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Gegen die optische Verwüstung unserer Umwelt
Der Standard

Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au, Dekan an der Angewandten, sieht ein verändertes Rollenbild des Architekten heraufdämmern. Damit das Licht der Profession nicht ausgehe, hat er eine Reihe internationaler Architekturleuchten als Post-Graduate-Lehrer nach Wien geholt.

15. September 2001 - Ute Woltron
ALBUM: Entspricht die Architekturausbildung in Österreich internationalen Standards?

Wolf D. Prix: Man kann immer wieder hören, dass es in Österreich zu viele Architekturschulen gibt. Ich denke das auch. Zu viele Architekturstudenten lernen schlecht betreut an unmöglichen Orten einer ungewissen Zukunft entgegen.

Sie selbst lehren Architektur an der Universität für angewandte Kunst, trifft diese Aussage auch dort zu?

Prix: Die beiden Akademien in Wien sind dazu geeignet, the best of the best auszubilden, was an der Struktur der Betreuung liegt. Wie die hochqualifizierten amerikanischen Schulen haben wir die Möglichkeit, nur die besten Studenten aufzunehmen, was die Massenuniversitäten nicht können. Heuer führen wir erstmals ein hochbetreutes Post-Graduate-Studium ein, das eine strategische Architekturausbildung beinhaltet, über vier Semester läuft und ein intensives Lehrangebot zu den verschiedensten Themen bietet.

Wie etwa?

Prix: Urbane Strategien: Privater und öffentlicher Raum, das sind Felder, die neu zu definieren sind.

Warum bekommen Studenten diese Ausbildung nicht schon während ihrer Studienzeit angeboten?

Prix: Gesetzliche Regelungen schreiben gewisse Lehrinhalte in festgesetzter Zeit vor, und in diesem knappen Zeitraum können zusätzliche Überlegungen nicht angestellt werden. Daher müssen wir neue Zeiträume schaffen, in der internationale Gäste theoretische und technische Kurse betreuen, mit den Studenten in Diskurs treten. Ich glaube auch, dass die intensive Erfahrungsvermittlung in kleinen Gruppen die Zukunft ist.

Sie sprechen im Zusammenhang mit Ausbildung immer wieder über ein sich änderndes Rollenbild in der Architektur. Können Sie diese Aussage präzisieren?

Prix: Das Bild verändert sich entscheidend in zwei divergierende Richtungen. Es wird in der Zukunft Investorenarchitekten geben, die eigentlich nur noch Facility-Manager oder Stimmungsbildmaler sind und unsere Umwelt dementsprechend optisch verwüsten. Und es wird den Architekten geben, der landläufig als Stararchitekt bezeichnet wird und als Einziger die Chance hat, in das Baugeschehen strategisch verändernd einzugreifen.

Inwieweit werden diese „Stars“ den Architekturdiskurs überhaupt beeinflussen können?

Prix: Nur punktuell. Aber strategisches und konzeptuelles Denken fördert das frühzeitigen Erkennen von Trends und beeinflusst damit die Diskussion. Vor allem die Schulen werden reagieren müssen. Die Ausbildung muss jene Architekturcluster fördern, die später weite Felder aufmachen können.

Sollte sich eine solche Unterstützung nicht auch abseits der Universitäten abspielen? Das heißt, bräuchte das Land und seine Architektur nicht so etwas wie unvoreingenommene professionelle Architekturvermittler?

Prix: Schauen Sie nach Holland. Die jungen Architekten dort - Rem Koolhaas vor allem, Nox, van Berkel, MVRDV und viele andere - wurden gezielt aufgebaut. Die mischen jetzt bei so gut wie jedem internationalen Wettbewerb mit. Das funktionierte deshalb, weil die Holländer ihre Eigenart erkannt, ihr calvinistisches Denken in Diagramme übertragen und zum Markenzeichen gemacht haben.

Die niederländische Architektur wird international derzeit heftig kopiert, könnte es im Dienste der Architekturvielfalt nicht auch einen Gegenschlag dazu geben?

Prix: Die österreichische Architektur wäre schlecht beraten, einem Trend wie dem holländischen hinterherzulaufen. Sie sollte sich lieber auf ihre spezifische Qualität konzentrieren, und die ist das Zelebrieren des Raumes. Günther Domenig, Hans Hollein, Raimund Abraham und nicht zuletzt wir sind Vertreter dieser Richtung. Aber auch eine Menge junger Leute wie etwa next enterprise, Fuchs, Stattmann und Harnoncourt, ESCAPE*spHERE, oder aus der mittleren Generation Artec und Pauhof sind räumlich hochtalentiert. Das ist der Unterschied zu Holland: Die Holländer zählen die Gulden, wir zählen die Raumsequenzen.

Die Niederländer fahren aber auftragsmäßig nicht schlecht mit ihrer Guldenzählerei und haben die bekannteren Leute.

Prix: Dennoch hat unsere Architektur den weit höheren Anspruch. Es ist lächerlich, über Diagramme zu diskutieren, während der Trend schon eindeutig zu hybriden Strukturen geht. Wir müssen unsere jungen Architekten wieder anregen, stärker über ihr eigenes Talent nachzudenken, aber leider bekommen sie momentan keinen oder wenig theoretischen Hintergrund geliefert, und es gibt keine profunde Auseinandersetzung über Architektur, was eigentlich auch Aufgabe der Architekturkritik wäre. Das ist also eine Aufforderung an die Theoretiker und Protagonisten der Architektur, sich endlich darüber klar werden, wo die Stärken der österreichischen Architektur liegen, anstatt abgedroschenen minimalistischen Trends hinterherzulaufen. Das heißt nicht, dass alles über einen Leisten gebogen wer- den muss, denn eine ordentliche Bandbreite ist nicht nur gut, sondern ohnehin jetzt schon in unserem Land vorhanden.

Fühlen Sie sich und die Richtung der Architektur, die Coop Himmelb(l)au vertritt, hierzulande vernachlässigt?

Prix: Natürlich nicht. Aber es ist durchaus eine österreichische Taktik, sich gegenseitig eher auszuschließen, statt synergetisch miteinander umzugehen. Das ist auch der Grund, warum es an großzügigen Konzepten im städtebaulichen Maßstab fehlt.

Sprechen Sie damit das Talent an, gute Einzelprojekte da und dort nicht sinnvoll miteinander verknüpfen zu können?

Prix: Klar. Man hat zum Beispiel nicht erkannt - aus welchem Grund auch immer -, dass die beiden großen Wiener Projekte Gasometer und Museumsquartier - wie auch immer man dazu steht - einen synergetischen Effekt hätten erzeugen können, der Wien weit über die Grenzen hinaus auf eine andere Ebene gebracht hätte. Diese Diskussion hätte auf städtebaulicher Ebene geführt werden müssen, doch so etwas tut man hierzulande nicht, was ich für absolut idiotisch halte.

Wer steuert diese Denkart?

Prix: Das Ausschließlichkeitsprinzip hat Tradition. Es geht von den Schulen aus und von den Kritikern, die nie über den eigenen Schatten gesprungen sind und daher die Eigenart der österreichischen Architekturentwicklungen nie erkannt haben.

Über die so genannte Neue Sachlichkeit, die einige prominente österreichische Vertreter aufweisen kann, wird doch sehr wohl sehr viel geschrieben?

Prix: Die neue Sachlichkeit ist ja nichts Neues. Die Spanier kultivieren sie schon seit 15 Jahren, die Schweizer seit Herzog & de Meuron, also seit zehn Jahren, die Holländer seit Rem Koolhaas. Achtung. Der kopiert neuerdings Marcel Breuer. Die österreichische Stärke ist vielmehr das komplexe Denken, doch wird das hier weder praktisch noch theoretisch diskutiert.

Wo sind Ihrer Meinung nach die tonangebenden internationalen Theorieschulen?

Prix: In Amerika, denn dort hat es Tradition, dass die Kunsthistorikerausbildung weitläufiger ist. Das Denken erfolgt konzeptueller und verknüpft verschiedenste Ebenen. Kritiker und Theoretiker sind dort - mit einem Wort - allgemeingebildeter als bei uns. Die Schulen, an denen sie lehren, haben entsprechend große internationale Ausstrahlungskraft.

Einige dieser Theoretiker konnten Sie nun ja für die Architekturstudenten der Angewandten verpflichten.

Prix: Ja, denn ich halte es als Dekan einer Schule nicht für sinnvoll, einen provinziellen Justamentstandpunkt zu vertreten und zu sagen: Wir sind die Größten. Wir müssen uns mit globalem Wissen vernetzen. Die österreichische Architektur muss schlagkräftiger werden, allerdings darf man nicht in Vorarlberg die Spitze des Berges sehen. Hybride Architektur, neue Entwurfstheorien und innovative Ausführung sind die Zukunft der Architektur, und es wäre Wahnsinn, wenn unsere jungen Architekten nicht aufgefordert werden, sich intensiv und vor allem international damit auseinander zu setzen.

Wie soll diese Intensivierung erfolgen?

Prix: Architektur kann nicht mehr an Massenuniversitäten unterrichtet werden. Ich glaube auch, dass dieses sich ändernde Rollenbild der Architekten eindringlich vermittelt werden muss und dass die Schulen ihre Auseinandersetzung mit der Realität neu definieren sollten.

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