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„Mehr Intelligenz am Grab“
Der Standard

Die Vorarlberger Architekten Gerhard Ströhle und Simon Rümmele erfinden das „Grabdenkmal des 21. Jahr- hunderts“. Die Devise lautet: Weg vom Granit, hin zum Ewigen Licht

31. Dezember 1996 - Ute Woltron
Tatsächlich ist das meiste, was sich in Sachen Design auf zeitgenössischen Friedhöfen abspielt, ein Trauerspiel in Granitgrau und Goldschnittschrift zwischen Buchshecken und Lebensbäumen. Noch überwiegt Besinnlichkeit. Doch nun wird auch die letzte Ruhestätte zum Objekt gestaltender Kräfte: Die Vorarlberger Architekten Simon Rümmele und Gerhard Ströhle, alias www.fuerrot.at, haben "über die Zukunft unserer Gräberkultur nachgedacht und ein „Grabdenkmal des 21. Jahrhunderts“ ersonnen". Denn die Kunst der Bestattung und der Ewigen Ruhe, so meinen sie, sei einer neuen Kultur und den Standards des angebrochenen Jahrtausends entsprechend zuzuführen.

Zwei Grabstätten der Zukunft haben die beiden bereits realisiert. Eine davon befindet sich seit Sommer dieses Jahres auf dem Gottesacker des vorarlbergerischen Götzis. Dort leuchtet ein „automatisiertes ewiges Licht“ den Verstorbenen der Familie Ströhle. Die Architekten griffen in ihrem Entwurf tief in den Fundus der angelernten Symbolik der vergangenen Jahrtausende, modifizierten sie, hauchten ihr gewissermaßen den zeitgenössischen Geist ein und entwarfen ein futuristisches Grab, das „auch ohne aufwendige Wartung stets gepflegt erscheint“.

Die Grabplatte, traditionell aus Granit gehauen oder Beton gegossen, ersetzt ein strukturiertes Edelstahlblech, in das ein Solarmodul eingelassen ist. Letzteres ist, um in der Terminologie des Zeitgenössischen zu verharren, multifunktional, denn zum einen sind die Solarzellen in Form eines Kreuzes angeordnet, zum anderen produzieren sie jenen Strom, der eine Blei-Gel-Batterie speist und eine LCD-Anzeige bedient. Die wechselnden Texte können über eine PC-Schnittstelle stets modifiziert und gewissermaßen den Bedürfnissen des Toten angepasst werden. Rümmele: „Auf diese Weise kann auf die Individualität des Verstorbenen optimal eingegangen und sein Leben, seine Vorlieben und Hobbys besser dokumentiert werden.“ Was Rümmele „mehr Intelligenz am Grab“ nennt, ist auch in standardisierter Form zu haben. Je nach Größe und technischer Ausstattung ab 6000 Euro. Das Interesse an der neuen Liegestatt für die Ewigkeit scheint groß zu sein, Kundenwünsche aus Deutschland, Irland und Österreich müssen befriedigt werden, sogar ein australisches TV-Team wurde bei den Vorarlbergern vorstellig.

Auch auf einem Wiener Friedhof leuchtet bereits fuerrots ewiges Licht. Diesmal in Form eines weißen, nachts gleißend hell erleuchteten Glasdeckels. „Der Effekt der Öffnung (Entweichung der Seele)“, so meinen die Grabdesigner, „verstärkt sich zudem durch das darüber liegende, dynamisch gebogene Solarmodul.“ Eine „aufgedruckte, immergrüne Rose“ symbolisiert ewiges Leben, auch das Kreuz fehlt nicht. Eine in die Grabplatte integrierte Öffnung lässt den Blick auf das darunter liegende Erdreich frei - also auf jenen Humus, aus dem „wiederum Leben entsteht“.

Adolf Loos, der selbst Gräber, unter anderem sein eigenes, entwarf, hatte es seinerzeit mit der Symbolik so verstanden und im Jahr 1910 niedergeschrieben: „Wenn wir im walde einen hügel finden, sechs schuh lang und drei schuh breit, mit der schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst, und es sagt etwas in uns: Hier liegt jemand begraben. Das ist architektur.“

Die Zeiten wandeln sich bekanntlich. Die Architekten von www.fuerrot.at geben als Merkmale ihrer Gräber „solide Technik, High-Tech-Materialien, Langlebigkeit, Korrosionsfreiheit, Recyklierbarkeit“ an. Sei noch die rasche Montagezeit zu erwähnen sowie die „einfache Programmierung zusätzlicher Sprüche und Namen“. Die Wiener Grabkammer ist nämlich, ganz im Sinne der Synergie und Nachhaltigkeit, für insgesamt zwölf Särge nutzbar. Wenn das kein Leben nach dem Tod ist.

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