Artikel

Beobachtungs-Standpunkte
Der Standard

Der Stadtraum als ein Raum der Wahrnehmungen

22. November 2003 - Elke Krasny
Gegen die Übermacht der Bilder müssen Städte ihren Existenzbeweis antreten. Und dies tun sie mit neuen Wahrzeichen und Ikonen, Eiffelturm versus La Grande Arche de la Défense, Stephansdom versus Donauinsel. Ikonisch aufgeladen mutieren Stadtausschnitte zu globalen Landmarks. Wiedererkennung garantiert. Abweichung von Nachteil. Als Tourist ist man auf Aha-Trip zwischen medialem und realem Bild. Man freut sich über Deckungsgleichheit oder selbst gefundene Unterschiede zwischen Bild und Stadt.

Die kleine, überaus präzise recherchierte Ausstellung im Technischen Museum Wien (Details siehe obiger Beitrag) spürt den Schauplätzen und Entwicklungen der frühen Fotografie in Österreich nach. Anfänglich ist die Stadt für das Auge der Kamera bloß ein Gewimmel aus Dächern und Gebäuden. Der fotografische Blick fürs Besondere schult sich erst, standardisierte und favorisierte Blickachsen bilden sich allmählich. Der expandierende städtische Raum in seinen rasanten baulichen, technischen und ökonomischen Veränderungen wird vom Zukunftsmedium der Fotografie verfolgt und festgehalten. Hier wird Fotografie zur Chronik stadträumlicher Ereignisse.

Zu dieser Stadtchronik zählt auch eine in der Ausstellung präsentierte Serie der ältesten erhaltenen Panoramaaufnahmen von Wien, die Anfang der 1850er-Jahre vom Turm des Stephansdoms aus gemacht wurden. „In der Tat, von dieser Höhe der Vogelperspektive angesehen, hat selbst für den Eingebornen seine Stadt etwas Fremdes und Abenteuerliches, so dass er sich für den Augenblick nicht zu finden weiß. Wie eine ungeheure Wabe von Bienen liegt sie unten, durchbrochen und gegittert allenthalben und doch allenthalben zusammenhängend.“ So nimmt Adalbert Stifters Aussicht und Betrachtungen von der Spitze des St. Stephansthurmes 1844 die fotografische Panoramatik literarisch vorweg.

Elisabeth Limbeck-Lilienau spricht im Katalog zur Ausstellung von Zeitschnitten und der unglaublichen Fähigkeit der Kamera, jedes kleinste Detail aufzuzeichnen und der Fotografie enzyklopädischen Charakter zu verleihen. Zehrt aber eine Stadt, so wie Wien, von ihrem historischen Erbe als kultureller Verpflichtung, dann wird es schwierig, neue Bilder über die alten zu legen. Das einstige Zukunftsmedium Fotografie wandelt sich zum Bewahrungsmedium.

Neue Bilder für zukünftige Wahrnehmungen zu schaffen heißt, auf Stadtentwicklungen zu setzen und nicht nur auf das Tradierte. Zeichnen sich im Weichbild der Stadt neue Aufnahmepositionen ab, so wird Raum für zukünftige Wahrnehmungsperspektiven geschaffen. []

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: