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Ach ja, die Experten!
Ach ja, die Experten!, Foto: Pia Frühwirt
Ach ja, die Experten!, Foto: Paul Ott
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Auch wenn Architekten hartnäckig die Ansicht vertreten, ein Bauwerk müsse „aus und für sich selbst sprechen“: Architekturvermittlung ist heute so wichtig wie Coaching oder Mediation. Bleibt die Frage: wie und durch wen?

13. Dezember 2003 - Karin Tschavgova
Architekturvermittlung - was für ein Wort. Kaufen Sie, meine Da men und Herren, wir Fachleute bieten erstklassige Ware zu günstigen Konditionen! Sie haben es erkannt? Architekturvermittlung bedeutet nicht, Architektur, also Häuser, zu vermitteln, sondern Kenntnisse über Architektur als Alltagskultur oder, anders gesagt, Verständnis für zeitgenössisches Bauen. Verständnis setzt Kommunikation voraus zwischen Architekten und Nicht-Architekten, in der Folge Laien genannt. Nun könnte man einwenden, dass auch Laien ständig mit Architektur konfrontiert sind und daraus folgern, dass auch sie in der täglichen Auseinandersetzung zu Experten ihrer eigenen gebauten Umwelt werden.

Riklef Rambow, der vermutlich einzige deutschsprachige Psychologe, der sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit dem Verhältnis zwischen Architekten und Laien auseinander setzt und einige Forschungsarbeiten zu diesem Thema veröffentlicht hat, widerspricht dem vehement. Der Einwand scheint ihm am Kern der Sache doch vorbeizugehen, obwohl er aus bester Absicht heraus scheinbar eine Aufwertung der Laienposition beabsichtigt. Der Architekt ist zum Experten geworden, weil er ein Studium absolviert hat und sich über einen sehr langen Zeitraum täglich mit Architektur auseinander setzt. Er hat dadurch umfangreiches Wissen angesammelt und spezielle Fähigkeiten erworben; beides durchdringt seine Wahrnehmung der Welt und konstituiert seine spezifische Perspektive.

Nach Riklef Rambow ist ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Bereich der Kompetenz des Architekten sein „Auge“. Betrachten sie architektonische Sachverhalte, so sehen Architekten üblicherweise mehr und anderes als Laien. Sie erkennen Strukturen, Verbindungen und Bezüge, die dem Laien meist verborgen bleiben. Wahrnehmung, weiß Rambow, sei sie nun visuell, akustisch oder haptisch, hängt von gemachten Erfahrungen und von deren bewusster Verarbeitung ab, aber auch vom Wissen über kunsthistorische Zusammenhänge, über aktuelle Diskurse in der Architektur oder über konstruktive Gegebenheiten.

Differenzierte Kenntnisse bilden den Bezugsrahmen der Wahrnehmung, und dieser unterscheidet sich wesentlich von dem der Laien. Diese Unterschiede aufzulösen ist also für beide Seiten nicht hilfreich. „Um ein echtes Verständnis der Laiensicht zu entwickeln und um auf dieser Basis erfolgreich mit Laien kommunizieren zu können, muss sich der Architekt der unterschiedlichen Perspektiven bewusst sein und diese Unterschiede selbstbewusst als solche akzeptieren.“ Verliert man diese Unterschiede aus dem Auge und setzt beim Laien Wissen und Einsichten voraus, die dieser gar nicht haben kann, so führt dies unweigerlich zu Missverständnissen und Konflikten. Während der Fachmann sein Gegenüber ignorant findet, versteht der Laie Ersteren nicht und kann seinen Rat nicht annehmen.

Nun sind Entscheidungsträger für das Bauen vorwiegend Laien, und es ist wesentlich, mit ihnen in einen für beide Seiten konstruktiven Dialog treten zu können. Nur wie? Geringerer Informationsstand von Laien ist, wie schon erläutert, eine Ursache von Missverständnissen. In seinen empirischen Untersuchungen will der Architekturpsychologe Rambow herausgefunden haben, dass zwischen Experten und Laien in Bezug auf die Präferenz und Akzeptanz von aktuellen Entwicklungen in der Architektur und ihren Bauten eine zeitliche Diskrepanz von mindestens zehn Jahren besteht. Sie ist mit einem Jahre dauernden Gewöhnungsprozess zu erklären wie auch mit dem Informationsvorsprung des Spezialisten. Wer wenig Möglichkeiten zur Differenzierung hat, urteilt klischeehaft. Das führt zu einer unreflektiert kritischen bis ablehnenden Haltung gegenüber zeitgenössischer Architektur und zugleich zu unkritischer Begeisterung für oberflächlich spektakuläre Bauten wie jene von Hundertwasser.

Architektur wird oft, besonders von Kindern und Jugendlichen, als etwas vom Alltag Abgetrenntes gesehen, das mit ihnen selbst und ihrer gebauten Umwelt nichts zu tun hat. In der Werteskala von Architektur werden ziemlich einseitig künstlerische Aspekte betont, die eher dekorativen Charakter haben. Visuelle Attraktivität und Design werden mit architektonischer Qualität gleichgesetzt.

Eine Reihe von Dissonanzen im Verhältnis von Architekten und Laien geht allerdings auf das Konto der Architekten oder generell der Experten, zu denen auch Architekturjournalisten zählen. Architekten vertreten oft hartnäckig die Ansicht, dass die Vermittlung von Architektur nicht möglich sei, weil diese nur intuitiv zu erfassen sei. Ein Bauwerk müsse sozusagen „aus und für sich selbst sprechen“, weil sich die Qualitäten von Architektur nicht sprachlich ausdrücken lassen, vor allem nicht in Begriffen, die für einen Nicht-Architekten verständlich sind. Das grenzt an Überheblichkeit. Lässt sich auch nicht alles sprachlich fassen, so heißt das noch lange nicht, dass Architektur und ihre Qualität nicht vermittelbar sind. Diese resultiert aus der Summe vieler Aspekte, von denen die meisten für den Laien durchaus von Interesse sind. Vermittelbar sind Funktionalität, konstruktive, ökonomische und städtebauliche Kriterien und generell Aspekte, die den Menschen nicht nur als Nutzer, sondern als Individuum in den Mittelpunkt stellen.

Es stimmt, dass bei Laien die Bereitschaft, sich mit gestalterischen und ästhetischen Konzepten auseinander zu setzen, weder hoch noch vorrangig ist, während andererseits bei Fachleuten oft eine ziemlich einseitige Hervorhebung der konzeptionellen und ästhetischen Dimension festzustellen ist. Diese findet noch dazu auf einem hohen sprachlichen Abstraktionsniveau statt, gespickt mit architekturspezifischen Fachbegriffen, die unter Fachleuten zwar berechtigt, für Laien jedoch unverständlich sind.

Außerdem liegt der Verdacht nahe, dass manch hochgegriffene Beschreibung nur Banales verschleiern soll. Viele Floskeln, Übertreibungen und unpassende Vergleiche fallen in diese Kategorie, die über pseudotheoretischen Charakter nicht hinausreicht. Da finden zur Durchsetzung eines architektonischen Konzepts der Dachfaltung massige Leimbinder als Dachträger im obersten Geschoß einer Wohnzeile Verwendung. Vom Architekturkritiker werden diese in den nach Sozialwohnungsnorm winzig kleinen Kinderzimmern nicht etwa als unproportional und daher störend gesehen, sondern schöngeschrieben als „Paraphrase und Erinnerung an Großmutters Dachboden“.

Es stimmt schon, dass der Versuch, Laien zeitgenössische, noch nicht approbierte Architektur näher zu bringen, schwierig, mühsam und zeitaufwändig ist. Aber es lohnt sich _ und zwar für beide Seiten. Mehr noch, Inhalt und Nutzen der Tätigkeit des Architekten zu vermitteln wird in Zukunft die einzige Chance sein, dem Architektenstand das Überleben zu sichern. Nur wer ihren Wert zu erkennen und differenzieren lernt, kann urteilsfähig sein. Er wird gegebenenfalls die Leistung eines Architekten als Experten schätzen und folglich bereit sein, sie angemessen zu honorieren.

Es ist sinnvoll, Vermittlungsarbeit ins Zentrum von Architektur zu stellen, ihr vielfältigen Raum und Unterstützung zu geben. Das erkennen immer mehr Architekten und architekturnahe Institutionen. Politische Entscheidungsträger lassen sensible öffentliche Bauvorhaben promoten, um sie, mit erreichter hoher Akzeptanz, reibungslos realisieren zu können. Profunde und nachhaltige Architekturvermittlung sollte allerdings nach langfristigen Konzepten stattfinden und nicht punktuell und spekulativ.

Natürlich spielt die frühe Hinführung von Kindern und Jugendlichen zur Thematik eine Rolle. Der Gesetzgeber hat das erkannt und Architekturunterricht als Teil des Lehrinhalts in Schulen verankert, allerdings so vage, dass Lehrer _ auch sie Laien _ keinen rechten Halt darin finden können. Es gilt also, erst die Lehrer zu bilden _ nicht flächendeckend, aber den aufgeschlossenen, an der Materie interessierten Teil der Lehrerschaft. Die Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten sieht darin in ihrer neu gestarteten Offensive zur Öffentlichkeitsarbeit einen ihrer Schwerpunkte.

In seiner Studie zur schulischen Architekturvermittlung zieht Riklef Rambow wesentliche Schlüsse: Stilgeschichtlich orientierte Betrachtung von Meisterbauten aus verschiedenen Epochen bringt gar nichts. Auch die freie Entfaltung eigener Kreativität beim Entwurf eines „Traumhauses“ oder einer abstrakten Raumkomposition verstärkt bei den Schülern eher die eingeengte Sicht auf Architektur. Beides ist zu abgehoben von der gebauten Realität, die die Schüler außerhalb der Schule erleben. Kompetenter Umgang mit Architektur ist etwas anderes als das träumerische eigene Entwerfen.

Rambow plädiert daher für das Kennenlernen guter, nicht unbedingt außergewöhnlicher Beispiele und das Vermitteln der spezifischen Bedingungen ihres Entstehens und ihrer Anforderungen. In der Folge führt dies weg von der vorwiegend visuellen Wahrnehmung des fertigen Baus. Besser als singuläre schulische Projekte wäre die kontinuierliche Konfrontation mit der Materie, die durch den aufgeklärten Lehrer oder etwa das gute Beispiel des eigenen Schulhauses erfolgen kann.

Die Beispielwirkung qualitätvoller Architektur kann überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zeigt und erklärt man einem interessierten Laien ein für ihn gewöhnungsbedürftiges Bauwerk und gibt ihm die Möglichkeit, Raumqualitäten hautnah zu erfahren, so hat man ihn meist nicht nur für dieses gewonnen, sondern erreicht relativ schnell generelles Interesse und größere Offenheit für neue Baukunst. Das beweist der große Publikumsandrang bei den regelmäßigen Fachführungen, die Institutionen wie das Architekturzentrum Wien, ORTE architekturnetzwerk niederösterreich oder die steirische Kammer anbieten.

Erfolgreich sensibilisiert man interessierte Laien durch fixe Architekturseiten im Feuilleton von Tageszeitungen, wenn nicht nur das Spektakuläre hervorgehoben, sondern gebaute Qualität im Alltag besprochen wird. Welch breites Interesse ließe sich erst durch das Fernsehen wecken, gäbe es dort, was der Architekt und Lehrer Roland Gnaiger schon vor Jahren regelmäßig im Vorarlberger Regionalfernsehen praktiziert hat: sachliche, dabei verständliche Auseinandersetzung mit Architektur.

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