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Triumph der künstlichen Natur
Neue Zürcher Zeitung

Ein Gespräch mit dem Rotterdamer Landschaftsplaner Adriaan Geuze

7. September 2001 - Klaus Englert
Unter dem Namen «West 8» stellte Adriaan Geuze, einer der wichtigsten Erneuerer der Landschaftsarchitektur, 1987 ein Team zusammen, das die unterschiedlichsten Aufgaben gelöst hat: vom Masterplan für Borneo-Sporenburg in Amsterdams altem Hafen bis zum Schouwburgplein in Rotterdam. Klaus Englert sprach mit Adriaan Geuze.

Wie kamen Sie zur Landschaftsarchitektur?

Wir machten uns nie Illusionen über Landschaftsarchitektur. Statt dessen gingen wir davon aus, dass in der heutigen Kultur architektonische Entwürfe, Ökologie, Stadtplanung und Industriedesign nicht voneinander zu trennen sind.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen traditioneller Landschaftsarchitektur und Ihrer Arbeit?

Dieser Unterschied ist offensichtlich, und er beruht auf verschiedenen geistigen Voraussetzungen. Der Ursprung der heutigen Disziplin geht auf die romantische Landschaftsarchitektur zurück, auf Leute wie Frederick Law Olmsted, der in den Vereinigten Staaten arbeitete. Später, im 20. Jahrhundert, wurde die romantische Ideologie besonders in der deutschen und der skandinavischen Landschaftsarchitektur durch eine anthroposophische Komponente ergänzt. Der Leitgedanke war: Die Stadt ist schlecht und die Natur gut. In den zwanziger Jahren setzte man auf geistige und sportliche Rekreation in Grünanlagen und Parks. In den sechziger Jahren, in der Zeit der Hippies und des «Club of Rome», wurde über die Ausbeutung des Planeten Erde diskutiert. Dies führte dazu, dass die Natur als etwas grundsätzlich Gutes betrachtet wurde.

Wie ist diese Sicht mit der holländischen Tradition der Landgewinnung zu vereinbaren?

Die Holländer hatten stets auf die Natur eingewirkt. Aus dieser Tradition heraus habe ich einen starken Widerwillen gegen die romantische Landschaftsarchitektur entwickelt. Meine Professoren erzählten mir, dass die Menschen vor allem Opfer seien - Opfer der Stadt, des Verkehrs und des Kapitalismus - und dass die Landschaftsarchitektur einen Ausweg aufzeigen müsse. Ich meine jedoch, dass die Menschen keineswegs Opfer, sondern gut informierte und schöpferische Wesen sind - auf der Höhe der technologischen Entwicklung. Das bedeutet nicht, dass sich die Landschaftsarchitektur gegenüber ökologischen Anliegen gleichgültig verhalten sollte.

Eine neue Landschaftsarchitektur
Welche persönlichen Erfahrungen führten zu Ihrem Verständnis von Landschaftsarchitektur?

Zu meiner Studienzeit war die akademische Lehre vergiftet. Ausschlaggebend war nicht allein das romantische Reservoir, auch nicht der deutsche Naturkult der zwanziger oder die Hippie-Bewegung der sechziger Jahre, sondern die Verbindung aller drei Strömungen. Leider wurden diese Dogmen niemals offen artikuliert, weswegen es schwierig war, sie zu bekämpfen. Für mich kam eine weitere Erfahrung hinzu: Vor zwanzig Jahren, zur Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs, entstand ein riesiges Arbeitslosenheer, und zum ersten Mal wurde der politische Wunsch geäussert, eine Million Häuser innerhalb von zehn Jahren zu bauen. Es stellte sich schnell heraus, dass der Wildwuchs der Städte schwindelerregende Ausmasse annahm. Anstatt Ballungszentren und Uferlinien zu nutzen, brachte die Stadtplanung Krebsgeschwüre ohne funktionierende Infrastrukturen hervor. Also fragte ich mich: «Warum gestalten die Landschaftsarchitekten Parks, statt sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen?»

In welche Richtung sollte sich denn die Landschaftsarchitektur weiterentwickeln?

Seit den sechziger Jahren gibt es interessante Untersuchungen über unser Verhältnis zu Parks und zur natürlichen Umgebung. Sie haben ergeben, dass viele Menschen eine unmittelbare Konfrontation mit der Natur, die sie für gefährlich und unordentlich halten, möglichst vermeiden. Das Problem in meinem Land besteht darin, dass wir zu viele Grünanlagen haben und dass die Möglichkeit ausreichender Pflege kaum besteht. Wir brauchen mehr geschlossene Gartenanlagen, die zu Galerien, Museen oder Kirchen gehören. Deren Besitz und Unterhalt ist zwar privat, aber ihre Nutzung mehr oder weniger öffentlich.

Sehen Sie Unterschiede zur Landschaftsarchitektur in Deutschland oder in der Schweiz?

Es bestehen vollkommen verschiedene Voraussetzungen, weil die vor zwanzig Jahren begonnene Suburbanisierung die gesamten Niederlande nachhaltig ruiniert hat. Heute sind wir mit den Auswirkungen dieser Entwicklung konfrontiert.

Und wie begegnet man dieser Entwicklung auf der politischen Entscheidungsebene?

Das grundsätzliche Problem in den Niederlanden besteht darin, dass die einzelnen Gemeinden zu viel Macht besitzen und ihr eigenes Programm durchsetzen wollen. Dieses deregulative System bedingt, dass jede Stadt eine eigene Autobahnausfahrt besitzt, ein Business-Center und einen McDonald's. Das ist für ein kleines Land wie die Niederlande katastrophal. Deshalb machten wir den Vorschlag, die Regierungen auf regionaler Ebene zu stärken. Dies wird Auswirkungen auf die Randstad Holland haben, wo fünf Millionen Menschen, verteilt auf achtzig bis neunzig Gemeinden, leben.

Ist demnach das System Randstad mit seinen urbanen Wucherungen gescheitert?

Die holländische Stadtplanung hat viele Fehler gemacht. Vor dreissig Jahren wurden im sozialen Wohnungsbau Menschen in Hochhäuser eingepfercht, und später, als man die Probleme erkannte, wurden die Häuser in die Luft gesprengt. Heute sind die Fehler nicht minder gravierend. Man meint das Ei des Kolumbus in der angeblichen Vitalität suburbaner Siedlungen gefunden zu haben. Doch diese Suburbs haben weder eine städtische Dichte noch eine ländliche Atmosphäre, sie sind ein unsinniges Zwischending.

Modell Amsterdamer Hafen
Bedeutet das städtebauliche Konzept für Borneo-Sporenburg im Amsterdamer Hafen einen Ausweg aus dem Dilemma der Suburbanisierung?

Auf Borneo-Sporenburg wollten wir zeigen, dass Modelle mit einer höheren Dichte besser funktionieren. Wir haben hier eine Dichte von hundert Häusern pro Hektare und gleichzeitig eine niedrige Bebauungshöhe geschaffen, weshalb das Projekt als Alternative zu den bestehenden Vorstädten und als Testfall für neue Typologien gesehen werden kann. Es gilt aber sehr genau zu untersuchen, wie sich die sozialen Strukturen dem architektonischen Umfeld anpassen. Für Borneo-Sporenburg erstellten wir einen Plan, der eine grosse architektonische Vielfalt zuliess, was für die Niederlande absolut einzigartig ist. Während Typologie und Baumaterialien vorgeschrieben wurden, gab es keine Einschränkung der architektonischen Freiheit - so wie beim Amsterdamer Grachtenhaus, das zwar in der Bauweise kaum Unterschiede aufweist, aber doch einen grossen Spielraum für individuelle Gestaltung freilässt. Ein Glücksfall kam hinzu: Die Marine gestattete uns, die sehr regulierten Siedlungseinheiten durch die einer alten Amsterdamer Tradition entsprechende Nutzung der Quais zu beleben: Leute kommen mit ihren Hausbooten und ihren verrückten Ideen und bringen ein anarchistisches und künstlerisches Element ins neue Quartier.

Den Architekten in den Niederlanden scheint es gut zu gehen.

Man könnte meinen, dass wir uns in den Niederlanden im goldenen Zeitalter der Architektur befinden, weil viele junge Architekten radikal Neues bauen. Dabei wird ein wesentlicher Aspekt übersehen: Durch mangelhafte Investitionen und durch fehlende handwerkliche Genauigkeit entsteht alles andere als dauerhafte Architektur. Die holländische Bauindustrie basiert lediglich auf der Massenproduktion von Paneelen, Mauern und Materialien. Deswegen sollte man sich keinen Illusionen hingeben, da die scheinbar so grossartigen Neubauten in hundert Jahren nicht mehr existieren werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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