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Viele Millimeter können ein Kilometer sein
Der Standard

Architektur ist eine Frage des Maßes, und zwar in jeder Hinsicht. Das Fertigteil-Reihenhaus der Architekten u.m.a. ist auf den Millimeter geplant und zugleich passgenau in den großen Raster der individuellen und gesellschaftlichen Möglichkeiten gesteckt - visionär, gewissermaßen.

29. November 2003 - Ute Woltron
Was Architektur sei, frug Leopold Gerstl, legendenumrankter Professor an der Technischen Universität Innsbruck, seinerzeit in den frühen 80er-Jahren seine Studenten gelegentlich unvermittelt und mit der ihm innewohnenden Inbrunst.

Also. Los. Architektur. Was ist das? Rufzeichen.

Der Professor lauschte sodann ein Weilchen dem studentischen Gestammel, um die Antworten schließlich mit chronisch grafitverschmiertem Hemdsärmel vom Tisch zu wischen: Architektur, das sei Luft, in die Erde geblasen. Die Menschen, das seien die Würmer, die darin herumkröchen. Die Welt und die Architektur sei etwas, das ganzheitlich betrachtet gehöre - und überhaupt, alle Maße unter einem Kilometer hätten letztlich nicht zu interessieren.

Das Maß. Behalten wir es zur Sicherheit in Erinnerung. Ein Kilometer besteht schließlich auch aus vielen Millimetern, doch dazu später.

Gerstl verließ Innsbruck, ging nach Israel. Seine Studenten zerstreuten sich, erreichten Biennalen, gewannen Preise, blieben jedenfalls dieser absurden Disziplin der Architektur treu, bauten, rangen mit Normen, mit Bürgermeistern und anderen Genehmigungen aller Art stiftenden Instanzen. Wurden, wie es sich für Architekten jenseits der 40 gehört, langsam erwachsen, die meisten jedenfalls.

Ernst Unterluggauer, zum Beispiel, erlebte seine architektonische Mannwerdung, wenn man das so ausdrücken darf, in den vielen, vielen Jahren, in denen er gemeinsam mit 23 Bauherren und -frauen eine basisdemokratisch tadellose Konstruktion in die Hügel Innsbrucks setzen wollte. Zum Zwecke des Wohnens, versteht sich, gekuppelt und in der Reihe. Die Bemühungen erstreckten sich, um in Gerstls Terminologie zu bleiben, über viele Kilometer, von denen so mancher leer blieb. Denn alle gleichermaßen zu befriedigen und zu befrieden, das dämmerte Unterluggauer nach mehr als einem halben Jahrzehnt, erwies sich als unmöglich.

„Ich bin letztlich am Interessenkonflikt gescheitert“, sagt er, „Ich wollte das Rad neu erfinden, und ich habe es eben nicht neu erfunden.“ Schließlich standen da 23 Wohneinheiten für ebenso viele Individualisten auf dem Hang in Igls, und die vermeintlichen Individualbehausungen sahen alle schon ziemlich ähnlich aus. Das konnte nicht der Sinn der Übung gewesen sein.

Schluss, sagte Unterluggauer denn auch. Wenn schon nicht das Rad, so werde er etwas anderes erfinden, dabei aber der Vision, kostengünstig, schnell und für viele zu bauen, treu bleiben. Standardisiert, industriell vorgefertigt. Häuser, die in wenigen Tagen fixfertig auf der Wiese stehen.

Was ist Architektur? Luft und Hülle? Bauzeit, Geld, Baugrund, Ökologie, Nachhaltigkeit? Alles, lautete die Antwort, zumal im verdichteten Flachbau. Denn das Platz verschleißende Einfamilienhaus befindet sich in Anbetracht der ökonomisch desaströsen Landschaftsverhüttelung nur noch scheinbar in der Zeit seiner Blüte.

Gemeinsam mit den Bürokollegen Djordje Milosevic und Zaid Al Khafaji (zusammen: u.m.a.) begann Gerstls Exstudent vor vier Jahren also an einem Fertigteil-Reihenhaus zu planen, das all diese Tugenden in sich vereinen und trotzdem der Individualität seiner Bewohner zu entsprechen imstande sein sollte.

Das Produkt dieser Überlegungen steht als Prototyp nun fixfertig da. Garantierter und bis zu den Steckdosen durchkalkulierter Kostenpunkt: 990 Euro netto pro Quadratmeter (exklusive Fundamentplatte). Eine Petitesse im Vergleich zu anderen Fertigteilhäusern, und - Achtung, Unterschied! - als Reihenhaus gedacht.

Das UMA-Haus präsentiert sich auf den ersten Blick als schlichte Box. Zumindest zweigeschoßig, die Schmalseiten großzügig dreifach verglast, in verschiedenen Größen erhältlich. Die Innenräume offen, weit, den jeweiligen Bedürfnissen ideal anpassbar.

Was so schlicht, simpel und logisch daherkommt, ist tatsächlich das Resultat augetüfteltster Planungsarbeit. In diesem mittlerweile patentierten Konstrukt ist nichts, absolut nichts dem Zufall überlassen. Das tragende Element bilden Stahlrahmen, in den Wänden hohl geführt, in den Decken als I-Träger. Der Raster von 3,60 Meter erlaubt alle wandbildenden Materialien samt Dampfsperren et cetera in den üblichen Normgrößen zu verwenden, damit Abschnitte und in weiterer Folge Geld gespart wird.

Innen gibt es (grob gesprochen) Gipsfaserplatten, dann eine fette Steinwollewärmedämmung und OSB-Fassadenplatten, die mit allerlei Mustern bedruckt werden können. Die Decken sind aus Holz, die Treppe ist aus Stahl, die Balkone und innen gelegenen Oberflächenmaterialien sind optional, das Bad wird mitgeliefert, die Küche müssen sich die späteren Nutzer selbst aussuchen.

Die Häuser sind energetisch optimiert, also Niedrigenergiearchitekturen, in der - noch visionären - Optimalvariante sogar Energieerzeuger: Die Sonne könnte genug Strom für die Elektroautosteckdose am Parkplatz liefern. Die gesamte Haustechnik ist ausgeklügelt, alle Erfordernisse für Heizung, Stromanschlüsse, EDV, Telefon laufen in Kabeltassen in den Wänden. Steck-und andere Dosen werden dort montiert, wo man sie gerade haben will. Wenn gewünscht, regelt ein Bussystem Raumtemperaturen, Lüftung, Beleuchtung und den außen liegenden Sonnenschutz.

Trotz dieser millimetergenauen Konzeption wurde dem alten Visionär und Lehrer Gerstl, dem eher die kilometermäßige Übersicht ein Anliegen war, letztlich Genüge getan, weil der große Überblick hier mitgeholfen und die Architektur mitgeformt hat.

Die Häuser sind preiswert und Platz sparend zu errichten, innerhalb einer Woche fixfertig aufgestellt und ökologisch-energetisch auf dem Letztstand der Technik. Auch das Argument, sie könnten als Stahlkäfige abgetan werden, gilt für Unterluggauer nicht: „Blödsinn. In jeder Stahlbetondecke ist mehr Stahl drinnen als im ganzen UMA-Haus.“

Apropos Stahl: In den Schmieden der Firma Scholl in Tattendorf, wo hoch technisierte Stahlgeräte und andere innovative Tüfteleien ausgedacht werden, fanden die Architekten die idealen Partner. „Die sind verrückt“, sagt Unterluggauer, „wir haben sofort gewusst, hier sind wir richtig.“ Ebendort in der Produktionshalle steht der UMA-Prototyp, und dort findet auch am 4. Dezember die Haustaufe samt Einweihungsfest statt.

Kleine Anmerkung zum Schluss: Die Idee, rasch assemblierte Häuser aus Stahlrahmen zu schrauben, hatte unter anderen bereits der französische Ausnahmekonstrukteur Jean Prouvé, und auch Richard Buckminster Fullers genialische metallene Hauskonstrukte sollten nicht unerwähnt bleiben. Das UMA-Haus ist dagegen atmosphärisch eine bürgerlichere, zahmere Variante dieser Bemühungen. Seine Raffinesse liegt in der Technik und im Ausschöpfen der modernsten Materialmöglichkeiten. Vielleicht - hoffentlich - beschert ihm das mehr Akzeptanz als seinen schillernden, in die Architekturgeschichte eingegangenen Vorgängern.


[ UMA-Haustaufe:
Stahlbau Scholl, Tattendorf, Pottendorferstraße 77,
Donnerstag, 4. Dezember, ab 19 Uhr 30.
Infos unter uma@uma-architekten.at; www.uma-fertighaus.com]

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