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Metaphysische Bauskulptur
Neue Zürcher Zeitung

Eine Monographie zum Colosseo Quadrato in Rom

25. September 2003 - Roman Hollenstein
Heute ist er ein «Medienstar», doch lange Zeit war er der wohl bestgehasste Bau des modernen Rom: der Palazzo della Civiltà Italiana, den Mussolini 1937 in Auftrag gab als zentrales Ausstellungsgebäude der auf 1942 angekündigten, aber nach dem Kriegseintritt Italiens «sine die» verschobenen und schliesslich ganz aufgegebenen Esposizione Universale di Roma (EUR). Anders als das zweite Meisterwerk auf dem EUR-Gelände, Adalberto Liberas rationalistischer Palazzo dei Congressi, dessen Säulenhalle noch im New Yorker Lincoln Center nachklingt, galt der Colosseo Quadrato genannte Palazzo als architektonischer Ausdruck des faschistischen Imperiums.

Nicht zuletzt deshalb geriet das Anfang der vierziger Jahre erst im Aussenbau vollendete Gebäude ins Visier fortschrittlicher Kritiker. Aber auch Architekten wie Giuseppe Terragni, der seit dem Bau der Casa del Fascio in Como von der Versöhnung des Regimes mit der baukünstlerischen Avantgarde träumte, beanstandeten die steinerne Maskerade des von 216 monumentalen Arkaden durchbrochenen Kubus. - Es war der ideologisch unbedarfte, ganz auf optische Reize ausgerichtete Blick der Modefotografen, welcher das von einer kalten Poesie umhauchte Colosseo Quadrato von seinen Stigmata erlöste und zur surrealistisch anmutenden Bühne schöner Menschen umdeutete. Seither ist der von Giovanni Guerrini, Ernesto Lapadula und Mario Romano im Geist der Pittura metafisica entworfene «Tempel der Romanità» das Highlight des 1937 unter Federführung von Marcello Piacentini, dem Hofarchitekten des Duce, geplanten und halbwegs zwischen Stadt und Meer errichteten, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg zur Römer Vorstadt ausgebauten Viertels EUR. Damals wurde auch der kriegsversehrte Palazzo della Civiltà Italiana vollendet, mit den geplanten Statuen versehen und als Ausstellungsgebäude der Landwirtschaftsschau «EA 53» benutzt, ohne dass man aber die durchaus heutiger Stararchitektur vergleichbare Zeichenhaftigkeit des weiterhin negativ besetzten Gebäudes erkannte. So dämmerte dieses lange als Bürohaus vor sich hin, bevor es 1999 per Dekret zum Museo Nazionale dell'Audiovisivo ausersehen wurde.

Nun liegt zu dieser metaphysischen Bauskulptur eine opulente Monographie vor, die alle Facetten des Gebäudes ausleuchtet. In seiner erhellenden Einführung verleiht Sergio Poretti dem Colosseo Quadrato nicht ganz unbegründet das Etikett eines auf dem zweiten Futurismus und der «Neometafisica» basierenden «visionären Klassizismus». Anschliessend wird aufgezeigt, wie Guerrini, Lapadula und Romano in ihrem einstimmig gekürten Projekt Piacentinis Idee eines Kubus übernahmen, diesen dann aber mit einer aus sechs übereinander gestellten Arkadenreihen bestehenden Fassade auflösten. Eine suggestive Präsentationszeichnung von Guerrini zeigt das von Dioskuren bewachte Bauwerk in enigmatischer nächtlicher Beleuchtung, als handle es sich um ein Gemälde von Giorgio De Chirico. Diese metaphysische Ansicht konnten die Architekten in die Realität hinüberretten, indem sie die vom Kolosseum inspirierte Bogenstellung - auf ihre konstruktive Essenz reduziert - in messerscharf geschnittener, harte Schatten erzeugender Flächigkeit umsetzten und so eine Gebäudehülle von rätselhafter Leere schufen.

Aber nicht nur in seiner äusseren Erscheinung war dieser Palazzo im Grunde weit moderner als die weniger heftig kritisierten Bauten des faschistischen Staatsarchitekten Piacentini. Denn Guerrini, Lapadula und Romano konzipierten einen fortschrittlichen Skelettbau, dessen minimalistisch anmutendes räumliches Raster sie anschliessend hinter Bögen aus Travertin verbargen. Die daraus resultierende neuklassizistische Gebäudeform nahm in ihrer doppelten Codierung bereits die architektonische Postmoderne vorweg. Es ist daher gut möglich, dass sich Rafael Moneo 1980 - also noch vor der baukünstlerischen Rehabilitierung des Palazzos - durch dessen purifizierte Architektur beim Bau des Nationalmuseums Römischer Kunst in Mérida anregen liess. Doch eine Rezeptionsgeschichte des Colosseo Quadrato sucht man in der Monographie vergeblich. Dafür werden die Planungs- und Baugeschichte, das baukünstlerische Programm, die geplante «Mostra della Civiltà Italiana», aber auch denkmalpflegerische und biografische Aspekte beleuchtet und ausführlich dokumentiert. Die durch sorgfältig reproduzierte historische Aufnahmen abgerundete Publikation dieses ebenso unbequemen wie magischen Bauwerks darf denn auch als beispielhaft bezeichnet werden.


[Il Palazzo della Civiltà Italiana. Architettura e costruzione del Colosseo Quadrato. Hrsg. Maristella Casciato und Sergio Poretti. Federico Motta Editore, Mailand 2003. 249 S., Euro 72.-.]

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