Artikel

Fiat Flux
Neue Zürcher Zeitung

Das New Yorker Architekturbüro Asymptote in Rotterdam

Das Hauptinteresse des New Yorker Architekturbüros Asymptote gilt den Wandlungen, welchen das Verständnis von Baukunst im digitalen Zeitalter unterliegt. Idee und Experiment sind für die Entwürfe des Teams wichtiger als die physische Materialisierung, wie eine grosse Ausstellung im Nederlands Architectuur Instituut in Rotterdam zeigt.

10. November 2003 - Hubertus Adam
In den vergangenen Jahren haben sich die Produktionsbedingungen für die Architektur grundlegend geändert. An die Stelle von Zeichenstift und Reissbrett ist die Bildschirmoberfläche des Computers getreten. Natürlich lassen sich auch beim digitalen Entwerfen Ergebnisse erzielen, die jenen des traditionellen Zeichnens ähneln. Mehr und mehr werden indes die Potenziale erkannt, welche die neuen Arbeitstechniken bieten: Blobartige biomorphe Gebilde, welche heute den architektonischen Trend weltweit bestimmen, wären früher nur schwer zu berechnen und zu konstruieren gewesen. Im Zeitalter neuer Möglichkeiten gilt es zunächst zu experimentieren, und so überschwemmen neo-organische Architekturgebilde die Architekturseminare an den Hochschulen. Dabei stellt sich bei einigen Protagonisten der neuen Entwurfsverfahren - beispielsweise bei Greg Lynn - der Verdacht ein, dass sich die Innovationen letztlich auf das Formale beschränken: Blütenhäuser und Quallenbauten treten an die Stelle von Würfel und Box.


Formen in Bewegung

Das Nederlands Architectuur Instituut (NAI) in Rotterdam gibt nun dem in New York praktizierenden Team Asymptote die Gelegenheit, sein Werk und sein Denken erstmals in Europa im Rahmen einer grossen monographischen Ausstellung zu präsentieren. Die 1959 geborene Kanadierin Lise Anne Couture und der ein Jahr ältere, aus Kairo stammende Hani Rashid gründeten das Architekturbüro 1988. Bekannt wurde Asymptote allerdings weniger durch realisierte Bauten als durch visionäre Entwürfe - und durch die langjährige Lehrtätigkeit an der für den internationalen Architekturdiskurs massgeblichen Columbia University New York. So gelten Couture und Rashid heutzutage als die führenden Theoretiker und Protagonisten des digitalen Entwerfens.

Welche Wegstrecke das Asymptote-Team in den 15 Jahren seines Bestehens zurückgelegt hat, zeigt sich eindrucksvoll anhand des im Jahr der Bürogründung entstandenen Projektes «Steel Cloud», das gleich zu Beginn der Ausstellung umfassend dokumentiert wird: Der Vorschlag für eine Überbauung des West Hollywood Highway in Los Angeles mit Theatern, Kinos, öffentlichen Plätzen und diversen Wegesystemen zeigt eine gerüstartig-dekonstruktive Struktur, die noch stark an die Formensprache von Daniel Libeskind erinnert, für den Rashid zuvor tätig gewesen war. Das Thema der Bewegung, das in «Steel Cloud» anklang (einem Gebäude, das laut Rashid 8,5 Sekunden bei einer Geschwindigkeit von 65 Meilen pro Stunde existiert), zieht sich wie ein roter Faden durch das Œuvre von Asymptote. Es bestimmt den Entwurf für das BMW-Center in München, der aus den zu umbauten Raumhüllen transformierten Kurven einer Teststrecke generiert zu sein scheint, aber auch die amorphe Gebäudelandschaft des Mercedes-Museums für Stuttgart. Daneben ist es immer wieder die Welt der Flugzeuge, welche die Architekten inspiriert - als eines der Beispiele kann der Pavillon «Hydrapier» gelten, der anlässlich der Gartenbauausstellung «Floriade» vor zwei Jahren in der niederländischen Gemeinde Haarlemmermeer errichtet wurde (NZZ 6. 9. 02). Die aerodynamischen Formen der im Polderland in eine Wasserfläche hineinragenden Stahlstruktur verweisen auf den nahe gelegenen Flughafen Schiphol.

Nach Thom Mayne, Daniel Libeskind und Philip Johnson hat sich nun auch Asymptote die sperrige grosse Halle des NAI mit einer ebenso aufwendigen wie spektakulären Installation nutzbar gemacht. Organisch geformte Rippen, die sich über dem Grundriss eines Quadratrasters schneiden, bilden eine gerüstartige Struktur. Diese wölbt sich über das Zentrum der Ausstellung. Es entstehen Kojen und Galerien für die Präsentation der einzelnen Arbeiten; die Modelle werden auf Sockeln präsentiert, die aus dicht nebeneinander stehenden Blechscheiben konstruiert wurden. Seitlich schliessen sich Kabinette an, in welchen auf Projektionen beruhende Arbeiten zu sehen sind, darunter die auf der letztjährigen Documenta ausgestellte Installation «Flux 3.0». Auf einen länglichen und rotierenden, an einen Knochen erinnernden, aber laut Angaben von Asymptote aus Autoformen entwickelten Körper wird ein endloser Strom von Bilddaten projiziert, welche Ausschnitte aus der Skyline globalisierter Metropolen zeigen. Ohne Zweifel ist die Installation, die sich dank seitlicher Verspiegelung des dunklen Kabinetts endlos fortzusetzen scheint, eindrucksvoll; ob sie hinsichtlich ihrer Aussagekraft mehr bietet als arbiträren digitalen Ästhetizismus, bleibt indes fraglich. Auch eine Reihe anderer Arbeiten transzendieren den engeren Bereich des architektonischen Entwurfs und nähern sich dem Bereich freier Kunst: die «B.Scapes», «I.Scapes» und «M.Scapes», computergenerierte Studien, welche Elemente von Körpern (Body), Bildern (Image) oder Bewegung (Motion) verfremdend aufgreifen und zu neuen Gebilden formen. Diese digitalen Bilder dienen aber zugleich als Reservoir für die architektonische Formgebung, wie der aus einem «M.Scape» unmittelbar abgeleitete Entwurf für den Wiederaufbau des World Trade Center als «Twin Twins» zeigt.


Real und virtuell

Flux, was nicht zufällig an Fluxus erinnert, ist einer der Lieblingsbegriffe von Rashid und Couture und kennzeichnet ein Vorgehen, das Virtualität und Realität zu mischen sucht. Insofern ist es charakteristisch, dass es sich bei vielen realisierten Objekten des Teams um Pavillons handelt, die wahlweise als kleine Architektur oder als grosses Modell zu verstehen sind. Die ersten beiden Versionen von Fluxspace wurden im Jahr 2000 am California College of Arts and Crafts sowie auf der Architekturbiennale Venedig präsentiert; aus den kokonartigen Formen entstand schliesslich ein flexibles Büroarbeitssystem für die Firma Knoll, bei dem gekurvte semitransparente Elemente die eiähnliche Umhüllung des Arbeitsplatzes erlauben. Das Oszillieren im energetisch aufgeladenen Raum zwischen Theorie und Praxis, Realität und Virtualität, Kunst und Architektur macht den Reiz der Arbeiten von Rashid und Couture aus. Die physische Realität der Architektur ist nur eines, aber keineswegs das vorrangige Ziel ihres Schaffens, das verschiedene Medien kombiniert. Ein Entwurf steht für Asymptote im Spannungsfeld von Idee und Experiment und führt nicht notwendigerweise auf die Zielgerade der Materialisierung.


[Bis 18. Januar 2004. Der Führer durch die Ausstellung kostet Euro 2.-. Ausserdem liegen vor: Hani Rashid und Lise Anne Couture: Flux. Phaidon Press, London 2002. 240 S., Euro 59.95. - Greg Lynn und Hani Rashid: Architectural Laboratories. NAI Publishers, Rotterdam 2002; 178 S., Euro 28.50.]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: