemburgische Architektenduo Hermann & Valentiny. Zwar werde daraus „nie eine große, pompöse, trendige Geste entstehen“, jedoch „eine überlebensfähige, robuste Pflanze, eine Architekturauffassung, die verallgemeinerbare Lösungen parat hält.“

Eines der Standardthemen von Hermann & Valentiny ist dabei die Materialität des Bauwerks, im Unterschied zur „Putzarchitektur“. Hubert Hermann, in der Stadt der Gründerzeit-Gebäude groß gewordenes Wiener Pendant des Teams, bezeichnet Verputz als „eine windige Haut, unter der man zwar materialmäßig machen kann, was man will, die aber gerade deswegen irrsinnig anfällig ist und schnell rissig wird“. Die „Meinung“ von Materialien ist gefragt, im Unterschied zur Meinungslosigkeit einer bloßen Haut.

Lieblingsmaterialien sind strukturierter Beton, Streckmetall, Holz. Hermann & Valentiny denken in Zeiträumen: Holz und Metall, das verwittert, Metallpergolen, an denen sich Pflanzen hochschlängeln, Beton, auf dem Algen wachsen.

Liebe zur Materialität und die Wichtigkeit der skulpturalen Qualität eines Gebäudes begegnen sich in der vor wenigen Wochen fertig gestellten Brotfabrik. Denn ursprünglich hatte das Jugendstil-Gebäude in Wien-Ottakring aus drei im rechten Winkel zueinander stehenden Häusern bestanden. Zwei davon waren in den Sechzigerjahren dem Erdboden gleich gemacht und durch Wohnblöcke ersetzt worden. Der dritte, denkmalgeschützte Teil blieb übrig „wie ein einsamer, zufällig in der Landschaft stehender Stockzahn“, berichtet Hermann. Die Innenhof-Situation musste also wiederhergestellt werden, um dem Gebäude seine Integrität zurückzugeben. Die Lösung ist eine U-förmige Betonskulptur, die vier Stockwerke hoch entlang den Außenwänden des Innenhofes ihre Kurve macht und mit den Mauern durch begehbare Terrassen aus lichtdurchlässigem Metallgitter verbunden ist. Die hier ansässigen Büros treten sozusagen ins Freie, indem die Mitarbeiter sich auf den Terrassen regenerieren können.

Denn Veränderung bedeutet nicht Vergewaltigung, sondern Architektur für Menschen und den Rhythmus der Welt. Ein Baum oder ein benachbartes Gebäude können bestimmend für die Architektur sein. Hubert Hermann beschreibt die Situation des Wohnhauses in der Wiener Perfektastraße: „Wenn es eine U-Bahn-Station in der Nähe gibt, einen Kanal und eine Straße, dann wäre es verantwortungslos, einfamilienhausmäßig zu denken, es wäre eine Vergeudung von wertvollem Grund. In einer solchen Situation ist es doch angebracht, ein Hochhaus hinzustellen, damit alle die Infrastruktur nützen können.“ In der Perfektastraße wurde außerdem der vorbeifließende Kanal in die Grundstücksnutzung miteinbezogen: Die Wohnungen haben Ausblick aufs Wasser, die Hintergärten der Reihenhäuser führen ebendort hin.

Wobei keineswegs eine Symbiose zwischen Architektur und Natur angestrebt wird - im Gegenteil: Das tomatenrote Wohnhaus hebt sich klar ab vom grünen Rasen, das es umgibt. Farbe bringt die kontrastierenden Sprachen von Geometrie und Natur zum Ausdruck, entweder großflächig oder, wie im Falle des (hier abgebildeten) Wiener Einfamilienhauses, indem die Verletzungen des Gebäudes durch Farbe hervorgehoben werden: Ecken, Kanten oder wichtige Mauerflächen sind gelb oder rot. Das Haus grenzt sich von umstehenden Bäumen ab, kommuniziert jedoch mit der Umwelt, weil die Farben je nach Licht unvorhersehbare Schattierungen annehmen.

Ob es schwierig ist, die Bauherren von farbigen Häusern, lackierten Gebäudeteilen oder auf den ersten Blick viel zu aufwendig erscheinenden Skulpturen aus Strukturbeton zu überzeugen? „Ich wähle den Weg des Pädagogen“, sagt Hubert Hermann, „im gegenseitigen Annähern von Positionen bei der Entwicklung, indem ich versuche, dabei nicht nur meine eigenen Wünsche und Vorstellungen in den Vordergrund zu stellen. Das Spielfeld der Extreme reicht vom Aufgeben eines Projektes bis zur Rolle des Guru. Dazwischen spielt es sich ab, an einem Punkt der Annehmbarkeit, der Akzeptanz.“


[Liesbeth Wächter-Böhm, Hermann & Valentiny und Partner. Jetzt. Now. öS 463,-/EURO 45/ 208 Seiten, Birkhäuser,
Biel-Benken 2001.]

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