WienerBerg Dojo
Wien (A) - 2003
mit Michael Loudon, Walter Hans Michl
Architekturzentrum Wien
Studium der Architektur an der ETH; Baupraxis. 1977-85 Assistent bei Prof. A.M.Vogt und Doktorat in Architekturgeschichte an der ETH Zürich. Lebte seit 1985 in Wien und arbeitete auf dem Gebiet der Architektur als Entwerfer, Historiker, Kritiker, Kurator und Austellungsmacher.
Seit 1989 gemeinsames Atelier mit Architekt Walter Hans Michl in Wien: Möbeldesign, Bau- und Wettbewerbsprojekte, Wettbewerbsorganisationen, Juryteilnahmen, städtebauliche Konzepte.
Bauten: Stadthaus in Wien-Neubau, Kirchenzentrum St.Benedikt in Wien-Simmering. Konzept und wissenschaftliche Leitung für die Steirische Landesausstellung 1995, „Holzzeit“ und Initiierung der „Murauer Werkstätten“ (mit Franziska Ullmann, Wien).
Buchpublikationen u.a. über Adolf Krischanitz, Gustav Peichl, Boris Podrecca. Regelmäßige Architekturkritik im Spectrum (Die Presse, Wien) sowie Beiträge in Fachzeitschriften und Ausstellungskatalogen.
In jeder Generation leistet sich die Schweiz eine gesellschaftlich-kulturelle Standortbestimmung. Heuer mit der „Expo 02“ im nordwestschweizerischen Dreiseengebiet: überraschend vielfältig und angenehm unverklemmt. Eine Empfehlung.
Was weiß man in der Schweiz über Österreich - und umgekehrt? Medial vermittelte Bilder eines Landes stimmen nur wenig mit dem persönlichen Augenschein überein. Sie werden in einer Art kollektiven Zwangs zu Ausnahmeereignissen wie zu Klischees permanent erzeugt und verdecken die viel breitere, differenziertere und weniger sensationelle Realität. Alternativ dazu bietet in diesem Jahr die Expo 02 eine Möglichkeit, eine selbstreflexive Schweiz zu entdecken, die in ihrer Vielfalt überrascht; die manchmal feinsinnig, manch- mal tapsig, zuweilen tiefgrün-dig, aber oft angenehm unverklemmt, eine gesellschaftlich-kulturelle Standortbestimmung vornimmt und den Augen, Ohren, Nasen, Händen und Füßen der Besucher zur Wahrnehmung anbietet.
Die regional verteilte Ausstellungslandschaft erstreckt sich in einer Zone der westeuropäischen Sprachgrenze, in Französisch und Deutsch sprechenden Städten, deren Ortstafeln zweisprachig sind. Nicht weniger als vier Standorte an den Ufern der drei mit Kanälen verbundenen, von der Aare gespeisten Mittellandgewässer Bieler-, Murten- und Neuenburgersee umfaßt diese vielseitige Schau, die nicht zu Ende geschaut werden kann und die ein bis drei Tage Zeit erfordert. In den Städten Biel-Bienne, Murten-Morat, Yverdon-les-Bains und Neuchâtel-Neuenburg sind als Blickpunkte künstliche Plattformen im See errichtet worden, die signifikante Gebäude oder gebäudeähnlich Gebilde tragen, deren Wesen und Formen über internationale Architektenwettbewerbe gefunden wurden. Sie heißen Arteplage.
Jede dieser Arteplages ist einem Oberthema gewidmet, das in einem halben bis knappen Dutzend Pavillons inhaltlich sowie ausstellungsdidaktisch unterschiedlich behandelt wird. Für Abwechslung ist damit ebenso gesorgt wie mit zahlreichen großen und kleinen Darbietungen und Veranstaltungen sowie mit Essen, Trinken. Von Arteplage zu Arteplage fahren große „Iris“-Schnellboote; etwas kürzer dauert es mit der Eisenbahn; gemütlicher, aber aus eigener Kraft geht es auf gemieteten Rädern oder gar Skates.
In Biel-Bienne lautet das Thema „Macht und Freiheit“. Das Wiener Architektenteam Coop Himmelb(l)au entwarf ein langes, schlank und schräg aufgestelztes Dach, das zwei Haken schlägt und dann noch einige Dutzend Meter in den See hinausspaziert. Über eine breite Rampe gelangt man vom Ufer auf die vom Dach beschattete Besucherplattform, wo sich vier Pavillons aufreihen. Zum See hin bildet das Dach einen offenen Winkel, aus dem drei Türme 40 Meter hoch aufragen. Sie werden von einer spiralig ansteigenden Rampe umkreist, die sich in einer Brücke fortsetzt, hoch über das Hafenbecken schwingt und auf festem Grund wieder den eingangs durchschrittenen Expopark erreicht, mit fünf Pavillons, zwei Veranstaltungsstätten und einem Vergnügungspark.
Die Bauten an diesem Rundweg sind für einen Sommer aufgebaut. Am Tag wirken die mit Textilbespannung in mittelgrauer Farbe versehenen Türme und das Dach durch ihre Volumen und den Schattenwurf. Abends und nachts dienen sie als Projektionsflächen für das Lichtspektakel und erstrahlen in wechselnden Farben. Unter den Pavillons sticht der mit Blattgold belegte Quader zum Unterthema „Geld und Wert - das letzte Tabu“ heraus. Bis zur Greifhöhe ist die Vergoldung bereits abgewetzt, Wartende haben unzählige Wörter und Namen hineingeritzt und -geschabt. Das Innere zeigt die in Partnerschaft mit der Schweizerischen Nationalbank entstandene umfangreiche Ausstellung, in der weder das Goldene Kalb fehlt noch die vielen Zahlungsmittel aus nahen und fernen Zeiten und Ländern.
Irritierend und faszinierend zugleich dann der Geldvernichtungsroboter, der mit spitzem Greifzeug eine ab dem Stapel vorbereitete neue 200-FrankenNote packt, genüßlich hochhebt, dem Publikum vor den Nasen herumschwenkt und es „gluschtig“ macht. Dann steckt der Roboterarm den Geldschein in einen Aktenvernichter, aus dem nur mehr Papierstreifen quellen, die sich zu Haufen kringeln. Natürlich geschieht das alles hinter festen Glaswänden. In der Ausstellung fehlen auch nicht Ansätze jener Gesellschaftsutopisten, die dem Tauschmittel „Geld“ die Schuld für alle Übel dieser Welt anlasteten, in der Verkennung menschlichen Realverhaltens aber scheiterten.
Neben derart dichten, klassischen Ausstellungen gibt es stimmungs- und anspruchsvolle Inszenierungen, wie den Pavillon „SWISH*“, in dem es um die Wünsche von Schweizerinnen und Schweizern, jungen und alten, weiblichen und männlichen und so weiter geht, der als geschlossener Wandelgarten aus unzähligen Brettern und Leisten über dem darunter befindlichen Seespiegel gestaltet ist. Oder man sucht sich durch den Irrgarten glatter Stämme des Pavillons „Grenzen (er)leben“ einen Weg ins obere Geschoß, wo eine Multimediashow das Thema künstlerisch umsetzt. Nicht wenige Pavillons weisen Erlebnischarakter auf mit viel Bewegung und Spaß, einige sind thematisch tiefer schürfend, andere locker und rasch konsumierbar.
Dazwischen finden sich Erholungszonen, wo man sich länger hinsetzen kann, etwa im Klangraum des einen Turms oder entlang der Besucherhauptströme in Gartencafés, wo man einer Lieblingsbeschäftigung der menschlichen Spezies frönen kann: anderen Menschen zuzuschauen.
In Murten-Morat, der mittelalterlichen Stadt hinter Mauern und Türmen, einer Zähringer Gründung wie die Stadt Bern, behandelt die Ausstellung das Oberthema „Augenblick und Ewigkeit“. Kein Geringerer als der für seine Inszenierungskunst bekannte französische Architekt Jean Nouvel hat hier die Regie übernommen und auch auf Details eingewirkt. Einerseits verlegte er Teile der Ausstellung in und an den mittelalterlichen Stadtkern, die alten Mauern mit teils angerosteten, Vergänglichkeit bedeutenden Schiffscon-tainern oder mit Baugerüst-konstruktionen konstrastierend. Andererseits ließ er entlang der Uferpromenade „Nicht-Gebäude“ wie Kieshaufen, Rundholzstapel und Hüllen aus Stahlplatten - rostenden natürlich - errichten, in denen verschiedene Inhalte wirksam aufbereitet wurden. Nicht zuletzt sind in Murten die Unterthemen „Landwirtschaft“ und „Sicherheitspolitik“ umfangreich dargestellt.
Höhepunkt und Signet dieser Arteplage ist der Kubus draußen im See, dessen Dimensionen (eines zwölfstöckigen Hauses) nicht zu fassen sind. Auf mit Sonnenenergie getriebenen Barken gleiten die Besucher hinaus zur schwimmenden Insel, legen am ebenfalls mit Stahlplatten beplankten Würfel an und gelangen in eine Wunderwelt dreier übereinander gestapelter riesiger Panoramen, deren Ebenen - wie im Warenhaus - über Rolltreppen erreichbar sind. Das erste Deck belegt eine Arbeit junger Medienschaffender, die unzählige Bilder und Ansichten der Schweiz elektronisch in Bewegung gebracht und zudem pfiffig verfremdet haben. Darüber befindet sich ein scheinbar leeres Geschoß, das in Augenhöhe einen breiten Streifen Lochblech aufweist, durch den das tatsächliche Panorama von See und Stadt zu sehen ist, das aber beim Nähertreten hinter der Lochblechstruktur verschwindet, weil die Sehwerkzeuge auf das Dahinterliegende nicht mehr scharfstellen können. Zuoberst steigt man zur Plattform in der Mitte eines kolossalen Rundgemäldes hoch, eines klassischen Panoramas des 19. Jahrhunderts, das die 1476 geschlagene Schlacht bei Murten in zeittypischer und aus der zweifachen Distanz durchaus ironisch gebrochen wiedergibt. Die Eidgenossen erbeuteten damals die überaus reiche Fahrhabe Karls des Kühnen, die aus Gobelins, edlem Tafelgeschirr, prächtigen Waffen und vielem anderen mehr bestand und als „Burgunderbeute“ in die nationale Geschichtsschreibung einging.
Der Standort Neuchâtel-Neuenburg wartet mit dem Oberthema „Natur und Künstlichkeit“ auf, dem Blick in die Zukunft moderner Roboter- und Biotechnologie sowie jenem auf die Nutzung natürlicher wie künstlicher Energieformen oder die entfesselte Wirkung ersterer in einem Wirbelsturm. Yverdon-les Bains, mit dem frappierenden Signet einer echten künstlichen Wolke, erfunden von den New Yorker Architekten Elizabeth Diller und Rick Scofidio, befaßt sich mit dem Thema „Ich und das Universum“, wobei die individuellen Gefühle nicht zu kurz kommen.
Alles zu sehen, muß man sich Zeit nehmen, wohl auch ein, zwei Mal in der Gegend übernachten.
Man kann selbst Bern oder eine der nahen Städte als „Basislager“ wählen, denn man bewegt sich schnell und leicht mit der Bahn (Autobahnen sind oft verstopft). Die Bahngesellschaften bieten kostengünstige Arrangements, sodaß zwischendurch ein Ausflug in kühlere Bergeshöhen in der Regel inbegriffen ist. Der Urbanisierungsgrad des schweizerischen Mittellandes ist mittlerweile so weit angewachsen, daß die SBB zur Metro der Schweiz geworden sind - weshalb ein Vergleich zu den ÖBB aus Strukturgründen immer hinkt. Aber wie dem auch im Detail sein mag, so leicht wie in diesem Jahr wird man eine differenzierte Sicht auf das nachbarliche Inselland mitten in der EU nicht so bald wieder bekommen können.
Die Expo 02 ist geöffnet bis 20. Oktober 2002, die Ausstellungen täglich von 9.30 bis 20 Uhr, Schlendern und Feiern im Juli und August täglich bis 2 Uhr früh. Informationen über Internet unter: www.expo.02.ch.
Klotzen statt kleckern: Wenn Novartis in Basel sein europäisches Zentrum für Forschung und Entwicklung errichtet, wäre das, sollte man meinen, eine naheliegende Devise. Der Masterplan von Vittorio Magnago Lampugnani setzt indes auf Maßhalten.
Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden in Basel die ersten Bauten der Firma Sandoz, einem Unternehmen der aufstrebenden chemischen Industrie, die der Stadt Wohlstand und internationale Bedeutung verschaffte. Binnen weniger Jahrzehnte war das etwa 20 Hektar große Areal mit Produktionsgebäuden dicht bebaut, wie das Luftbild von 1969 zeigt. Wie andere Industriekomplexe auch gewann die Anlage über die Jahrzehnte parastädtischen Charakter, wobei die spezifische Urbanität von Produktion, Forschung, Verwaltung sowie von der Infrastruktur für die Arbeitspausen bestimmt war.
Anders jedoch als für die riesigen Areale etwa von Sulzer in Winterthur oder ABB in Baden/Aargau, auf denen die Produktion wegen des Strukturwandels in der Schwerindustrie stillgelegt wurde, das Leben in den riesigen Hallen erstarb und mühsam unter Beizug öffentlicher Gelder eine Neubelebung hohe und riskante Investitionen erforderte, wird in Basel kein abrupter Wechsel, sondern eine schrittweise Transformation angestrebt. Das ist auch der Grund, weshalb das Thema von überregionalem Interesse ist. Denn hier geht es nicht um die „Rettung“ einer Industriebrache, weil die davon abhängigen Städte bedroht sind, sondern um vorausblickende Maßnahmen, die im Interesse von Novartis wie in jenem der Stadt Basel liegen.
Dem seit 1999 agierenden CEO von Novartis, Daniel Vasella, war aufgefallen, daß der Zustand der Firmengebäude den Eindruck von Stillstand erweckte, ja sogar den einer gewissen Vernachlässigung. Für das strategische Ziel, den Produktionsstandort aufzuheben und dafür den europäischen Schwerpunkt für Forschung und Entwicklung zu errichten, fehlten noch ein Bild und eine operative Vorgehensweise.
Ein im nachhinein glücklich zu nennendes Zusammentreffen mit Vittorio Magnago Lampugnani, dem Architekten, Historiker und Publizisten, der mittlerweile die wichtige Professur für Städtebaugeschichte an der ETH Zürich bekleidet, erbrachte die Idee des Campus, einer lebendigen Wissenschaftsstadt in der großen Stadt. An den Planungen sind weiters die Fachleute Peter Walker (Grünraum), Harald Szeemann (Kunst), Andreas Schulz (Licht) sowie Alan Fletcher (Graphic Design) beteiligt. Eine eindeutige Grenzziehung blieb aus betrieblichen wie rechtlichen Gründen unvermeidlich. Damit wird jedoch eine exakte Definition des Territoriums erreicht, denn es geht auch um Identität. Eine Identität, die nicht mit spektakulären Superzeichen - wir sind hier im calvinistischen Basel -, sondern mit strukturbildenden Maßnahmen angestrebt wird. Lampugnani, der Römer mit Standbeinen in Mailand und Zürich, glaubt nicht an das Retortenprodukt der geschlossenen Mall, sondern an einige - wenige - Regeln für die Bebauung, legt ei-ne Anzahl öffentlich-räumlicher Strukturelemente für das bauliche Gefüge fest sowie einige wichtige Zonen, wo innen und außen in Beziehung stehen.
Eine Transformation, die am soziokulturell und wirtschaftlich lebendigen Betriebskörper erfolgt, kann eben nicht mit einer Tabula rasa beginnen, auf die die radikale Moderne bis heute fixiert ist, sondern erfordert ein schrittweises Vorgehen nach einem Masterplan, der Vorhandenes ernst nimmt. - Die Ansprüche der künftigen Beschäftigten, internationalen Spitzenkräften mit großer Teamkompetenz, sind nicht gering. Zwar bietet Basel eine hohe Lebensqualität, das genügt aber nicht. Relativ rasch müssen daher sichtbare Maßnahmen gesetzt werden, die beispielsweise von einer dezidierten Begrünung begleitet sind.
Die allgemeinen städtebaulichen Regeln des Masterplans sind einfach: Als erstes wird im größten Teil des Areals eine Traufkante von 22 Metern vorgegeben. Die orthogonale Struktur der Produktionsgebäude wird beibehalten, die Straßen werden jedoch neu charakterisiert und zu (betriebsintern) öffentlichen Räumen gemacht.
Eine alleeartige Hauptachse - heute noch „Fabrikstraße“ genannt - zieht sich in ausreichender Breite durch das Areal und soll an ihrer westexponierten Seite einen Portikus erhalten, an dem vom Café über Geschäfte des täglichen Bedarfs bis zum Fitnesszentrum städtische Nutzungen situiert werden.
Auf den in einen Park vorgezogenen Eingangsbereich mit zwei flankierenden Pavillons folgen, tangential an der großen Achse liegend, ein „Forum“ genannter Platz, wo sich der Sitz der zentralen Verwaltung befindet - ein Gebäude aus den dreißiger Jahren -, der gefaßt wird vom geplanten Baukörper für Novartis Pharma, zugleich markanter Eckbau zum davor liegenden Park.
Nach dem Hauptsitz folgt ein großer „grüner“ Platz, dann schneidet die Hüningerstraße diagonal durch den Campus, eine „Störung“, die belebend aufgefaßt wird. Parallel zur Hauptachse durchzieht ein langer, parkartiger Grünraum für kurze Spaziergänge das Areal, und im übrigen Gefüge sind zwei größere Grünflächen ausgespart.
Den Anschluß zur Stadt wird ein Cluster aus bestehenden und neu zu errichtenden Hochhäusern bilden, während die Kante zum Rheinufer, im Masterplan als quasi römisches Castrum dargestellt, sich im Zuge von Gesamtüberlegungen der Basler Stadtplanung noch verändern wird, denn natürlich gilt es auch mit dieser Einvernehmen zu schaffen.
Die architektonische Konkretisierung des angestrebten Stadt- bildes soll über kleine Wettbewerbe unter drei bis fünf aus-gewählten Fachleuten erfolgen. Dabei wird nicht nach dem zeichenhaften Einzelbauwerk gesucht, sondern nach dem beachtlichen Bau, der im Verein mit bestehenden und zukünftigen Bauten stadtbildend wirkt. Maßhalten heißt die Devise, die hinter diesem Konzept steht, eine klassische bürgerliche Tugend, wie sie seit Jahrhunderten stadterhaltend zu wirken vermochte, wenn nicht Eigennutz, überbordende Spekulation oder Krieg die kontinuierliche Entwicklung unterbrachen.
Radikalen Kritikern wird dies zuwenig sein, sie werden mehr zeitgeistige „Experimente“ einfordern. Insofern liegt das Konzept neben den sogenannten Trends. Aus heutiger Sicht ist es daher ein in seiner Verhaltenheit durch- aus kühnes Unterfangen, weil es eine moralische Haltung im Städtebau einfordert.
Natürlich kann man einwenden, daß das alles einfach ist, wenn der Boden und die Initiative in einer Hand liegen. Doch es hätte auch anders kommen können. Jedenfalls ist sowohl der Bauherrschaft als auch den Planern die nötige Ausdauer und ein qualitativer Erfolg zu wünschen, damit das Beispiel Schule macht. [*]
Das individuelle Möbel mit einer Lebensdauer über mehrere Generationen sei tot, behaupten periodisch die radikalen Modernisten. Die „Designinitiative Werkraum Bregenzerwald“, geleitet von Roland Gnaiger und Adolph Stiller, tritt zum Beweis des Gegenteils an.
Ein Weinviertler Tischler, der Latein gelernt und Architektur studiert hat, sowie ein Abkömmling wälderischer Bergbauern, der ebenfalls Architektur studierte und mittlerweile selber lehrt, setzen sich unter dem Label „Designinitiative Werkraum Bregenzerwald“ mit qualifizierten Handwerksfirmen zusammen, um nicht bloß Prototypen zu entwerfen, sondern alltagstaugliche Möbel zur (Klein-)Serienreife zu entwickeln. Das Gebiet zwischen Rheintal, Allgäu, Kleinem und Großem Walsertal erweist sich dabei als eine eigene Welt. Wen wundert es, wenn er beispielsweise hört, wie die bäuerlichen Vorfahren bekannter Vorarlberger Architekten unserer Tage vor hundert Jahren ihren Bergkäse selber nach Mailand auf den Markt führten und dort verkauften, daß heute nicht wenige Firmen der holzverarbeitenden Industrie ihre Produkte erfolgreich in den Nachbarländern vertreiben. Eine weitere Vorarlberger Erfolgsstory? Ja, was sonst.
Die Wohnvorstellungen haben sich gewandelt. Nicht geringen Anteil und Verdienst - im doppelten Sinn - haben daran die Anbieter kostengünstiger Möbel. Soll sein. Aber wer beim Montieren die schütteren Spanplatten und die ausgemagerten Verbindungen sieht, wird sich fragen, ob diese wohl ein Auseinandernehmen und einen weiteren Zusammenbau aushalten. Nun, dafür sind sie auch nicht gedacht. Und wer will sich aufregen, solange das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.
Da West- und Mitteleuropa sich bereits seit zwei Generationen an Frieden und Stabilität erfreuen dürfen, gewinnt die Tradition - mittlerweile die der Moderne - an Wert. Moderne Klassiker von Alvar Aalto, Mies van der Rohe, Le Corbusier & Charlotte Periand, Marcel Breuer und Josef Frank finden verbreitete Wertschätzung. Zur Aristokratie der Moderne zählen natürlich nur jene, die solches nicht am Flohmarkt ergattert oder teuer beim Lizenznehmer gekauft haben, sondern die edlen Stücke schlicht erben konnten, weil man sie immer schon in der Familie im Gebrauch hatte. Vorausgesetzt, die Enkel haben auch das Kulturverständnis der Großeltern mitbekommen, andernfalls die schönen Stücke womöglich kaputt geritten oder dem Flohmarkt anvertraut wurden.
Schwieriger ist es jedoch, heute jene Möbel zu erwerben, die in zwei Generationen noch oder wieder als qualitativ besonders und designgeschichtlich anerkannt gelten. Denn, seien wir ehrlich, der Besitz eines solchen Stücks oder einer Gruppe bereitet selten mehr Freude, als wenn der auf Besuch weilenden Konkurrenz der Neid nur so aus den Augen spritzt. Ein ererbtes Originalmöbel ist ein Atout, gegen den neue Profiküche und Sprudelbad abdanken. Allerdings, wie beim Aktienkauf muß man sich trauen, ein Risiko einzugehen. Dazu bieten jene Designinitiativen, die periodisch Fachleute des Entwurfs mit jenen des Handwerks (und mit neuesten technischen Möglichkeiten) zusammenbringen, eine gute Chance: kleine Stückzahlen, sorgfältige Herstellung, jüngere Designer aus dem Spitzenfeld, deren Chancen, in die Geschichte einzugehen, intakt sind. Außerdem sind die meisten Entwürfe wirklich praktisch. Wenn sich daher dereinst erweisen sollte, daß das wankelmütige Schicksal den guten Stücken nicht in erhofftem Maß historische Bedeutsamkeit zukommen ließ, dann waren sie inzwischen wenigstens nützlich.
Die jüngste Ausstellung dieser Art in der Galerie im Ringturm, die sich die Wiener Städtische Allgemeine Versicherung seit vier Jahren leistet, zeigt Möbel und Gebrauchsgegenstände der Designinitiative Werkraum Bregenzerwald. Adolph Stiller und Roland Gnaiger haben als Kuratoren über Monate die Entwicklung der Produkte betreut, sodaß der prototypische Charakter, der solchen Stücken nicht selten anhaftet, überwunden ist.
Wenn nun eine subjektive Auswahl getroffen wird, um einen Einblick in die Ausstellung zu geben, so gilt dies nicht im Sinne eines Börsentips. Es ist allemal besser, den eigenen Kopf in die Ausstellung und die Nase in den Katalog zu stecken sowie mit dem Allerwertesten die Sessel zu testen.
Mit der Installation „bauKasten“ nimmt Roland Gnaiger ein Thema auf, das viele in den sechziger Jahren faszinierte. Damals musterten die Brauereien ihre hölzernen Bierkisten aus und gaben sie billig ab. Obwohl im Format keinesfalls ideal, fanden sie unter Studenten, Designern und Architekten begeisterte Abnehmer, weil sie sich zu Wandregalen und frei stehenden Gebilden türmen ließen. Sie dienten als Hocker und Tischchen, und beim Wohnungswechsel konnte man die Bücher gleich in der Kisten lassen. Aber der Vorrat ging rasch zur Neige. Nicht wenige Architekturstudenten befaßten sich daher mit dem Entwurf einer handlichen Stapelkiste in optimalem Format - und scheiterten selbst bei Serienproduktion an den Kosten. Die Holzwerkstatt Faißt hat nun diesen alten Traum aktuell umgesetzt: so einfach und praktisch wie nötig, wandelbar und unspezifisch oder mit kleinen Fächern, bunt lasiert oder naturbelassen. Auf ein praktisches Format hielt der Gestalter ein waches Auge.
Für Besitzer kleiner Bibliotheken empfiehlt sich jedoch eine dichtere Packung, die mit dem Bücherturm, entworfen von Ferdinand Rüf, gleich in drei gegeneinander verschieblichen Regalschichten angeboten wird. Die Ausführung von Eberle Metall in Chromstahlblech ist elegant und spart bei den Gestelldimensionen, was den Fächern zugute kommt. Für den Griff wählte man allerdings schon Holz, weil es handfeundlicher ist und dem ganzen Möbel eine besondere Note verleiht.
Multifunktionalen Stauraum in Form von Trommeln aus Sperrholz bieten die Teile der von Irmgard Frank entworfenen Dreier-Gruppe. Wenn Bettzeug, Wintersachen, Spielzeug und so weiter weggepackt sind, dienen „small“, „medium“ und „large“ als Hocker oder Tischchen. Die autonome runde Form läßt sich überall dazu gesellen, beansprucht allerdings sofort eine zentrale Position - ob im Kinderzimmer oder im Vorraum. Mit allem kombinierbar, geht sie dennoch keine engere Beziehung ein. Das kühl wirkende Birkenholz in der sorgfältigen Verarbeitung durch die Tischlerei Schmidinger wird im Lauf der Jahre einen wärmeren Ton annehmen, wie überhaupt Holz beim Älterwerden an Charakter gewinnt.
Zwei üblicherweise getrennt auftretende Funktionen kombiniert der Paravent von Hugo Dworzak. Er schirmt und leuchtet. In den zeitgenössischen offenen Grundrissen gewinnt dieses klassische Möbel neue Bedeutung, indem Zonen definiert und Sichtschutz geboten werden. Eine Abgrenzung, die weniger hart ist als eine ins Schloß gedrückte Türe, in deren mildem Schein sich aber gemütlich sitzen und lesen läßt. Die dünnen Fichtenfurniere auf einem Träger aus Acrylglas, von der Firma Franz Mätzler gefertigt, wirken am Tag eher unscheinbar. Abends werden die Flügel des Paravents zu flachen Lampions; das Schnittbild von Frühjahrs- und Sommerholz tritt hervor, den Materialcharakter potenzierend. Die handelsüblichen Leuchtstoffröhren werden in ihrer Lichtfarbe verfremdet. Es entsteht ein Bild von Wärme, ohne daß Feuer brennt.
Filz, das Material, das Jurten und Köpfe deckt und in Form von Patschen im Winter allerlei Füße wärmt, ist als Bezugsstoff für Polsterelemente ungewohnt. Aber genau dieses Ungewohnte und dennoch Ansprechende fasziniert an den von Johannes Mohr für die Firma Mohr Polster entworfenen quaderförmigen Filzkörpern, die zum Hinsetzen, Anlehnen und Liegen einladen. Sonderbar körperhaft ist der Filz mit seinen Stärken im Mehrmillimeterbereich selber schon. Zusammengenäht mit großen Stichen, bilden die Teilstücke an den Kanten eine betonte Naht - sie machen aus dieser im Sinne Gottfried Sempers „eine Tugend“ - und geben dem weichen Quader eine klare Form.
Äußerst elegant spannt sich eine Hängematte zwischen den Enden zweier schichtverleimter, in freier Form gebogener Kufen nach dem Entwurf von Georg Bechter. Nicht bloß faul in der Matte liegen - noch dazu Schaukeln kann man darin. Ein minimalistischer Materialaufwand reduziert seinerseits die raumverdrängende Präsenz des schönen Möbels. Allerdings, über eine Loft oder großzügige Terrasse sollte man schon verfügen, um träumend darin zu wippen.
Einen alten Bekannten, den von Hubert Schuller entworfenen Sessel, der 1994 aus einem Wettbewerb für die Holzausstellung in der Steiermark hervorging, trifft man ebenfalls in der Ausstellung. Der Vergessenheit entrissen, formal präzisiert und von der Firma Anton Mohr perfekt und vergleichsweise kostengünstig hergestellt, sieht er zuversichtlich einer zweiten Chance entgegen, viele neue Besitzer zu finden.
Die beiden Haupthürden, der Vertrieb und der Preis, werden bei allen gezeigten Möbeln über Sein oder Nichtsein wesentlich mitentscheiden. Die gestalterische und handwerkliche Qualität kann sich jedenfalls sehen lassen.
[ Die Schau „Möbel für alle - Designinitiative Werkraum Bregenzerwald“ ist bis 28. Juni im Ausstellungszentrum der Wiener Städtischen Allgemeinen Versicherung (Wien I, Schottenring 30) zu sehen: Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 19.30 Uhr. ]
Ingenieurbauwerke in der machtvollen Topographie der Alpen hat Margherita Spiluttini in Bilder verdichtet. Die komplex in die Tiefe gestaffelten Blickräume sind derzeit in einer Ausstellung im Technischen Museum Wien zu sehen.
Auf ihren unzähligen Fahrten zu den Bauwerken, die zu photographieren Margherita Spiluttini beauftragt wurde, gab es ein Dazwischen: Gebirgsstraßen in Tirol und Vorarlberg - zuweilen auch weiter westlich oder südlich - als rasch zu bewältigende Wege zum Arbeitsziel oder nach Hause ins Photolabor. Aus den vielen geschauten Bildern, die, der Fahrgeschwindigkeit unterworfen, dicht aufeinander folgen, werden einzelne so wichtig, daß sie bald einmal anhält und das geschaute Bild mit der Kamera einfängt. Und so wird der Nebeneffekt zur selbstgestellten, künstlerischen Aufgabe.
Es ist seit Jahrhunderten bekannt: Das Gebirge (für uns die Alpen) ist gewaltig und erhaben. So wie beispielsweise das Meer und die Wüste auch. Sie bieten räumliche Erfahrungen in ungewohnten Dimensionen sowie eine Wahrnehmung von Nähe und Ferne, mit denen verglichen stadträumliches Erleben vielleicht sophisticated sein mag, aber nicht über diese Kraft und diesen Atem verfügt.
In diesem Kontext bleiben Kunstbauten wie Brücken und Tunnels oder Staumauern und Dämme, so groß und aufwendig sie auch sein mögen - und so bewundernswert die Ingenieurleistung -, schlicht Beiwerk. Weil aber dieses Beiwerk ingenieurmäßig zielgerichtet angelegt und nach technischem Aufwand und Kosten auf einen festgelegten Zweck hin optimiert wurde, erschließt sich uns seine unmittelbare Sinnhaftigkeit, und es entsteht jene einzigartige Spannung von kühnem, letztendlich begrenztem Menschenwerk und absoluter Naturgewalt.
Diese Spannung wird von Margherita Spiluttini emotionslos wahrgenommen und mit der Großformat-Kamera erfaßt und festgehalten. Und obwohl jeder Standpunkt mit dem Automobil erreichbar war, steckt in je-dem Bild die gespeicherte Energie dieses unauflösbaren Gegensatzes.
Die Arbeit mit der Großformat-Kamera ist eine andere als jene mit dem Kleinbildgerät. Den Kopf unter dem schwarzen Tuch, wird man viel stärker Teil des Verfahrens, ist mit sich und dem gestürzten Bild auf der Mattscheibe allein. Es werden daher zuerst einmal projektierte, das heißt vorausgeschaute und dann sorgsam erarbeitete Bilder geschaffen. Was in der „Frontscheibe des Autos, eine Art Bildschirm in einer bewegten Behausung“ (Spiluttini), begann, wird im Kopfraum unter dem schwarzen Tuch zum bleibenden Werk. Obwohl sie von graphischer Bildkomposition und von Ornament spricht, was als abstrakte Komponente zur Suggestivkraft der Bildwirkung beiträgt, sind es zugleich auch unterschiedliche Räume, die von ihrer Bildwahl erfaßt werden.
Vor allem in ihren Steinbruchbildern, aber auch bei Aufnahmen von Alpenpaß-Straßen, ist es der Tiefblick in einen landschaftlichen Großraum, der als Typus breit vertreten ist. Sie pflegt damit die Tradition des berühmten Gemäldes „Kreidefelsen auf Rügen“ (1818) von Caspar David Friedrich.
Der Horizont liegt bei zwei Dritteln der Formathöhe, der Vordergrund umfaßt den Bildraum des scheinbar hochgeklappten Mittelgrundes, in den der Betrachter richtig hineingezogen wird, während der Horizont noch weiter in die Ferne rückt.
Das Weitwinkelobjektiv erfaßt mit Detail- und Tiefenschärfe wesentlich mehr, als das gewohnte Blickfeld des menschlichen Sehorgans einzugrenzen vermag, weshalb die Augen der Betrachtenden entweder im
Bild herumzuwandern gezwungen sind oder zu einem unbestimmten Schauen hinübergleiten wie im absichtslosen Zustand des Meditierens. Diese Bilder können kaum „zu Ende“ geschaut werden, man kann
sich immer aufs neue in sie versenken.
Sehr oft sind es Elemente des Bildinhalts, wie Straßenbänder, Wegführungen oder Fahrspuren, die in ihrer eindeutigen Lesbarkeit Tiefenwirkung und Räumlichkeit erzeugen, wo die kleinteilige Detailgenauigkeit zu jenem flächig ornamentalen Charakter tendiert, den die Photographin in ihren Erläuterungen anspricht. Auch aus diesen Gegensätzen nährt sich die im Bildfeld aufgebaute und verdichtete Spannung. Daß nur das Original in großformatiger Reproduktion diese Schärfe und Bildqualität aufweist, sei angemerkt.
Eine andere Gruppe Photographien vergegenwärtigt Zeiträume. Die Eingriffe in die Erdoberfläche liegen Jahre oder Jahrzehnte zurück. Pflanzenbewuchs und Verwitterungsspuren, Zeichen von Alterung im ursprünglich glatten Beton evozieren einen zeitlichen Raum, der von den bekannt ungleichen Geschwindigkeiten des Wachstums von Pflanzen, der Jahreszeiten oder der Erosion von Gesteinsschichten und Betonoberflächen aufgespannt wird.
Vergehen und Entstehen halten sich die Waage. Keineswegs wird romantische Trauer eingefordert. Die Momentaufnahme zeigt Sachverhalte, die wir als Betrachtende unschwer zu interpretieren vermögen. Unendlich angenehm, verstecken sich hinter den Bildern keine moralisierenden Vorwürfe. Es ist so, wie es ist.
Während nicht wenige der ausgewählten Photographien, bei herbstlich nebliger Witterung aufgenommen, spezifisch unbunt sind und vom Farbspektrum nur ein kleines Segment in Anspruch nehmen, heben bei anderen Schatten und Lichter die flache Raumschicht eines Reliefs hervor und überwinden auf diese Weise die Zweidimensionalität der Bildebene.
Für die von Elisabeth Limbeck-Lilienau kuratierte Ausstellung auf der ersten Galerie im Westflügel des Technischen Museums Wien hat die Architektin Elsa Prochazka ein Präsentationssystem entworfen, das den rahmenlos gehängten Photographien eigene Räume und Raumzonen schafft.
Boxen aus Stahlrahmen, an zwei Längsseiten bekleidet mit mittelgrauen Eternittafeln, erzeugen räumliche Verdichtungen für kleinere Ausarbeitungen, während große Bilder von den Außenflächen gleichsam gerahmt werden. Im neutralisierenden Feld dieser autonomen Körper kommen die von Margherita Spiluttini mit ihren Augen und Händen geschaffenen verschlingenden Bildräume bestens zur Geltung, und sie erweist sich damit als Meisterin im Herbeizaubern dreidimensionaler Wirkung aus der ebenen Fläche.
Die Ausstellung „Margherita Spiluttini: Nach der Natur - Konstruktionen der Landschaft“ ist bis 22. September im Technischen Museum Wien (Wien XIV, Mariahilfer Straße 212, Telephon 89998-6000) zu sehen (Montag bis Samstag 9 bis 18 Uhr, Donnerstag 9 bis 20 Uhr, Sonntag, Feiertag 10 bis 18 Uhr).
Wohnbau, insbesondere jener mit dem Vorsatz „sozialer“, dient elementaren Bedürfnissen. Am Laaer Berg in Wien hat Günter Lautner diese Ansprüche mit Sorgfalt und Augenmaß eingelöst.
Weder lassen sich Grundfragen der Architektur ein für alle Mal beantworten, noch ist die Antwort jedes Mal komplett neu zu erfinden. Vielmehr muß ein Architekt in seiner Zeit um richtige Antworten ringen, denn das Diktat verinnerlichter Mode und die Kostenschere lassen oft wenig Spielraum. Besonders schmal wird diese Bandbreite beim mengenmäßig vorherrschenden Wohnungsbau für jene, deren Einkommen knapp und deren Freiheiten massenmedial definiert werden. Dieser Bevölkerungsgruppe ist weder mit formalistischen Experimenten noch mit geschmäcklerischen Behübschungen gedient. Was diese Menschen brauchen, sind vernünftige Grundrisse und ein sinnvolles Dienstleistungsangebot im Wohnumfeld.
Auf dem Laaer Berg ist der Wind Dauergast, und die Fahrzeugströme in beiden Richtungen der gleichnamigen Straße reißen selten ab. Aus einem städtebaulichen Wettbewerb resultierte 1996 das generelle Konzept von Architekt Ernst Hofmann, das im oberen Teil, entlang der Laaer-Berg-Straße, von Architekt Günter Lautner und seinem Mitarbeiter Nicolaj Kirisits umgesetzt und präzisiert wurde. Errichtet wurde die Wohnanlage in der Verantwortung der MA 17, „Wiener Wohnen“.
Die städtebauliche Figur entlang der Laaer-Berg-Straße, deren leichte Kurve von der Abfolge radial gesetzter Wohntrakte paraphrasiert wird, erreicht vorstädtische Qualität und erinnerbare Zeichenhaftigkeit. Die sieben Stirnseiten erzeugen eine aufgelockerte Straßenflucht, die in der Perspektive zusammenrückt. Die Gebäudehöhen wirken im Verhältnis zur Breite der vierspurigen Straße weder zu hoch noch zu niedrig. Zwei Geschoße mehr, wie ursprünglich vorgesehen, würden die Maßstäblichkeit kippen lassen, und der Rest an Ortbarkeit verlöre sich in der Vielzahl.
Straßen- wie hangseitig kragen die scheibenartigen Baukörper zwei Geschoße hoch aus, gestützt von jeweils zwei kräftigen Rundstützen aus Stahlbeton. Die nicht unpathetisch wirkende Maßnahme definiert zwei Fußgängerwege. Entlang der Straße fassen die hohen Vorhallen einen zurückversetzten Gehsteig, an dem die Hauseingänge liegen sowie - in kleinen Baukörpern zwischen den Wohntrakten - mehrere Dienstleistungsnutzungen. Rückseitig handelt es sich eher um einen Weg, auf dem Kinder ungefährdet ihren Bewegungsdrang auf Rädern und Rollen ausleben können.
Die beiden ungleichen und doch ähnlichen Bewegungsachsen sind architektonisch mit den Wohntrakten verschränkt und bilden mit diesen eine Leiterstruktur. Wegen des Straßenlärms sind die stirnseitigen Fenster im Westen klein gehalten, und zwischen die Gebäude wurden viergeschoßige Glaswände gespannt. Angenehmerweise bremsen sie auch den Wind, was Kinder und Eltern in den Höfen dahinter wahrscheinlich zu schätzen wissen. Ein Streifenmuster hilft, daß Vögel die Glaswand nicht übersehen.
So vervollständigen wenige Elemente mit durchaus funktionalem Hintergrund die städtebauliche Figur der sieben Wohn- häuser, deren Gleichmaß dank der radialen Fächerung und der nach dem Konzept von Michaela Pammer zart differenzierenden Farbgebung in Pastelltönen relativiert wird. Die Kraft, die aus der Wiederholung des Elements geschöpft werden kann, wird genützt, um identitätsbildend zu wirken - aber so weit gezügelt, daß dem Individuum ausreichend Ansätze geboten werden, seinen Platz zu finden.
Von der gedeckten Vorhalle gelangt man jeweils ins Stiegenhaus und zum Lift. Der gerade Treppenlauf macht diesen Bereich großzügiger, denn hier führt der Weg durch zum kurzen Laubengang, an dem vier Wohnungstüren liegen. Die einzelnen Einheiten sind nicht sehr groß, dafür grundrißlich klug organisiert, sodaß auf einem Geschoß keine zwei Wohnungen gleich sind. Die Differenzierung und die Überschaubarkeit sichern den hohen Gebrauchswert. Denn es ist nicht egal, ob man durch einen engen, finsteren Stiegenschluf zur Wohnung vordringen muß oder ob genug Licht und Raum zur Verfügung stehen, daß eine Begegnung nicht zum peinlichen Anein-andervorbeidrängen verkommt.
Es ist eine altbekannte Tatsache - und darauf basieren etwa auch die Notenlinien -, daß bei fünf gleichen Elementen eine Unterscheidung noch ohne zu zählen möglich ist. Das mag der Grund sein, warum die Gebäudetrakte mit den jeweils fünf Wohngeschoßen so übersichtlich wirken, was auch wieder bedeutet, daß man sich von außen an ihnen zurechtfindet. Dies gilt selbst für die glatten Nordfassaden, wo das große Profilglasfeld vor den Laubengängen von zufällig verteilten Lüftungs- und Ausblicksfenstern durchbrochen wird.
Wesentlich stärker wurde das Spiel mit dem Zufall an den südorientierten Fassaden betrieben. Vor die Wohnräume sind hier kleine Loggien gehängt, die als vertikale Laubenkolonie das Außenwohnen in minimaler und doch tauglicher Größe möglich machen. Seitenwände aus Rohglas schirmen Wind und Blicke ab, Breite und Tiefe erlauben es, gemütlich zu viert an einem Tisch zu sitzen. Die zum gedrungenen Rechteck geschnittene Fläche bringt wesentlich mehr als die meist zu seichten Balkone, die sich oft nutzlos über die gesamte Fassade ziehen, zur Abstellfläche verkommen und wo man Wind und Blicken ausgesetzt ist.
Eine vom Zufall bestimmte Verteilung erzeugt an jeder Südfront ein anderes Bild. Nicht daß der Aufenthalt in der einzelnen Loggia dadurch ein anderer würde, aber das Bild nach außen zeugt von unangestrengter Individualität in der Vielzahl gleicher Formen.
Die Loggien sind auf dünnen, nach vorn sich noch verjüngenden Stahlbetonplatten aufgebaut und wirken luftig wie Schwalbennester. Sogar das schirmende Welleternit ist nicht bloß billig, sondern erinnert an selbstgebaute Hütten und Häuschen in Laubenkolonien. Diese Lockerheit verleiht den Fassaden eine sympathische Anmutung. Die Loggien bieten Freiraum im doppelten Sinn und werten die Wohnungen auf. Dennoch soll das Wohnen in einer durchaus dichten, aber differenzierten Anlage wie der beschriebenen dem Wohnen im Reihenhaus - oder im Hochhaus - für jene, die das für sich wünschen, nicht entgegengestellt werden. Aber die Menschen müssen wählen dürfen. Und dafür bilden Günter Lautners Feinkonzept und Architektur ein überzeugendes Angebot.
Exakt am Hang situiert, bietet das Apartmenthaus seinen Gästen eine Aussicht über das Tal bis nach Lech am Arlberg. 14 Apartments in zwei verschiedenen Größen stehen zur Auswahl. Die Grundrisse erstrecken sich über die gesamte Gebäudetiefe, jeder Einheit ist eine kleine Terrasse vorgelagert. Die Gäste sind autonom, da die gesamte Infrastruktur wie Rezeption im nahegelegenen Gasthof untergebracht ist. Das Haus ist in Massiv-Holzbauweise errichtet - eine Mischkonstruktion aus Holzständern und eingezogenen Betondecken. Außen wurden geölte Lärchenholzbretter für die Fassade verwendet, innen kommt Holz bei Decken und Böden zum Einsatz. Das Gebäude erfüllt die Kriterien eines Niedrigenergiehauses und wurde mit dem österreichischen Staatspreis für »Tourismus und Architektur« 2000 ausgezeichnet.
Am südöstlichen Siedlungsrand des Wintersportortes Warth sitzt das längliche Gebäude exakt an der Hangkante, so dass die Aussicht aus den Apartments und von den breiten Balkonen nicht nur zu den gegenüberliegenden Berggipfeln und nach Lech am Arlberg, sondern auch ins Tal hinunter und hinauf reicht. Eine beneidenswerte Position für das Frühstück vor dem Pistenvergnügen. Den gerade geschnittenen Baukörper bedeckt eine Horizontalschalung aus geölten Lärchenholzbrettern. Nach oben schließt ihn ein flaches Pultdach ab. Während sich vorn die Balkone dreigeschoßig über die gesamte Breite ziehen und sogar über die Hausecken hinausgreifen, wird die Rückseite von den drei kragenartig vorstehenden Wetterschirmen der Eingänge rhythmisiert. Sie blicken auf eine kurze Gasse, die auf der anderen Flanke räumlich von der ins Terrain eingefügten und erdüberdeckten Einstellhalle definiert wird. Diese Verankerung in die Topographie ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal guter alpiner Architektur. Die Proportionen des Gassenraumes auf der Zugangsseite entsprechen jenen dörflicher Verhältnisse, während die Gesamtgestalt auf der Aussichtsseite auf Fernsicht konzipiert ist. Mit minimalen Mitteln gelingt es, einen architektonisch klaren Ausdruck zu schaffen.
Das betriebliche Konzept für die zwölf kleinen und zwei etwas größeren Apartments verzichtet auf den sorgenden Hotelier. Die Karten zum Öffnen der elektronisch gesperrten Türen werden den Mietern per Post zugeschickt, oder sie können sie in einem Herbergsbetrieb im Ort abholen. Im übrigen sind sie autonom. Der Bauherr Mag. Wolfgang Hefel hat möglichst schlanke administrative Strukturen angestrebt. Der Erfolg bestätigt seine unternehmerischen Überlegungen.
Die Konstruktion für das Bauwerk nützt die vielfältigen Eigenschaften von Holz und Holzwerkstoffen und verwendet dazu Beton für schall- und brandhemmende Elemente, die zugleich konstruktiv aussteifend wirken. So bestehen die Stiegenhausschalen und die trennenden Scheiben zwischen den Apartments aus 20cm armiertem Beton, während für Außenwände, Decken und Böden Holz zum Einsatz kam. Wiederum zur Verminderung der Schalldurchlässigkeit wurde eine Holzverbunddecke gewählt, denn bei einem Vorgängerbau, dem Doppelwohnhaus in Schwarzach/Vorarlberg, machte der Architekt die Erfahrung, dass die Schalldämmwerte bloß mit Betonpflastersteinen auf einer Gummiauflage über der Brettstapeldecke nicht ganz erreicht wurden. Im Sinne einer intelligenten Kombination der Materialien wurde daher eine Verbundkonstruktion gewählt, bei der der gewichtige, schalldämmende Ortbeton auch statisch wirksam wird. Holz übernimmt den Zug, Beton den Druck. Zuunterst in der Decke befindet sich daher eine 12cm starke Brettstapelplatte, deren Unterseite bereits fertig gehobelt ist. Darauf liegen 10cm armierter Beton, mit dem Holz schubfest verbunden durch spezielle, halb ins Holz eingedrehte Schrauben. Es folgen 3cm Split, 2,5cm Trittschallmatten, auf der 3,5cm starke Heraklith-Platten aufliegen, zwischen denen die Staffeln des Schiffbodens gleichsam schweben. Die Lärchenbretter des Bodens liegen somit auf dem Heraklith auf und Lastabtragung und Schalldämmung sind perfekt.
Es spricht viel Erfahrung und Ingenieurgeist aus dieser Konstruktion, die bis auf den Beton in Trockenbauweise ausgeführt werden konnte. Ebenso wurden die Treppen aus Holz vorgefertigt und als Ganzes von oben in die Stiegenhausschalen eingesenkt. Natürlich galt diese Art der Werkstattvorfertigung auch für die Fassaden, die stückweise, samt den Fenstern mit dem Kran in Position gebracht wurden. Der Aufbau der Fassadenelemente beginnt von innen nach außen wieder mit einer 12cm starken Kantelwand, wie die Brettstapel auch genannt werden. Sie werden von hölzernen, auf Zug belasteten Dübeln zusammen gehalten. Was zuvor mit eingeleimten Gewindestangen aufwändiger erzielt wurde, kann nun mit gepressten und getrockneten Holzdübeln erreicht werden, die im Holz der Kantel aufgehen unddarin über Haftreibung festsitzen. Bisher hielt sich das Arbeiten des Holzes in den vorgesehenen Grenzen. Auch hier ist die Innenseite gehobelt und somit fertig. Nach außen folgen eine 16mm OSB-Platte, 16cm Steinwolledämmung, eine weitere 16mm OSBPlatte, die Konterlattung mit Hinterfüftung und die Außenschalung.
Die Konstruktion verbindet eine positive innere und äußere Anmutung mit hohen Wärmedämm- und Speicherwerten und erlaubt dank Vorfertigung eine kürzere Bauzeit, was in schneesicheren Bergregionen von Bedeutung ist, denn Zeit ist hier viel Geld, wenn die Baustelle über den Winter steht. Die zeitgenössische, sorgfältig proportionierte architektonische Erscheinung, die druchdachte Konstruktionsweise mit Holz und das in die Zukunft weisende, betriebliche Konzept gaben den Ausschlag, dass dem 1999 fertiggestellten Bauwerk im Jahr 2000 der Staatspreis Architektur und Tourismus verliehen wurde. Damit ist die kulturelle Botschaft allerseiten angelangt: Architekten, Bauherren, Herbergsbetreiber und auch Gäste schätzen innovative Holzkonstruktionen und ihr ebenso zeitgemäßes Erscheinungsbild.
Eine zeitgemäße architektonische Ausdrucksweise muß reifen können. Beschleunigung, Medialisierung und die Fetischisierung nackter Neuigkeit stehen dem entgegen. Über die unselige Rolle, welche die Kritik dabei bisweilen spielt: eine Betrachtung.
Wesentliche Themen der Architektur des 20. Jahrhunderts wurden von Le Corbusier bei seinem Entwurf für ein Mehrfamilienhaus in Genf angeschlagen, von dessen Stiegenhaus unser Bild einen Blick wiedergibt. Die „Maison Clarté“ (1932) ist ein Stahlbau mit ausgiebiger Verwendung von Glas. Ein Blick auf die Details und die diesbezüglichen Zeichnungen zeigt, wieviel seither an technischen und konzeptionellen Verbesserungen erfolgt ist. Die Bauteilindustrie hat ausgeklügelte Systeme für Metallfenster entwickelt; gravieren-de Konstruktionsfehler wurden nach Bauschäden ausgemerzt; heute können für viele Bauteile wirtschaftliche Stückzahlen produziert werden; die spezifische Erfahrung der Handwerker hat sich überhaupt erst herausgebildet; und die mittlerweile gestiegenen Ansprüche an Dämmwerte und bauphysikalische Wirkungsweisen wurden technisch und formal bewältigt.
Doch die Hauptthemen der Architektur haben sich in diesem Zeitraum nur unwesentlich verändert. Immer noch gelten „Licht, Luft, Öffnung“ sowie Leichtigkeit und Transparenz, aber auch Standardisierung und Industrialisierung als Maximen der Moderne. Farbigkeit und Materialwirkung spielen wechselnde Nebenrollen.
Das Beispiel zeigt, daß die Entfaltung einer architektonischen Ausdrucksweise im Einklang mit der Entwicklung der Technologie über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten erfolgt. Daß überdies Zwischenspiele und Aufspaltungen verlangsamend wirken und einen komplexen, uneinheitlichen Pro- zeß charakterisieren, der in der Rückschau gern als geradlinig gezeichnet wird. In diesem Ablauf sehen sich Architekturkritik und ihre Exponenten gern als Förderer oder gar Weichensteller, indem immer wieder „epochale“ Ereignisse postuliert werden, die sich in der Regel hinterher als oberflächliche Moden oder formalistische Gags erweisen. Ein nicht geringer Teil der Fachwelt orientiert sich jedoch daran, verspricht sich davon individuellen Erfolg und kopiert mehr oder weniger begabt. Weil als Anschauungsmaterial nicht Bauwerke, sondern - meist geschönte - Abbildungen dienen und weil es eher die weniger begabten Architekten sind, die das Abkupfern betreiben, bleiben viele Bauten architektonisch auf halbem Weg stecken. So werden Städte und Dörfer angefüllt mit Halbheiten. Dieser verbreiteten Unselbständigkeit entspricht ei- ne Orientierungslosigkeit bei konkreten Aufgaben: Modische Muster werden übernommen und unreflektiert einem gänzlich anderen Kontext aufgesetzt.
Die Architekturpublizistik rea- giert mit pawlowschem Reflex auf die modischen Details, lobt das Produkt und verzichtet auf inhaltliche Auseinandersetzung und Eindringtiefe. Gebetsmühlenartig werden die immer gleichen, leeren Schlagworte hingeworfen, mit platten Metaphern wird vermieden, Sachverhalten auf den Grund zu gehen. Den Architekten genügt die Tatsache, daß ihre Bauten publiziert werden.
Solange keine negativen Wertungen abgegeben werden, ist es ihnen egal, was an Text dazugegeben wird. Für eine Diskussion von Für und Wider sind die Ausführungen sowieso zu kurz. Und so beißt sich die Katze in den Schwanz.
Architektonische Experimente werden immer wieder gern als Blickfänge eingesetzt, Fragen der Realisierbarkeit werden ausgeklammert, da zweidimensionale Bilder zum Publizieren ausreichen. Der anspruchsvolle Entwicklungsprozeß, wie er von Fachplanern und Bauindustrie zusammen mit dem Architekten noch geleistet werden müßte, bis ein neuer Ansatz ausgereift ist, stellt an diesen einiges an fachlichen Ansprüchen und erfordert Kooperations- und Gesprächsfähigkeit. Werden diese Aspekte vernachlässigt, reduzieren sich die Architekten zu Architekturmalern - nur halt mit den zeitgenössischen Mitteln computergestützter Darstellung. Die Kritiker mutieren zu Interpreten mehr oder weniger geglückter Bilder von postulierten Experimenten.
In solchen Phasen übertriebenen Starkults und der Verherrlichung unausgereifter Konzepte werden Rückgriffe auf einfache Lösungen dankbar angenommen. Man denke nur an die epidemische Ausbreitung der populistischen Strömung der Postmoderne und ihre dankbare Annahme seitens schlechter Architekten mit ihren plumpen Grapschereien nach vermeintlich historischen „klassischen“ Formen und deren schwerfällige Umsetzung. Daß eine fundierte Kritik an den Fehlern der Moderne deren weitere Entwicklung und Verbreitung provozierte und ihr zu neuerlicher Konjunktur verhalf, sei nur nebenbei angemerkt.
Der Ball läge also bei den Architekten, die den formalen Experimenten das nötige Unterfutter aus technischer und ökonomischer Realisierbarkeit mitliefern sollten, damit Vertrauen in die neuen Formen entstehen und sich verfestigen kann.
Das hieße verlangsamen, hieße auch, Erfahrungen bei den Handwerkern wachsen zu lassen, die mit neuen Techniken umgehen und Produktionsprozesse optimieren können müssen, um wirtschaftlich gesund zu bleiben. Die permanente Flucht nach vorn in die Innovation um der Innovation willen läßt diesen wichtigen Faktor unberücksichtigt und vernichtet die Erfahrung. Vor lauter Umschulen gehen die Inhalte verloren. Es gilt zu akzeptieren, daß die Architektur eine langsame Kunst ist, deren Rhythmus noch von anderen Faktoren mitbestimmt wird als bloß vom Kitzel schnell hingeworfener Avantgardismen. Das Scheitern der Avantgarden der zwanziger Jahre an den Produktionsverhältnissen und das Erreichen vieler ihrer Ziele und Visionen zwei Generationen später sollte in dieser Erkenntnis bestärken.
Die Fetischisierung des Vorrangs der skizzierten Idee vor ihrer konsequenten Durcharbeitung ist eine der Hauptsünden, die sich die Kritik vorwerfen lassen muß. Ihre Aufgabe kann weder die des Vordenkens sein - das muß sie schon den Architekten selber überlassen -, noch sollte sie sich in der Rolle der paternalistischen Fördererin des Nachwuchses gefallen - zu sehr geförderter Nachwuchs entbehrt nicht selten des Rückgrats. Vielmehr lautet die Aufgabe der Kritik, einerseits eine sachliche Auseinandersetzung in der Fach- welt zu führen und anderer-seits die gewonnene Erkenntnis einem architekturinteressierten Publikum zu vermitteln.
Hier gilt es noch einem Manko abzuhelfen: Jede Generation von Architekten muß sich eine eigene Haltung und eine dazu passende Sprache erarbeiten. Eine eigene Stimme und die Fähigkeit zur kritischen Diskussion können aber nur der jeweiligen Generation, die über den gleichen Erfahrungshintergrund ver- fügt, erwachsen. Meist muß der Anspruch auch gegen die Exponenten der vorangegangenen Ge- neration durchgesetzt werden.
Dieser Vorgang scheint unabdingbar zur Schärfung des eigenen Profils. Denn nicht den Alten mit ihren Werken müssen sie gefällig sein, geht es doch darum, sich als Generation von Architekten und Kritikern neu zu positionieren.
Die Frage ist längst nicht mehr „Ja oder nein?“, es geht inzwischen ums Wo und ums Wie: Hochhäuser in Wien. Ein Konzept mit vagen Vorgaben existiert zwar, zwingende stadträumliche Ideen, die dem Investitionsdruck standhielten, stehen indessen noch aus.
Große Städte, noch dazu, wenn sie viele hundert Jahre alt sind, verfügen über eine spezifische Anziehungskraft, die in den Köpfen weiter Bevölkerungskreise ansetzt. In ihren auf eine, zwei Silben verschliffenen Namen klingt mehr mit als die bloße Bezeichnung. Es sind die zahllosen Chancen, die eine Stadt bietet, sich hochzuarbeiten, sein Glück zu machen. Abstürze werden selbstverständlich verdrängt. Wer an sich glaubt, ist überzeugt, es irgendwie zu schaffen.
Dieses Potential - jene in den Vorstädten, die es irgendwie schaffen wollen, sowie jene, die von der Stadt träumen, um dem begrenzten Raum ihrer Dörfer und abgelegenen Kleinstädte zu entkommen - erzeugt einen mentalen Umschlingungsdruck. Der Drang, sich in Metropolen niederzulassen, ist keine Modeerscheinung, sondern wirkt permanent. Selbst wenn materielle Grenzen - ob aus Stein und Stahl, mit Kontrolltoren und -posten, oder wirtschaftlicher Natur, etwa hohe Lebenshaltungskosten und Repräsentationsausgaben - ein Vordringen in die „Stadt“ erschweren, bleiben die kulturellen Gravitationskräfte bestehen. Sie verstärken sich sogar, weil das Drinnen oder Draußen so eindeutig ist.
Materieller Ausdruck dieser zentripetalen Kräfte ist das Ansteigen der Geschoßzahl, wie dies etwa im Wien des 18. und 19. Jahrhunderts der Fall war. In Manhattan ist es die Insellage, die zur Höhenentwicklung der untypischsten amerikanischen Stadt geführt hat. Die wachsenden technischen Möglichkeiten erlaubten alsbald Gebäudeproportionen, die den materiellen Zwang zur Verdichtung überstiegen und ins Symbolhafte vordrangen. Seither gibt es zwei Argumentationsachsen für den Bau von Hochhäusern: jene des Drucks der Massen und der Ökonomie sowie die des repräsentativen Ausdrucks.
Das Bild von Manhattan stand über ein halbes Jahrhundert für Prosperität und Zukunft. Bereits in den fünfziger Jahren wurde dieses Bild in kleinerem Maßstab europaweit kopiert, auch dort, wo der politische den ökonomischen Druck überstieg. Ja selbst in ländlichen Kleinstädten. Mangels Bürobedarf bestanden die hohen Häuser aus gestapelten Familienwohnungen oder Zimmern für das Personal von Krankenhäusern. Zur bildhaften Bedürfnisbefriedigung genügte denn auch ein einziges höheres Haus, das bei 16 Geschoßen und wenig wirtschaftlicher Schlankheit sogar hoch wirkte. Daß der ökonomische Druck fehlte, beweist die Tatsache, daß sie nahezu alle einsam blieben.
Doch zurück nach Wien. Solange die Stadt im geographischen Sack des Eisernen Vorhangs gefangen blieb, beschränkte sich die kleine Hochhauskonjunktur auf ein paar symbolische Stüpfel, wobei der „Ringturm“ am Franz-Josefs-Kai städtebaulich richtig zu stehen kam. Aber welchen urbanistischen Rang erreichte das Haus am Matzleinsdorfer Platz? Als nach 1989 die Grenzen durchlässiger wurden, begann auch Wien wieder zu wachsen.
Der Versuch, mit dem „Trainingsprogramm“ einer Expo die Fitneß der Stadt hinsichtlich ihrer Stellung als Donaumetropole anzuheben, scheiterte am linkskonservativen Widerstand. Mit dem EU-Beitritt befand sich die Stadt wieder in derselben geographischen Abschnürung, diesmal durch die Schengen-Außengrenze. Daß die temporäre Ruhe trügerisch ist, weiß man allerdings an den entscheidenden Stellen der Stadt. Es wird für Wien ein Hochhauskonzept angestrebt, das künftige Entwicklungen in Bahnen lenken soll.
Ausgehend von dem 1991 von Coop Himmelb(l)au ausgearbeiteten Konzeptvorschlag wurden zuerst jene Bereiche festgelegt, die nicht in Frage kommen sollen: die Innenstadt oder Schönbrunn. Und es wurden freizuhaltende Sichtachsen auf die historische Stadtkrone, den Stephansdom, festgelegt. Andere auch. Ein Blick auf das Netz hochwertiger öffentlicher Erschließung mit U- und Schnellbahnen zeigt, daß neben der Innenstadt, die ja nicht in Frage kommt, der zweite Bezirk - insbesondere nach dem Ausbau der U2 -, der Bereich des Gürtels - wo U6 und Straßenbahn-Radiallinien sich kreuzen - sowie die Bereiche im Wiental - mit Schnittpunkten zweier U-Bahn-Linien - eine hohe Standortgunst aufweisen. Das heißt nun aber nicht, daß Hochhäuser deshalb an diesen Stellen auch städtebaulich richtig stehen würden, von wirtschaftlichen Überlegungen ganz zu schweigen. Es kann daher nicht bloß darum gehen, wo Hochhäuser verhindert werden sollen, sondern es muß auch darum gehen, wo man sie haben will. Ein Abschieben an den Stadtrand würde heißen, daß man sie eigentlich nicht will, sich das aber nicht zu sagen traut.
Lassen wir einmal den Höhenwettbewerb weg, und denken wir in Gebäuden von 75 plus/minus 15 Meter. Da Bauwerke dieser Höhe die Stadttopographie wesentlich verändern, geht es um die Frage des künftigen Stadtbildes. Insbesondere, wenn sie nicht einzeln, sondern als Gruppe, Zeile oder Cluster angeordnet werden.
Daß näher am Zentrum liegende Zonen größeres Interesse finden, werden jene schon bemerkt haben, welche die eher gemächliche Entwicklung der Investitionen vor der UNO-City beobachtet haben. Da liegt die Bebauung entlang des linken Ufers des Donaukanals näher. Eine positive Vision dieser innerstädtischen Kante auf mittlere Frist tut allein deshalb not, weil die Transformation bereits eingesetzt hat. Die Weite des Flußraums und der gebogene Verlauf machen die Ansicht äußerst attraktiv. Hier könnte der Ring nicht bloß für den Verkehr, sondern auch städtebaulich in adäquater Weise geschlossen werden.
Wie das von Hans Hollein gesetzte Beispiel beweist, erlaubt der Höhenunterschied zur Stadtterrasse die bisher gewählte Größenordnung. Entlang dieser wichtigen Schauseite keine bindenden stadträumlichen Ideen zu entwickeln hieße, diesen zentrumsnahen Bereich den Zufällen des zunehmenden Investitionsdrucks zu überlassen.
Mit der Stadt Zürich unterhält Wien einen Erfahrungsaustausch zur Frage des Hochhauskonzepts. Die schweizerische Metropole steht unter nicht geringem Konkurrenzdruck aus München, Stuttgart, Mailand und so weiter und will ihre Stellung ausbauen. Der Strukturwandel, der die städtebaulich weniger empfindlichen Industriezonen beidseits der nach Westen führenden Eisenbahngeleise erfaßt hat, bietet die Chance einer Verdichtung und Urbanisierung ungeahnten Ausmaßes. Hier möchte man Höhen bis 80 Meter zulassen, in angrenzenden Zonen, die etwas empfindlicher eingestuft werden, unter gewissen Bedingungen ebenfalls. Für weitere Stadtteile sollen 40 Meter Höhenbegrenzung gelten.
Die Altstadt und die Seeufer sind tabu. Wichtig erscheint vor allem der positive Blick in die Zukunft: Die Stadt soll sich weiterentwickeln, ihr Erscheinungsbild soll sich in wesentlichen Teilen verändern dürfen, indem ganze Quartiere mit ähnlich hohen Gebäuden zulässig werden. Dem Druck der Agglomeration wird auf diese Weise Raum geschaffen. Die bisherigen Industrieanlagen stehen aber nicht leer. Viele sind mit Zwischennutzungen belegt, und mit dem Theater in der Schiffbauhalle und mehreren Kinos haben sich Kulturinstitutionen frühzeitig angesiedelt. Beim nächsten regionalen Konjunkturanstieg - etwa nach Inkrafttreten der bilateralen Verträge mit der EU im Mai dieses Jahres - wird sich der Transformationsprozeß intensivieren. Damit die Interessen der Stadt Berücksichtigung finden, gibt es Auflagen nach städtebaulicher Einordnung, einem positiven Bezug zum öffentlichen Raum, ökologischer und klimatischer Unbedenklichkeit sowie architektonischer Qualität.
Das alles weiß man in Wien natürlich ebenfalls. An der positiven Vision einer künftigen Stadtgestalt ist allerdings noch zu arbeiten.
Aber was soll das alles nach dem 11. September 2001? Es würde wohl wesentlich mehr brauchen als einen terroristischen Anschlag selbst dieser Brutalität, um Städtern - wo auch immer - den Willen zur Stadt und die Bejahung von Urbanität auszutreiben. Denn die europäisch geprägte Polis ist seit ihrem Entstehen mit dem Gedanken der Demokratie eng verbunden. Daran ändern auch ein paar gewesene Residenzstädte wenig. Sie lebt aus ihrer Bevölkerung heraus, mit allen Obertönen und Resonanzen im Klang ihres Namens. Dazu gehören auch Hochhäuser auf dem rechten Fleck.
Der Genueser Architekt Renzo Piano, zur Zeit mit der Planung für den neuen Sitz der „New York Times“ befaßt, antwortete dem Journalisten der „Neuen Zürcher Zeitung“ auf die entsprechende Frage: „Ich war am 11. September in New York - ein unbeschreiblicher Tag - alle waren in einer Art Schockzustand. Tags darauf, beim Treffen mit meinen Auftraggebern, sagte niemand: Laßt uns aufhören, oder laßt uns eine Pause machen.“ Und weiter: „Als ich den Auftrag für die ,New York Times' erhielt, fragte ich: Warum nehmen Sie einen Europäer und nicht einen Amerikaner? Die Antwort lautete: Weil Sie vielleicht besser wissen als wir, wie man Urbanität schafft, wie man einen humanistischeren Zugang zum Bauen findet.“ Mit einem vergleichbaren Ansatz wird man auch in Wien zu einem intelligenten Hochhauskonzept kommen.
Sakralität, Besinnlichkeit, ja Geborgenheit erwartet man von einem Kirchenbauwerk unserer Tage. Wie das auch mit Sichtbeton und Glas zu schaffen ist, führen die Linzer Architekten Gabriale und Peter Riepl in Steyr-Resthof vor.
Steyr-Resthof ist ein gut zwei Dutzend Jahre alter Stadtteil im Nordosten von Steyr, der den Behörden trotz seiner 6000 Einwohner bisher keinen Wegweiser wert war. Die wenig ansprechenden, sechs- bis achtgeschoßigen Wohnbauten erhalten zur Zeit eine aufhellende Fassadenrenovation. Nachdem schon früher ein Pfarrhof mit Räumen für die Gemeinde im sogenannten Quartierzentrum - ziemlich viele Parkplätze und zwei Geschäfte - errichtet worden war, konnte nun auch die Kirche gebaut werden. Das Projekt wurde über einen Architekturwettbewerb ermittelt, den das Linzer Architektenpaar Gabriele und Peter Riepl für sich entscheiden konnte.
Ein großes Grundriß-Quadrat bildet den Rahmen, in den Räume und Raumzonen verschiedener Höhenentwicklung eingeschrieben sind. Manche sind ganz flach, wie die östlich vorgelagerte Wasserfläche, andere ragen in die Höhe, wie die turmartige Vitrine an der Südostecke. Langgezogene, großflächig verglaste Öffnungen sind in den glatten Sichtbeton geschnitten, wobei die Proportionen von Öffnung zu Mauer solcherart gewählt wurden, daß einladendes und bergendes Moment sich die Waage halten. An der Westseite, wo der Hauptzugang liegt, verstärkt ein Portikus, dessen Dachscheibe auf einer Reihe von sieben schlanken Rundstützen zu schweben scheint, die einladende Wirkung der dahinter liegenden, breiten Glaswand.
Aber auch von Osten führt ein Weg zur Kirche hin, eine breite Glaswand bietet Einblick, doch die Wasserfläche gebietet Abstand. Der Weg führt tangential am Nebenzugang vorbei und erreicht den Portikus von der Rückseite her. Damit ist das Gebäude ohne bestimmte Ausrichtung eingebunden in den Siedlungsverband, öffnet sich mit Bedacht nach allen Seiten in einer adäquaten Weise und bietet im Süden, zur vorbeiführenden Straße, eine der Aufgabe angemessene Aussicht von zurückhaltender Monumentalität. Dies wird erreicht, indem die Fenster vor Sakristei und Ministrantenraum zu einem einzigen Fensterband zusammengefaßt sind, das somit als einzige Öffnung in der Sichtbeton-Mauer Kraft gewinnt und jene damit noch stärkt.
Natürlich bildet der hochgestellte Glasquader, der in die Südostecke eingesetzt ist, das dominierende Element dieser Ansichtsseite, aber er ist kein eigentlicher Turm - dafür müßte er aus dem Boden aufsteigen. In die Mauer eingesetzt, mutiert er zur übergroßen Vitrine, zum Lichtfänger nach innen, zum Behältnis für eine außerordentlich geglückte, farbige Licht-skulptur von Keith Sonnier, die in der Photographie bloß unzureichend wiedergegeben wird. Jetzt, zur Winterszeit, kommt sie beim frühen Einnachten ausgezeichnet zur Geltung. Sonnier erweckt die große Glasvitrine zu bunt sprühendem Leben. Als wären es langsam verglimmende Spuren fliegender Leuchtkörper, verleihen diese räumlichen Schreibschwünge dem Gebilde aus Profilen und Scheiben Körperlichkeit und füllen den Raum mit Licht.
Insgesamt weist das Äußere des Bauwerks eine gespannte Ausgewogenheit von geschlossen und offen auf, die nicht abweisend ist, sondern zum Betreten einlädt, aber zugleich den Gläubigen die Gewißheit vermittelt, daß sie innen in ihrer Andacht auch abgeschirmt sind.
Der hohe Portikus sammelt die Kirchgänger, bietet auch für den Schwatz nach dem Gottesdienst Schutz vor Regen und harten Sonnenstrahlen. Nach dem Eintreten gelangt der Besucher in eine Vorhalle, deren Decke recht niedrig liegt, aber dennoch nicht bedrückt, weil die Außenwand zum Portikus komplett aus Glas besteht und an der Innenseite ein ins Gebäude eingeschnittener Gartenhof anschließt, dessen Erde bis zur Höhe der begleitenden Sitzbank reicht. Die sparsame Gestaltung von Cordula Loidl-Reisch mit einem Bäumchen und niedrigen Stauden vermittelt in besinnlicher Weise etwas von der Außenwelt ins Innere; dieser Tage beispielsweise den Zauber einer unberührten Schneedecke auf den Pflanzen.
An diesem Außenraum im Innenraum vorbei zielt der Zugang nun in langer Achse auf den Taufstein, über dem die Decke angehoben ist, sodaß die Raumzone über ihre Definition als Abschluß des Ganges hinaus noch in anderer Weise ausgezeichnet wird. Zu beiden Seiten der niedrig gehaltenen Zugangsachse liegen nun die beiden eigentlichen Sakralräume: zur Linken die große, querrechteckige Hauptkirche und zur Rechten, hinter dem Gartenhof, die Kapelle, deren eine Flanke vom markanten Glasturm her Licht erhält. Auch sie ist höher gehalten als der Zugang, sodaß sie ihren eigenen Raumcharakter wahrt.
Der Kirchensaal ist zugleich der höchste Raum der ganzen Anlage. Von der Form eines einfachen Quaders, wird er an zwei Seiten vom Zugang umfangen, sodaß der Raum dort seitlich etwas wegfließt. Das wird vom durchgehenden Boden aus bruchrohem Schiefer noch gefördert. Aber die scharfe und niedrige Begrenzung durch die Decke bildet eine ausreichende Zäsur. Unterstützt wird diese abgrenzende Wirkung von einem einzelnen kubischen Element, das zwischen Gang und Kirchenraum steht, gleichsam die Ecke befestigt und als stark definierter Raum die Marienstatue beherbergt.
An den anderen beiden Seiten des Kirchensaals verläuft in Kniehöhe ein durchgehendes Fensterband, sodaß die Mauern nicht direkt auf dem Boden aufsitzen. Obwohl weder viel Ausblick noch Einblick möglich ist, wird mit dieser Maßnahme ein weiteres Mal die Betonmauer relativiert. Der Kirchenraum selbst erscheint wie eine große, umgestülpte Schachtel, die aber eben nicht auf dem Boden aufliegt, sondern leicht abgehoben ist.
Zusätzlich zu den genannten Öffnungen zieht sich noch ein Lichtspalt in der Decke über der Altarwand entlang, der die Sonnenstrahlen von morgens bis abends auf die vertikale Fläche fallen läßt. Das Innere der Mauern ist nun nicht mehr sichtbarer Beton, sondern wurde mit Birkensperrholz großplattig verkleidet. Der warme Gelbton erzeugt eine Raumstimmung, die durchaus meditativ, aber nicht beengend ist.
Die Reduktion der Materialwirkung auf große Oberflächen und eine Detaillierung, die nicht die Art und Weise, „wie es gemacht ist“, betont, bringt vor allem die Vielfalt räumlicher Konstellationen und Übergänge zur Geltung, die, verstärkt von der Lichtführung, die architektonische Reichhaltigkeit der dem heiligen Franziskus geweihten Kirche ausmachen. Resthof hat damit ein Sakralbauwerk von mehr als überdurchschnittlicher Qualität erhalten, das die Sünden des Bauwirtschaftsfunktionalismus, Form geworden in den umgebenden Wohnblöcken, deutlich werden läßt, allerdings auch ein wenig kompensiert.
Beispielhaft für den Umgang mit der nicht unproblematischen Bausubstanz vom Ende der sechziger Jahre: Rudolf Prohazkas Überformung des IBM-Gebäudes am linken Donaukanalufer, Wien-Leopoldstadt.
Zueinander stehen sie orthogonal, aber städtebaulich beziehen sie sich auf gar nichts. Die beiden Scheibenhäuser am Donaukanal zwischen Salztor-und Marienbrücke mit Rasterfassaden aus Betonelementen erleichterten die Aufgabe einer architektonischen neben der gebäudetechnischen Erneuerung keineswegs. Hermann Czech bemerkt dazu: „Wenn Fehler groß genug sind, nennt man sie Stadtentwicklung, und mittlerweile sind diese beiden Baukörper gleicher Fassadenstruktur, aber unterschiedlicher Proportion Teil der Wahrnehmung des Donaukanals. Soweit Czech zur normativen Kraft des Faktischen.
Als daher die Wiener Städtische Versicherung als Eigentümerin und die Österreich-Zentrale von IBM als langjährige Mieterin des südlichen Baukörpers –der nördliche gehört Raiffeisen –eine Erneuerung ins Auge faßten, riet Czech zu einem geladenen Wettbewerb und leitete die Jury. Es wurden Konzepte gesucht, die bei laufendem Betrieb das Gebäude strukturell und technisch auf einen zeitgemäßen Stand bringen und eine architektonische Verbesserung bewirken sollten.
Rudolf Prohazka, Wiener Architekt der mittleren Generation, der den Wettbewerb gewann, schlug an drei Seiten eine zusätzliche Glashaut vor, legte im Inneren großflächig die Deckenstruktur frei, durchbrach an mehreren Stellen den langgezogenen Kern im Mittelbereich und erweiterte das Attikageschoß zu einem Sitzungs- und Seminarzentrum.
Die vor die alte Fassade gesetzte Schicht aus Glas verbessert den Schallschutz und verändert die bauphysikalische Disposition. Der Sonnenschutz kann vor den Fenstern geführt werden, ist aber windgeschützt und damit weniger störanfällig; und die Betonstruktur der Fassade, vorher im Winter als Kühlrippen wirkend –innen (!)waren als „Dämmung“ drei Zentimeter Heraklith angebracht –ist weniger ausgesetzt und gleicht als Speichermasse Schwankungen aus. Die vom Treibhauseffekt erwärmte Luft zwischen alter und neuer Fassade kann zuoberst durch automatisch bedienbare Öffnungen entweichen. Gitterstege dienen der Reinigung, mit Brandüberschlagsklappen alle drei Geschoße dem Brandschutz.
Architektonisch gelang es Rudolf Prohazka, unter Verzicht auf zusätzlich sichtbare Elemente wie Verspannungen und dergleichen, bloß mit der Konstruktion der Putzstege sowie über oben und unten aufgeklebte Edelstahlbleche, die Glastafeln vor der alten Fassade solcherart zu befestigen, daß eine dichte Haut entsteht. Mit der genialen Idee einer flachen Vorwölbung der gesamten Südseite verleiht er der äußeren Hülle Spannung, die in jeder einzelnen Glastafel besteht und sich im Großen ganzheitlich auswirkt, weil die gebäudehohe Fläche nicht in kleine Facetten zerfällt. Mit der leichten Wölbung gelingt dem Architekten auch eine städtebauliche Bezugnahme auf die Flußbiegung. Vertikale und horizontale Krümmung treten in eine feinsinnige Beziehung.
Da die äußerste Hülle nur aus einer einzigen Schicht Glas besteht, wirkt sie wasserartig durchsichtig, anders als man es von Isolierglas gewöhnt ist, wo vier Reflexionsebenen die Transparenz reduzieren. Daher ist die alte Fassadenstruktur weiterhin gut erkennbar. Alt und neu verbinden sich zu einem neuartigen, beide Komponenten übersteigenden architektonischen Ausdruck.
Im Inneren ging es vor allem um eine Reorganisation der Bürostruktur, vom abgeschlossenen Einzelbüro zu offenen Gruppenbüros. Das Entkleiden der Tragstruktur an der Deckenuntersicht, das heißt der Wegfall der abgehängten Decken und die Konzentration von Installationen auf einen Kernbereich, bewirkte vor allem zweierlei: Erstens gewinnt der Charakter der Baustruktur an Prägnanz, die räumliche Amalgamierung der Geschoße durch die flache Rasterdecke entfällt. Doch stärker fällt zweitens der Gewinn an Raumhöhe ins Gewicht, es entsteht spürbar mehr „Luft“ über den Köpfen, was den Mitarbeitern sicher nicht unangenehm ist.
Für die Kästen der Standardmöblierung wurden gelochte Türblätter mit schallabsorbierender Wirkung verwendet. Und für die temporär anwesenden Mitarbeitern, die auf Telearbeit und Desksharing umstellen wollten, teilweise auch mußten, entwarf Prohazka einen Caddy, der im individuellen Schrank abgestellt, mit dem Nötigen gefüllt und zum ausgewählten Arbeitsplatz gerollt werden kann.
Eine hochdrehbare Arbeitsplatte erlaubt sogar das stehende Arbeiten am Laptop. Dies mag auf den ersten Blick befremden, Arbeitsphysiologen betonen jedoch, daß ein Wechsel von sitzender und stehender Arbeitsweise Rückenbeschwerden vorbeugt. Wen wundert es, daß der Desksharing-Caddy kürzlich die Nomination zum Staatspreis für Design erhalten hat.
Beim Eingangsgeschoß und beim Dach griff der Architekt stärker ein. Um das Foyer großzügiger zu machen, ließ er in diesem Bereich die Deckenelemente herausheben, sodaß eine repräsentative Eingangshalle entstand. Das Firmenrestaurant wurde ebenfalls aufgefrischt, der Garten einbezogen und ein Café für kurze Pausen eingerichtet. Unaufdringlich zeitgemäß trifft der Gestalter den Stil für ein zukunftsorientiertes Unternehmen: Standardisierung und Individualität mischen sich in angenehmer Weise.
Im Attikageschoß konnten die Rohbaustrukturen der alten Klimazentrale zu Seminar- und Sitzungszimmern umgestaltet werden. Ihre größere Höhe bietet repräsentative Raumproportionen, die Aussicht auf die Wiener Innenstadt ist schlicht erhebend. Der südseitig über die gesamte Länge gezogene Wintergarten dient als Wandelgang, Pausen- und Erholungsbereich. Die neue Klimazentrale fand darüber, unter der neuen Dachtonne, ihren Platz.
Über die grundsätzliche Qualität der gesamten Entwurfsarbeit hinaus ist die Erneuerung des aus den späten sechziger Jahren stammenden, von Architekt Georg Lippert geplanten Gebäudes beispielhaft für den Umgang mit der nicht unproblematischen Bausubstanz aus dieser Zeit. Das eine zu tun, das andere nicht einfach zu lassen, diese schwierige Gratwanderung ist Rudolf Prohazka gemeinsam mit der Bauherrschaft zweifelsfrei gelungen.
Was beim Herumreden an Neubauten gern vergessen wird: Die Qualität der Architektur ist nicht abhängig vom Kubikmeterpreis. Das belegt eindrücklich Rüdiger Lainers „Pleasuredome“ neben den Simmeringer Gasometern.
Die normative Kraft des Faktischen ist im langsam taktenden Prozeß städtebaulicher Entwicklung eine der stärksten Einflußgrößen. Nicht vordergründige Schönheit oder Häßlichkeit noch deklarierte Qualität, sondern primäre Strukturelemente und die Zeit, ausgedrückt in Gewöhnung, prägen das Stadtbild. Manches, was vor hundert Jahren die Gemüter erhitzte, ist heute lieb gewordenes Postkartenmotiv, anderes, bei seiner Eröffnung in den höchsten Tönen bejubelt, versank in Bedeutungslosigkeit oder ist längst verschwunden und vergessen.
Der Organismus Stadt ist nicht wählerisch und oft unberechenbar. In diesem Kontext spielt die architektonische Qualität bloß eine wichtige Nebenrolle. Ist sie gut besetzt und kommt sie zur optimalen Entfaltung, bietet dies Anlaß zum Genießen und Erfreuen, ist sie mittelmäßig besetzt, hat dies auf den langfristigen Prozeß wenig Einfluß. Tagesmoden sind der gebauten Stadt Wurscht. Sie nährt sich aus anderen Quellen.
Das städtebauliche Entwicklungsgebiet im Einzugsbereich der U3-Station Gasometer liegt an der wichtigsten Kette urbaner Knoten unter den Linien des Wiener U-Bahn-Netzes. Die U3 konnte dies werden, da sie mehrere Erwartungsgebiete verbindet, in denen der Grad der Urbanisierung massiv gesteigert werden konnte, weil er vorher drastisch abgesunken war. Vor allem lagen diese Gebiete nicht auf der grünen Wiese, sondern bildeten bloß Senken in der urbanen Topographie, eingebettet in die Großstadt Wien. Daß sich als Folge der neuen Subzentren andernorts der Urbanisierungsgrad zurückbildet, gehört zur komplexen Prozeßhaftigkeit in der gebauten und in der gelebten Stadt.
Man könnte es sich daher sparen, das profane Anfüllen der funktionslos gewordenen vier städtebaulichen Superzeichen in Simmering mit Wohnen und Dienstleistung propagandistisch hochzujubeln, wie wenn es gälte, eine Wahl zu gewinnen. Das Gebiet ist hochwertig erschlossen, es wird sich in den kommenden Jahrzehnten in Schüben und gewiß auch mit Durststrecken entwickeln, wie dies eben so ist. Gegen den langen Atem städtebaulicher Prozesse haben PR-Kampagnen den Charakter von Strohfeuern und dienen vor allem der Selbstversicherung der Involvierten. Alles andere läuft über den Preis. Die architektonische Qualität ist Nebensache, wie man an der SCS ersehen kann, sie gehört zur Sphäre des Kultivierens, die sich mit jener des Markts überschneiden kann, aber nicht muß.
Ebensowenig müssen sich die vielfältigen Wirklichkeiten und ihre Spiegelungen in den Medien überschneiden. So gehorchen die Welt der Comics und jene der Filme anderen, oft simpleren Regeln, die sich vom Alltagsleben und natürlich von dem der Eliten unterscheiden. Wenn daher von PR-Schreibern hochgejubelte „Stararchitekten“ dargestellt werden und sich selbst so sehen wie der immer siegreiche Prinz Eisenherz in den amerikanischen Comics der dreißiger und vierziger Jahre, ist das eine sehr papierene Wirklichkeit. Auch die besten Entwerfer beginnen beim Projektieren bei 0 : 0 und können an einer Aufgabe scheitern. Das Präfix „Star“ garantiert dabei für gar nichts.
Diese simple Erkenntnis läßt sich soeben in Simmering wieder nachvollziehen, nachdem neben den Gasometern das Kino-, Entertainment- und Garagengebäude „Plesuredome“ eröffnet worden ist, das trotz städtebaulich bescheidenerem Auftreten in Konzeption und innerer Gestaltung viel mehr an Raumlust und Lebensfreude einlöst als die griesgrämig befüllten vier Mauerwerkszylinder, in deren städtebaulichem und propagandistischem Schatten es sich entwickelt hat.
Das städtebauliche Konzept für das Umfeld der Gasometer, wie es von Rüdiger Lainer und seinem Team vorgeschlagen wurde, definierte eine „Traufkante“ für den Straßenraum der Guglgasse nördlich der Gasometer, auf den sich das Portal der Rockhalle öffnet. Die Straßenfront des Pleasuredome wird von einer hohen Glaswand bestimmt, deren langer gerader Charakter von Teilflächen verschiedenfarbiger Folien gegliedert und relativiert wird. Dahinter liegen, einsehbar, auf einer Basis von einem beziehungsweise vier Parkgeschoßen zwei ausgedehnte Raumkomplexe, die den Alltagsgenüssen Kino, Essen, Trinken, Flanieren, Spielen und Menschen-bei-diesen-Tätigkeiten-Zuschauen dienen.
Für jene, die nicht aus den Liften von den Garagen kommen, gibt es zwei Zugänge: Erstens eine lange, geschlängelte Rampe, die am Gehsteig beginnt, nach zwei Kehren ins Bauwerk eindringt und entlang der farbigen Glaswand ansteigt, tiefe Einblicke in die Foyers vor den Kinosälen bietet und in die Halle vor dem Entertainmentbereich mündet. Zweitens eine Brücke, die aus der - na ja - Gasometer-Mall herüberführt, deren Seitenflächen und Decke verglast sind und die ebenfalls in die oben genannte Vorhalle hineinzielt. Die Lagegunst nutzt eine langgezogene Café-und- Bar-Installation, ein zeitgemäßer Schanigarten auf der Brücke für das Sehen-und-Gesehenwerden.
G eschäfte, Gastronomieeinrichtungen und Spielmöglichkeiten säumen die eigentliche, dreigeschoßige Mall, in welche die Besucher nun hereingezogen werden. Rundherum führende, in der Höhe versetzte Galerien versprechen weitere Attraktionen und locken hinauf in die oberen Geschoße, zu denen Rolltreppen hochführen. Daß nicht alle Inneneinrichtungen das Qualitätsniveau einhalten, liegt in der Natur derartiger oft kurzlebiger Einrichtungen. Mit den durchgehenden Bändern vor den Deckenstirnen bringt Lainer ausreichend Ordnung in die flutenden Raumfolgen, deren Lufträume er mit Ste- gen und Stiegen durchstößt, auf denen sich sein Gespür für Raum, ja seine Raumlust und positive Haltung zu Lebensfreude nachvollziehen lassen.
E rst auf der zweiten Ebene der Mall öffnet sich der Zugang zu den 15 Kinosälen, vorbei an Kassen und Verkaufspulten für Kinoverpflegung in die Foyers, wo die großblockige Struktur der gestapelten Kinosäle mit ihren ansteigend kragenden Unterseiten, angefacht durch Farben von Oskar Putz, eine räumlich spannungsvolle Atmosphäre erzeugen, wo die Verbindungsstege der Projektionskabinen, der Toilettenturm im Hintergrund, Deckendurchbrüche und eine lustvoll ausgekostete Rolltreppenkombination zum unteren Foyer Backstage und Frontstage eins werden lassen und wo das Flanieren im Raum als Vorspiel zum Film Freude und Genuß bereitet. Damit ist es dem Architekten und seinem verschworenen Team gelungen, im Meer der Kommerzbauten ein architektonisch qualifiziertes Zeichen zu setzen, das wesentlich mehr bietet als schnelle Triebbefriedigung.
Es müssen nicht unbedingt Bauwerke sein, mit denen sich ein Architekt in die Geschichte einschreibt. Friedrich Kurrent hat auch als engagierter Universitätslehrer und als unermüdlicher Kämpfer für die Sache der Architektur ausgiebig gewirkt. Eine Würdigung zum 70. Geburtstag.
Das regionale und internationale Architekturgeschehen kennt Vielbauer und Wenigbauer, Schweiger und Rhetoriker - auch Schwätzer, Clowns, Schwindler und Narren. Aber es gibt auch Forschende, Kämpfer und Lehrende. Einer, den vor allem Eigenschaften dieser letzten drei Charakterisierungen auszeichnen, ist Friedrich Kurrent, der kommenden 10. September seinen siebzigsten Geburtstag feiern darf.
Er wirkte über drei Jahrzehnte als Lehrer, erst als Assistent bei Ernst A. Plischke in Wien, dann als Professor für Entwerfen und Raumgestaltung sowie Sakralbau an der TU München. Er war seit den fünfziger Jahren - und ist es noch heute - ein energischer und kompromißloser Kämpfer für die Sache der Architektur. Und er ist ein Forscher, der Wissen und Erkenntnis auf unzähligen Architekturreisen mehrte, zeichnend, analysierend und an Ort und Stelle an seine Studenten weitergebend.
Zum Bauen kam er eher weniger, vielleicht weil seine Entwürfe eher sperrig und komplex waren und sind, sich dem leichtgängigen Konsum verweigern, schon gar nicht modisch sind, sondern einerseits Kontakt zur Geschichte, zum Ort suchen, aber zugleich neuartige räumliche Konzepte umsetzen.
Kurrent, der viel erlebt, viel erfahren und viel gestritten hat, gehörte 1965 zu den Gründungsmitgliedern der Österreichischen Gesellschaft für Architektur. Mittlerweile ist die Saat vielfach aufgegangen, und er kann zurückblicken. Er hat dies vor einigen Jahren für die „Gesellschaft“ getan, indem er ihre ersten Jahre nachzeichnete und an einem spannenden und auch amüsanten Abend im Wittgensteinhaus vortrug, denn Kurrent ist ein ausgezeichneter Erzähler, dem man gern zuhört.
Sein eigenes Werk war bisher nicht in Buchform zusammengefaßt worden, weshalb die vom Pustet Verlag angestrebte, von der Österreichischen Gesellschaft für Architektur herausgegebene Publikation „Einige Häuser, Kirchen und dergleichen“ zur Erhellung der jüngsten Architekturgeschichte beiträgt.
Zu danken ist aber vor allem, daß Kurrent spontan entschied, das Buch selber zu schreiben. So konnte ein zutiefst persönlicher Bericht über 50 Jahre Einsatz für die Sache der Architektur entstehen, was eben etwas ganz anderes ist, als wenn gute Freunde oder Schüler, selbst engagierte Architekturgeschichtler, über einen verdienten Architekten ein Buch verfassen, dem selten die Kraft einer persönlichen Stellungnahme eignet.
In einer Chronologie, durchsetzt mit Bauten und Projekten, die er zuerst gemeinsam mit Johannes Spalt und Wilhelm Holzbauer, später allein entwarf, bietet Friedrich Kurrent einen Überblick über sein vielfältiges Schaffen. Dabei hält er nicht zurück mit subjektiven Urteilen, bleibt aber gerade dadurch griffig und unterhaltsam, wo andere sich in Andeutungen verlieren oder sich um klare Aussagen herumdrücken.
Vielleicht ist es seine Herkunft aus der Einschicht im salzburgischen Hintersee, wo sein Vater als Seilbahn- und Maschinenschlosser die Transportmittel für den Holzeinschlag errichtete und betreute, die ihn eine offene und direkte Art bewahren ließ. Jedenfalls ist es nicht selbstverständlich, daß der viel und gern zeichnende Bub zuerst nach Salzburg an die Gewerbeschule - heute HTL - und danach nach Wien zum Architekturstudium an die Akademie in die Meisterschule von Clemens Holzmeister kam.
Kurrent berichtet lebendig von dieser ersten Zeit nach dem Krieg, er erinnert sich an die wenigen modernen Bauwerke, die ihm vor Augen kommen und ihn tief beeindrucken, etwa an den Florentiner Bahnhof von Giovanni Michelucci (1936). Heute, da die Informationen über neuartige Bauwerke verbreitet werden, noch bevor sie fertiggestellt sind, fragt man sich, ob überhaupt noch derartige Schlüsselerlebnisse einer erstmaligen Begegnung mit einem zuvor unbekannten Bauwerk möglich sind.
Das engagierte Studium in der Gruppe um Johannes Spalt und alsbald die Zusammenarbeit mit Spalt, Wilhelm Holzbauer und Otto Leitner in der „Arbeitsgruppe 4“ an ersten Wettbewerben bietet den jungen Architekten die Möglichkeit zu internationalen Kontakten. Das Europa der Architektur ist damals noch übersichtlich, die berühmten Meister sind zu Vorträgen greifbar, und eine Reise ins Nachbarland hat einen Wert, der heute nur mit interkontinentalen Flügen aufzuwiegen ist.
Aber Kurrent ist nicht bloß auf das internationale Geschehen ausgerichtet, denn immer wieder lenkt er seine genau beobachtenden Augen auf einfache Bauten, auf das Bauen mit Holz, das ihm aus der Umgebung seiner Kindheit vertraut ist. Sein breites Wissen macht ihn zu einem ausgezeichneten, kritikfähigen Partner beim Entwurf, und mit dem Seelsorgezentrum in Steyr-Ennsleiten gelingt ihm zusammen mit Holzbauer und Spalt eines der wichtigsten Bauwerke der neu erstandenen österreichischen Moderne nach Nazizeit, Krieg und Wiederaufbau. Nicht wenige interessante Konzepte bleiben auf dem Papier oder werden im spezifischen Wiener Klima jahrelang zerredet und vom Auftraggeber nicht mehr weiterverfolgt. Seine jüngste Arbeit zeigt das Projekt für eine Synagoge der jüdischen Gemeinde München.
Immer wieder macht Friedrich Kurrent - gemeinsam mit anderen - mit Ausstellungen auf wichtige Persönlichkeiten des österreichischen Architekturschaffens im 20. Jahrhundert aufmerksam, um der modernen Architektur mehr Akzeptanz zu verschaffen. Er gehört zu den ersten, welche die Arbeiten von Josef Frank würdigen, die das Werk von Joseph Plecnik studieren und in der Folge das Bauen im Kontext propagieren, womit er die problematische Ort- und Geschichtslosigkeit gewisser modernistischer Strömungen überwinden will.
Obwohl außerordentlich streitbar, betätigt sich Kurrent immer wieder als Vermittler in vielerlei Hinsicht, ist aber als steter Mahner oft nicht gern gelitten. Politiker sind in dieser Hinsicht empfindlich. Aber mit seiner verbindlichen Hartnäckigkeit hat er einiges erreicht. Sein Grundsatz, daß historische Bauten so gegenwärtig sind wie neu errichtete, bietet einen klärenden Zugang zum Wesen der Stadt und den Phänomenen des Urbanismus.
Auch wenn dies hierzulande vielleicht weniger wahrgenommen wird, fünf Studentengenerationen der TU München werden seine Lehre in die Praxis tragen.
Am 10. September lädt die Österreichische Gesellschaft für Architektur um 19 Uhr zur Präsentation des Buchs „Einige Häuser und dergleichen“ und zu einem „Fest zum 70. Geburtstag“ Friedrich Kurrents ins Haus Wittgenstein (Wien III, Parkgasse 18).
Ist die Architekturkultur einmal zerstört, kann es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis sich ein entsprechender soziokultureller Organismus regeneriert hat. In der Tschechischen Republik regen sich nach der Stagnation der Plattenbauzeit aus uralten Wurzeln neue Triebe
Europa ist von Staatsgrenzen durchzogen, das lernt jedes Kind anhand jener Karten, auf denen die Länder mittels vier Farben unterschieden sind. Diese Grenzen halten sich oft an Flüsse, Gebirgszüge und so weiter - im naiven Glauben, daß natürliche Hindernisse die benachbarten Siedlungsräume von jeher teilen würden. Daß das willkürliche Annahmen sind, beweist die Kulturgeschichte: Waren doch Flußräume - weil die Gewässer als Verkehrsadern dienten - viel verbindender, als man heute gemeinhin glaubt, vor allem, wenn allein nationalistische Ideologien aus dem 19. und 20. Jahrhundert die Köpfe anfüllen. So ist beispielsweise der Donauraum ein uralter Kulturraum. Über viele Stationen verband er Wien mit Byzanz - eine nicht zu unterschätzende Beziehung.
Es gibt allerdings Grenzen, die oft keine vermeintlich natürlichen Markierungen in der Landschaft aufweisen, es sind dies die Sprachgrenzen, die Europa durchziehen. Wir finden eine westeuropäische Sprachgrenze zwischen dem deutschsprachigen und dem französischsprachigen Kulturraum, die südeuropäische zum italienischsprachigen, eine südwesteuropäische, eine nordwesteuropäische, eine nordeuropäische Sprachgrenze und selbstverständlich eine osteuropäische Sprachgrenze zum Slawisch sprechenden Kulturraum, wobei die finnougrische Sprachgruppe die Komplexität noch etwas erhöht, denn wenn's einfach wäre, wär' es ja leicht.
Europäer sein war noch nie leicht, denn es hieß eigentlich schon immer, mehrere Sprachen zu verstehen und zu sprechen. Nach dem Latein galt zwar das Französische lange als Lingua franca, heute ist es ein angloamerikanisches Basic. Dennoch galt und gilt es, drei, vier Sprachen zu beherrschen, will man sich in den verschiedenen Kulturräumen ausreichend geländegängig bewegen. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs kommt nun eine fünfte, slawische, dazu. Bei einigen dauert es einfach länger, bis sie begriffen haben.
So, und jetzt kommen wir zur Architektur. Da Architektur ohne Sprachkenntnisse verstehbar ist, hält sie sich nicht an Sprachgrenzen und schon gar nicht an Staatsgrenzen. Der jüngste Träger des Pritzker-Preises, den er zusammen mit seinem Partner Pierre de Meuron verliehen erhielt, der Basler Jacques Herzog, hat diese Ehre und die damit verbundene Publizität nicht für sich genützt, sondern um mit europäischem Denken die Chancen zu betonen, die in einer nach beiden Richtungen offenen europäischen Sprachgrenze liegen.
Er, der aus dem Kleinbasel stammt und darauf stolz ist, in dessen Namen aber bereits die beiden dort benachbarten Sprachen aufscheinen, hat sich im Zuge eines längeren Gesprächs mit dem renommierten Journalisten Frank A. Meyer im Fernsehen zur besten Sendezeit vehement dafür eingesetzt, aktiv und positiv mit der Lage Basels am Dreiländereck umzugehen und einer kulturpolitischen Vision Tore zu öffnen. Nebenbei gesagt, im westlichen Deutschland sprechen erstaunlich viele Angehörige der gebildeten Schichten ziemlich gut Französisch. An der westeuropäischen Sprachgrenze ist also einiges los, man will geländegängig werden, selbst wenn es nur ums gute Essen und um den guten Wein geht.
Von der südeuropäischen Sprachgrenze hört man, daß im Kanton Uri, aus dem bis vor knapp über 200 Jahren bloß die Vögte ins Italienisch sprechende „Untertanenland“ Tessin entsandt wurden, seit bald zehn Jahren in der Volksschule alle Kinder Italienisch lernen - als erste Fremdsprache. Und haben Sie kürzlich mit jemandem in Mailand telephoniert und Ihr Touristenitalienisch gestottert, wurden aber in perfektem Englisch auf eine allgemeine Sprachebene gebeten?
Keine hundert Kilometer nördlich und östlich von Wien verläuft die osteuropäische Sprachgrenze, man könnte fast sagen, sie macht einen Bogen um Wien. Zwar wird auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen immer von Wien als Drehscheibe zum Osten geschrieben, aber wie hält man's mit der Architekturkultur? Ja, das „Architektur Zentrum“ machte eine Reise nach Brno/Brünn zur Moderne der dreißiger Jahre. Und „ORTE - architekturnetzwerk niederösterreich“ organisiert mit dem unermüdlichen Ján Tábor mehrtägige Touren unter dem Titel „Bauen an der Grenze“ - für zwei Dutzend Teilnehmer. Äußerst spannend und wichtig.
Aber kennen wir die aktuelle Architekturszene in Prag, Liberec oder Usti nad Labem? Man kennt vielleicht alte Namen aus den dreißiger Jahren, aber wie heißen die jungen, zeitgenössischen Architekten? Und überhaupt, haben die dort schon so etwas wie Architektur, da war doch bis vor kurzem noch Kommunismus, woher sollen die das können? Und das alte Prag ist doch so schön, was soll dort zeitgenössische Architektur?
Eine kürzlich erschienene Publikation mit dem Titel „Ceská architektura 1999/2000“ beantwortet diese Fragen und macht neugierig, mehr und anders zu fragen, wenn die Sprache nicht ein Hindernis bildet. 32 kürzlich vollendete Bauwerke werden vorgestellt, die, mit großem Engagement entworfen und errichtet, an die Tradition der tschechischen Architektur „vor München“ anknüpfen. Das Ministerium für Industrie und Handel sowie die Tschechische Architektenkammer und freundlicherweise einige Sponsoren aus der Bauwirtschaft haben gefördert. Als Herausgeberin zeichnet eine Nonprofit-Organisation namens „Prostor“ in Prag. Präsident Václav Havel schrieb ein kurzes Vorwort, einen längeren einführenden Text verfaßte der Architekt und Architekturhistoriker Petr Pelcák aus Brno/Brünn. Das Buch ist in Tschechisch und Englisch gehalten, die Graphik angenehm unaufgeregt und verständlich: vorab ein Steckbrief mit Adresse, Architekten, Mitarbeitern, Bauherrschaft, Baufirma, Baudaten. Dann ein erläuternder Text, Lageplan, Grundrisse, Schnitte und sorgfältige Aufnahmen verschiedener Photographen, den Plänen sinnvoll zugeordnet, sodaß Leserinnen und Leser sich die Bauten vergegenwärtigen können, ohne sie schon gesehen zu haben.
Pelcák verschweigt nicht, daß es die Architektur und ihre Entwerfer nicht leicht haben. Er erläutert vor allem die innertschechischen Faktoren, die lange Stagnation unter dem Kommunismus, die wirtschaftliche Lage, die eigenartige Rolle einer verspäteten Postmoderne, die fälschlicherweise als Befreiung von der trostlosen Kasernenmentalität und der Plattenbautenzeit gesehen wurde.
H eute orientiert sich das Bemühen der Architekten an einer internationalen Moderne, die ihre Wurzeln nicht zuletzt in den Bauten der dreißiger Jahre der damaligen Tschechoslowakei findet, denn während im übrigen Europa dieser Zeit die Baukrise oder politischer Totalitarismus eine Weiterentwicklung verhinderten, konnte sich die Moderne in der Tschechoslowakei breit entfalten.
Man wird daher in dem Buch weniger dekonstruktivistische Bauwerke finden als klare, oft spannungsvoll gegliederte Baukörper, die in fortgeschritten industrialisierter Bauweise errichtet sind. Fast entsteht der Eindruck, daß lange unterdrückte Träume endlich gebaut werden können.
Ein erstes Beispiel ist das Mehrzweck-Bauwerk beim Prager Kongreßzentrum. Die Architekten Václav Alda, Petr Dvorák, Martin Nemec, Ján Stempel aus Prag sind seit einigen Jahren die Shooting-Stars der Szene. Das Kürzel A.D.N.S. wird man schon irgendwo gelesen haben - eines ihrer ersten Bauwerke wurde an dieser Stelle im Mai 1996 besprochen. Heute enthält die Auswahl allein von ihnen drei Bauten. Sie beherrschen die großen Dimensionen und den städtebaulichen Maßstab. Interessante Baukörpergliederungen, Durchblicke und sorgfältige Detaillierung werten die von hart rechnenden Investoren errichteten Bauten auf. Etwas weniger eng wird es für sie beim neuen Studiogebäude für das tschechische Radio abgelaufen sein, großzügige Vertikalräume und Galerien, glatte Oberflächen, edle Materialien, einige freche Farbtupfer. Die kennen sich aus.
Aber auch die Forschungsbibliothek in Liberec von Radim Kousal ist keineswegs klein. Über einem dreigeschoßigen Sockelkörper, der im hinteren Teil fünf niedrigere Geschoße mit Magazinen enthält, erhebt sich der riesige, verglaste Lesesaal mit Freihandbibliothek auf drei Ebenen unter dem nach vorn mit Schwung heruntergezogenen Dach. Im Inneren sprüht die Gestaltung vor Lebensfreude, ohne jedoch zu überborden.
Zwei kleinere Bauwerke, die Tennishalle in Litomysl und das Bürohaus in Brno, kennen „Spectrum“-Leser schon, nicht aber ein Haus mit Geschoßwohnungen in Staré Mesto. Wohnbau ist nach den riesigen Plattenbauten - „Panelák“ genannt - ein sensibles Thema, aber Kapital steht nicht im Überfluß zur Verfügung. Die Architekten Ales Burian und Gustav Krivinka aus Brno/Brünn gaben dem Haus zur Straße eine klare, sorgsam proportionierte und ausgewogene Fassade, die, leicht bombiert, auf deren Verlauf reagiert.
D ie Grundrisse der kleinen Wohnungen an den Laubengängen nützen intelligent die knappen Flächen, außen verleiht die braunrote Farbe den Rückseiten mediterranes Flair. - Einfamilienhäuser und Villen sind ebenfalls vertreten, manch eine edel und gediegen, wie die Botschaftsresidenz in Budapest. Andere, etwa das Haus für ein Ehepaar mit Großmutter in Usti nad Labem von Ján Jehlík, wirken fast manifestartig lapidar gegliedert und immer irgendwie fröhlich.
Insgesamt schaut es eindeutig nach Aufbruch aus im nördlichen Nachbarland, wobei es nicht nur der ideologische Druck war, der ja vor zehn Jahren wegfiel, sondern die ökonomischen Bedingungen, die sich nur langsam bessern, weshalb die privaten Auftraggeber als wichtige Förderer engagierter Architektur noch rar sind.
Man sollte in den östlichen Nachbarländern nicht bloß die ehemaligen Gebiete der Donaumonarchie sehen, sondern sie als Teil des riesigen Slawisch sprechenden Kulturraums verstehen, dessen vielfältige Verschränkungen mit dem deutschsprachigen erst aufscheinen, wenn man Zugang zu einer slawischen Sprache gefunden hat. Ein erster Zugang mag über die Architektur gelingen, die von ihrem Charakter her „vorsprachlich“ ist.
Im Gespräch - Zschokke Conzett Bronzini Gartmann
Jürg Conzett und seine Partner Gianfranco Bronzini sowie Patrick Gartmann machen Konstruktionsentwürfe. Sie bezeichnen sich nicht als »Statiker«, obwohl sie das natürlich auch sind, aber die Statik ist für sie ein Teilgebiet. Der deutsche Ausdruck »Tragwerksplaner« passt besser für ihre umfassende Tätigkeit.
In einem entsprechenden Rahmen soll auch ihre Beschäftigung mit Holz gesehen werden. Sie sehen sich nicht nur als Spezialisten für ein bestimmtes Material oder eine bestimmte Bauweise, sondern decken innerhalb eines größeren Bereichs alle Gebiete ab, damit ein Geschäftspartner sicher sein kann, dass sie ohne Scheuklappen nach dem angemessenen Material suchen. Sie sind aber überzeugt, dass aus dieser Haltung insbesondere für den Holzbau die Möglichkeit ungewöhnlicher Tragwerke oder die Kombination mit anderen Materialien besser erwachsen kann, als wenn sie sich zu direkt auf holzspezifische Aspekte festlegen würden.
Zschokke: Ihr seid also Tragwerksplaner und habt regelmäßig mit Architekten zu tun. Manchmal habt ihr aber auch ohne Architekten gearbeitet. Wie gestaltet sich das Verhältnis zu den Architekten?
Gartmann: Es ist immer eine Zusammenarbeit und oft eine Entwicklung. Aus einem Ineinanderarbeiten der Sichtweisen von Architekten einerseits und Bauingenieuren andererseits entwickelt sich im Verlauf der Diskussion ein interessantes und gutes Projekt. Beide tragen mit Vorschlägen zum Gelingen bei und suchen gemeinsam nach Lösungen.
Zschokke: Und wie läuft eine derartige Zusammenarbeit ab?
Gartmann: Oft steht eine Idee im Vordergrund. Dieter Schwarz, ein Architekt beispielsweise, baut Nullenergiehäuser. Um Kosten zu sparen, errichtet er die Gebäude aus Holz, benötigt aber auch Speichermasse im Gebäude. In einem Fall machten wir eine Holz-Betonverbundkonstruktion, bei der der Beton die Decke aussteift, zugleich aber als Wärmespeicher wirkt. Beim zweiten Haus wendeten wir eine spezielle Verglasung mit Paraffin im Glas als Wärmespeicher an.
Conzett: Bei der Zusammenarbeit mit Architekten steht für mich das Ziel, eine Übereinstimmung von Architektur und Ingenieurbau in einem Bauwerk zu erreichen, weit vorne. Es ist letztlich auch dasselbe. Es ist meine Überzeugung, dass die Trennung in zwei Berufsgruppen zwar historisch ist, aber deshalb nicht weiter geführt werden muss. Ich persönlich kann gar nicht trennen.
Zschokke: Das Produkt, das Bauwerk wäre also in jedem Fall Architektur?
Conzett: Und zugleich ist es auch Konstruktion. Ich habe kürzlich bei Gottfried Semper nachgelesen, für ihn war es das griechische Ideal, und ich denke, dass dies immer noch gilt. Nämlich, dass der Ausdruck eines Gebäudes und die strukturelle Kernform so stark miteinander verwoben sind, dass sie nicht getrennt werden können. Für uns heißt das, dass wir nur mit Architekten zusammenarbeiten können, die sich für Konstruktion interessieren.
Conzett: Generell finde ich es interessant, in einem Team zu arbeiten, aber das betrifft nicht nur Architekten, es betrifft auch Teams mit Ingenieuren oder Unternehmern. Die Voraussetzung, dass sie gern zusammenarbeiten und eine entsprechende Offenheit haben, ist charakterlich bedingt und macht die Arbeit im Team anregend. Auf der anderen Seite braucht es ab und zu auch die eigene Verantwortung als Ingenieur, sonst verlernt man das. Es braucht eben eine gesunde Mischung. Man muss sich ab und zu ins Kämmerlein zurückziehen und ganz allein sein können.
Zschokke: Wie hat sich damals beim Murauer Steg die Zusammenarbeit entwickelt, aus der das Projekt entstanden ist?
Conzett: Wir haben gearbeitet wie in einem gemeinsamen Büro. Ich arbeite gerne über längere Zeiträume mit denselben Menschen zusammen. Je besser man sich kennt, desto reibungsloser verläuft die Arbeit. Anton Kaufmann hat bei dieser Brücke auch eine äußerst wichtige Rolle gespielt, weil er auch die Möglichkeiten als Hersteller gesehen hat. Er hat Vorschläge gemacht, etwa für die nagelpressverleimten Gurtungen. Das war ein wichtiger Beitrag für das Gelingen.
Zschokke: Wie ist es aber zu diesem stark raumbildenden Tragwerk gekommen? Kam das daher, weil gefordert war, dass der Steg überdacht sein müsse, oder war es eine städtebaulich architektonische Überlegung, oder war es ein interessantes Tragwerkskonzept, aus dem dann die Gestalt entwickelt worden ist?
Conzett: Das kann man nicht auseinanderdividieren und wie in einem Ablaufdiagramm darstellen. Man sitzt zusammen, man probiert aus, man skizziert, man denkt nach, man verwirft, man fängt nochmals an, bis am Schluss etwas da ist, das eben gleichzeitig Architektur ist und ein Ingenieurbauwerk. Und bei dieser Fuß- und Radwegbrücke über die Mur ist das weitgehend gelungen.
Zschokke: Der Traversina-Steg ist anders, man geht nicht durch das Tragwerk hindurch, der Weg verläuft über dem Tragwerk. Was unterscheidet diesen Steg von jenem in Murau?
Conzett: Man sieht natürlich auf einen Blick, der Traversina-Steg ist extrem leicht und die Murauer Brücke ist schwer. Das ist ein vordergründiger Unterschied, denn es gibt mehrere Gemeinsamkeiten. Etwa das Thema des Zentralträgers. In Murau bilden die mittigen Gurte das langlebige Grundelement. Beim Traversina-Steg liegt der Druckgurt ebenfalls in der Mitte und wird durch den Gehweg geschützt. Derselbe Gedankengang äußert sich formal auf verschiedene Weise. Der Umgang mit Torsion war bei beiden Brücken extrem. So ist es auch beim Traversina-Steg nicht so, dass man über der Konstruktion geht, sondern man befindet sich noch dazwischen, denn die Wandscheiben der Geländer sind auch Teil der Statur. Auch der Traversina-Steg ist eine Auseinandersetzung mit Raum, es ist natürlich ein anderer Raum von der Topographie her, aber die Themen sind eng verwandt.
Zschokke In Murau haben wir aber ein Dach und eine Verschalung. Wie erfolgt nun der konstruktive Holzschutz beim Traversina-Steg?
Conzett: Also der Druckgurt ist durch den Gehweg geschützt. Und die übrigen Teile sind auswechselbar. Das war der Grund für vierteilige Streben. Bei diesen Streben kann man die Teilstäbe demontieren und wieder montieren, ohne dass Hilfsmaßnahmen nötig wären. Ebenso gilt dies für die Geländer. Sie sind - wenn die Brücke nicht gerade extrem belastet ist - auswechselbar. Das geschieht relativ einfach. Die lebenswichtigen Teile der Brücke sind bestens geschützt und müssen nie ausgewechselt werden, während die sekundären Teile leicht ausgewechselt werden können.
Vom Prinzip her ist es in Murau ähnlich, es gibt eine Hierarchie der Teile: die Gurte und die Schubscheiben liegen in der Mitte, die kann man natürlich nicht ersetzen, aber die Geländer, sogar die Querträger der Gehfläche wären ohne weiteres auswechselbar, wenn dies nötig werden sollte. Aber sie sind durch das Dach geschützt und aus geeignetem Holz, aus Lärche, sodass das in dieser Generation nicht nötig werden sollte.
Zschokke: Auf was für eine Lebenszeit wäre der Traversina- Steg, ohne die geologischen Ausnahmeverhältnisse und den Bergsturz einzubeziehen, ausgelegt gewesen?
Conzett: Man kann vielleicht die Silser Brücke (bei Thusis) von Richard Coray als Vergleich beiziehen, bei der Geländerteile und andere exponierte Teile im Abstand von zwanzig, dreißig Jahren ausgewechselt wurden. Aber die Pylone, die primären Elemente der Hängekonstruktion sind viel stärker der Witterung ausgesetzt als der Obergurt des Traversina- Stegs. Die Originalteile hat man dort etwa nach 70 Jahren ersetzt.
Zschokke: Das hieße, dass der Traversina-Steg ein Menschenalter gut überstehen hätte können, wenn er nicht durch den Murengang weggerissen worden wäre.
Conzett: Sicher.
Zschokke: Als Ersatz des weggerissenen Traversina- Stegs gibt es ein neues Konzept. Ist das so, weil die Brückenstelle neu gewählt werden musste, oder weil euer Forschungsinteresse sich gewandelt hat und ihr etwas Neues ausprobieren wollt, oder sind es Bedenken zum damaligen Konzept?
Conzett: Im ersten Moment wollten wir alle die Brücke wieder bauen, so wie sie gewesen ist. Das ist verständlich. Allerdings möchte man soetwas nicht ein zweites Mal erleben. Wir dachten daran, die Brückenstelle mit einer Verbauung zu sichern. Es zeigte sich aber, dass die Verbauung sehr teuer geworden wäre und dennoch keinen absoluten Schutz geboten hätte. Dann kam dazu ein ethischer Aspekt. Es ist ein touristisches Projekt, es ist keine Straße. Man kann nicht sagen: die Leute haben keinen anderen Weg und müssen da durch gehen. Nein, sie müssen nicht dort durchgehen, man lockt sie fast dorthin. Daher ist es nicht zu verantworten, eine Stelle, die man als gefährlich erkannt hat, weiterhin zu bebauen und betreten zu lassen. Es wäre kaum angemessen, vergleichbare Verbauungsmaßnahmen zu treffen, wie für eine Autobahn. Ein starker Reiz des Bauwerks war die Filigranität in einer wilden Landschaft. Dieser Reiz ginge verloren, wenn die Schutzbauten die gleiche Größenordnung wie die Brücke erreichen würden. Aus diesen Überlegungen sind wir zum Schluss gekommen, dass es dort keine Brücke mehr geben kann. Wir müssen aus dem, was geschehen ist, die Lehren ziehen. Wir verschieben die Brücke talwärts, bis zu einem Standort, von dem wir wissen, er kann nicht mehr von einem Felssturz getroffen werden. Das erfordert ein anderes Brückenkonzept, weil das Problem sich anders stellt, und die Spannweite etwas größer ist. Das heißt aber nicht, dass wir an einem anderen Ort, wo der Typ des Traversina-Stegs hinpassen würde, ihn nicht noch einmal bauen würden.
Zschokke: Die Kombination von Materialien ist ja sehr interessant, etwa von Holz und Stahl oder von Holz und Beton. Wir haben vorher von der Möglichkeit gehört, den Beton als Speichermasse zu verwenden. Wie steht es mit den Möglichkeiten, Beton konstruktiv mit Holz zu kombinieren? Denn es gibt die Möglichkeit, den Beton auch tragen, das heißt statisch wirksam werden zu lassen.
Bronzini: Wir versuchten das soeben mit einem Projekt im Valsertal, bei »Peiden-Bad«, der Abzweigung ins Lugnetz aufzuzeigen. Eine alte, schon sehr baufällige Eisenbrücke musste ersetzt werden. Und die Lasten wurden erhöht. Die Gemeinde möchte grundsätzlich eigenes Holz einsetzen, weil sie es nahezu gratis liefern könnte. Wir haben ein Sprengwerk aus Holz vorgeschlagen, und darüber, auch als Schutz, eine Fahrbahnplatte aus Beton mit Geländern, möglicherweise aus Holz. Wir haben mit einer konventionellen Betonvariante verglichen und es zeigte sich, dass die beiden preislich etwa gleichwertig sind und gute Chancen bestehen, jene mit Holz auszuführen.
Zschokke: Wie funktioniert das Zusammenwirken von Holz und Beton? Ich nehme an, die Betonplatte wird statisch auch eine Rolle spielen.
Bronzini: Selbstverständlich. Wir haben ein Sprengwerk, wieder zentral, wie beim Traversina-Steg oder bei der Murauer Brücke, das gut geschützt ist. Dieses Sprengwerk trägt die Eigenlasten. Dann haben wir darüber eine Platte, die dreimal breiter ist. Diese Platte muss helfen, die exzentrische Belastung, die Torsionsbeanspruchungen, die aus dem Verkehr entstehen können, zu übernehmen, wobei Platte und Randabschlüsse die Kräfte an die Widerlager abgeben. Einen Verbund benötigen wir in diesem Fall nicht. Das Sprengwerk bietet zusätzliche Unterstützungen. Darüber verläuft die vorgespannte Fahrbahnplatte aus Beton.
Conzett: Für das Konzept dieser Brücke sprachen auch montagetechnische Gründe. Wir wollten eine Art verlorene Schalung unter dem Beton einsetzen, die aber kein eigenes Gerüst benötigt. Sie läuft quer durch und ist vom Betonunterbau getrennt, sodass eine Schubverbindung relativ schwierig gewesen wäre. Es war uns wichtiger, dass die Montage einfach und rasch ablaufen kann, da die Straße nur für kurze Zeit gesperrt werden darf. Daher ist kein Verbund vorhanden. Er hätte aber auch nicht viel genützt. Das sind immer individuelle Entscheidungen, so dass man nicht generell sagen kann, der Verbund ist ein Allheilmittel und wird dann womöglich zu teuer. Diese Überlegungen sind Teil des Konstruktionsentwurfs und das ist eben ein Entwurf…
Bronzini: …für eine normale Straßenbrücke für Fahrzeuge von 28 Tonnen.
Conzett: Grundsätzlich interessiert uns alles, was mit Konstruktion zu tun hat. Aber wir haben festgestellt, dass in unserem Kanton in vielen Gemeinden die Verwendung von Massivholz - möglichst direkt aus dem gemeindeeigenen Wald - eine äußerst günstige Variante darstellt, die häufig nicht bedacht wird, weil sie zu wenig hightech-mäßig daherkommt. Das finden wir einerseits interessant. Andererseits machen wir natürlich auch gerne ein Hightech- Objekt, wenn es uns sinnvoll erscheint. Das kommt ganz auf die Umstände an. Aber ich finde, auch in den herkömmlichen, simplen Strukturen kann ein großes Potenzial an Faszination stecken, wenn man sie mit spezifischer Konsequenz behandelt. Es ist nicht immer nötig, neu zu erfinden. Mich persönlich interessiert es, aus gewöhnlichen Dingen etwas Sinnvolles zu machen, und das Komplizierte auf eine elementare Grundlage zurück zu führen.
Wo Stilepochen aufeinanderprallen, da kommt es darauf an, wie die Kombination der Elemente erfolgt, wie die Konfrontation architektonisch bewältigt wird. Ein bemerkenswertes Beispiel: der Zubau zum Eisenstädter Rathaus von Andreas Fellerer und Jiri Vendl.
Das Eisenstädter Rathaus datiert aus der Mitte des 17. Jahrhunderts und verfügt über eine äußerst interessante Fassade zur Hauptstraße, an der Elemente der Spätrenaissance und des Frühbarocks, ja selbst gewisse spätgotische Spuren zusammenspielen. Mit den beiden Rund-Erkern und einem eckigen in der Mitte, dem Bilder- und Fensterband und den geschwungenen Giebeln bildet es einen der architektonischen Höhepunkte an der platzartig verbreiterten Hauptstraße. Für eine zeitgemäße Verwaltung und ein entsprechendes Bürgerservice ist es jedoch zu klein, weshalb nur mehr der Hochzeitssaal, Empfangsräume und das Büro des Bürgermeisters mit Nebenflächen hier Platz finden.
Für die Gemeindeverwaltung und den Gemeinderatssaal wurde daher auf dem tiefen Grundstück, das bis zur Haydngasse reicht, ein Verwaltungstrakt vorgesehen. Zusammen mit dem östlich benachbarten Gebäude des Rathauses und der parallel liegenden Parzelle wurde für das insgesamt mehr als 2600 Quadratmeter messende Areal ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, den die Wiener Andreas Fellerer und Jirí Vendl für sich entscheiden konnten.
Ihr Konzept folgte dem siedlungstypologischen Prinzip und sah einen tiefen, bis zur Haydngasse reichenden Hof vor, der von zwei langen, vier Geschoße hohen Seitenflügeln gefaßt wird. Der östliche enthält in den ersten beiden Geschoßen Geschäftsräumlichkeiten und darüber eine Zeile von fünf Maisonnetten. Der westliche Seitenflügel ist auf drei Geschoßen als Bürohaus organisiert; das vierte enthält die Räumlichkeiten für die politischen Parteien sowie den Gemeinderatssaal, der volumetrisch, seiner Bedeutung gemäß, einen kräftigen Eckakzent setzt und an der Haydngasse in spannungsvoller Weise über die Jahrhunderte hinweg mit den gotischen Pfeilerrippen am Chor der Franziskanerkirche dialogisiert.
Den Anschluß an den alten Straßentrakt bilden jeweils die Stiegenhäuser, die funktional und in puncto Gliederung der Bauvolumen als Gelenk wirken. Das klare städtebauliche Konzept zeugt von großer Selbstverständlichkeit. Die Architekten wählten das Naheliegende und fraglos Richtige und verblieben im Muster der vorhandenen Baustruktur. In der architektonischen Durchbildung strebten sie jedoch gemeinsam mit ihrer Projektleiterin, Ingeborg Heim, einen unaufgeregten, kühl-trocken-modernen Ausdruck an, der konsequent und mit feinem Gespür für Proportionen und Raumbildungen durchgehalten wird.
Weiß geputzte Mauern und Brüstungsbänder, Fensterprofile in Aluminium und als Brüstung vor dem oberen Geschäftsgeschoß graugrünes Glas: Mit der disziplinierten Materialwahl und dem muralen Charakter der Stirnseiten gelingt es, den verhältnismäßig großen Eingriff in den Kontext einzufügen. Denn das Instrumentarium der benachbarten älteren Bauten ist - insbesondere an den Gebäuderückseiten - nicht gar soviel anders: Mauern sowie Fenster als Löcher in den Mauern, Leichtbau in Holz und Glas bei Pawlatschen. Stukkaturen, Verdachungen und so weiter weisen nur die Vorderseiten auf. Damit bleibt, auch wenn die Formate der Öffnungen andere sind, einiges an Strukturverwandtschaft gewahrt, sodaß selbst das Nebeneinander des neuen Bauwerks mit einer gründerzeitlichen Fassade an der Haydngasse nicht unverträglich wirkt.
Natürlich spielt die zwischenzeitliche Gewöhnung an die Architektur der Moderne eine Rolle. Nicht anders verhält es sich aber mit den barockisierten Fensteröffnungen am Chor der Franziskanerkirche. Zwischen den Stilformen und ihren Baudaten liegen Jahrhunderte. Doch es kommt darauf an, wie die Kombination der Elemente erfolgte, wie die Konfrontation architektonisch bewältigt wurde. Ob sie proportional im Verhältnis von Öffnung und Mauer aufeinander abgestimmt sind, ob man merkt, daß die Maßnahme nicht gleichgültig, sondern sorgsam gesetzt wurde. Das hieße, daß sogar allein die planerische Achtsamkeit als Moment der Integration zu wirken vermöchte. Für eine in Stilmustern verhaftete Vorgangsweise natürlich undenkbar, sehr wohl aber aus architektonischer Sicht. Die langen Hoffassaden weisen einen höheren Anteil an Metall-Glas-Konstruktionen auf. Sie wirken damit offener, andererseits halten sich die Gestalter an nutzungsspezifisch klare Aussagen: vor den Geschäftsräumen großflächige Verglasungen, vor den Büros Bandfenster und vor den Wohnungen eine Mauerfläche mit versetzten Öffnungen, was auf ihren konstruktiven Charakter hinweist.
Den Gemeinderatssaal, dessen zweiseitige Auskragungen in Stahlkonstruktion bewältigt wurden, hüllt eine Leichtbaukonstruktion mit Blechverkleidung. An diesem wichtigen Gebäudeteil hätte man sich vielleicht etwas weniger Zurückhaltung erwartet. Denn die disziplinierte Sprossen- und Fugenteilung nimmt den funktional begründeten Regelverstoß der Auskragungen fast zu sehr wieder zurück. Das Innere des Verwaltungsflügels birgt hinter den Büros entlang der Fassade außer den Erschließungsflächen vor allem eine dreigeschoßige Halle mit umlaufenden Galerien und großzügigen Stiegenläufen. Das Licht gelangt zenital durch ein Fensterband an der Feuermauer, wo die Schatten der Sprossen die Sichtbetonwand beleben.
Hier wird der Rücksprung des obersten Geschoßes sichtbar. Die größeren Spannweiten gaben dem Tragwerksplaner Richard Woschitz einige Nüsse zu knacken. Die konstruktiven Anstrengungen sind jedoch nicht zu sehen, sie ziehen sich zurück in das räumliche Gebilde aus Scheiben und Platten, das den hohen Raum definiert. Sie sind Tragwerk und Architektur zugleich. Die Brüstungen aus rotem Schalungssperrholz verleihen dem Raum seitlichen Halt, sodaß er sich nicht in den Galerien verliert.
Auch beim Geschäfts- und Wohnflügel findet das Prinzip mit dem Fensterband in der Dachfläche Anwendung. Die von der Feuermauer abgerückte Zeile der Maisonnetten wird über einen Laubengang erschlossen, west- und damit hofseitig sind im Obergeschoß bei jeder Wohnung zimmergroße Terrassen eingeschnitten, die als geschützte, private Außenräume einen hohen Wohnwert aufweisen. Ihr Rhythmus von Hohl und Voll belebt den Gesamtbaukörper, signalisiert Individualität in der Reihe und überlagert damit die verbindende Wirkung des unteren Wohngeschoßes, das als langes Prisma über der Metall-Glas-Fassade der Geschäfte zu schweben scheint. Das Vokabular der Moderne ist mit abgestimmten Details perfekt artikuliert und wirkt nicht mehr als elitäre, sondern als verbreitete Architektursprache, die mittlerweile von interessierten Laien nachempfunden, genossen und in ihrer Qualität beurteilt werden kann.
Fast zwei Dutzend Jahre benötigte die Republik im heftigen Infight mit „Kronen Zeitung“ und Stadt Wien, um von der Idee eines zeitgenössischen Kulturbezirks zu dessen baulicher Realisierung zu gelangen. Noch stehen die meisten Neubauten stumm, aus Steinen ohne was herum und harren ihrer Bespielung. Zur Eröffnung des Museumsquartiers: ein kritischer Rundgang.
Das meiste ist bekannt. Unendlich langes Gezerre im Vorfeld. Intrigenspiele, Schach- und Winkelzüge sowie Kompromisse gäben Stoff für mehrere Tragikomödien - doch wir sind in Wien, wo derlei Alltag ist. Die Architekten Ortner & Ortner, Gewinner des Wettbewerbs, planten jedenfalls mehr als einmal um. Doch seit 1995 stand das städtebauliche Konzept in großen Zügen fest - Präzisierungen im Detail wie immer vorbehalten -, und heute ziehen sich die Bautruppen unter Hinterlassung der üblichen Rückstände mehr oder weniger geordnet zurück.
Der Blick vom Burgtor offenbart einiges: Hinter dem pfirsichrosa leuchtenden Prospekt der ehemaligen Hofstallungen des Johann Bernhard Fischer von Erlach, wie sie halt nach Kriegszerstörungen im frühen 19. Jahrhundert und amtlicher Wiederherstellung nach Beschädigungen im Revolutionsjahr 1848 ins 20. Jahrhundert gedämmert sind, wächst rechter Hand eine dunkle Wölbung über den langen First, die sich vor der hohen Häuserzeile an der Breiten Gasse deutlich abhebt. Linker Hand schiebt sich, bloß schwach erkennbar, ein heller Baukörper unter die lagerhafte Attikabebauung über der Karl-Schweighofer-Gasse. Und seit über einem halben Jahrhundert darf der Flakturm in der Stiftskaserne die Blickachse dominieren.
Der schwache Kompromiß aus der Forderung der Neugläubigen, daß sich die Neubauten über den niederen Altbestand hinaus zeichenhaft manifestieren dürften und auch sollten, und der Reaktion der Altgläubigen, daß dies keinesfalls geschehen dürfe, hat ein eklatantes Ungleichgewicht hinterlassen. Kein Wunder in einem kulturpolitischen Klima, das von allen möglichen Seiten permanent und wider bessere Erkenntnis vergiftet wurde. Einem Klima, in dem sich Kontrahenten gegenseitig selbst die Eiterzähne neiden, wie man weiter westlich zu sagen pflegt. Allein die nüchterne Chronologie der Ereignisse mit den Schlagzeilen der Gehsteigpresse, zusammengestellt von Architekturzentrum und Museumsquartier, spricht Bände (siehe „hintergrund Nr. 11“, eine Publikation des Architekturzentrums Wien).
Nun, es hätte schlimmer kommen können. Einmal durch den Haupteingang spaziert, in den vorläufig Mittelhof genannten, zentralen Außenraum - es wird sich nächstens gewiß der Name eines verdienten (Kultur-)Politikers des Volkes finden, nach dem er dann benannt wird -, steht man also auf einem geräumigen Platz, erblickt zur Linken einen neuen weißen Baukörper, zur Rechten einen neuen dunkelgrau changierenden und in der Mitte einen brav neobarock erneuerten querstehenden Trakt mit einem dreibogigen Vorbau, dessen Attika weiterhin eine Uhr trägt, damit alle wissen, was es geschlagen hat und ob sie noch rechtzeitig zur angepeilten Veranstaltung kommen.
Von seiner Zeichenhaftigkeit sollte man sich aber nicht irritieren lassen. Hier geht es nicht hinein. Die seitlichen Treppen führen nur hinauf und wieder herunter. Aber die Eindeutigkeit der übrigen Disposition, große Baukörper, helle und dunkle Oberflächen, lassen solche Verwirrspielchen der alten Bausubstanz abblitzen, denn deutlich signalisieren die breiten, je beiden Neubauten angefügten Treppen, daß es hier weitergeht. Der Platzraum wird von den genannten vier Gebäudevolumen - dem ehemaligen Palais des Oberhofstallmeisters, der ehemaligen Winterreithalle, dem Leopold Museum und dem Museum Moderner Kunst - als Spannungsfeld von zwei sich kreuzenden Baukörperbeziehungen definiert, wobei die Relation der Neubauten etwas freier interpretiert ist als die axialsymmetrische Gegenüberstellung der zentralen Gebäude des Bestands. Er wirkt nicht so groß, wie er ist, da die beiden Neubauten ein Ablesen von Geschoßen zumindest erschweren. Aus Distanz erscheinen sie kleiner - also vermeintlich näher. Weder kann man daher übermäßige Monumentalität vorwerfen, noch daß sich ihre Proportionen außerhalb des vorhandenen städtebaulichen Maßstabs bewegten.
Das Vorstoßen der beiden neuen Baukörper in den weiten Freiraum hinter der bestehenden Randbebauung gliedert diesen in mehrere platzartige Zonen, die trotz des Kontinuums Eigenständigkeit erlangen. Sie versprechen abwechslungsreiches Flanieren und vielfache Bespielbarkeit. Dabei wird die Rückseite des Frontprospekts, die eben eine Rückseite ist, von zwei Reihen Ahornbäumen, die das Mittelpalais flankieren, abgeschirmt und neutralisiert. Begleitende Holzbänke geben dieser Platzkante eine unkomplizierte, urbane Wohnlichkeit. Im Kontext des Rahmens, der vom zu erhaltenden Bestand vorgegeben wurde, ist das Konzept, die beiden Neubauvolumen auf zwei Hauptbaukörper zu konzentrieren, diese aber aus dem Raster zu lösen und mit einer Drehung auf benachbarte städtebauliche Richtungen zu beziehen, durchaus geglückt. Hinter der von der Winterreithalle markierten Linie ist das Museumsquartier nicht zu Ende: Eine Art Hintergasse, die sich zwischen Bestand und den Rückseiten der Neubauten durchwindet, entwickelt ein spezifisches Flair derartiger Zonen, mit Müllcontainern, Servicefahrzeugen, Berufstätigen und verirrten Touristen.
Hier stößt man auf den dritten großen Neubaukörper, jenen der Kunsthalle Wien, der parallel zur ehemaligen Winterreithalle, der nun zwei Veranstaltungshallen eingeschrieben sind, unmittelbar an diese anschließt. Der knappe verbleibende Umraum wird vom sogenannten Ovaltrakt gefaßt, dem hintersten Teil des Altbestands. Der lange Gassenraum dazwischen ist in seiner Kontrastwirkung nicht unattraktiv. Etwas problematisch scheint jedoch die beziehungsneutrale Distanzlosigkeit von Reithalle und Kunsthalle in städtebaulicher Hinsicht. Obwohl sie über einen gemeinsamen Eingang verfügen, signalisiert von einem hohen gemauerten Torbogen, dessen ziegelrote Schmucklosigkeit der Symmetrie der Reithalle ein Schnippchen schlägt, bilden sich hier die Zwänge am deutlichsten ab; die Durchfahrt für die Anlieferung, die Unverrückbarkeit der Winterreithalle, der knappe Platz erschwerten ein Interagieren von Neu mit Alt. Die zwei langen Baukörper sind aneinandergequetscht, die eigenartig asymmetrische Dachform des neuen läßt den Betrachter ratlos. Die Zugänge halten sich im wesentlichen an das Angebot des Bestands, der das Museumsquartier umschließt. Man betritt die (Klein-)Stadt der Museen in der musealen Stadt durch Torbogen. Oft zieren deren Schlußsteine süßlich modellierte Pferdeköpfe, die eher aus dem verklemmten 19. Jahrhundert als aus der Barockzeit stammen. Nur von Westen, aus dem siebten Bezirk wurde von der Breiten Gasse her eine Bresche in die Häuserzeile geschlagen. Ein Steg führt auf den umlaufenden offenen Gang, der auf Höhe Dachgeschoß des Ovaltrakts verläuft. Die beiden Arme dieses Weges leiten nach links und nach rechts durch Durchlässe, über weitere Stege und Treppen - ja, auch Aufzüge - auf die Terrassen hinunter, welche die Reithalle flankieren und als Zugangsebenen der beiden großen Museen dienen.
Auf die reale Hinterhofatmosphäre der alten Feuermauern und des noch zu regenerierenden Glacis-Beisels reagierten die Architekten mit einem gleichsam synthetischen Backstage-Design, dessen von der Kunsthalle entlehnter Ziegelbodenbelag befremdlich wirkt. Überhaupt scheint man sich hier in der Wahl der Mittel vertan zu haben. Die überkandidelten Geländer sind eben nicht anspruchslos, die verzogene, angeschnittene Rückseite des Ovaltrakts ist zu kleinkrämerisch. Mag sein, daß die Zeit die schlimmsten Wunden heilt, doch die Selbstverständlichkeit eines Wiener Hinterhofzugangs wurde nicht erreicht, die selbstgestellten Ansprüche, sofern sie bestanden, wurden nicht eingelöst.
Auch der südliche Zugang, von der Mariahilfer Straße her, läßt Fragen offen. Wer hat bloß die unsäglichen eckigen Betonkisten für die zahlreichen Bäume im Klosterhof zu verantworten, die den kleinen Hofraum zerstören?
Der Städtebau ist also halbwegs zufriedenstellend, wenn auch nicht sensationell ausgefallen. Die Vitalität der Nutzungen, vor allem die der Besucher wird sich der Plätze, Höfe und Gassen bemächtigen, sie beleben und permanent umfunktionieren. Neben Straßencafés werden sich wohl zwar keine Schuhputzer ansiedeln, aber vielleicht fliegende Fußmasseure, die den brennenden Sohlen der Besucher nach den vielen durchwanderten Sälen Linderung verschaffen. Nach dem Städtebau soll nun der Blick auf die Architektur der einzelnen Neubauten gerichtet sein, die nach dem Prinzip der harten Schale - weiß, anthrazit, rotbraun; Kalkstein, Basalt, Ziegel - gestaltet und unterschieden sind. Der augenfälligste Neubau ist das Museum Moderner Kunst, dessen hochgewölbte Dachform Signifikanz verleiht und dessen allseitige Fassade in dunklen braungrauen bis anthrazitschwarzen Farbtönen changiert. Mauerwerkstruktur und Farbtextur erzeugen ein faszinierendes Spannungsverhältnis. Lichtwechsel und Lichtfarbe - etwa bei Dämmerung - werden den Ausdruck ständig verändern, Regen auch. Der klare Baukörper wird immer wieder anders erscheinen, neugierig machen auf das Innere und sich längerfristig zu behaupten wissen. Die nach oben strebende Großform wächst wie ein Pilz aus dem Platzbelag heraus. Eine kragenartige Scheide aus hellem Stein definiert dessen Rand. Die anfangs gerundeten, nach oben gleitend schärfer werdenden Gebäudekanten verstärken die aufstrebende Wirkung. Warum ist aber der Abstand des weißen Wulstes zum Baukörper vorne und seitlich ungleich? Will uns der Architekt hier etwas mitteilen, wenn ja, was? Jedenfalls wirkt dieses Detail unentschieden in einem sonst starken und schlüssigen Konzept. Der niedrige Eingang, der von der Terrasse auf halber Höhe erfolgt, muß nach der breiten Freitreppe, die als Signal für die Besucher wirkt, nicht noch gesondert betont werden. Die scheinbare Beiläufigkeit ist sympathisch und beeinträchtigt den zugleich als Freiluftcafé genutzten Zwischenbereich wenig. Ein pompöser Eingang hätte die geschlossene Einheit des Baukörpers zerstört. Das Kunsthaus Bregenz oder die Landesbibliothek und das Landesarchiv in St. Pölten legten für einen Gebäudezugang in zurückhaltender Art und Weise die Spur. Wenn die Lage des Zugangs wie hier städtebaulich bereits definiert ist, braucht es kein auffälliges Portal mehr.
Im Inneren empfängt den Besucher eine hohe, ebenfalls mit Basalt verkleidete Halle, dessen Porosität raumakustisch angenehm dämpfend wirkt. Ein verglaster Lift ist heute offenbar ein Muß, während die gußeisernen Treppenstufen zumindest originell wirken, aber zugleich etwas erzwungen. Unverständlich immer wieder die Glasbrüstungen, auf die man sich nicht bequem stützen kann, auch wenn der eindrückliche Tiefblick - oder ein müder Rücken - dies nahelegen möchten. Das mittlerweile erforderliche Verbundsicherheitsglas mit zwei Glasscheiben, also vier Spiegelungsebenen, weist wegen der Glasstärke einen leichten Farbton auf und hat nicht mehr die Durchsichtigkeit einer einzelnen Scheibe - oder eines einfachen Metallgeländers aus schlanken Stäben.
Die Säle sind flexibel unterteilbar, das System der Beleuchtung drängt sich allerdings vor Hängung oder Aufstellung der Kunstwerke noch relativ stark in den Vordergrund. Die Raumakustik weist wegen der harten, glatten Oberflächen einen langen Nachhall auf, was bei Führungen problematisch sein wird. Und Lautsprecherdurchsagen wird man kaum verstehen. Das Prinzip der neutralen, weißen Räume, ausschließlich mit Kunstlicht, war ein Nutzerwunsch. Doch hier gibt es rasch wechselnde Moden. Nur im obersten Geschoß durchbricht ein breites Fenster, das den Blick auf Dächer und Kuppeln der Innenstadt freigibt, die hermetische Schale. Hier oben folgt die Decke auch der äußeren Wölbung, eine Galerie gibt dem für Veranstaltungen und die Vernissagen gedachten Raum individuelles Flair. Insgesamt hinterläßt das Bauwerk für das Museum Moderner Kunst, trotz einiger diskussionswürdiger Teilaspekte in architektonischer Hinsicht, einen guten, ja den besten Eindruck. Der große Quader für das Museum Leopold bildet dazu das städtebauliche Gegenstück. Er ist weniger hermetisch, mit Fensteröffnungen in der blendend weißen Natursteinschale. Mit einer breiten Treppe zur Eingangsterrasse hinauf und dem bescheidenen Eingang ist es gleich erschlossen wie das dunkle Schwestergebäude. Der Grundriß ist nach dem Windradprinzip um eine hohe zentrale Halle organisiert, was außen mittels schmalhoher Fensterschlitze ablesbar gemacht ist. Eine eigenartige Stelle in der Fassade ist jedoch dort, wo die Steinbank, die den Übergang der Gebäudebasis zum Platz formuliert, unvermittelt abbricht und nur mehr als steinerne Leiste fortgesetzt wird. Und gerade an dieser Stelle endet irgendwie der hohe Fensterspalt. Die primäre strukturelle Ebene mischt sich in nicht nachvollziehbarer Weise mit tertiären Detailaspekten. Diese Unstetigkeit oder Störung wirkt unbeholfen, wie „passiert“ und läßt die sorgende Hand des Architekten vermissen. Sollte sie jedoch gewollt sein, fehlt ihr der nötige Kick. Wenig gelungen sind auch die flachen, feldweisen Kanneluren des Kalksteinmantels. Auch hier fehlt eine architektonische Beziehung dieser Applikation zum Ganzen oder zu den eingeschnittenen Fenstern. Für eine kontrastierende Maßnahme ist sie wiederum zu schwach.
Die Kalksteinverkleidung zieht sich auch in die allgemeinen Räume der Innenwelt des Leopold-Museums. Oft deckt sie alle sechs begrenzenden Flächen der Räume. Die glatten Oberflächen schaffen raumakustische Probleme, auch wenn Konzerttauglichkeit nicht im Pflichtenheft gestanden ist. Der alles deckende Naturstein wirkt in diesem Ausmaß eher verkrampft und bemüht, was gewiß auch mit der nicht übermäßig sorgfältigen handwerklichen Bearbeitung zusammenhängt. Insgesamt verläßt der Betrachter das leere Haus nicht sonderlich befriedigt. - Der Entscheid, die Kunsthalle mit Ziegeln zu verfliesen, erscheint im Gesamtzusammenhang nicht sorgfältig genug durchgearbeitet. Immerhin ist die Gestaltung der langen Mauer zum Ovaltrakt gelungen. Der Gassenraum ist angenehm unprätentiös und ruhig, gewinnt sogar als der schönste der Hintergassenzüge eigenständige Qualität. Aber das Gebäude verliert seine Objekthaftigkeit im Vergleich mit den anderen beiden Museen, weil die Ziegel über alles und jedes und sogar noch bis zur Breiten Gasse hinauf gezogen sind. Das Innere einer Kunsthalle wird gewöhnlich einem permanenten Wandel unterworfen, doch auch hier tritt das Beleuchtungssystem stark in Erscheinung.
Die Erneuerung des ursprünglich von Fischer von Erlach geplanten langen Hauptprospekts durch Manfred Wehdorn ist noch nicht abgeschlossen. Die Chance, das Bauwerk im Sinne des Entwurfs Fischers in städtebaulicher und architektonischer Hinsicht mit einer deutlicher differenzierten Dachlandschaft und einer Betonung der Eckrisalite zu stärken, wurde nicht wahrgenommen. Es zeigt sich bei diesem konservatorischen Ansatz ein Problem, indem selbst bei dieser architektonisch eher durchschnittlichen Bausubstanz und - bezogen auf die Renovationen des 19. Jahrhunderts - einem relativ geringen Gebäudealter der technisch-denkmalpflegerischen vor einer architektonisch-kritischen Erneuerung der Vorzug gegeben wurde.
In der gesamten Anlage waren zahlreiche Detailaspekte architektonisch zu lösen. Das sind Geländer, Treppenrampen, Anschlüsse von Alt und Neu, der Einbau von Liften, die Verteilung von Platzbelägen und so weiter. Ob es nun die in Steinbrüstungen eingeschnittenen zusätzlichen Glasgeländer oder überhaupt die gestalterisch stark hervortretenden, verschiedenen Geländerarten sind, die großen Glaslifte im rückwärtigen Bereich oder die sarkophagartigen Steinbänke vor der Reithalle: in dieser Maßstabsebene, in der der Mensch den Architekturelementen körperlich sehr nahe kommt, machen sich mangelnde Durcharbeitung in Hinblick auf Selbstverständlichkeit und Unkompliziertheit schnell bemerkbar. Wegen der angestrebten großen Keilform der Außentreppen werden beispielsweise die den Eindruck wieder schwächenden Glaseinsätze in Kauf genommen. Oder die attraktiven Gitter vor den Glasliften werden durch ihre anschließende Degradierung zu Geländern entwertet und entwerten ihrerseits die Liftprismen in ihrer Wirkung. Und wo stellt das erwartete, zahlreiche junge Publikum seine Räder hin?
Mag sein, daß bei so umfangreichen Projekten die Detailliebe nicht omnipräsent sein kann. Vielleicht handelt es sich auch um eine Entwicklung, die in anderen Ländern längst abgeschlossen ist und hier gerade nachvollzogen wird. Schade ist es allemal.
Was für städtische Wohnhäuser gilt, gilt selbstredend auch für Bürohäuser: daß sie energietechnisch sparsam geplant und errichtet werden können. Gerhard Lindner liefert dafür in Wien-Ottakring einen technisch wie gestalterisch ansprechenden Beleg.
Vor mehr als zehn Jahren überlegten sich offizielle Stellen noch ernsthaft, auf die Verlängerung der U3 nach Ottakring und ihre Verknüpfung mit der Schnellbahn zu verzichten, weil man das Entwicklungspotential als zu gering einstufte. Doch es kam der Fall des Eisernen Vorhangs, und in der Folge wurden die Chancen im Nahbereich der Station Ottakring von der öffentlichen Hand genutzt. Private Investoren blieben nicht untätig, und so gibt es im weiteren Umfeld einige Baustellen.
Die mittlere Körnung der Parzellenstruktur kommt einer funktional durchmischten Erneuerung der überalterten Stadtsubstanz entgegen. Wenn größere Areale neu bebaut werden, dauert es in der Regel einige Jahre, bis sich der Stadtorganismus eingespielt hat. Das Schließen einer Baulücke ist hingegen ein selbstverständlicher Vorgang im Alltag eines Stadtquartiers.
An der Lorenz-Mandl-Gasse sah es noch vor wenigen Jahren hinsichtlich Arbeitsplätzen wenig hoffnungsvoll aus. Leerstehende und bloß temporär genutzte ehemalige Produktionsstätten mit ungepflegten Fassaden steckten zwischen den großen Wohnanlagen. Mittlerweile hat sich eine bunte Mischung neuer Nutzungen - meist im Altbestand - angesiedelt. Der nächste Schritt, der Beginn baulicher Erneuerung, war nur eine Frage der Zeit. So lud der Projektentwickler Bene-Consulting vor zwei Jahren mehrere Architekten ein, ein Gutachten über ein etwa 650 Quadratmeter zählendes Grundstück abzugeben. Ein bestehender Hofflügel sollte erhalten bleiben, möglichst viele Garagenplätze sollten geschaffen und der Neubau für optimale Büronutzung vorgesehen werden. Alles unter marktwirtschaftlichen Kriterien, versteht sich. Mit einem durchrationalisierten Konzept, das die späteren Betriebskosten und jenen Anteil am Betriebsklima einbezog, der von der baulichen Gestaltung beeinflußbar ist, entschied der in Baden bei Wien domizilierte Architekt Gerhard Lindner den Wettbewerb für sich. Den Ausschlag gab das ökonomisch kluge Gesamtkonzept, das eine architektonisch sorgfältige Umsetzung versprach.
Es gehört zur Ironie der Flächenwidmung, daß der sicherste Erhalt von Hofeinbauten in einem Verbot und der Belegung der Hofflächen mit einem kleinen „g“ besteht, was „gärtnerische Gestaltung“ heißt. Der nicht unansehnliche zweigeschoßige Hofflügel mit immerhin 350 Quadratmetern Nutzfläche wurde daher komplett mit der Tiefgarage unterfangen und die Hoffläche sowie das erneuerte Dach des Altbaus mit einer kräftigen Humusschicht überzogen und begrünt.
Für den Straßentrakt schlugen die Entwerfer, Architekt Lindner und Projektleiter Thomas Vielnascher, eine Stahlkonstruktion mit vorgehängter Fassade vor, um Bauzeit zu sparen. Die Vertikalerschließungen wie Treppe, Lift und Lüftungsschächte kamen zur Feuermauer beim Anschluß an den Hofflügel zu liegen, die Sanitärräume nebst weiteren Schächten an der anderen Feuermauer. Und weil ein Leichtbau energetisch so seine Probleme haben kann, wurden Decken aus Betonhohldielen vorgesehen, die als Speicher- und Ausgleichsmasse im Wechsel von Tag und Nacht sowie Sommer und Winter dienen. Dies vor allem deshalb, weil über ein unter der Tiefgarage liegendes Erdregister - Kunststoffrohre, die von angesaugter Luft durchströmt werden - die Frischluft, vorgekühlt oder vorgewärmt, nach einem gefinkelten System die Deckenhohlräume durchfließt. Im Sommer können die Decken nachts abgekühlt und die Arbeitsbedingungen positiv beeinflußt werden. Im Winter wird die zur Stützlüftung benötigte Luft im Erdregister vortemperiert und über einen Fernwärmeanschluß auf das gewünschte Raumklima abgestimmt.
Alle diese Teile des Gesamtkonzepts sind rational nachvollziehbar, bilden somit die ingenieurwissenschaftlichen Komponenten des Entwurfs, die nun mit den Überlegungen zu Erscheinung und Gestalt des Bauwerks in ein architektonisches Gesamtkonzept integriert werden mußten.
Selbstverständlich legte der Architekt diese ingenieurtechnischen Komponenten bis in die Details mit Fachleuten fest, besonders ihre potentiellen Auswirkungen auf die Architektur. Als Tragwerksplaner wirkte das Büro Gmeiner/Haferl, die energetische Gebäudesimulation betreute Patrick Jung. Seit alters weist der Architektenberuf eine nicht unwesentliche Ingenieurkomponente auf, die allerdings kaum weniger Kreativität erfordert, nur etwas mehr Disziplin. Kosten lassen sich nämlich nur mit kreativen Überlegungen einsparen, genau rechnen kann der Computer.
Architektonisch ging es um die gestalterische Einfügung in den Bestand und eine angenehme Raumstimmung im Inneren. Im Erdgeschoß, das weder für Büro- noch für Wohnnutzung sehr günstig ist, wurden Zugang, Einfahrt und Serviceräume zu einem dunkel gefärbten Sockel zusammengefaßt. Denn an Geschäfte war an dieser Stelle nicht zu denken. Darüber steigt die Fassade mit niedrigen, vorgehängten Betonelementen und eingesetzten Fenstern in Holz-Metall-Bauweise auf. Die Teilung und Gliederung in hochformatige Flächen bezieht sich auf Proportionen, die sich an benachbarten Gründerzeithäusern finden. Der Versatz der Ordnung von Geschoß zu Geschoß hat neben feuerpolizeilichen Vor- schriften seine Gründe gewiß auch in aktuellen Strömungen, die sich auf die fünfziger und sechziger Jahre beziehen. Und die gewählten Farben erinnern ebenfalls ein wenig an diese Zeit. Neu ist dagegen die Interpretation des Dachgesimses als tiefliegendes Fensterband, durch das man aus dem Dachgeschoß auf die Straße hinunter zu sehen vermag.
Die vor den Geschoßdecken abgehängten Putzstege dienen auch der Beschattung, weisen aber zugleich eine prinzipielle Verwandtschaft mit den Fensterverdachungen nebenan auf. Denn ein in die Tiefe gegliedertes Fassadenrelief wirkt anders als eine glatte Glaswand.
Im Inneren wurden nach vorgegebenem Büroraster von 1,30 Meter Modulmaß nichttragende Wände versetzt. Glasscheiben in Holzrahmen und farbige Paneele schaffen eine weiträumige Atmosphäre. Fenster zum Öffnen entsprechen den Mitarbeiterbedürfnissen, die etwa bei Hochhäusern unerfüllbar bleiben müssen. Am Hofflügel erweist sich die erfahrene Hand Lindners, der einige feinfühlige denkmalpflegerische Arbeiten vorweisen kann, im Umgang mit wenig spektakulärer Altsubstanz, was für die ansprechende architektonische Gesamtstimmung nicht unwesentlich ist. - Wenn bloß mehr Baulücken in dieser Qualität geschlossen würden!
Was gestern noch als der neueste „Hype“ abgefeiert wurde, ist heute bereits optisch verschlissen. Was tun, wenn der modische Lack ab ist? Ein Plädoyer für mehr Verantwortung beim Bauen, gerichtet an Auftraggeber, Architekten - und Medienleute.
Wenn man tiefer in die Architekturgeschichte einer Epoche eindringt, gerät man immer wieder ins Staunen ob der Reichhaltigkeit an architektonischen Konzepten, räumlichen Verdichtungen, Materialwirkungen oder Lichtführungen. Die Wirklichkeit erweist sich vielfältiger als alle Versuche der Wiedergabe, die sich verständnishalber einen roten Faden auslegen, vereinfachen und auswählen müssen.
Die Zuwendung zu Bauwerken der Vergangenheit fällt meist leicht. Den Forscherdrang steigert das Wissen, daß diese Bauten Zeugnisse jener Zeit sind, aus der unsere hervorgegangen ist. Das erleichtert es uns, einen Weg zu gehen, den andere, vielleicht gebildetere, klügere, erfahrenere oder genialere vor uns angelegt haben. Ihren Spuren folgend, uns da und dort Nebenwege suchend, ja, sich eigene Auffassungen erarbeitend, erlaubt man sich, mit Vorgängern nicht einverstanden zu sein, ihnen gar im Geiste zu widersprechen, das ehemals teure Buch womöglich zuzuklappen und wegzulegen. Man wird, wenn sie nicht zerstört ist, zur Substanz, zu den Bauwerken dieser Zeit hingehen, die Originale befragen, wie sie entstanden sein mögen, um ihre Wirkung in die Gegenwart zu verstehen. Aber mittelmäßige oder schwache Bauten taugen dazu nur wenig. Man wird daher die Finger davon lassen.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein mag es uns für Europa noch gelingen, eine gewisse Übersicht zu erarbeiten, doch in den jüngsten Jahrzehnten ist so viel und so kontrovers, in einem intensiven Wechsel von Auffassungen und Haltungen geplant und gebaut worden, daß die Wahrnehmung und Verarbeitung sowohl die Möglichkeiten von Normalbürgern als auch jene interessierter Laien übersteigt. Selbst die Kapazitäten jener, die sich berufsmäßig damit befassen, geraten an ihre Grenzen.
In diesem Kontext verwundert es kaum, daß die Kunstfigur „Austerlitz“ in W. G. Sebalds gleichnamigem Roman den Verlust an Raumstimmung und geschichtlicher Aura im alten Lesesaal der Bibliothéque Nationale in Paris beklagt - jenes hohen Raums, der von Henri Labrouste Mitte des 19. Jahrhunderts aus vielerlei gußeisernen Einzelteilen konzipiert wurde - und den Wechsel zur neuen Bibliothéque de France mit einer vernichtenden Kritik quittiert, die sich über mehrere Seiten zieht. Die Architektur betreffende Argumente mischen sich mit Kritik am Betrieb, aber das Sinnbild, die Zielscheibe der Standpauke bleibt das Gebäude.
Doch die Bauten von Dominique Perrault, dem Architekten der Bibliothéque de France, bilden bloß eine Strömung im breit verzweigten zeitgenössischen Ar- chitekturgeschehen. Denn nicht wenige Architekten manifestieren sich mit ihren Bauten auf ganz andere Weise. Einige agieren historisierend, andere klassisch modern, dritte graben Konzepte aus den sechziger Jahren aus oder haben immer schon so entworfen und so weiter. Vielen aber ist gemeinsam, daß ihre Bauten gleichsam schreiend daherkommen müssen, weil sie glauben, in einem angeblich unerbittlichen Konkurrenzkampf bestehen zu sollen.
Aber ist das nicht kurzsichtig? Tragen Bauten, die mit dem Speed des Drastischen oder Modischen aufgepeppt sind, nicht einen Stempel mit baldigem Ablaufdatum? Wird man es sich überhaupt leisten können, sie nach einem Dutzend Jahren, wenn ihre penetrante Erscheinung sich optisch verschlissen hat, abzureißen und durch einen Bau in dannzumaliger Mode zu ersetzen? Sollte sich die Architektur von jenem Virus, der für die Kleidermode unabdingbares Ferment ist, nicht etwas weniger oft infizieren lassen?
Ein Altmeister der Architekturkritik, Adolf Max Vogt aus Zürich, versteckte kürzlich einen starken Satz gleichsam beiläufig in einer Buchbesprechung: „Die Rangelei um Aufmerksamkeit, die Lust am Wechselsurfen muß die Architektur deshalb nicht fürchten, weil sie in einen elementaren Lebensbereich gehört. Ihre Würde besteht gerade darin, daß sie im Tempofieber nicht mittun kann und etwas anderes zu artikulieren hat“ (Neue Zürcher Zeitung, Nr. 79/2001).
Vogt ordnet die Architektur einem „elementaren Lebensbereich“ zu und signalisiert damit die große Verantwortung jener, die Architektur zu schaffen sich anheischig machen. Er spricht von „Würde“, mit der sie sich zu befassen haben, so sie Architektur wollen. Mit dem „anderen, das sie zu artikulieren“ habe, das er nicht ausschreibt, sondern bloß als Gegensatz zum „Tempofieber“, in dem die Architektur „nicht mittun kann“, andeutet, meint Vogt jene Dauerhaftigkeit der Formen über die Generationengegensätze hinweg, die man Nachhaltigkeit nennen könnte. Jene Kraft nämlich, die uns aus Bauten anspricht, die historisch geworden sind, sodaß eine neue Generation Menschen ihre Präsenz unvoreingenommen, parallel zu älteren, ganz alten und neuen, als Topographie von Bauwerken wahrnehmen kann.
Aus der Distanz der Jahre läßt sich die Qualitätsdiskussion noch einmal führen, und nicht selten haben die Vorzeichen im Zuge solcher Wiederaufnahmen der öffentlichen Diskussion gewechselt. Wird dies unterlassen, können ausgezeichnete Bauwerke sang- und klanglos verschwinden.
Oder sie können so weit durch Umbauten entstellt werden, daß sie nach einem weiteren Lebensabschnitt diskussionslos abgebrochen werden. Aber in der Regel ist es schwaches Mittelmaß, das absteigt. - Entscheidend scheint mir auch die einleitende Bemerkung Vogts: daß nämlich die Architektur den hektischen Wechsel nicht zu fürchten brauche, denn Architektur ist das, was bleibt - was im Guten wie im Schlechten überdauert, wenn Ideologien und kleinliche Streitereien längst im Humus der Geschichte versickert sind.
A us dieser Perspektive läßt sich die Verantwortung jener ableiten, die Architektur beauftragen; vor allem aber jener, die sie entwerfen und ihre Realisierung beaufsichtigen. Sie gilt den Architekten. Zynismus, Gewinnsucht, Ränkespiel und Eitelkeit, die zu Cliquenwirtschaft und Packelei mit Politikern oder privaten Spekulanten führen, können nachhaltige Qualität nicht erzwingen, selbst wenn es kurzfristig gelingen mag, gewisse Medienleute Lobeshymnen verfassen zu lassen.
Wenige Jahre Distanz genügen meist, den Propagandafirnis zu verblättern. Wenn dann darunter die Substanz nicht ausreichend architektonische Qualität aufweist, die sich an gleichzeitigen und vorangegangenen Bauwerken ermessen und beurteilen läßt, bleibt nämlich die abschließende Anerkennung versagt, und das fälschlicherweise hochgelobte Mittelmaß und Kitschzeug versinkt im riesigen Meer des Vergessens.
Sie sind aus der ostösterreichischen Kulturlandschaft nicht wegzudenken: Buschenschanken. In Klein-Engersdorf haben der Weinbauer Josef Lackner und der Architekt Reinhard Haslwanter in der Heurigen-Topographie einen neuen Akzent gesetzt.
Die Nebenerwerbsbuschenschank der Familie Lackner in Klein-Engersdorf bestand seit den späten fünfziger Jahren. Als der Sohn 1993 den Betrieb hauptberuflich übernahm, vergrößerte er die Anbaufläche durch Zukauf, begrenzte aber deren spezifischen Ertrag. Die im positiven Sinn schweren Böden in Südlage rund um den Ort ergeben einen guten, oft ausgezeichneten Tropfen. Neben Grünem Veltliner, Weißburgunder und Welschriesling werden auch Riesling, Sauvignon blanc sowie Blauburger und Zweigelt angebaut. Auf der Kremser Weinbaumesse wurden Produkte des ambitionierten Weinbauern und Kellermeisters als Gebietssieger sowie Salonwein gewürdigt.
Die Degustation war lehrreich und schmackhaft, die Konsumation bescheiden im Preis; als Architekturkritiker beschränkt sich der Schreibende aber auf sein Fachgebiet. Man sollte nicht peinlich dilettieren wie gewisse architektonisch schwach beleumdete Gastrokritiker, die - ignorant und unterschwellig überheblich - den dümmlichen Begriff „Designer-Heurigen“ hinwerfen, anstatt von Tranksame und Speisen in faßlichen Worten zu berichten.
Der initiative Weinbauer Josef Lackner erkannte jedenfalls bald, daß er seinen Familienbetrieb nicht bloß auf der Produktionsseite erweitern durfte, sondern auch den Absatz, sprich die Platzzahl in seiner Buschenschank - die er sechs Mal im Jahr für je drei Wochen offenhält - erhöhen mußte. Mit dem Architekten Reinhard Haslwanter entwickelte er über Monate ein betriebliches Konzept, das dieser räumlich sensibel und funktional klug umsetzte. Ein traufständiges, zweigeschoßiges Haus in der geschlossenen Zeile an der Dorfstraße bildete den Bestand. Ein Teil des Erdgeschoßes diente als Gastraum, der schon früher einmal nach rückwärts erweitert worden war, wo Wirtschaftsgebäude und Geräteschuppen anschlossen, die zusammen mit dem Wohnhaus den für die Gegend typischen Hakenhof formen. Das Grundstück steigt von der Einfahrt her um gut eineinhalb Geschoße an und geht über in den langgezogenen, südsüdwestorientierten Weinberg.
Der Architekt schlug nun vor, die klassische Hoftypologie beizubehalten, den Neubau an der Stelle der Schuppen entlang der westlichen Grundgrenze zu situieren und den Hof zu terrassieren. Vom alten Schank- und Gästeraum ausgehend, an der räumlichen Zäsur eines Kachelofens vorbei, entwickeln sich die neuen Räume vorerst auf gleichem Niveau nach hinten, um dann über einige Stufen zu einem Halbgeschoß mit zweiter Schank anzusteigen, von dem nach vor und nach hinten kurze Treppenläufe zu zwei weiteren Gasträumen führen.
Dank dieser Gliederung weisen alle Teilbereiche eine angenehm wohnliche Größe auf. Ein halbes Geschoß tiefer liegen zentral die Toiletten und der elegant überwölbte Weinverkostungsraum. Dahinter folgt der große Keller. Entsprechend der Stufung der Gasträume im Inneren steigt parallel dazu der Hof über zwei Terrassen an, deren letzte mit einer niedrigen Mauer zum Weinberg abgegrenzt wird.
Auf jedem Niveau ermöglichen große verglaste Schiebetüren von Frühling bis Herbst eine unmittelbare Beziehung von Innenräumen und Gartenterrassen. Überhaupt ist die gesamte Trennwand zwischen Gasträumen und Hof auf großflächige Gläser in schlanken Holzrahmen reduziert. Räumlich bietet der lange Neubau daher vor allem ein schirmendes Dach mittlerer Neigung, unter dem ein gegliederter Großraum zahlreiche Blickbezüge hinauf und hinunter, hinaus und hinein anbietet.
In der hohen Mittelzone entsteht mit der zusätzlichen Schank ein neues Gravitationszentrum dieses Heurigen, das, von den beiden oberen Gasträumen flankiert, eine Querachse zum mittleren Hofteil andeutet, sodaß der lange Baukörper Eigenständigkeit gewinnt und über die räumliche Symmetrie einen gegenüber der Längsbewegung zur Ruhe gekommenen Ort schafft.
Ein Gast, von der großzügigen Raumform dieser Gartenhalle beeindruckt, rief bewundernd aus: „Das ist ja wie im Westbahnhof“, womit er wesentliche Qualitätsmerkmale erkannte: Raumhöhe und gestufte Entwicklung. Drinnen erscheint gleich wie draußen, weil über Kopf genügend Luft bleibt und die Glasflächen sehr groß sind. Westseitig verläuft ein hochliegendes Fensterband, das, etwas von der Grenze abgesetzt, auch von dieser Seite Licht eindringen läßt. Wenn die Sonne am späten Nachmittag tiefer sinkt, erreichen ihre Strahlen die Dachuntersicht und die Schar der schlanken Balken, und die obere Raumhälfte beginnt in einem prächtigen Goldton zu glühen.
Für das architektonische Gesamtkonzept ist die Materialwahl wichtig. Hier zeigt sich Reinhard Haslwanter, der gemeinsam mit Peter Fellner die Ausführung betreute, als perfekter handwerklicher Denker und Gestalter. Während die bergende Mauer im Westen, aus Abbruchziegeln gefügt und unverputzt, für ein kräftiges Kontinuum sorgt, besteht die übrige Konstruktion aus schichtverleimtem Lärchenholz. Auch die schlanken Rundstützen hinter der Glasfassade sind aus diesem Holz gefertigt, ebenso die Fenster- und Türrahmen. Schon nach wenigen Monaten hat der Baustoff eine rötliche Färbung angenommen und dominiert zusammen mit den Ziegeln die farblich warme Raumstimmung. Für Teile des Bodens im unteren Bereich wurde dunkler Dolomit verwendet, auf den oberen Ebenen ist es Schiffboden, wieder aus Lärche. Eine Bodenheizung bietet für Winter und Übergangszeiten Behaglichkeit.
Bequem wirken auch die einfachen Tische und Bänke, die von der Bauherrschaft ausgewählt wurden - und keinesfalls schwerfällig, wie man sie leider oft vorfindet. Die flachkegelförmigen Lampenschirme aus Milchglas von geringen Dimensionen sind räumlich nicht wirksam, sodaß die großzügige Gesamtform der Halle gewahrt bleibt. Eine allgemeine Beleuchtung erfolgt indirekt von der Seite.
Überhaupt galt den Gestaltern Zurückhaltung als wichtige Maxime, sodaß der gepflegt wirkende Heurige schon jetzt eine zeitlose Selbstverständlichkeit ausstrahlt, die aber ohne das sorgfältige und kraftvolle Gesamtkonzept nicht jene Qualität erreichen würde, die diese Buschenschank im Vergleich mit anderen zu einem hochstehenden Ausnahmebauwerk werden läßt.
Eigentlich gab's bei der unspektakulären Bauaufgabe nichts zu holen: vier Brücken über die Westautobahn. Doch Erhard Kargel wurde für sein konstruktives und gestalterisches Konzept mit dem Österreichischen Ingenieurpreis 2000 ausgezeichnet - völlig zu Recht.
Selbst bei hoher Geschwindigkeit wird man die Serie von vier Brücken, die westlich der Raststätte Sankt Pölten die Autobahn queren, nicht übersehen. Aber ihre Zahl - zwei, drei, fünf? - und ihre Bestimmung - Wirtschaftswege? Landesstraßen? - wird der eilige Autofahrer kaum auf Anhieb mitbekommen. Aber als Gruppe fallen die Brücken auf, bleiben sie im Gedächtnis der Benützer der Westautobahn haften.
Das wird vielleicht einerseits an der Wiederholung, an der Vierzahl liegen, andererseits aber an einer ungewohnten Eigenheit: Die Brückenfelder weisen nicht bloß das übliche Stahlbetontragwerk mit geradem Durch- laufträger auf. Vielmehr ist unten noch etwas dran, das die Erbauer stolz in leuchtendem Gelb streichen ließen: Die Brücken sind unterspannt. Unterspannte Tragwerke waren schon im 19. Jahrhundert gebräuchlich, um Material und damit Gewicht zu sparen, unerwünschte Durch- biegungen zu vermeiden und größere Spannweiten zu bewältigen. Hölzerne oder eiserne Träger erhielten durch schmiedeeiserne Zugstangen, die mit Druckstäben an der Unterseite auf Distanz gehalten wurden, höhere Tragfähigkeit, indem bei gleichem Trägerquerschnitt höhere Lasten übernommen werden konnten.
In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts kam es im Gefolge wachsender Begeisterung für alte Industriehallen mit derartigen Tragwerken zu einer Renaissance des Prinzips der Unterspannung, das aber allzuoft nicht nur in sinnvollen Zusammenhängen eingesetzt wurde, sondern immer irgendwie, wie dies bei Moden eben der Fall ist. Nur in Ausnahmefällen gelang es, dieses statisch-konstruktive Prinzip auch architektonisch zu bewältigen. Denn wie es eben so ist, wenn mittelmäßige Architekten das Abbild einer Konstruktion reproduzieren, ohne den komplexen Hintergrund zu verstehen, kam es zu allerlei lächerlichen Überspanntheiten, an deren Stelle ein simpler Profilträger auch gestalterisch die bessere Lösung gewesen wäre.
Die Brückeningenieure verwendeten das Prinzip im ausgehenden 19. Jahrhundert - und verwenden es bis heute -, um Kosten zu sparen: etwa wenn wegen höherer Verkehrslasten Brücken verstärkt werden mußten, die noch tragfähig waren und deren Neubau wesentlich teurer zu stehen gekommen wäre. So wies die berühmte Trisanna-Brücke an der Arlbergstrecke bis über die Jahrhundertmitte eine derartige Unterspannung auf. Der bautechnisch anspruchsvolle Vorgang beim Ersatz durch neue Stahlbogenträger kann an einem Modell im Wiener Technischen Museum bestaunt werden.
Das Prinzip der Unterspannung ist also alt. Aber die konkrete Umsetzung stellt darüber hinaus hohe Anforderungen. Allen voran steht bei Zweckbauten immer die Wirtschaftlichkeit. Aber die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken AG setzte eine ganze Reihe von weiteren Planungszielen: einheitliches Entwurfskonzept für alle vier Überführungen; wirtschaftliche Herstellung der Tragwerke, möglichst mit Fertigteilen, um den Autobahnbetrieb nur geringstfügig zu behindern; optische Auflösung der Widerlager zur optimalen Eingliederung in die Landschaft; schlankes Erscheinungsbild; Nachvollziehbarkeit des Tragverhaltens; und nicht zuletzt sollten die Brücken zum unverwechselbaren Kennzeichen dieses Landschaftsabschnitts werden.
Der Linzer Bauingenieur Erhard Kargel, der das Vergabeverfahren gewonnen hatte, ist uns von der Bundesstraßenbrücke über das Gernitztal bei Großmotten, an der Strecke von Krems nach Zwettl ein Begriff. Schon dort hatte sein kluges, konstruktiv-bautechnisch sowie gestalterisch souveränes Konzept beeindruckt.
Vor Sankt Pölten waren weder Topographie noch Spannweiten spektakulär, und drei Wirtschaftswege und eine Landesstraße sind harmloser als die Ortsumfahrung mit Talübergang einer Bundesstraße. Der Reiz liegt einerseits in der Vierzahl, somit in der Wiederholung innerhalb eines kurzen Autobahnabschnitts. Aber vor allem liegt er darin, wie die Aufgabe aufgefaßt wurde. Wirtschaftliche, konstruktive, herstellungstechnische und gestalterische Aspekte wurden zu einem Gesamtkonzept integriert, dessen Resultat sehenswert ist und das vorigen Herbst mit dem Österreichischen Ingenieurpreis 2000, für innovativen und kreativen Einsatz von Beton ausgezeichnet wurde.
Jeweils drei schlanke Pfeiler bilden ein Joch, mehrere dieser Joche stützen das Tragwerk, das in einem ersten Arbeitsgang aus vorgefertigten Plattenbalken mit einfacher Unterspannung aus massivem Rundstahl bestand. In der Breite dreifach, für die Landesstraße vierfach addiert und längs über sechs Felder aneinandergereiht, bildeten sie zugleich die Schalung für einen - ebenfalls bewehrten - Ortsbetonkern, durch den über die einzelnen Felder statische Durchlaufwirkung erreicht wurde. Die Stahl-Zugkonstruktion führt über mittig angeordnete Böcke, wird in den stärker betonierten Endteilen verankert und mündet in vertikalen, über das Betonelement hinausreichenden Stahlblechen, die über den Brückenpfeilern verbunden und hernach einbetoniert wurden, sodaß die Zugkräfte sich gegenseitig übernehmen und „durchlaufen“.
Bei all diesen Überlegungen wurde immer nach jener wirtschaftlichsten Lösung gesucht, die auch gestalterisch die Wünsche des Planers befriedigte. Zur Arbeit des Bauingenieurs auf diesem anspruchsvollen Niveau bemerkte der renommierte Tragwerksplaner Jürg Conzett aus Chur kürzlich anläßlich eines Symposiums über alpine Ingenieurbauwerke: „Bei hochstehender fachlicher Durchdringung eines Projekts gelangt man als Bauingenieur an den Punkt, an dem die pragmatischen Kriterien ihre Strenge verlieren und man in die architektonische Sphäre vorstößt.“
D ies ist Erhard Kargel mit seinen vier Brücken ebenfalls gelungen. Er konnte die inneren Kräfte, die aus den ständigen Lasten resultieren, sowie die Gesamtmomente infolge beweglicher Lasten mit seiner intelligenten Konstruktion - im Vergleich zu anderen konstruktiven Prinzipien - niedriger halten. So wurden dank der mittigen Unterstützung durch die Distanzböcke geringere Trägerhöhen möglich, mithin niedrigere Eigenlasten und insgesamt ein schlankeres Erscheinungsbild.
M it einer sorgfältigen Proportionierung, sauberen Betonoberflächen und exakt gesetzten Arbeitsfugen, wie sie nur bei weitgehender Vorfertigung erzielbar sind, gab er dem äußeren Erscheinungsbild eine besondere Note.
Der rhythmische Verlauf der Linie der Unterspannungen entspricht im umgekehrten Sinn der Folge der Wölbungen bei einer Bogenbrücke. Damit werden strukturell vertraute Elemente von Brücken aufgenommen, aber den zeitgenössischen technischen Bedingungen entsprechend umgesetzt, sodaß ein neuartiges Bild entsteht, das nicht fremd und unverständlich ist, sondern sich den Betrachtenden rasch erschließt.
In der flachwelligen Landschaft bilden die vier Brücken, wie angestrebt, unverwechselbare Merk-Orte. Ihre spezifische Identität überträgt sich auf den Landschaftsabschnitt. Damit gelingt es Auftraggeberin und Bauingenieur, mit einem zeitgenössischen Konzept an frühere integrale landschaftsgestalterische Überlegungen - wie sie im Zuge der Planung von Infrastrukturanlagen nicht immer gepflogen wurden - selbständig und auf hohem technisch-gestalterischem Niveau anzuknüpfen.
Die Rolle der Architektur als eine dauerhaft kulturbildende künstlerische Disziplin ist vordergründig unbestritten. Eine Entschließung des Rates der Europäischen Union dringt nun darauf, die Konsequenzen aus diesem Konsens zu ziehen.
Nicht zufällig hat der 1902 in Leipzig geborene, 1933 nach England emigrierte Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner seiner 1943 erstmals erschienenen Publikation zur Architekturgeschichte, die eine Zeitspanne vom Parthenon bis zu Asplunds Krematorium in Stockholm umfaßt, den Titel „Europäische Architektur“ gegeben. Der für seine Verdienste zum Sir geadelte Forscher und Kunstvermittler hielt in einer Phase erbitterten Zerwürfnisses in Europa, die - auch - von beiderseitigen Zerstörungen von Architektur noch nie dagewesenen Ausmaßes gekennzeichnet ist, daran fest, daß das europäische Architekturschaffen gemeinsame Wurzeln und wechselnde Einflüsse in verschiedensten Richtungen aufweist, daß dessen Eigenart in der Wechselhaftigkeit und Vielfalt, zugleich in einer gegenseitigen Verflochtenheit und Interdependenz zu erkennen ist.
Pevsners leicht lesbarer Rückblick auf über 2000 Jahre Architekturentwicklung beweist, welche Bedeutung das Zusammenwirken von Bauherrschaften und Architekten für das Entstehen dessen hatte, was heute auf deutsch etwas ungelenk „Kulturerbe“ - französisch „patrimoine“, englisch „cultural heritage“ - genannt wird. Er zeigt auch, daß Handwerk und Bautechnik zu allen Zeiten wesentlich an der Qualität der Bauwerke beteiligt waren.
Dieser materiell unübersehbaren Präsenz gegenüber hält sich eigenartiger Weise das primitive ideologische Vorurteil, mit ihren Bauwerken würden sich die Architekten bloß persönliche Denkmale schaffen wollen. Dem ist entgegenzuhalten, daß nur in Ausnahmefällen der Name des Architekten allgemein mit dem des Hauses verbunden bleibt. Selbst das Haus am Michaelerplatz für die Herrenschneiderei Goldmann & Salatsch würde wohl kaum „Looshaus“ genannt, wenn nicht der bloß eine Silbe kurze Name des Architekten und der zur Bauzeit entfachte Skandal dem Volksmund entgegengekommen wäre.
Ein mehrsilbiges Präfix wie Hinterleitner oder Schwellengruber hätte sich kaum eingebürgert. Vielmehr heißen und hießen die Häuser zum einen nach ihrem Aussehen: Maison carrée, NŒmes; Maison de verre, Paris; Cristal Palace, London; das Graue Haus, Wien. Zum anderen und überwiegenden Teil werden sie nach dem Bauherrn oder gar nach der Bauherrschaft eines Vorgängerbaus benannt: Haas-Haus, Wien, BMW-Hochhaus, München; Pirelli-Hochhaus, Mailand; AEG-Turbinenhalle, Berlin - niemand redet vom Hollein-Haus am Stephansplatz, dem Schwanzer-Vierzylinder, dem Ponti-Haus oder der Behrens-Halle. Soviel zum angeblich persönlichen Denkmalskult der Architekten.
Weil aber die ureigenste Aufgabe des Architekten - auch wenn heute verschiedenste Fachplaner in die Projektierungsarbeit integriert werden müssen - die der Zusammenschau aller wesentlichen, Erscheinung und Gestalt bestimmenden Faktoren im Hinblick auf das Werden des Bauwerks ist, das er als erster vorausgeschaut, eben projektiert hat - und das er, lange bevor es dasteht, in- und auswendig kennt -, kann er nicht anders, als die konzeptionelle Idee gegen unpassende Einfälle zu verteidigen. Denn nur so läßt sich die Qualität des architektonischen Konzepts halten. Diesem Bestreben stehen sachliche außerarchitektonische Einwände nicht entgegen, sie lassen sich in aller Regel einarbeiten, wenn sie zeitgerecht vorgebracht werden.
Natürlich gibt es in jedem Berufsstand - wie auch unter Politikern und Politikerinnen - bessere und schlechtere Fachleute. Aber Architekten sind es gewohnt, sich immer wieder in Qualitätswettbewerben zu messen und sich dabei einer Fachjury zu stellen. Und die Zahl der nicht gewonnenen Verfahren übersteigt bei fast allen Architekten jene, die nach einem ersten Preis ausgeführt werden konnten, bei weitem. Steht das Gebäude fertig da, kommen die Kritiker, berufene und unberufene. Jedenfalls ist es immer einfacher, hinterher gescheit zu reden. Und für den Architekten gilt es einiges hinzunehmen und wegzustecken.
Dennoch sind sie nicht die einzigen, die an Qualität in der Architektur interessiert sind. Denn Bauherrschaften wünschen sich Bauwerke, die sie herzeigen können. Zwar sind sie als Private mit ihrem Kapital oder eingegangenen Verpflichtungen existentiell beteiligt. Der Architekt ist jedoch mit seinem Entwurf, den er verinnerlicht hat, auf zutiefst persönliche Weise verhängt. Dies ist nicht anders, wenn auf der Auftraggeberseite eine öffentliche Körperschaft steht, deren Vertreter als Gremium finanziell nicht haften. Der Architekt allerdings ist für seine Architektur verantwortlich, leider auch dann, wenn seine Fachkompetenz nicht ausreichte.
Dennoch soll nicht so getan werden, als konzentrierte sich das gesamte Architekturwollen nur auf die Entwerfer im Sinne einer privaten Marotte. Die Verantwortung der Bauherrschaft, insbesondere öffentlicher Stellen, ist längst bekannt. Diese kulturelle Verantwortung gilt auch, wenn die Aufgaben an Private delegiert werden.
E rfreulicherweise ist nun, nach vorbereitenden Kon- ferenzen unter Kulturbeamten und Fachvertretern aus allen 15 EU-Staaten, der Rat der Europäischen Union unmißverständlich mit einer „Entschließung zur architektonischen Qualität der städtischen und ländlichen Umwelt“ hervorgetreten. Nach mehreren Hinweisen auf vorangegangene Entschließungen zu Kultur und Bildung, in Kenntnis der Schluß- folgerungen der Umweltministertagung in Porto vom April 2000, in denen die Bedeutung der Qualität der baulichen Umwelt hervorgehoben wurde; erwägend, daß im Juli 2000 ein
„Europäisches architektur-politisches Forum“ stattfand mit Architekturfachleuten aus Beruf und Verwaltung aus allen 15 Mitgliedstaaten; begrüßend, daß weitere Arbeitskreise inhaltlich beigetragen haben, erklärt der EU-Rat: „Daß die Architektur einen grundlegenden Bestandteil der Geschichte, der Kultur und der Lebenswelt jedes unserer Länder bildet und eine
der wesentlichen künstlerischen Ausdrucksformen im Alltagsleben der Bürger sowie das Kulturerbe von morgen darstellt; die Qualität der Architektur ein konstituierendes Merkmal der ländlichen wie auch der städtischen Umwelt und der Landschaft ist; die kulturelle Dimension und die Qualität der materiellen Raumgestaltung in der Regional- und Kohäsionspolitik der Gemeinschaft berücksichtigt werden müssen; die Architektur eine intellektuelle, kulturelle, künstlerische und berufliche Arbeit darstellt, und die architektonische Dienstleistung somit eine sowohl kulturelle wie auch ökonomische berufliche Dienstleistung ist.“
Der EU-Rat unterstreicht die Bedeutung, die er Folgendem beimißt: „den den europäischen Städten gemeinsamen Merkmalen wie etwa der Bedeutung der geschichtlichen Kontinuität, der Qualität der öffentlichen Räume, dem Zusammenleben verschiedener Gesellschaftsschichten und der reichen städtischen Vielfalt; der Tatsache, daß eine hochwertige Architektur, durch die der Lebensrahmen und das Verhältnis der Bürger zu ihrer ländlichen oder städtischen Um- welt verbessert werden, einen wirksamen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt, zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Förderung des Kulturtourismus und zur regionalen wirtschaftlichen Entwicklung leisten kann.“
Der EU-Rat empfiehlt daher den Mitgliedstaaten: „Ihre Anstrengungen zu verstärken, die auf eine bessere Kenntnis von Architektur und Stadtplanung und auf deren Förderung sowie auf eine verstärkte Sensibilisierung der Bauherren und der Bürger für die architektonische, städtische und landschaftliche Kultur sowie die Vermittlung entsprechender Kenntnisse abzielen; die Besonderheit der architektonischen Dienstleistung im Rahmen der Beschlüsse und Maßnahmen, in denen dies zum Tragen kommen muß, zu berücksichtigen; die architektonische Qualität durch beispielhafte Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Bauvorhaben zu för- dern; den Erfahrungs- und Informationsaustausch im Bereich der Architektur zu fördern.“
Und der EU-Rat fordert die Kommission auf: „Darauf zu achten, daß die architektonische Qualität und die Besonderheit der architektonischen Dienstleistung im Rahmen ihrer Politiken, Aktionen und Programme Berücksichtigung finden.“
W eiters dazu, „im Benehmen mit den Mitgliedstaaten und im Einklang mit den entsprechenden Strukturfondsregelungen nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie die architektonische Qualität und die Erhaltung des Kulturerbes im Rahmen der Strukturfondsmaßnahmen stärker berücksichtigt werden kann.“
Das ist ein eindeutiges Bekenntnis zur Wahrung und Verbesserung der architektonischen Kultur in Europa, damit die Pevsners, Poseners, und Achleitners des 22. Jahrhunderts über die europäische Architektur des 21. Jahrhunderts etwas zu berichten haben, sie schätzen und würdigen können, wenn sie nicht, was mehr zu wünschen wäre, Allgemeingut geworden ist.
Eine Aufgabe ist allerdings für die nächsten Jahrzehnte vordringlich: Die Bauten für Institutionen und Verwaltung der EU, ob in Luxembourg, Bruxelles, Strasbourg oder anderswo, sollten dem architektonischen Mittelmaß, dem sie leider mehrheitlich verpflichtet sind, entrissen werden.
Eine Gemeinde will ein neues Feuerwehrgebäude mit Gendarmerieposten errichten, das äußerlich ins vorvorige Jahrhundert paßte. Hätte sie dann nicht auch einen „qualificirten“ Herrn Architekten aus dieser Zeit engagieren sollen? Ein Lehrstück aus Hinterbrühl bei Wien.
Die vorausschauende Gemeindeführung von Hinterbrühl sieht sich veranlaßt, anstehende Raumprobleme von Straßendienst, Feuerwehr und Gendarmerie mit einem Gesamtkonzept zu lösen, bei dem auch Räumlichkeiten für Kultur - in dem für den Gemeindestraßendienst umgebauten derzeitigen Feuerwehrhaus - entstehen sollen.
Der „Gemeindebote“ informiert über das Vorhaben. Die harmonische Einbindung ins Ortsbild wird mit einer Darstellung von Architekt Marosevic illustriert.
Das ist vernünftig und vorbildlich; aber halten zu Gnaden: Wie schaut das aus?! Jedenfalls nicht wie die Feuerwehrhäuser in Dornbirn, Oberwart oder Kleinwarasdorf der Architekten Ritsch, Gangoly oder Szedenik, sondern wie ein Konglomerat aus Neubarock, ärarischem Zweckbau und einem Schuß Jugendstil, erkennbar am Mittelrisalit der Feuerwehrfahrzeug-Einstellhalle sowie an den in Quadrate geteilten Fenstern und Portalen.
Nicht zu vergessen der Turm, an dem Einflüsse des Expressionismus der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts vermutet werden dürfen, allerdings erinnern die hohen, quer versproßten Fenster an vertikale Stiegenhausverglasungen neusachlicher Bauten der dreißiger Jahre. Bleibt noch das Stichbogenfenster im ersten Stock des Mittelrisalits des Gendarmerietrakts: Hier werden die Enddreißiger und frühen vierziger Jahre zitiert. Die Dachgaupen verweisen auf die späten achtziger Jahre.
Ist es nun ein Lehrstück, eine gebaute Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts? Wohl kaum, denn was da zusammengeklaubt und zu einem Fassadenbild gestückelt wurde, sind dritte und vierte Ableitungen architekturgeschichtlich bekannter Werke. Wenn die Gestaltung quasi naiv erfolgt wäre, also unbewußt von Bauten abgeschaut wurde, die von anderen Bauten abgeschaut waren, die wiederum . . . - ja, wenn. Doch ist der Planer studierter Architekt. Die billige Ausrede akademischer Unschuld gilt nicht. Befragen wir daher drei Experten, die solchen Bauten nicht von vornherein ablehnend gegenüberstehen.
Als erster hätte der Prince of Wales das Wort. Er ist zwar kein Fachmann, aber ein Liebhaber historisierender Gestaltung. Er wäre mild, würde vielleicht am Turm als zu neuzeitlich herumkritteln, hätte sich noch einen Dachreiter gewünscht und auf fehlende Pferdestallungen hingewiesen.
Als zweiter soll der Luxemburger Léon Krier zum Zug kommen. Er hat in den achtziger Jahren mit dem antikisierenden Projekt „Atlantis“ von sich reden gemacht, war auch Architekturberater von Prinz Charles, doch ist er als studierter Architekt ein Fachmann. Das Stilgemisch würde ihm nicht wirklich passen, er hätte es gern klassischer, mit wirklichen Säulen anstelle von Pilastern. Warum sich der Chance begeben, das Gendarmeriegebäude aussehen zu lassen wie Wachhäuser des frühen 19. Jahrhunderts, etwa jenes in Graz; es muß ja nicht gleich die Neue Wache von Karl Friedrich Schinkel sein.
Den Schlauchtrocknungsturm hätte sich Krier höher gewünscht und im Stil eines römischen Wachtturms, der Limes lag ja nicht fern. Die Fahrzeugeinstellhalle dazwischen sähe er dann als Thermenhalle, mit Halbrundfenstern in der Giebelzeile. Nach kurzem Sinnieren würde er dem Bürgermeister vorschlagen, das Projekt der Einfachheit halber als Ganzes zu übernehmen, damit etwas Rechtes daraus werde. Wir warnen jedoch, es käme die Gemeinde teuer zu stehen.
Léon Krier wird gedankt und der dritte Experte um seine Meinung gebeten. Er spricht aus dem Jenseits, denn Karl König, Jahrgänger und Gegenspieler Otto Wagners, verstarb 1915. Der Wiener Exponent des Neobarock wäre streng. Er liebte das Monumentale und eine plastische Fassadendurchbildung. Au- ßerdem mochte er keine platte „Heimatkunst“, und er war ein fordernder Lehrer.
Als erstes hätte er die Massengliederung kritisiert, die schleifende Verbindung zwischen Gendarmerie- und Feuerwehrgebäude, dann die beiden sich konkurrenzierenden Mittelrisalite. Den bei der Feuerwehr hätte er durchgestrichen, dafür die Zeichenhaftigkeit des Turmes mehr betont. In der Architektursprache des Historismus deute ein Mittelrisalit auf einen Eingang hin und liefere Besuchern eine erste rasche Orientierung. Hier handle es sich aber nur um das mittlere von fünf gleichen Toren, was einer Irreführung gleichkomme.
Gar keine Freude hätte er am Fassadenaufbau des Gendarmeriegebäudes: Die bamstigen Knoten in halber Pilasterhöhe zerstörten die monumentale Wirkung. Entweder sollten die Pilaster durchgehen oder durch Säulen oder zumindest Halbsäulen vor dem Obergeschoß ersetzt werden.
Vollends ungehalten wäre er über die beiden großen Öffnungen im Erdgeschoß Mitte und rechts. Sie zerstörten die klare Hierarchie. Entweder sei der Mittelrisalit wichtig oder nicht, ein derartiger Symmetriebruch sei ein Greuel! Er schlage dem Bürgermeister einen kleinen Wettbewerb vor, selbstverständlich übernehme er den Vorsitz im Preisgericht, und er wisse auch, wen einladen.
Ja, die Experten für historisierende Architektur lassen kaum gute Fäden am Hinterbrühler Projekt. Dabei handelt es sich doch um eine Projektion von Sehnsüchten. Innen soll es neuesten Ansprüchen genügen, außen eine historisierende Hülle aufweisen - ein Bild, das Träumereien beschwören möchte, daß sich seit 1912 nichts verändert habe: kein Attentat auf den Thronfolger, kein Erster Weltkrieg, nicht die Nationalsozialisten und schon gar nicht ein Zweiter Weltkrieg; Autos vielleicht, aber nur der Pferdeäpfel wegen. Das Dilemma ist aufgespannt.
Leicht deutbare Bilder wünschen sich die Menschen; sie wollen sich etwas zu den Bauwerken denken können, das Neue in Beziehung zum Bestehenden sehen und im Neuen auch Vertrautes finden. Das Bemühen um Historizität ist daher alt. Paul Schultze-Naumburg hat das nach 1900 mit seinen Saalecker Werkstätten von Thüringen aus sehr sorgfältig und mit garantierten Preisen gemacht.
Einer, der heute diese Aspekte eingehendst analysiert und theoretisiert hat, ist der tschechisch-schweizerische Architekt Miroslav Sik. Sein Konzept einer „analogen Architektur“ bindet erinnerte Bilder in seine Gestaltungen ein und vermag damit Vertrautheit zu wecken, ohne in platt-historisierendes Nachstammeln abzugleiten.
Es gäbe sie also, die achtbaren konservativen Architekturleistungen. Sie erfordern aber ebensoviel Engagement und Können wie jene für moderne Architektur - und sind letztendlich so zeitgenössisch wie diese.
Unverrückbar schwer, behauptet der Quader seinen Platz inmitten der umgebenden Baumassen - und birgt einen von Lichtpunkten erhellten Innenraum, der diese Schwere kontemplativ aufhebt: Heinz Tesars Kirche in der Wiener Donau-City.
Schlußrunde der Jury zur Beurteilung der Projekte für die Kirche Donau-City: Drei starke Arbeiten sind noch in der Diskussion. Die erste, eine imponierende Raumbildung von Klaus Kada, hat zu sehr den Charakter einer Gedächtniskirche, was für die neue Quartierbevölkerung nicht das Richtige sein dürfte.
Die zweite, von Marta Schreieck und Dieter Henke auf anspruchsvoller dreieckiger Grundform sorgfältigst bis in die räumlichen Details durchgearbeitet, ist modern im Ausdruck und verspricht attraktive innenräumliche Konfigurationen. Zur diagonalen Fußgängerachse der Donau-City verhält sie sich jedoch fast zu zurückhaltend: Der Haupteingang liegt rückwärtig am Weg zum Konferenzzentrum, was nicht dem Wunsch des Auslobers entspricht, der an dieser Stelle ein offen wirkendes Gotteshaus hinstellen möchte.
Die dritte Arbeit, von Heinz Tesar kraftvoll und sensibel zugleich hingeworfen, vermag in dem von Giganten beherrschten Umfeld als autonome Setzung zu bestehen, indem keine der vorhandenen Achsen aufgenommen wird. Und ein vielversprechender, von vielen Lichtpunkten aufgeladener Innenraum läßt eine dichte, kontemplative Stimmung erwarten, weshalb die Jury Kardinal Schönborn vorschlägt, dieses Projekt ausführen zu lassen. Nun ist es gebaut, Ende November wurde die Kirche geweiht.
Städtebaulich besetzt der Sakralbau die Schlüsselstelle am Eingang zur Donau-City. Nicht als Vorwerk - eine Aufgabe, die vom Bankgebäude davor übernommen wird -, sondern einen Schritt zurück, angelehnt an die kleine Geländestufe, die zum Niveau der Platte vermittelt. Dunkel, fast schwarz, unverrückbar schwer, aus dem Boden wachsend, steht sie da, die Kirche.
Das gedrückte Volumen auf quadratischer Grundfläche könnte bedrohlich wirken. Es tut dies aber deshalb nicht, weil seine vier oberen Ecken gebrochen sind. An jeder Kante ist ein Stück herausgeschnitten: ein Würfel von einem Viertel Höhe an der einen, ein Prisma von halber Höhe an der nächsten, von dreiviertel Höhe an der dritten, in ganzer Gebäudehöhe an der vierten Ecke, wo der Eingang liegt, durch den man über einen Windfang, direkt vom Gehsteig, in den Kirchenraum tritt.
Die „Beschädigungen“ der reinen Form sind wichtig, weil sie erlauben, mit dunkel brünierten Chromstahlplatten als äußerster Schale, dem Volumen Schwere zu verleihen. Auch die Perforation mit zweierlei runden Löchern wirkt relativierend, ebenso der diagonale Raster glänzender Punkte. So wie der Verlegeplan der Platten, der mit dem Punkteraster auf den ersten Blick wenig zu tun hat und von Kolonne zu Kolonne einen vertikalen Versatz aufweist, mit kartesianischem Denken wenig gemein hat.
Die primären architektonischen Maßnahmen: harter Quader, autonome Setzung und dann auch noch schwarz, werden somit in ihrer potentiellen Arroganz gezielt geschwächt, sodaß sie annehmbar werden, ohne ihre Wirkung gänzlich einzubüßen.
Innen ist das Gehäuse mit Holz ausgekleidet. Birkensperrholz an Wänden und Decke, Stäbchenparkett auf dem Boden. Das ist heikel, denn Sperrholz gilt als billiges, profanes Material, das im sakralen Kontext die Atmosphäre beeinflussen könnte. Doch die Grundstimmung bleibt warm, und der nahezu monochrome Charakter leitet den Blick auf die Öffnungen. Zuerst zu jenen in den Ecken, die verschieden groß sind und starken Lichteinfall zulassen.
Die Ausblicke auf Fassadenausschnitte der nahen Hochhäuser bringen den Ort wieder in Erinnerung. Doch die Scharen von Lichtpunkten in den Wänden verändern den Raumcharakter: Die Perforation der Hülle macht diese erfahrbarer, als wenn sie hermetisch geschlossen wäre. Sie schafft Geborgenheit im Wissen, daß es ein Draußen gibt. Bei längerem Hinsehen bemerkt man, daß die größeren Lichtpunkte verschieden schräge Leibungen aufweisen, sodaß sie sich wie Augen, über die das Außen in den Sakralraum drängt, auf den Betrachter zu richten scheinen.
Der quadratische Grundriß ordnet das Bauwerk den Zentralraumtypen zu. Eine anspruchsvolle Aufgabe, an der nicht wenige schon gescheitert sind. Doch Heinz Tesar läßt sich nicht beeindrucken. Mit der Nebenraumzeile drückt er die Bodenfläche zum Rechteck. Schräge Wände und ein gerundeter Übergang am oberen Abschluß lassen sie als ephemeren Einbau erscheinen. Über Kopf bleibt das von den angeschnittenen Ecken zum gedrungenen Kreuz verwandelte Quadrat der Decke gewahrt.
Den nicht mehr eindeutig bestimmbaren Raummittelpunkt läßt Tesar offen, konzentriert zwar die Kreissegmente der Sitzreihen auf das ungefähre Feld, wo sich jener befinden könnte, den Altar rückt er jedoch zurück und verleiht dem Raum damit sanft eine Richtung, die er mit der unperforierten Kreisscheibe, die das große Kreuz in der vorderen Wand rahmt, abfängt.
Die schwach definierten Raumzonen in den Ecken - unter den einspringenden Lichtprismen - werden zu Orten aufgewertet: Zur Linken, unter niedriger Decke, für die Taufe; zur Rechten, von einem Lichtwürfel gekrönt, der Tabernakel. Die beiden Ecken im Rücken werden durch die hohen verglasten Öffnungen zu Lichtzonen, am hellsten der Eingang im Süden, im Norden liegt dann der Ort der Marienanbetung.
Anfangs arbeitet Heinz Tesar „konkret“: etwa bei der Eckausbildung, die einer geometrischen Regel folgt, bei der Festlegung auf eine einzige Holzart im Inneren oder bei den Rastern der Lichtaugen und den glänzenden Punkten außen. Aber danach erzeugt er Unschärfen: durch Überlagerung, Störung, Unterbrechung, Auslassung und bewußte Ungenauigkeit, gesteigert bis zum frei eingesetzten Schnitt in der Decke, der diese dominiert.
Damit schafft er eine nicht mehr rational faßbare Stimmung von Überlagerungen und Interferenzen, die das Profane des Materials, die Schwere der äußeren Erscheinung und das Herrische des Zentralbautyps überspielen, ja gleichsam aufheben.
Heinz Tesar gehört zu jenen Architekten, die ihren Weg gehen und gegen Modeströmungen immun sind. Seinen architektonischen Ideen zu folgen, den konkreten und irrationalen Linien nachzuspüren bietet nachhaltiges Genießen.
Zum Tod des Architekturpublizisten Walter Zschokke
Er hat die Architekturpublizistik Österreichs in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend mitgeprägt. Seit 1988 schrieb der gebürtige Schweizer, Jahrgang 1948, Hunderte einschlägige Essays im „Spectrum“ – präzise, leidenschaftliche Reflexionen am Puls der regionalen und internationalen Entwicklung. Zschokkes Engagement für gestalterische Qualität in allen Maßstäben produzierte sich nie in lauter Polemik oder in brillant gedrechselten, ästhetischen Urteilen. Unbeirrt von Zeitmoden, kultivierte er die sachbezogene, vielschichtig ausgelotete Beschreibung des Faktischen als Grundlage jeder Diagnose, jeder kritischen Äußerung, jeder negativen oder positiven Wertung. Dazu befähigten ihn ein exzellentes technisch-konstruktives Wissen und Gespür, die breite Erfahrung auch als praktizierender Architekt, die kulturwissenschaftliche Schulung an der besten technischen Hochschule Europas und nicht zuletzt sein handwerkliches Know-how, speziell im Umgang mit Holz.
Aufgewachsen im Kanton Aargau, kam Zschokke nach dem Studium an der ETH Zürich, nach acht Jahren Assistenz bei Adolf Max Vogt und mit einem von André Corboz und Jacques Gubler approbierten technischen Doktorat 1985 nach Wien; hier führte er ab 1989 mit Walter Hans Michl ein Atelier, war Mitautor eines Wohn- und Bürohauses in Wien-Neubau, des Kirchenzentrums im Stadtteil Wien-Leberberg und großer städtebaulicher Wettbewerbe; 1992 gestaltete er mit Margherita Spiluttini die Fotoschau „Neue Häuser“, welche die damals junge Szene Österreichs auf vielen Stationen bis nach New York und Mexiko präsentierte; anlässlich des EU-Präsidentschaft Österreichs 1998 war er Mitautor und -gestalter der multimedialen Wanderausstellung „Architekturszene Österreich“.
Neben der Arbeit für das „Spectrum“ redigierte Zschokke etliche Architektenmonografien, war Mitbegründer von „Orte – Architekturnetzwerk Niederösterreich“, gefragter Juror und Gutachter, Vortragender. All dies wurde offiziell mit Preisen für Architektur und Publizistik von den Ländern Wien und Niederösterreich gewürdigt; zuletzt wirkte er als Juror/Mediator beim Um- und Zubau der Wiener Arbeiterkammer.
Sein bestes Buch ist die in der Schweiz verlegte Dokumentation über die hochalpine „Sustenpassstraße“, ein Standardwerk internationalen Formats an der Schnittstelle von Verkehrs- und Landschaftsplanung, von Ingenieurwesen und Architektur, von Wissenschaft und Ästhetik. Sein letzter Auftritt in der Öffentlichkeit war in Wien die Vorstellung des mit Walter Bohatsch betreuten nachgelassenen Buches „Geschautes“ von Ernst Hiesmayr.
Walter Zschokke konnte wie kein anderer konstruktive Stärken und Schwächen von Tragstrukturen auf Anhieb analysieren oder gebaute Raumereignisse in nachvollziehbare Beschreibungen gießen, vermochte aber auch aus der Betrachtung einer windschiefen Vorgartenmauer oder einer hölzernen Trinkschale ein ganzes Panorama alltagskultureller Kausalitäten und Schönheiten zu erzählen. Am 5. Februar war sein jahrelanger Kampf gegen den Krebs zu Ende, er starb im AKH, umsorgt von seiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern. Er fehlt uns.
2008
Die Architektur von Dietrich|Untertrifaller hat eine starke Beziehung zum Ort und seinem Umfeld. Sie ist individuell aus der Situation und dem Programm entwickelt. Dies garantiert differenzierte Lösungen, Individualität und Unverwechselbarkeit. Bestehendes und Neues ergänzen einander und führen zu einem
Hrsg: Walter Zschokke
Verlag: SpringerWienNewYork
2007
Seit Jahrzehnten gleichen sich die Bürogebäude: Rasterfassade mit viel Glas, rechteckige Grundrisse. Gegen diese Klischees setzt der Neubau für die niederösterreichische Wirtschaftskammer, des Architekturbüros Rüdiger Lainer + Partner, einen überzeugenden Kontrapunkt. Das mächtige Bauwerk ist als Großform
Autor: Walter Zschokke
Verlag: SpringerWienNewYork
2006
Sowohl die Bedeutung des Holzes als Roh-, Bau- und Werkstoff als auch die Vielfältigkeit und Nutzungsmöglichkeiten der verschiedenen Holzarten werden oftmals unterschätzt. Denn jede Holzart besitzt ihre spezifischen Eigenschaften, die sich je nach Anwendungsbereich vorteilhaft einsetzen lassen. Zugleich
Hrsg: proHolz Austria
Autor: Walter Zschokke, Josef Fellner, Alfred Teischinger
Verlag: proHolz Austria
2006
Architektur hat in Niederösterreich, dem großen Bundesland rund um Wien, im Zuge der Hauptstadtplanung in St. Pölten erhöhte Aufmerksamkeit gewonnen. Seither sind im ganzen Land Bauwerke entstanden, deren Qualität Betrachtung und Auseinandersetzung lohnen. Ältere und jüngere Architekten wie Ernst Beneder,
Hrsg: Walter Zschokke, Marcus Nitschke
Verlag: SpringerWienNewYork
2003
Die präzise und materialreiche Darstellung einer wichtigen Epoche - mit überraschenden Einsichten und Anregungen für das heutige Architekturschaffen.
Hrsg: Walter Zschokke, Michael Hanak
Verlag: Birkhäuser Verlag
2002
In der Vorarlberger Architekturlandschaft verfolgen Hermann Kaufmann und Christian Lenz mit eigenständig und gemeinsam bearbeiteten Bauwerken eine Linie, die auf sorgfältiger Konstruktion beruht und sich an klare Geometrien und exakte Proportionen hält. Dem Baumaterial Holz und industriell erzeugten
Autor: Walter Zschokke
Verlag: SpringerWienNewYork
2001
Im scheinbar homogenen Architekturschaffen Vorarlbergs, das im vergangenen Jahrzehnt international bekannt wurde, treten die Bauwerke von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller aus verschiedenen Gründen hervor: sie sind feinfühlig architektonisch und großstädtisch, sie bevorzugen keines der primären
Autor: Walter Zschokke
Verlag: SpringerWienNewYork
1999
Die erste Monographie über den österreichischen Architekten Rüdiger Lainer, der in seinen Bauten systemische Ökonomie und individuelle Lebendigkeit in Einklang bringt.
Hrsg: Walter Zschokke
Verlag: Birkhäuser Verlag
1997
Das Bundesland Niederösterreich, ehemals das Umland von Wien, hat im 20. Jahrhundert eine schrittweise Emanzipation vollzogen, was zuletzt in der Wahl St. Pöltens zur eigenen Hauptstadt (anstelle von Wien) und in der Folge im Bau eines entsprechenden Regierungsviertels kulminierte.
Die ländlich industriell
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Autor: Walter Zschokke, Otto Kapfinger
Verlag: Birkhäuser Verlag
1997
Im September 1946 ist die Sustenpassstrasse, die in einschlägigen Kreisen damals schon als «Musterstück schweizerischer Strassenbaukunst» galt, nach achtjähriger Bauzeit offiziell eröffnet worden. Der Architekt Walter Zschokke zeigt, wie die Linienführung einer Strasse in die Landschaft integriert werden
Autor: Walter Zschokke
Verlag: gta Verlag
1996
Boris Podrecca, dessen umfangreiches Schaffen sich inhaltlich im Bereich der Pole Wien und Triest bewegt, liegt mit seinen auf organische Prozesse bezogenen und Lebensvorgänge interpretierenden Entwürfen weder im Trend einer zur Manier verkommenen «Neuen Einfachheit», noch folgen sie dem zum Dekorstil
Autor: Walter Zschokke
Verlag: Birkhäuser Verlag
1996
Gustav Peichl gehört zu jenen international anerkannten österreichischen Architekten, «die das österreichische Selbstverständnis mitstilisiert haben» (Friedrich Achleitner). Unter seinen Arbeiten sind vor allem die Rundfunkstudios des ORF sowie die Bundeskunsthalle in Bonn international bekannt geworden.
Autor: Walter Zschokke, Gustav Peichl
Verlag: Birkhäuser Verlag