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Modular mit runden Ecken
Neue Zürcher Zeitung

Ein Bürokonzept der französischen Shooting Stars Ronan und Erwan Bouroullec

Seit ihrer «Entdeckung» durch Giulio Cappellini 1998 zählen die aus der Bretagne stammenden Brüder Ronan und Erwan Bouroullec zu den Shooting Stars der internationalen Designszene. Nach der Gestaltung des APOC-Shops für Issey Miyake zeigt ihr Bürokonzept «Joyn», wie sich Modularität und Individualität versöhnen lassen.

7. November 2003 - Hubertus Adam
Lange Zeit schien die französische Designerszene vollkommen von Philippe Starck dominiert zu sein. Doch in den letzten Jahren gerieten einige jüngere Gestalter ins Rampenlicht, die inzwischen internationale Reputation geniessen: Christophe Pillet gehört dazu, Matali Crasset, deren dreiteilige Badinstallation für Dornbracht auf dem letzten Designer's Saturday in Langenthal zu sehen war, vor allem aber die 1971 und 1975 bei Quimper geborenen Brüder Ronan und Erwan Bouroullec.


Karrieresprung

Ronan Bouroullec studierte zunächst Industriedesign, dann Möbeldesign an der Pariser Ecole nationale supérieure des Arts décoratifs. Durch ein staatliches Stipendium unterstützt, arbeitete er nach dem Abschluss selbständig, bis ihm Giulio Cappellini den internationalen Durchbruch ermöglichte: Der italienische Produzent hatte auf einer Messe 1998 in Paris Ronans «Modular Kitchen» entdeckt: ein Metallgerüst, das mit Aufsätzen, Becken und Ablagen versehen wird und sich somit der jeweiligen Wohnsituation anzupassen vermag. Die für Cappellini entwickelte und auf der Mailänder Möbelmesse des Jahres 2000 präsentierte aufgebockte Raumzelle «Lit Clos sleeping cabin», eine Mischung aus Hochbett, Baumhaus und Hamsterkäfig, ist eine Antwort auf sich verändernde Lebensweisen - die Schlafkoje kann jene fast romantische Intimität gewähren, deren es inmitten einer loftartigen Raumstruktur bedarf.

Die seit 1998 gemeinsam tätigen Brüder Bouroullec gehören zu den ständigen Mitarbeitern der Firma Cappellini, für die sie so unterschiedliche Produkte wie ein Sofa, einen (deutlich an Jasper Morrison erinnernden) Stuhl und ein modulares Präsentationssystem schufen. Inzwischen arbeiten sie aber auch für andere renommierte Firmen wie Habitat, Authentics, Ligne Roset oder Domeaux & Pères. Neben dem Einzelobjekt gilt ihr Interesse zunehmend dem Interior Design. Nach einem Büro für Hedi Slimane, der die Herrenlinie für Christian Dior entwirft, realisierten sie die Inneneinrichtung des Pariser Shops von Issey Miyakes APOC-Label. Die Idee des japanischen Modedesigners, Kleider individuell von der Rolle aus zuschneiden zu lassen, fand mit der Gestaltung durch die Bouroullecs ihren passenden architektonischen Rahmen: Die Boutique im Marais wirkt wie eine Mischung aus Schneideratelier, Galerie und High-Tech-Labor. Kleiderbügel und Haken sucht man vergeblich, stattdessen werden die Kleider von Magneten gehalten - inmitten eines farblich sparsam akzentuierten weissen Displays, das mit organisch in Form gebrachten Bändern und Schienen den gesamten Raum umspannt.


Veränderungen der Arbeitswelt

Das jüngste Projekt von Ronan und Erwan Bouroullec entstand im Auftrag der Firma Vitra und gilt der zeitgenössischen Büroeinrichtung. Technologische Innovationen haben die Lebens- und Arbeitswelt stark verändert. Arbeit, so scheint es, ist in der Gegenwart - und mehr noch in der Zukunft - nicht mehr an feste Orte gebunden. Allerdings mag man bezweifeln, dass der Arbeitsplatz Büro damit an Bedeutung verliert - die Vision nur durch virtuelle Kommunikationsnetzwerke miteinander verbundener, global verstreuter Arbeitsnomaden entspricht kaum menschlichen Bedürfnissen. So wird das Büro als Ort der Arbeit nicht verschwinden, sondern den veränderten Anforderungen Rechnung tragen müssen. Nicht mehr das Zellen- oder das Grossraumbüro gelten als akzeptable Leitbilder, und auch das Kombibüro der neunziger Jahre mit seinen verglasten Arbeitsräumen, die sich um eine zentrale Kommunikationszone gruppieren, ist nur bedingt flexibel. Nach mehreren Anläufen, die Statik der Arbeitswelt im Bereich des Mobiliars aufzubrechen, entwickelte Vitra im Jahr 2000 ein Musterbüro, das in Weil am Rhein aufgebaut wurde und sich als Synthese der bisherigen Konzepte verstehen liess. So konnten die Beschäftigen in einem Archipel unterschiedlich strukturierter Büroformen navigieren. Ein Patchwork aus territorialen und nicht territorialen Arbeitsplätzen wurde entwickelt, in das kommunikative Zonen - Café, Pausenbereiche, Gruppenräume und Besprechungszonen - zwanglos integriert sind.

Mit dem Möbelsystem «Joyn» entwickelten die Bouroullecs für Vitra ein modulares Bürokonzept, das ihre früheren Ideen auf die Arbeitswelt überträgt. Grundelement ist ein beliebig zu vergrössernder oder verkleinernder Tisch, der als Konferenztisch oder Partytable, dann aber auch als Arbeitsfläche für eine Reihe getrennt voneinander tätiger Mitarbeiter verwendet werden kann. Beleuchtungskörper lassen sich ebenso applizieren wie Ablagefächer oder Schreibmatten; die nötige Individualdistanz schaffen stoffbezogene Scheiben, die zur Abgrenzung des Arbeitsplatzes auf die Tischplatte aufgesteckt werden. Ergänzung findet das System in einer Reihe von Miniaturarchitekturen - einer den Relaxbereich überfangenden Hütte aus Holz und Plastic, halbrunden Telefonsäulen oder Einzelkabinen, die mit Stoffvorhängen umgeben sind. Der Vorteil des Konzepts ist zweifellos die einfache Handhabbarkeit, so dass mit wenigen Handgriffen eine Bürolandschaft rekonfiguriert werden kann. Designer wie Konstantin Grcic oder Jasper Morrison sind die Vorbilder für Ronan und Erwan Bouroullec, die auf zeitgemässe Weise das ökonomische Postulat der Modularität mit dem Bedürfnis nach Individualität versöhnen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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