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Macht fängt in der Leere an
Der Standard

Ist der Wolkenkratzer tatsächlich das überragende Symbol der Macht in der Architektur? Oder beeinflussen die verschiedensten Machtmechanismen heute nicht viel subtiler und vielfältiger unsere gebaute Umwelt? Ute Woltron sprach mit dem niederländischen Architekturtheoretiker Bart Lootsma, der die Dinge differenziert betrachtet wissen will.

22. September 2001 - Ute Woltron
Die Geschichte vom Turmbau zu Babel geht, primitiv und kurz angerissen, so: Die Menschen hatten sich zusammengefunden, sie alle sprachen eine gemeinsame Sprache, und das machte sie stark und mächtig. Um dieser Macht Ausdruck zu verleihen, begannen sie einen Turm zu errichten, der bis in den Himmel ragen sollte, um dort oben Gott zu schauen. Da Gott aber nicht angeschaut und damit entweiht werden wollte, verwirrte er die Turmbauer, indem er ihnen viele Sprachen schickte. Diese babylonische Sprachverwirrung entzweite die Menschen, und ihr Turmbauprojekt zerstörte sich in weiterer Folge quasi von selbst.

Der Wolkenkratzer, der bis in den Himmel ragt, muss nicht erst seit den Ereignissen der vorvergangenen Woche als architekturgewordenes Symbol der Macht herhalten. Die Wolkenkratzer der Geschichte hießen Zikkurat, Pyramide, Minarett, Kirchturm. Dann begann man Mitte des 19. Jahrhunderts Hochhäuser aufzutürmen. Und diese allerersten Himmelskratzer, so schrieb ein Kommentator in der aktuellen Ausgabe des New Yorker, „zogen die Kontrolle der Skyline von Gott ab und übergaben sie Mammon, der sie bis heute so ziemlich innehat“.

Doch so mächtig Mammon gestern, heute, morgen auch sein mag: Die Welt besteht nicht nur aus Geld. Viele andere Mächte wirken auch auf die Architektur ein, formen sie und prägen ihre Gestalt spürbar. Der holländische Architekturtheoretiker und Publizist Bart Lootsma sagt: „Die Macht fängt in einer gewissen Leere an.“ Wer diese Leere füllt, dem fällt auch Macht zu, und heutzutage verstehen es vor allem die Medien, prächtig mit ihren Bausteinen in dieser Leere zu spielen.

Als vor einigen Jahren eine Boeing der El-Al direkt in ein Amsterdamer Hochhaus stürzte, war Lootsma gerade im Zug und auf dem Weg nach Hause und musste das Geschehen aus der Ferne beobachten. Er hatte seine Wohnung in unmittelbarer Nähe des Unglücksortes und rekapituliert heute: „Ich habe hautnah die merkwürdige Spaltung erfahren, mit der man als Bewohner einerseits und in den Medien andererseits so etwas erlebt. In den Medien schien das Ereignis heftiger, kräftiger, scheinbar sogar echter zu sein. Ihre Rolle stellt für mich heute das größte Problem dar: Diese ständige tagelange Wiederholung derselben Bilder, diese Stimmen der Reporter, die etwas lauter sind als sonst, obwohl sie nicht mehr zu berichten haben als eine Viertelstunde zuvor, dieses dauernde Bombardement mit medial aufbereiteten Facts. Wer nahe einem Crash war, der weiß, dass das alles nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun hat, und hier haben wir wieder diese Leere, von der ich vorhin gesprochen habe.“

Macht, so Lootsma, würde ihre Kraft auf subtilen Wegen entfalten und sei heute nicht mehr so leicht greifbar wie in der Vergangenheit: „Die symbolische Gestaltung der Macht stimmt nicht mehr mit der Art und Weise überein, wie sie tatsächlich ausgeübt wird, nämlich über Medien, Werbung, Gesetze und Regeln.“ Seien die geschrieben oder ungeschrieben. „Es ist nicht mehr so klar zu sagen, wer sie ausübt, und dann wird es sofort schwierig, dem symbolisch Ausdruck zu geben.“ So gesehen folgt ein Erdölkonzern wie Petronas eigentlich einem sehr altmodischen, gleichwohl wirkungsvollem Muster der Repräsentationsgebärde, wenn es einen „von einem italienischen Amerikaner islamitisch dekorierten“ Doppelwolkenkratzer in Malaysia ohne ökonomischen Zwang wie Hochhausbauer in Hongkong, Tokio, Manhattan, die aus teuren Baugründen möglichst hohes Kapital in Form möglichst hoher Gebäude schlagen müssen, auf die - noch leere - grüne Wiese stellt.

In den 70er-Jahren etwa versuchte man in Europa eine aufgeklärte Demokratie auch über Gebäude darzustellen. Eines der Beispiele dafür steht in Form eines Bürogebäudes in Apeldoorn, heißt Central Beheer und wurde von seinem Architekten Hermann Herzberger im Sinne einer offenen Gesellschaft mit vielen Aus- und Eingängen versehen. Lootsma: „Diese Eingänge sind heute alle zugemacht - alle, bis auf einen, der kontrolliert werden kann. Der Versuch, offene Strukturen aufzubauen, ist damit gescheitert. Überhaupt ist das Thema Sicherheit und Überwachung zu einem zentralen Thema der Architektur geworden. Einerseits glauben wir alle, in offenen Demokratien zu leben, andererseits bedienen wir uns unglaublicher Sicherheitsstandards, die die Organisation und damit die Form der Gebäude stark beeinflussen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob man Gebäude immer noch demokratisch aussehen lassen soll, obwohl sie es eigentlich tatsächlich gar nicht mehr sind“.

In der alltäglichen, gebauten Umwelt schlägt sich der architektonische Ausdruck von Macht vor allem in Details nieder. In der einerseits überwachbaren, andererseits gleichmachenden Großraumbüroboxenkultur etwa, in der einschüchternden Foyerinszenierung wichtiger Konzerne oder in der überaus aufwendig gewordenen Gestaltung der Sicherheitszonen von Flughäfen. Dort lässt sich sofort klar ablesen, wer wo durchgeschleust wird, wer kraft seiner Destination die Berechtigung hat, Duty-free einzukaufen, und wer von diesen Zonen steuerermäßigten Konsums ein paar Meter weiter ausgesperrt bleibt. „Man sieht auch daran, wie Macht ausgeübt wird, und eigentlich ist das peinlich. Man gibt vor, demokratisch zu bauen, und dann wird ständig etwas davon weggenommen, werden Zäune und Barrieren eingefügt.“

Dass die Architektur der Macht auch in der Vergangenheit keineswegs immer als ein kräftiges, außenwirksames Signal auftrat, das zeigt die Architekturmaschinerie des Dritten Reichs sehr deutlich. Obwohl hier gedanklich stets die monumentalen Repräsentationsbauten Albert Speers die Hauptrolle übernehmen, solle man sich, so Lootsma, genauer überlegen, welche Gebäude die Macht der NS-Zeit am besten verkörperten - und das seien die, keineswegs monumentalen, Konzentrationslager. „Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen der Repräsentation von Macht und der Art und Weise, wie die Macht tatsächlich ausgeübt wird“.

Die momentane Hysterie derjenigen, die nach dem Attentat auf das World Trade Center plötzlich den gesamten Hochhausbau infrage gestellt sehen wollen, kann Lootsma nicht verstehen. „Wir werden selbstverständlich auch weiterhin Wolkenkratzer errichten, ganz einfach, weil wir mit Grund und Boden äußerst sparsam umgehen müssen. Die Hälfte der Menschheit wohnt heute mittlerweile in Städten, und die breiten sich ständig aus.“

Wer heute eine Volkswirtschaft wirklich lahm legen wolle, der müsse, so Lootsma, in ein so genanntes Serverhotel krachen. Serverhotels sind jene riesigen bunkerartigen Bauten, in denen die lebenswichtigen Schnittstellen kommerzieller und privater Computernetze untergebracht sind. Sie sind meistens unauffällig, mitunter sogar getarnt, werden geheim gehalten und sind nichts anderes als versteckte Zeichen neuer Mächte, die sich optisch, geographisch nicht deklarieren wollen. Und auch hier bedient sich die Macht wieder einer, diesmal architektonischen, Leere.

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