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Die Stadt im Sucher
Der Standard

Eine Ausstellung im Technischen Museum mutiert zu einer interessanten Architekturschau. Fotos aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigen Wien im Umbruch zur Moderne.

22. November 2003 - Birgit Flos
Das Technische Museum hat begonnen, so etwas wie punktuelle Bohrungen im Museumsarchiv zu unternehmen und Materialien zur frühen Fotografiegeschichte in einem sorgfältig aufbereiteten Vitrinenkontext zum Sprechen zu bringen. Die Archivrecherche, die sonst eher als Hintergrund für Aktivitäten des Hauses zur Verfügung steht, tritt hier in den Mittelpunkt einer Sonderausstellung, und es wird direkt erfahrbar, wie bisher nicht ausgestellte, wieder gefundene oder neu entdeckte Sammlungsobjekte zu vielschichtigen Anschauungsmaterialien aktualisiert werden.

Hier lässt sich nachvollziehen, wie wissenschaftliche Museumsarbeit funktioniert. Auf den ersten Blick scheint die Ausstellung wenig umfangreich und in den riesigen Schausälen des Museums unterzugehen. Man sollte aber Zeit und Konzentration mitbringen, Erkenntnisinteresse und -lust liegen hier wirklich „im Detail“: Die frühe Fotografie ist ein großartiges Thema für die Fokussierung des Blicks, der sich auch auf Kontextverschiebungen in der Bewertung der Objekte richtet.

Das Technische Museum sammelte natürlich Exemplare früher fotografischer Apparate. Die dazugehörigen Fotografien sollten in erster Linie dokumentieren, was diese Apparate leisten. Interessiertem Fachpublikum sollten die Fortschritte demonstriert werden. Das „Kunstinteresse“ ist erst eine später hinzukommende Bedeutungsschicht.

Die Ausstellung vertieft sich in das Umfeld des Mathematikers und Fotopioniers Joseph Petzval (1807-1891). Petzval übernahm 1837 aus Pest kommend in Wien die Stelle eines a.o. Professors für Mathematik, Mechanik und Geometrie und begann schon 1839 (im selben Jahr, in dem Daguerre in Paris sein fotografisches Verfahren vorgestellt hatte) mit der Verbesserung der Lichtstärke des Objektivs. Im Sommer 1840 baut der Optiker Voigtländer das erste Petzval-Objektiv in eine Kamera ein; 1841 geht diese Kamera in die Serienproduktion und wird im weiteren Verlauf zum erfolgreichsten Fotoapparat in Europa.

Petzvals Nachlass wird 1910 für das Museum erworben. Ausgestellt ist z.B. die handschriftlich ausgefüllte Objektliste der übernommenen Materialien. Unter der Rubrik: Beschaffung: „Wo vorhanden? Von wem zu bekommen?“ sind die Quellen vermerkt (u. a.. ein „Museum für österr. Arbeit in Wien IX“). Der Petzval-Nachlass wurde nach dem Erwerb auf die verschiedenen Abteilungen aufgeteilt, die Beschlagwortung hat sich mit den Jahren verändert. Ein Objekt (der Anastigmat) konnte bisher nicht gefunden werden, dafür wurden andere Schätze gehoben. Da gab es zum Beispiel die unscheinbare Mappe mit der Aufschrift: „Aufnahmen: Anton Martin, 1848“. In dieser Mappe befand sich im Passepartout das Papiernegativ (auf Salzpapier) der Karlskirche, von Martin signiert, mit dem Verweis: „mit kaltem unterschwefeligsaurem Natron fixiert“. Die Blätter wurden vermutlich der Akademie der Wissenschaften vorgelegt, um Martins (geförderte) Bemühungen mit Papiernegativen zu demonstrieren. Martin fotografierte mit einem Petzval-Objektiv.

Aufregend ist der interdisziplinäre Blick auf die frühen Fotografien. Was sahen die ZeitgenossInnen in diesen Fotos, was lesen wir heute in ihnen? Für uns sind die Ansichten frühe Studien zur Stadtphysiognomie, zu einem Zeitpunkt, zu dem sich aus der mittelalterlichen Stadt die moderne Metropole zu entwickeln begann. Es war aber auch die Zeit nach 1848, in der sich die restriktive Macht gegen den „inneren Feind“ mit Kasernenbauten und der Errichtung des Arsenals schützte. Innovative Stadtansichten und Panoramen dienten vielleicht nicht nur einem sich entwickelnden touristischen Blick, sondern auch der territorialen Kontrolle, zu der die Fotografie ihren Beitrag leistete. Prägnante Gebäude beginnen eine besondere Abbildungsrolle zu spielen.

Aber man sollte bei der Bewertung nicht vergessen, dass erste Außenaufnahmen aus praktischen Gründen (lange Belichtungszeiten) aus dem Fenster von Arbeitsplatz oder Wohnung entstanden. Martin und Petzval hatten beide die Karlskirche als direktes Gegenüber.

Es ist immer wieder verblüffend, wie eng technischer Fortschritt in der Fotografie mit militärischen Entwicklungen verzahnt ist. Auch Petzval forschte für das Militär. Es gibt ein sensationelles Selbstporträt von ihm mit seinem Versuchsgewehr, man könnte sagen: ein Selbstschuss, sein Objektiv nimmt ihn mit seiner Waffe auf.

Von der Forschung an „Feldstechern“ zu der an Zielfernrohren ist es nicht weit. Landschaften werden unter diesem Aspekt auch zum potenziellen Kriegsterrain. Die enge Verknüpfung von Fotografie und Waffentechnologie fällt auch sprachlich immer wieder auf: Die Schärfe des Objektivs, des Blicks, befindet sich in assoziativer Nähe zu scharfer Munition, zum Scharfschützen etc.

Die Schärfung des Blicks. Technisches Museum Wien. Bis 22. Februar 2004.

Im lesenswerten und schön gestalteten Katalog vertiefen die für die Ausstellung verantwortlichen KuratorInnen die Fragestellungen: Manuela Fellner zur Spurensuche, Anton Holzer zu Fotografie und militärischem Blick, Elisabeth Limbeck-Lilienau zu Fotografie und neuem städtischen Raum (Redaktion: Carla Camilleri).

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