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Aus, vorbei, Schluss
Neue Zürcher Zeitung

Das grosse Sterben der Architekturzeitschriften

27. Oktober 2003 - Oliver Herwig
Immer deutlicher bekommen die deutschen Architekturzeitschriften die Auswirkungen der Krise im Baugewerbe zu spüren. Ganze Verlagssparten wechseln den Besitzer, Redaktionen werden ausgedünnt und Magazine eingestellt. Dramatische Einbrüche bei Anzeigen und Auflagen kennzeichnen die Lage der Baufachzeitschriften, und selbst renommierte Nischenblätter wie «Arch+» können sich dem Abwärtstrend nicht entziehen. Einsparungen beeinflussen augenblicklich Ausstattung sowie Umfang der Zeitschriften und bedrohen langfristig ihre journalistische Qualität. Unübersehbar wurde das Siechtum deutscher Architekturzeitschriften in diesem Sommer. Die Umfänge der Hefte schrumpfen, ausscheidende Redaktionsmitglieder werden nicht mehr ersetzt, und Schwerpunktthemen verlieren sich zwischen Meldungen und den immer wichtiger werdenden Produktinformationen.

Mit krisenbedingten 40 Prozent weniger Anzeigen gegenüber dem Vorjahr rechnet Felix Zwoch, Chefredaktor der «bauwelt», für alle architektonischen Fachblätter. Ein halbes Dutzend Monatszeitschriften belauern sich wie angeschlagene Boxer. «Wir warten, bis jemand aus dem Rennen geht», gibt ein Redaktor unumwunden zu, «und hoffen, dass wir nicht die Ersten sind.» Resignation macht sich breit. Im letzten Jahr brachen nicht nur die ohnehin mässigen Werbeeinnahmen teilweise weg, sondern auch die verlegerischen Perspektiven vieler Blätter. Kaum eine Zeitschrift, die nicht schon zum Verkauf stand oder den Besitzer wechselte. Neue Eigentümer verlangen Renditen. Die aber sind schwer zu erzielen. Traumzahlen von bis zu 15 Prozent, wie sie die «bauwelt» zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung erwirtschaftete, klingen heute geradezu exotisch. Trotzdem wurde Mitte Mai die gesamte Fachverlagssparte von Bertelsmann-Springer an die Investmenthäuser Cinven und Candover verkauft. Betroffen davon waren auch die Architekturzeitschriften «bauwelt», «DBZ» und «Bundesbaublatt». Eine Milliarde Euro investierten die Briten in die Übernahme. Sie wollen aus BertelsmannSpringer und den bereits für 600 Millionen Euro erworbenen Kluwer Academic Publishers den weltweit zweitgrössten Wissenschaftsverlag schmieden.

Substanzverlust

Als die «bauzeitung» im vergangenen Dezember ihr Erscheinen nach 50 Jahren einstellte, mutmassten Kenner, es würden nun auch anderswo harte Schnitte folgen. Jahr für Jahr verliert allein die «bauwelt» 1000 Leser. Mit diesem lebensbedrohlichen Substanzverlust steht sie nicht allein da. Bei «db» fiel die Zahl der Abonnemente von 34 836 im Jahre 2001 auf 31 160, wovon allein 22 861 Exemplare direkt an die Mitglieder des Bundes deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure gehen. Der Einzelverkauf am Kiosk betrug im Februar nur 284 Stück. Mit «kompetent, kritisch, kontrovers» wirbt die «db» nun um neue Abonnenten. Doch diese hohen Ziele stehen nicht unbedingt im Zentrum der neuen Verlagspolitik. Seit sich die «FAZ» von ihrer Tochter DVA trennte und die Konradin Medien GmbH in Stuttgart das Heft in der Hand hält, kreist der Rotstift. «Keine Begrüssung, keinerlei Gespräch, keine Vision», klagt ein Redaktor. Und Oliver G. Hamm vom «Deutschen Architektenblatt» mutmasst: «Zwar dürfte die ‹db› nicht grundsätzlich zur Disposition gestellt werden, wohl aber ihre personelle und damit auch qualitative Basis.»

Wo Verleger fehlen, werden Zeitschriften zu reinen Objekten im Portfolio. Controller ziehen durch die Redaktionen. Bei den Honoraren, den Reisekosten, der Papier- und Druckqualität - überall lässt sich sparen. Dabei ist langfristig vor allem eines gefährdet: die unabhängige, kritische Berichterstattung. Zeitschriften würden inzwischen direkt am Anzeigenmarkt ausgerichtet, meint ein Experte und beklagt, dass «Werbesprache immer offensichtlicher in redaktionelle Teile» einfliesse. «Da fehlen Journalisten, die das überarbeiten und rausfiltern.» Dass es auch anders geht, beweist die «bauwelt», die ganz auf Produktinformationen verzichtet. Chefredaktor Zwoch beschwört das journalistische Ethos: «Bei uns gibt es keine Vermischung von PR und Redaktion. Firmen kann man das vermitteln, und das verstehen sie auch.» Anzeigenkunden aber drängen weiter in den redaktionellen Teil.

Blühende Monopolisten

Der Markt implodiert. Jeder lauert, bis ein Mitbewerber aus dem Rennen geht. Alternativen zeigen schweizerische und österreichische Fachzeitschriften. «Architektur aktuell» aus Wien trotzt der Krise. «Wir haben so weitergemacht wie immer», sagt Bernd Mandl. «Aufgrund unserer marktbeherrschenden Stellung in Österreich gab es kaum einen Rückgang bei den Anzeigen.» So bleiben Werbung, redaktioneller Teil und Produkteinformationen sauber getrennt, zur Freude der Leser. Ähnlich bei der «Archithese». Die Zürcher Zeitschrift wartete in diesem Jahr mit einem neuen Format und einem neuen Layout auf, grösser und mutiger. Die «Archithese»-Redaktorin Judit Solt meint: «Die letzten Jahre liefen ziemlich gut», und die Anzeigenlage sei gar «nicht so schlecht». Kein Wunder, dass deutsche Kollegen auf schweizerische und österreichische Blätter schielen, die nicht nur über eine sichere Auflage verfügen, sondern auch über ein ungebrochenes verlegerisches Interesse an kritischer und unabhängiger Berichterstattung.

Da keine Zeitschrift in Deutschland über eine marktbeherrschende Stellung verfügt, halten sich Gerüchte, dass die eine oder andere aus dem Markt gehen werde. Nikolas Kuhnert von «Arch+» sieht aber auch ein Problem darin, dass Lesen Arbeit bedeute. Die Zeiten der grossen Theoriedebatten seien vorbei, denn eine ganze Architektengeneration trete ab. «Infos holen sich die Jungen dann, wenn man sie gerade braucht, und zwar bevorzugt aus dem Netz.» Denn auch das Flaggschiff der Theoriedebatte hat Abonnenten verloren. Noch deren 7200 halten «Arch+» die Stange. «Das Jahr 2002 war kein gutes Jahr», schrieb Falk Jaeger in einem seiner letzten Briefe als Chefredaktor der «bauzeitung». Zuerst waren nur die Architekten betroffen. Nun geht es an die Baufachzeitschriften, von denen manche die Krise kaum überstehen werden. Umso wichtiger wäre es daher, dass alle anderen als kritische Stimmen erhalten blieben.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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