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Stadtschloss Berlin: Zerstrittene Einigkeit
Der Standard

Nach wie vor berät eine Expertenkommission über Neubau oder Rekonstruktion des Schlosses von Friedrich I. in Berlin. Die DDR hat das Gemäuer gesprengt, die neue Bundesrepublik will es wieder aufbauen. Die Frage lautet nur, wie?

19. Januar 2002 - Ute Woltron
Die Debatte um den Wiederaufbau des barocken Berliner Stadtschlosses geht in das nunmehr elfte Jahr. Seit Ende 2000 berät die hochkarätig besetzte Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ unter dem Vorsitz des Österreichers Hannes Swoboda, wie mit dem zentralen und wichtigen, aber devastierten Ort Berlins verfahren werden soll. Ein Ende der Debatte war mit Ende vergangenen Jahres nach einer Dekade des Diskutierens erwartet worden, ist aber nach wie vor nicht in Sicht.

1701 hatte Preußenkönig Friedrich I. erst Andreas Schlüter, dann Eosander von Goethe mit dem Bau eines Barockschlosses beauftragt. Tatsächlich wurde bis in das 19. Jahrhundert an dem Repräsentationsblock gemeißelt, auch Friedrich Schinkel legte schließlich noch kräftig Hand an. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Gebäude eine ausgebrannte Ruine, die durchaus hätte wiederhergestellt werden können, doch der DDR-Geist entschied sich gegen eine Renovierung des Preußenprachtbaus: In den 50er-Jahren wurde das Schloss kurzerhand gesprengt, am Rand des solchermaßen entstandenen geräumigen Platzes errichtete man später den Palast der Republik.

Seit klar ist, dass mit diesem historisch wie städtebaulich markanten Ort inmitten einer Stadt boomender Neubauten etwas zu geschehen hat, gehen die emotionalen Wogen sowohl in der Bevölkerung als auch im Kreise der Fachleute hoch. Befürworter einer Rekonstruktion des alten Schlosses ringen mit Verfechtern der Erhaltung des DDR-Palastes, dazwischen mengen sich die Stimmen derjenigen, die den prominenten Bauplatz als Chance für zeitgenössische Spitzenarchitektur verstehen. Gut vier Dutzend Architekturentwürfe unterschiedlichster Qualität liegen bis dato vor, ein groß angelegter, wohl überlegter Wettbewerb scheint unvermeidlich. Doch die Expertenkommission für die „Historische Mitte“ wird wohl noch einige Male zu tagen haben, bis Konsens erreicht, ein Wettbewerb ausgeschrieben und ein Baubeginn in Sicht ist.

Einer der Experten ist mit Peter Conradi der Präsident der deutschen Architektenkammer. Das ALBUM bat den obersten Baukünstlervertreter der Bundesrepublik zum Gespräch.

ALBUM: Die Befürworter der Rekonstruktion behaupten, das Berliner Stadtschloss sei der bedeutendste Barockbau nördlich der Alpen gewesen. War dem so?

Peter Conradi: Von wegen. Wir haben den Wiener Professor Hellmut Lorenz, der ein fundierter Barockkenner ist, zu einer Beurteilung eingeladen, und er sagte, das seien herbeigeredete Qualitäten, die das Schloss nie besessen habe. Er warnte ausdrücklich vor einer Rekonstruktion, allenfalls solle man Erinnerungsstücke nachbauen. Denn wie soll man eine Rekonstruktion des Zustands vor der Zerstörung angehen, wenn nur Unterlagen aus dem Jahr 1940 vorhanden sind, als das Schloss schon mehrfach umgebaut war? Will man Schlüters Werk besser nachbauen und schöner machen, als er selbst es geplant hat?

Vergangenen Freitag (11. 1. 2002) hätte eigentlich die abschließende Sitzung des Komitees stattfinden sollen. Für wann erwarten Sie letztlich eine Entscheidung?

Peter Conradi: Die Angelegenheit pressiert ja gar nicht. Weder Berlin noch der Bund haben zurzeit Geld für das Schloss. Ich erwarte auch nicht, dass der Bundestag sich vor der Wahl mit dem Thema befasst. Darüber wird frühestens 2003 entschieden.

Wie schaut es innerhalb der Kommission aus? Herrscht hier Einigkeit?

Conradi: Die Kommission ist in der Nutzungsfrage einig, was die bauliche Gestaltung anbelangt hingegen heftig zerstritten.

Es gibt diverse zeitgenössische Projekte für einen Neubau, aber gab es jemals einen Architekturwettbewerb?

Conradi: Es gab in den 90er-Jahren einen städtebaulichen Ideenwettbewerb, der scheiterte, weil kein klares Programm vorgegeben war. Der erste Preis strahlte den Charme des Zentralgefängnisses von Atlanta aus und war vom, wie ich es nennen will, Geist des Berliner Syndikats bestimmt. Später gab es weitere Vorschläge. Norman Foster schlug eine temporäre Nutzung vor, Gustav Peichl eine Collage aus Alt und Neu, Gerkan & Partner eine Glashülle, auf die das Bild des alten Schlosses projiziert war. Auch Architekt Schultes hat ein interessantes Projekt vorgeschlagen. Ich hoffe, dass wir zu einem offenen Wettbewerb für das von der Kommission empfohlene Nutzungsprogramm kommen werden.

Hat die Kommission präzise Vorstellungen über die Nutzung eines Neubaus?

Conradi: Die Expertenkommission hat einstimmig einen Nutzungsvorschlag beschlossen, in dem sich Kultur, Naturwissenschaft, Kommunikation und Information verbinden. Es könnten völkerkundliche und naturwissenschaftliche Sammlungen untergebracht werden, die Berliner Zentralbibliothek würde eine neue Art der Vermittlung über neue Medien dort anbieten, und des weiteren könnte der Ort als Agora für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden.

Gibt es bereits seriöse Kalkulationen bezüglich der Baukosten?

Conradi: Erst wenn das Programm genau fixiert ist, kann man die Kosten angehen, alles andere wäre fahrlässig.

Die Befürworter der Rekonstruktion beziehungsweise des Zeitgenössischen haben sich nun jahrelang heiße Debatten geliefert. Gab es eigentlich jemals eine Volksbefragung zum Thema?

Conradi: Verlässliche Umfragen gab es nicht. Es gibt drei Positionen: Den Palast der Republik wollen nur wenige erhalten. Der war nicht schön, aber wenn man alles abreißen würde, was nicht schön ist, gäbe es nicht nur in Berlin große Lücken.

Auch in den Neubauvierteln des Westens.

Conradi: Sicher auch dort. Es wäre dennoch eine Option, den Rohbau des Palastes zu erhalten und ein anderes bauliches Kleid darüberzulegen. Was die Rekonstruktion anbelangt, so könnte man bestenfalls drei der Fassaden sowie ein paar Innenräume nachbauen. Mir persönlich haben die zeitgenössischen Lösungen etwa von Peichl und Schultes gut gefallen, die Teile der Erinnerung mit einem neuen Bau verbinden - als Zitate, die nicht so tun, als seien sie ein altes Schloss.

Worauf führen Sie die heftigen Diskussionen über Alt und Neu zurück? Ist die Architektur ein derart wichtiger Identitätsstifter?

Conradi: Es gibt in Deutschland eine Tendenz, die wir als Retro bezeichnen, die vergangenheitsorientiert das Alte glorifiziert. Sie ist mit einer starken Abneigung, sogar mit Hass auf die Moderne verbunden. Sicher steckt auch die Angst vor der Globalisierung und einem damit verbundenen Identitätsverlust dahinter. Wenn sich schon die Gesetzgebung nach Brüssel verlagert, dann wollen wir wenigstens unser altes Schloss wiederhaben, sonst verlieren wir unsere Identität.

Mag da nicht die zeitgenössische Architektur in Deutschland dazu beitragen?

Conradi: Das Zeitgenössische wird sehr kritisch gesehen, doch übersieht man dabei, dass auch nicht alles Alte so gut war. Da ist furchtbares Zeug gebaut und später weggerissen worden. Dennoch gibt es eine Menge wunderbarer Architektur, die auch akzeptiert wird. Die Retro-Stimmung übersieht, dass wir hervorragende Leistungen zu bieten haben.

Dem Außenstehenden scheint es, als ob in Deutschland die Investorenarchitektur überhand nähme.

Conradi: Es gibt bei uns Investorenarchitektur, und die Auftraggeber heute wollen, anders als Bankiers und Unternehmer früher, Geld verdienen und kein Risiko eingehen. Das schlägt natürlich auf die Architektur durch, auch in Berlin, wo alles dazu noch in das Korsett des Senatsbaudirektors gepresst wurde. Da sind zum Teil entsetzliche Langweiligkeiten entstanden.

In jüngerer Vergangenheit wurde in Deutschland sehr viel gebaut. Aber regelrechte Architekturschulen haben in der Zwischenzeit eher andere Länder entwickelt. Woran kann das liegen?

Conradi: Man kann international beobachten, dass so etwas meist ein kleinräumiges Phänomen ist. Die Vorarlberger Schule zum Beispiel, die bei uns einen regelrechten Nimbus hat und ständig Ziel von Architekturreisen ist, entstand in einem verhältnismäßig kleinen Raum und im Widerstand zur dortigen Landesregierung. In Graz widerum wurde eine neue Architekturrichtung offiziell gefördert. In den Niederlanden sind ebenfalls interessante Bewegungen zu beobachten, ebenso in Graubünden. Auch Wien kann sich rühmen, gute Architektur nicht nur zu produzieren, sondern auch zu ex- und importieren. Ihre Kritik an der deutschen Architektur ist leider nicht ganz unbegründet.

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